
Die Lage am Morgen Ein Botschafter als Backgroundtänzer
Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Frage, was auf das Schweizer Bankenbeben folgt. Wir befassen uns außerdem mit einem Schiff auf großer Fahrt und mit einer geplatzten Begegnung in Weimar.
Krise, welche Krise?
Seit ein paar Tagen ergreift mich leichte Beklemmung, wenn ich Zeitungen aufschlage oder Nachrichten höre. Sie geht über das übliche Maß hinaus, und sie stellt sich immer dann ein, wenn ich Nachrichten aus der Welt der Banken konsumiere. Sie fühlt sich nach Déjà-vu an.
Ein paar US-Banken geraten in Schwierigkeiten. Eine kollabiert. Eine Schweizer Großbank muss mit 50 Milliarden Franken gestützt werden, und nur wenige Tage später muss sich diese Bank, die Credit Suisse, vom Rivalen UBS übernehmen, also retten lassen. Der Goldpreis steigt, Bankaktien fallen.
Womöglich geht es Ihnen da ähnlich, bei mir jedenfalls werden gerade Erinnerungen an das Jahr 2008 wach, an die Ereignisse rund um den Zusammenbruch von Lehman Brothers, an die Weltfinanzkrise und all das, was daraus folgte. Mir ist klar, dass man das nicht mal eben vergleichen kann. Trotzdem werde ich eine leichte Unruhe nicht los, die vor allem darauf beruht, dass auch damals kaum jemand das große, weltumspannende Desaster kommen gesehen hatte.

Logos von UBS und Credit Suisse: Der Flächenbrand ist abgewendet – und nun?
Foto: DENIS BALIBOUSE / REUTERSMein Problem ist, dass ich mich weder mit Finanzen im Allgemeinen noch mit Banken im Besonderen gut auskenne. Ich würde mich da als gut informierten Zeitungsleser einstufen. Das reicht natürlich nicht, um einzuschätzen, ob wir es hier mit der nächsten Großkrise zu tun haben oder eher entspannt bleiben können. Deshalb habe ich jemanden gefragt, der sich auskennt: meinen Kollegen Christian Reiermann.
Christian hat schon über die letzte Weltfinanzkrise geschrieben und über sämtliche Finanzminister seit Theo Waigel. Außerdem ist er ein kluger, belesener Kollege (was er gern hinter einem etwas derben Ruhrgebietshumor verbirgt, in meinem Telefon bewahre ich eine Liste seiner Aussprüche auf, die allerdings nicht hierhergehören). Also, was meint er?
»Mit der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS ist zwar die Gefahr eines Flächenbrands fürs Erste gebannt – aber damit ist längst noch nicht entschieden, ob die Krise gebannt ist«, schreibt mir Christian. »Denn das Misstrauen in den Märkten wächst, was daran abzulesen ist, dass Investoren massenhaft Bankaktien abstoßen, was flächendeckend zu Kursverlusten führt.«
Woran liegt das?
»Schuld daran sind nicht zuletzt die Konditionen des Credit-Suisse-Deals«, schreibt Christian. »Sie bestimmen, dass Investoren leer ausgehen, die Bankanleihen gekauft haben, die im Krisenfall in Eigenkapital umgewandelt werden. Diese Papiere waren eine Konsequenz aus der Finanzkrise und sollten helfen, künftig angeschlagene Institute zu stabilisieren. Jetzt werden sie womöglich zum Brandbeschleuniger, wenn Investoren bei anderen Banken aus Angst vor dem Totalverlust ihre Anleihen loswerden wollen.«
Klingt nicht so richtig gut, finde ich. Und die Conclusio des Kollegen macht mich nicht zuversichtlicher: »Auch für die Schweiz ist das Bankenproblem alles andere als gelöst. Die Schweizer Bundesregierung sieht sich nun einem neuen Koloss gegenüber, dessen Pleite sie sich noch weniger leisten kann. Muss der Staat erneut einspringen, wird die Rettung noch viel teurer.«
Wenn ich Christian richtig verstehe, ist er trotzdem noch nicht ernsthaft beunruhigt. Ich verlasse mich da auf ihn. Der Mann verfügt nicht nur über ökonomische Expertise, sondern trinkt für sein Leben gern Stauder Pils. Das spricht für sein Urteilsvermögen.
Chef der Euro-Gruppe zum Finanzbeben: Müssen wir noch mehr Banken retten, Herr Donohoe?
