Philipp Wittrock

Die Lage am Morgen Neue Schauergeschichten aus der Truppe

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um den Bildungsgipfel, der keiner ist, wir blicken voraus auf den neuen Jahresbericht der Wehrbeauftragten, und wir befassen uns mit der Rückkehr von Andrea Nahles in den Bundestag.

Das Bildungsgipfelchen

»Das deutsche Bildungssystem steckt in einer tiefen Krise, die uns alle betrifft.« Der Befund der Bundesbildungsministerin ist kein besonders tollkühner, insofern lässt sich eigentlich nichts dagegen sagen, wenn Bettina Stark-Watzinger einen Versuch unternimmt, dem massiven Lehrermangel, immer schwächeren Grundschulleistungen und hohen Abbrecherquoten etwas entgegenzusetzen.

Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger

Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger

Foto: IMAGO / IMAGO/Political-Moments

Für heute hat die FDP-Politikerin zu einem Gipfeltreffen geladen, das eine »neue Kultur in der Bildungszusammenarbeit« anstoßen soll. Mit anderen Worten: Bund, Länder und Kommunen sollen sich zusammenraufen, um die Probleme in den Griff zu bekommen.

Problem: Der Bildungsgipfel wird wohl eher ein Gipfelchen – wenn überhaupt. Von den 16 Kultusministerinnen und -ministern der Länder wollen offenbar nur zwei erscheinen. Nicht nur Unionsvertreter bleiben Stark-Watzingers Forum fern, auch Kolleginnen und Kollegen aus den Ampelparteien kommen nicht.

Das ist natürlich blamabel für die Bundesministerin. Aber die Gipfelschwänzer sollten sich lieber nichts auf ihre Sabotage einbilden. Die eine lästert über eine »Showveranstaltung« (CDU-Ministerin Karin Prien aus Schleswig-Holstein), der andere (CDU-Mann Alexander Lorz aus Hessen) findet, die Bundesministerin solle sich in die Angelegenheiten der Länder »lieber nicht einmischen und uns in Ruhe arbeiten lassen«.

Ach ja? Wer keine Showveranstaltung will, der sollte mit dafür sorgen, dass es keine wird. Und wer jede Bundesinitiative mit dem ewigen »Bildung ist Ländersache«-Reflex auszuhebeln versucht, der muss sich die Frage gefallen lassen, wie tief in die Misere die Länder ihre Schulen denn noch »in Ruhe« steuern wollen.

Angela Merkel hat einst das Ziel der Bildungsrepublik ausgerufen. Davon sind wir Lichtjahre entfernt. Jetzt wäre es dringend nötig, zumindest die akute Krise zu lindern. Dafür aber müssten alle ihre politischen Eitelkeiten zurückstellen. Zugegeben: Ich bin nicht besonders zuversichtlich, dass es dem deutschen Bildungssystem bald besser geht.

Neue Schauergeschichten aus der Truppe

Noch so eine niederschmetternde (und ebenfalls nicht überraschende) Diagnose: »Der Bundeswehr fehlt es an allem.« Mit diesen Worten hat Eva Högl, als Wehrbeauftragte des Bundestages so etwas wie die Anwältin der Soldatinnen und Soldaten, schon im Vorfeld umrissen, welchen Tenor ihr Jahresbericht haben wird. Den wollte die SPD-Politikerin eigentlich schon Ende Februar vorgestellt haben, wegen einer Coronaerkrankung musste sie den Termin auf heute verschieben.

Eva Högl beim Truppenbesuch

Eva Högl beim Truppenbesuch

Foto: Sina Schuldt / picture alliance/dpa

Dank der direkten Eingaben aus der Truppe wird der Report noch einmal ein ungeschöntes Bild von der desolaten Lage der Bundeswehr zeichnen. Persönliche Ausrüstung, Nachtsichtgeräte, Funkgeräte, aber auch Waffen und Fahrzeuge fehlen oder sind in zum Teil erbarmungswürdigem Zustand. Kasernen kämpfen mit Schimmel, Legionellen und verstopften Leitungen.

