
Die Lage am Morgen Gibt es einen Last-Minute-Swing – und für wen?

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um verpasste und letzte Chancen im Wahlkampfendspurt, um den radikalen Kern, den die AfD hinter einer freundlichen Fassade zu verstecken versucht, und um die Impfaktionswoche des Gesundheitsministers, die zu verpuffen droht.
Triell der letzten Chancen
Es gibt kein Entkommen. Auch an diesem Wochenende schwärmen sie wieder aus, die Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien, in Fußgängerzonen, auf Marktplätze, vor Einkaufszentren, in Krankenhäuser und Biergärten. Deutschland geht ins Wahlkampffinale – acht Tage noch, dann wird abgerechnet.
Wer kann auf einen Last-Minute-Swing hoffen? Können Armin Laschet und die Union den Sieg der Sozialdemokraten um Olaf Scholz noch verhindern, einen Sieg, der vor wenigen Wochen noch unvorstellbar war? Können die Grünen, die im Frühjahr noch vom Kanzleramt träumten, noch mal in das Rennen um die Macht eingreifen?

Wahlplakate der drei Kanzlerkandidaten in Berlin
Foto: Michael Sohn / APDie erste Frage lässt sich tatsächlich noch nicht beantworten. Die zweite schon eher: Annalena Baerbock wird sich wohl mit Platz drei zufriedengeben müssen.
Wie es dazu kommen konnte, dass Baerbock und die Grünen eine historische Chance verpasst haben dürften, das hat ein Team von Kolleginnen und Kollegen für die SPIEGEL-Titelstory analysiert (den Text finden sie hier ). Darin konstatieren sie auch, dass Baerbock seit dem Umfrageabsturz, seit klar ist, dass wohl nichts wird aus der grünen Revolution, geradezu befreit wirkt, »als hätte der Traum, ganz oben zu sein, sie eher gebremst als beflügelt. Als wäre es eher ein Albtraum gewesen«.
Ohne die Last des Albtraums kann die Grünen-Kanzlerkandidatin am Sonntagabend nun auch in das dritte und letzte TV-Triell gehen, diesmal bei Sat.1, ProSieben und Kabel Eins zu sehen. Höre ich Sie stöhnen? Kann ich verstehen, Teil eins und zwei haben nicht gerade Lust auf mehr gemacht. Für Baerbock und natürlich auch für den Unionskonkurrenten Laschet bietet die Debatte dennoch eine der letzten Chancen, vor großem Publikum zu punkten und den aktuellen Favoriten Scholz in Bedrängnis zu bringen.
Bemerkenswert: Eine der Triell-Moderatorinnen ist Claudia von Brauchitsch, die in ihrem Leben bisher nicht nur für RTL, N24 und Sat.1 gearbeitet hat – sondern auch für den CDU-eigenen Internetsender CDU TV. Zudem moderierte sie Parteiveranstaltungen der Christdemokraten. Die Lager der Konkurrenz finden die Besetzung nicht besonders glücklich, und man muss kein Fan von SPD und Grünen sein, um dieses Gefühl zu teilen.
Außen nett, innen radikal
Die AfD steht in den Umfragen kurz vor der Bundestagswahl stabil bei rund elf Prozent. Immer noch zu viel für eine in Teilen rechtsextreme Partei, aber es war auch schon mal mehr. Bevor die Pandemie über das Land hereinbrach, da sahen die Demoskopen die AfD bei 14 oder 15 Prozent, deutlich mehr als die 12,6 Prozent bei der letzten Bundestagswahl.
Seit das Virus die Politik bestimmt, kämpfen die Rechten um Aufmerksamkeit. Lange tat sich die AfD schwer, eine gemeinsame Haltung zu den Anti-Corona-Maßnahmen zu finden, die Migrationspolitik spielte keine Rolle mehr – der Partei fehlt schlicht ein Thema. Nicht einmal von der dramatischen Schwindsucht der Union kann sie profitieren.