Ein Minister und sein Schiff
Heute haben sie die erste Nacht schon hinter sich, die rund 190 Männer und Frauen an Bord der »Gorch Fock«. Am Montag ist das Segelschulschiff der Marine in Kiel zu seiner 175. Auslandsreise ausgelaufen. Erst geht es Richtung Spanien und Portugal, dann über Irland zurück nach Kiel.
Warum ich das erzähle? Weil mich einerseits immer eine leichte Wehmut befällt, wenn ich von der »Gorch Fock« lese. Ich war auch mal bei der Marine, habe es allerdings nie auf dieses wirklich schöne Schiff geschafft. Das war Offiziersanwärtern vorbehalten, während ich mich erst als Ober-, dann als Hauptgefreiter der vornehmen Aufgabe widmen durfte, die Messingglocke des Schnellboots »S 65 Sperber« zu putzen, sobald wir im Hafen lagen. Weshalb ich es nicht leiden konnte, im Hafen zu liegen. (Auf der »Gorch Fock« hätte ich es allerdings erst recht nicht leiden können, man muss da ständig in die Masten klettern, und ich habe fürchterliche Höhenangst.)

»Gorch Fock« beim Verlassen des Marinehafens in Kiel: Gute Fahrt!
Foto: Frank Molter / dpaAndererseits ist die »Gorch Fock« für mich in den letzten Jahren auch ein Symbol für die gesamte Bundeswehr gewesen, für den erbarmungswürdigen Zustand dieser Truppe. Vieles, was im Großen schiefging und nicht funktionierte, ließ sich im Kleinen an diesem Schiff erzählen, das ewig auf dem Trockenen lag, weil die Sanierung so viel länger dauerte und so viel teurer wurde als geplant. Am Ende waren es statt zehn Millionen 135 Millionen. Erst 2021 bekam die Marine ihr Schiff zurück.
Wenn die »Gorch Fock« unterwegs ist, dann ist das erst mal ein gutes Zeichen, für die Truppe und für den neuen Verteidigungsminister, für Boris Pistorius. Viel mehr ist es aber auch noch nicht, die eigentlichen Baustellen sind natürlich größer, komplexer. Am 7. Juli wird das Schiff in Kiel zurückerwartet, dann sind die 100 Tage Schonfrist lange vorbei, die jeder neue Minister üblicherweise eingeräumt bekommt. Ich bin gespannt, ob dann noch immer so freundlich über ihn geschrieben und geredet wird wie derzeit.
Die »Gorch Fock« und der Niedergang der Bundeswehr: Deutschland, abgewrackt
Vom Wert des Redens
In Weimar beginnt heute die Klausur der Grünen-Bundestagsfraktion, und beinah wäre es dort zu einer wichtigen Begegnung gekommen. Aber nur beinah. Es wird sie nun doch nicht geben.
Nach Weimar eingeladen war auch der Betriebsrat des Energiekonzerns Leag, der unter anderem Braunkohle abbaut und damit so etwas wie der natürliche Gegner der Grünen ist. Umso wichtiger hätte dieses Gespräch sein können. Man hätte sich vielleicht mal gegenseitig zugehört. Doch am Montag sagte der Konzernbetriebsrat der Leag ab. Warum? Am Wochenende war bekannt geworden, dass die Grünen den Kohleausstieg auch im Osten vorziehen wollen, um acht Jahre, auf 2030. Das sei ein »notwendiger Schritt, um die Klimaziele zu erreichen«, heißt es in einer Beschlussvorlage für die Fraktionsklausur.

Blick über den Tagebau Nochten auf das Kohlekraftwerk Boxberg: 2030 wollen die Grünen Schluss machen
Foto: Steffen Unger / IMAGONatürlich wäre das sinnvoll, daran habe ich keinen Zweifel. Trotzdem glaube ich, dass man hier behutsam vorgehen muss. Auf der anderen Seite stehen ja Menschen, denen es um ihren Arbeitsplatz geht und, das darf man bei solchen Fragen nie unterschätzen, einen Teil ihrer Identität. Eine Region bezieht ihren Stolz eher nicht daraus, die höchste Dichte an künstlichen Seen zu haben. Sehr viel mehr wird in der Lausitz nicht bleiben, wenn es mit der Kohle vorbei ist.
Man mag das angesichts der Klimakrise für nachrangig halten und das womöglich sogar zu Recht – umso mehr wäre dann aber kluge Kommunikation gefragt. Kluge Kommunikation ist eher nicht, den Betroffenen eine Jahreszahl hinzuknallen. Vor allem dann nicht, wenn es eigentlich schon ein mühsam ausgehandeltes Ausstiegsdatum gibt.