Ist so eine Truppe im Ernstfall verteidigungsfähig ? Nein, hat der noch recht frische Zeitenwende-Minister Boris Pistorius jüngst eingeräumt. Dass ihr Parteigenosse das so offen formuliert, findet Högl »bemerkenswert«: »Und ja, unsere Soldatinnen und Soldaten wissen das und sehen das ganz genauso.«

Mein Kollege Konstantin von Hammerstein wird Ihnen am Vormittag erklären, welche neuen Schauergeschichten die Wehrbeauftragte in ihrem neuen Bericht verarbeitet hat.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Die jüngsten Entwicklungen: Die Verteidiger von Bachmut könnten bald eigene Angriffe planen – glaubt die Wagner-Gruppe. Der ukrainische Präsident umreißt entscheidende Frontabschnitte. Und: Hilfsaufruf für die Bauern. Der Überblick.

  • Zwei Maßnahmen gegen Putin: Ein Jahr nach dem russischen Überfall wächst die Unzufriedenheit mit den westlichen Wirtschaftssanktionen. Was Brüssel und Washington jetzt tun sollten. 

  • Russland will Getreideabkommen mit der Ukraine nur um 60 Tage verlängern: Mehr als 24,1 Millionen Tonnen Getreide konnten seit der Einigung zwischen Moskau und Kiew im Juli exportiert werden. Damit das weiter möglich ist, verhandeln der Kreml und die Uno. Viel Zeit bleibt nicht mehr.

  • Jeder Meter kostet Menschenleben: In der ostukrainischen Stadt Bachmut tobt ein Stellungskrieg. Die Ukrainer wollen Zeit gewinnen, die russischen Invasoren kommen nur noch schrittweise voran – und der Wagner-Chef kritisiert die Armeeführung.

  • »Andromeda« steht aufgebockt auf ehemaligem Militärgelände: Das Schiff, mit dem ein mutmaßliches Sprengkommando zu den Nord-Stream-Pipelines gesegelt sein soll, steht nach SPIEGEL-Recherchen auf der Rügener Landzunge Bug. Eine für die Anmietung verwendete E-Mail-Adresse könnte zudem in die Ukraine weisen. 

Besuch von der Ex-Chefin

Andrea Nahles kehrt zurück. In ihrer Funktion als Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit schaut die frühere SPD-Chefin heute mal wieder bei ihren Genossinnen und Genossen im Bundestag vorbei.

Andrea Nahles, Chefin der Arbeitsagentur

Andrea Nahles, Chefin der Arbeitsagentur

Foto: IMAGO/Janine Schmitz/photothek.de / IMAGO/photothek

Am Mittag ist Nahles nach SPIEGEL-Informationen zu Gast beim Seeheimer Kreis, jenem konservativen Flügel der Sozialdemokraten, der den Parteilinken zunehmend die interne Macht streitig macht . Nahles selbst gehörte immer zum linken Flügel, der sie einst bis an die Spitze der Partei hievte.

Es wird ein besonderes Treffen. Ihr Sturz im Juni 2019 hat Nahles tief verletzt, die heute 52-Jährige hatte sich zeitweise fast völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Rückblickend schämen sich viele in der SPD für den Umgang mit ihr, immer wieder gab es Anfragen für Auftritte, doch Nahles tat sich lange schwer.

»Die SPD hat in der Nahles-Zeit in den Abgrund geblickt«, sagt mein Kollege Christian Teevs aus dem Hauptstadtbüro. »Natürlich hat sie Fehler gemacht, Stimmungen unterschätzt und Parteifreunde gegen sich aufgebracht. Dennoch schätzen viele Genossinnen und Genossen, dass Nahles nie nachgetreten hat – anders als andere, männliche Ex-Vorsitzende.«

Und so geht man nun wieder auf Tuchfühlung. In neuer Rollenverteilung. Dass Nahles irgendwann für die SPD wieder in der ersten Reihe der Bundespolitik stehen wird, bleibt unwahrscheinlich.

SPIEGEL Deep Dive: Wagenknecht und die Spaltung der Linken

Tut sie es oder tut sie es nicht? Nicht erst seit Sahra Wagenknecht angekündigt hat, bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr für die Linke kandidieren zu wollen, wird munter spekuliert, ob sie eine eigene Partei gründen will. Eine »neue Friedensbewegung« hat die einstige Linken-Galionsfigur gemeinsam mit Alice Schwarzer ja bereits ausgerufen – und dafür reichlich Kritik geerntet.

