Die Lage am Donnerstag Liebe Leserin, lieber Leser,

ab heute kriegen sie in die Fresse. Das hat Andrea Nahles gestern angekündigt. Dabei wäre heute eher ein guter Tag, um einmal innezuhalten. Pausengong, die erste Runde ist vorbei. Kurze Erholung, Zeit für eine kleine Bilanz.
Die Spitzengremien der Parteien und die Fraktionen haben in den vergangenen drei Tagen zum ersten Mal nach der Wahl getagt, diskutiert und abgestimmt. Wie ist der Stand? Eine kleine Handreichung.
FDP
Machtfrage: hundertprozentig geklärt. Christian Lindner bekam alle Stimmen bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden. (Allerdings hat Martin Schulz auch mal 100 Prozent bekommen, ist noch nicht lange her.)
Programmfrage: Die FDP wird vor allem darauf achten, dass Merkel dem französischen Präsidenten nicht weit entgegenkommt. So ganz ohne Entlastung für die traditionelle Klientel wird es bei aller Erneuerung auch nicht abgehen.
Grüne
Machtfrage: Nie hundertprozentig geklärt, weil sich viele Leute die Macht teilen. Derzeit herrscht Ruhe, die Probleme könnten kommen, wenn die Regierungsposten verteilt werden.
Programmfrage: Die Grünen haben eine unruhige Basis, die auf eine urgrüne Politik drängt. Ohne verbesserten Klimaschutz wird die Parteispitze keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, mehr als eine Scheinobergrenze für Flüchtlinge wird wohl kein Grüner akzeptieren.
CDU
Machtfrage: Niemand traut sich bislang an Angela Merkel heran. Volker Kauder bekam nur 77 Prozent bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden, eine kleine Abstrafung, und damit war auch Merkel gemeint.
Programmfrage: Spielte in der Debatte der letzten drei Tage kaum eine Rolle, was bezeichnend sein könnte. Das Programm ist immer noch Merkel, und die wird das tun, was ihr eine vierte Amtszeit einträgt: ein bisschen liberal sein, ein bisschen grün, ein bisschen konservativ und natürlich unverdrossen sozialdemokratisch.
CSU
Machtfrage: Horst Seehofer wackelt und beißt um sich. Markus Söder lauert, wirkt aber nicht entschlossen.
Programmfrage: Die CSU hat sich auf eine Obergrenze für Flüchtlinge versteift. Seehofer wird mindestens eine Scheinobergrenze durchsetzen müssen, um sich zu halten.
SPD
Machtfrage: 100 Prozent minus x - das ist derzeit der Machtwert von Schulz. Das X ist ziemlich groß. Er konnte nicht Fraktionsvorsitzender werden, konnte seinen Kandidaten für das Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers nicht durchsetzen, hält sich nur an der Parteispitze, weil die SPD vor der Wahl in Niedersachsen kein Chaos will.
Programmfrage: Derzeit nicht relevant. Aber in der Opposition wird die SPD ein neues Programm austüfteln, das macht sie am liebsten.
Linke
Machtfrage: Theoretisch gut austariert. Praktisch beherrscht Sahra Wagenknecht die Talkshows und Bühnen.
Programmfrage: Muss auf das Programm der SPD warten, um deren Versprechungen überbieten zu können. Ein bisschen gilt das nun auch für das Programm der AfD, jedenfalls nach Ansicht von Wagenknecht.
AfD
Machtfrage: Nach Frauke Petrys Abgang vorerst geklärt. Die Frage wird sein, ob sich ein "gäriger Haufen" (Alexander Gauland) führen lässt.
Programmfrage: Ungeklärt. Können die bürgerlich Konservativen einen Konsens mit den völkischen Nationalisten finden? Eher unwahrscheinlich.
Fake Frauke
Machtfrage: Zu 100 Prozent geklärt. Frauke Petry muss in ihrer Parlamentskleingruppe nur Frauke Petry anführen.
Programmfrage: Ungeklärt. Kann die bürgerlich konservative Petry einen Konsens mit der völkisch nationalen Petry finden? Eher unwahrscheinlich.
Trend: Verrohung der Sprache. Gauland sagte: "Wir werden Merkel jagen." Nahles sagte: "Ab morgen kriegen sie in die Fresse." Klingt ein bisschen nach Weimarer Republik. Aber weiter wollen wir den Vergleich nicht ziehen.
Fazit: Es gibt durchaus Chancen für Jamaika, aber noch ist viel in Bewegung - nur nicht dort, wo die meisten Stimmen verloren wurden: bei der Kanzlerin. An der tropft wie gehabt alles ab. Sie wird dem späten Helmut Kohl immer ähnlicher.
Gewinner des Tages...

...ist der Bundestag. Gestern war er Verlierer des Tages, weil Norbert Lammert nicht mehr Bundestagspräsident werden kann. Nun ist wohl entschieden, dass Wolfgang Schäuble sein Nachfolger wird.
Lammert und Schäuble sind beide historisch gebildet, beide sind gute Redner, beide haben viele Jahrzehnte Erfahrung im Bundestag, beide haben einen scharfen Verstand und einen spitzen Humor. Lammert ist eitler als Schäuble, der ist härter und kälter. Das Kaliber der beiden ist ähnlich groß. Deshalb ist Schäuble der richtige Nachfolger für Lammert.
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Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Tag,
Ihr Dirk Kurbjuweit