AfD-Politiker Weidel, Chrupalla
Foto: Alternative für Deutschland / obsIm Wahlkampf versucht man nun seit Wochen, die vermeintliche Sehnsucht nach einem »normalen« Deutschland zu bedienen, das sich angeblich zu viel mit Dingen wie Klimaschutz und Diversität beschäftigt. Nur: Normal ist gerade an der AfD gar nichts. Im Gegenteil.
Nicht wenige Funktionäre, Mandatsträger und Mitglieder wollen kein normales Deutschland, sie wollen das demokratische System dieses Landes umstürzen. Und auch die Spitzenkandidaten der AfD, Alice Weidel und Tino Chrupalla, mögen nett und harmlos von den Wahlplakaten lächeln, in Wahrheit sind sie fest im völkisch-nationalistischen Flügel der Partei verankert.
Meine Kollegin Ann-Katrin Müller und mein Kollege Veit Medick haben Weidel und Chrupalla im Wahlkampf beobachtet. In ihrem Porträt legen sie den radikalen AfD-Kern hinter der freundlichen Fassade frei.
Wird die Impfwoche ein Flop?
Jens Spahn wollte vor dem Herbst den Impfturbo zünden: Der Gesundheitsminister rief eine Aktionswoche aus, in der Länder, Städte und Gemeinden jene überzeugen sollten, die bisher zögern, sich den Piks gegen eine Covid-19-Erkrankung abzuholen. Fünf Millionen voll geimpfte Menschen brauche es noch, so hatte es das Robert Koch-Institut vorgerechnet, um eine Impfquote von 75 Prozent bei den über 12-Jährigen zu erreichen und so gut durch den Corona-Winter zu kommen.

Impfung im Supermarkt
Foto: Christoph Schmidt / dpaDoch all die, wie man so schön sagt, niedrigschwelligen Angebote scheinen bisher nicht viel zu bringen. Gratis-Döner, Gutscheine, die Spritze an der Supermarktkasse – an Ideen mangelt es nicht. Es gab sie nur auch schon vor der Impfwoche, die nun zum Flop zu werden droht. Die Impfquote ist in den vergangenen Tagen jedenfalls kaum gestiegen.
Wollen die Menschen sich denn wirklich nicht impfen lassen? Experten schätzen, dass nur zehn Prozent der Bevölkerung echte Hardcore-Impfgegner sind. Dann gibt es die Impftrödler, die es bisher einfach nicht geschafft haben oder die schlicht zu bequem waren. Und da sind die Zweifler, die eine Impfung nicht grundsätzlich ablehnen, aber Angst haben, vor Nebenwirkungen etwa, oder Spätfolgen.
Um Letztere müsste man sich aber ernsthafter bemühen, als ihnen eine kostenlose Bratwurst anzubieten. Hier geht es um Aufklärung. Wie diese aussehen kann und warum eine Kampagne der Bundesregierung dabei eher kontraproduktiv ist, erklären meine Kolleginnen Veronika Hackenbroch und Milena Hassenkamp sowie mein Kollege Claus Hecking hier:
Verlierer des Tages…
…ist Andreas Mattfeldt. Mattfeldt ist Bundestagsabgeordneter für die CDU. Und er ist Geschäftsführer eines Hohenzollern-Unternehmens im Städtchen Plön in Schleswig-Holstein. Als solcher hat er im Juli 2020 dem Plöner Stadtrat nahegelegt, Fördergelder des Bundes für eine der Adelsfamilie gehörende Insel im Großen Plöner See zu beantragen.

CDU-Politiker Andreas Mattfeldt und Hohenzollern-Spross Georg-Friedrich Prinz von Preußen auf der Plöner Prinzeninsel
Foto:Dirk Schneider
Praktischerweise sitzt Mattfeldt auch im Haushaltsausschuss des Bundestags, der das Geld bewilligt. Angezeigt hat er den Interessenkonflikt aber weder im Ausschuss noch gegenüber den Bundestagspräsidenten. Bei der entscheidenden Abstimmung über die Förderung für das von der Stadt betriebene, aber den Hohenzollern gehörende Plöner Prinzenbad war Mattfeldt sogar Berichterstatter des Ausschusses für Projekte im Rahmen des Programms »Anpassung urbaner Räume an den Klimawandel«.
Er stimmte für die Vorlage, in der auch das Prinzenbad-Projekt auf der Hohenzollern-Insel gelistet war. 249.000 Euro Staatsknete sollte es geben, für ein »Gründach an der Badestelle Prinzeninsel in Plön«. Das Geld floss am Ende nicht – aber das hatte bauliche Gründe.
Die ganze Geschichte lesen Sie hier:
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Ich wünsche Ihnen ein wunderbares Wochenende.
Herzlich
Ihr Philipp Wittrock