Foto: Dominik Butzmann / DER SPIEGEL / Andrea Schombara

Wagenknecht polarisiert, Wagenknecht spaltet. Was bedeutet das für Deutschlands Linke? Wen könnte sie mit einer neuen Gruppierung erreichen? Darum geht es heute Abend beim nächsten SPIEGEL Deep Dive mit dem Politikwissenschaftler Thorsten Holzhauser und SPIEGEL-Redakteur Timo Lehmann. Sie können ab 20 Uhr live dabei sein und auch selbst Ihre Fragen stellen.

Die Veranstaltung ist exklusiv für Abonnentinnen und Abonnenten, aber wir verlosen zehn freie Zugänge. Interessenten schreiben an: info@events.spiegel.de, Betreff: SPIEGEL Deep Dive Verlosung. Einsendeschluss ist heute, Dienstag, der 14. März, um 12 Uhr.

Wer bereits ein Abo hat, kann sich direkt hier anmelden:

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Verlierer des Tages...

Galeria Kaufhof in Duisburg – auch dieses Haus muss schließen

Galeria Kaufhof in Duisburg – auch dieses Haus muss schließen

Foto: Christoph Reichwein / dpa

...ist das Kaufhaus. Als ich mich vor vielleicht zwei Jahren am Berliner Alexanderplatz zum letzten Mal in eine Kaufhof-Filiale verirrt hatte, fühlte ich mich in eine längst vergangene Zeit zurückversetzt. Früher, als Kind, bin ich mit meinen Eltern oft stundenlang durch solche Kaufhäuser gestreift, zwischendurch haben wir manchmal im hauseigenen Restaurant etwas gegessen.

Jetzt aber wirkte alles so unmodern, so aus der Zeit gefallen, das Sammelsurium von Waren, deren Präsentation, und – nichts für ungut – auch die wenigen Kunden, die sich in den riesigen Hallen verloren.

Das klassische Kaufhaus ist nicht erst seit gestern in der Krise, aber es stemmt sich seit Jahren gegen sein endgültiges Ende. Jetzt will der Konzern Galeria Karstadt Kaufhof deutschlandweit 52 seiner insgesamt noch 129 Häuser schließen, damit die restlichen 77 überleben können. Die sollen »umfassend« modernisiert und »stärker auf die lokalen und regionalen Bedürfnisse ausgerichtet« werden. Zudem will man das Onlinegeschäft ausbauen.

Ich habe die Befürchtung, dass wir in wenigen Jahren erneut vor der Frage stehen, ob die Kaufhof- und Karstadt-Häuser eine Zukunft haben.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Israels Präsident warnt vor »schlimmer, sehr schlimmer Lage«: Itzhak Herzog spricht von einem »inneren Kampf, der uns zerreißt«. Der Grund: die Justizreform von Premier Netanyahu. Der wirft den Medien »Fake-News« vor.

  • Bistum Münster schließt Beratungsstelle Organisierte sexuelle und rituelle Gewalt: Der SPIEGEL hat über Therapeutinnen berichtet, die ihren Patientinnen eingeredet haben, Satanisten hätten sie missbraucht. Belege dafür fehlen. Das Bistum Münster reagiert nun.

  • Gary Glitter verstößt gegen Bewährungsauflagen – und muss zurück in Haft: Erst seit rund fünf Wochen war der frühere britische Sänger in Freiheit. Er hatte zuvor eine mehrjährige Haftstrafe wegen Kindesmissbrauchs abgesessen.

Podcast Cover

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Wie ich merkte, dass ich seltener ins Restaurant gehen sollte: Praktische Hilfe oder freudlose Spielverderber? Digitale Haushaltsbücher versprechen einen Überblick über die eigenen Finanzen – und Potenzial zum Sparen. Lässt sich der Inflation damit ein Schnippchen schlagen? 

  • Warum sind deutsche Serien nur so schlecht? Der Siegeszug der Streamingdienste weckte auch deutsche Produzenten auf. Sie trauten sich was, hatten Erfolg. Doch die neuesten Serien wollen bloß nicht mehr anecken, den Machern fehlt plötzlich der Mut. 

  • Eine nette Heuschrecke – gibt es so etwas wirklich? Hertha BSC rettet sich mit dem neuen Investor 777 zunächst aus seinen gröbsten finanziellen Problemen. Der Geldgeber aus Miami pumpt zunächst 100 Millionen Euro in den Klub. Aber was ist der Preis dafür? 

Kommen Sie gut in den Tag.

Herzlich,

Ihr Philipp Wittrock, Chef vom Dienst in Los Angeles

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