Über Olaf Scholz und seinen Kommunikationsstil ist im ersten Jahr der Regierung viel geschimpft und gelästert worden: zu verschlossen, erklärt zu wenig, hieß es – wohingegen die Grünen, allen voran Annalena Baerbock und Robert Habeck, viel Lob für ihre Mitteilsamkeit bekamen, ihre Auftritte in sozialen und sonstigen Medien.
Ich bin mir manchmal nicht so sicher, ob das ausschließlich gerecht war.
Streit über Kohleausstieg: Leag-Betriebsrat sagt Grünenklausur ab
Nachrichten und Hintergründe zu Russlands Angriffskrieg finden Sie hier:
Die jüngsten Entwicklungen: In der Nacht gab es ukrainische Angriffe auf der Krim – mit sehr unterschiedlichen Angaben zu den Zielen. Und: Kanzler Scholz spricht über seine Telefonate mit Kremlchef Putin. Der Überblick.
Prigoschin schreibt an Verteidigungsminister Schoigu – und verlangt Verstärkung: Wagner-Chef Prigoschin und Russlands Verteidigungsminister Schoigu gelten als Rivalen. Der eine hat dem anderen nun einen Brief mit einer freundlichen Bitte geschrieben. Sicherheitshalber hat er den auch veröffentlicht.
»Das ist alles Lüge, alles Show«: Auf einmal drehen sich mehrere Männer um: Auf einem Video von Putins Propagandabesuch in Mariupol ist aus der Ferne eine Frauenstimme zu hören. Und die ruft etwas, das so gar nicht zur Inszenierung passt.
»Russland ist jetzt eine Discounttankstelle für China«: Bei ihrem Treffen in Moskau wollen Wladimir Putin und Xi Jinping Einigkeit und Stärke demonstrieren. Der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz findet: Vom gegenwärtigen Verhältnis profitiert vor allem einer der beiden.
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Gewinner des Tages...

Ackermann bittet zum Tanz
Foto: Deutsche Botschaft Indien / dpa... ist Philipp Ackermann. Er ist der deutsche Botschafter in Indien und hat gerade mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern etwas getan, was deutsche Botschafter alter Schule nicht einmal dann getan hätten, wenn man gedroht hätte, ihnen den Auslandszuschlag zu streichen und ihre Manschettenknopfsammlung zu konfiszieren: Er hat getanzt, und zwar nicht im Ballsaal, sondern auf der Straße. Mitten in Neu-Delhi.
Anlass war der Oscar, den der Song »Naatu Naatu« aus dem indischen Film »RRR« kürzlich gewonnen hat. Zu diesem Song tanzten nun Ackermann und sein Team – um damit, so schreibt der Botschafter auf Twitter (wo auch das Video zu finden ist), die Auszeichnung für den Filmsong zu feiern. »Deutsche können nicht tanzen?«, fragt Ackermann. Und gesteht dann immerhin ein, das Ganze sei zwar alles andere als perfekt. Aber Spaß habe es gemacht.
Germans can't dance? Me & my Indo-German team celebrated #NaatuNaatu’s victory at #Oscar95 in Old Delhi. Ok, far from perfect. But fun!
— Dr Philipp Ackermann (@AmbAckermann) March 18, 2023
Thanks @rokEmbIndia for inspiring us. Congratulations & welcome back @alwaysRamCharan & @RRRMovie team! #embassychallange is open. Who's next? pic.twitter.com/uthQq9Ez3V
Ich kenne Ackermann aus Berlin. Ich habe ihm einige anregende Gespräche zu verdanken – und die Erkenntnis, dass die dünnwandigen Gläser, in denen halbe Liter Bier ausgeschenkt werden, offiziell den etwas kuriosen Namen »Willibecher« tragen (ich weiß noch, in welcher Kneipe und in wessen Gesellschaft wir darüber geredet haben, aber nicht mehr, warum). Ich habe ihm schon immer viel zugetraut, nur das mit dem Tanzen eher nicht. Wobei, wenn man ganz genau hinschaut, ahnt man schon, warum sie ihn bei der Performance nicht in der ersten Reihe platziert haben.
Scholz-Reise nach Indien: Wer ist hier noch mal der Bittsteller?
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Christian Lindner verwirft ursprüngliche Neubaupläne für Finanzministerium: Nach seiner Kritik am Kanzleramt stellt der Finanzminister nun den geplanten Neubau seines eigenen Ministeriums infrage.
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Ihr Christoph Hickmann, stellvertretender Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros