Die Lage am Samstag Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute beschäftigen wir uns mit den Auswirkungen der Wahl in Großbritannien, mit Donald Trumps Verwirrungstaktik im Impeachment-Verfahren - und mit dem Bargeld-Skandal um Heinz-Christian Strache in Österreich.
Wahl in Großbritannien - Zeit für den Neustart

Es gibt jene Momente im Leben, da bringt es nichts, rückwärts zu schauen und über vergangene Streitigkeiten zu klagen. So ist es auch in der Politik: Mit dem klaren Votum der Briten für Boris Johnson und seinen Brexit-Kurs ist es Zeit für einen Neustart der Beziehungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union. Auch Boris Johnson sollte von seinen Kritikern eine zweite Chance erhalten. Es muss sein: Er ist in der Verantwortung, das britische Königreich zusammenzuhalten. "Jetzt muss Boris Johnson zeigen, dass er nicht nur spalten, sondern auch versöhnen kann", analysiert mein Kollege Jörg Schindler, SPIEGEL-Korrespondent in London.
Und Europa? Die EU kann es sich nicht leisten, weiter kostbare Zeit mit dem Brexit-Irrsinn zu vergeuden. Die weiteren Austrittsverhandlungen zwischen London und Brüssel sollten deshalb von beiden Seiten zügig, ohne viel Tamtam und ohne Winkelzüge zu Ende gebracht werden. So können sich alle wieder auf wichtigere Themen konzentrieren, den Klimaschutz, die soziale Ungleichheit in Europa, neue wirtschaftliche Perspektiven zum Beispiel.
Die Briten bleiben uns verbunden - so oder so. Sie sind Teil der europäischen Familie, ob sie wollen oder nicht. An der geografischen Lage und den gewachsenen Verbindungen zum Festland kann niemand etwas ändern, auch kein Boris Johnson. Einer, der dieses Gefühl nach der Wahl perfekt auf den Punkt gebracht hat, ist der französische Präsident Emmanuel Macron. Die EU und Großbritannien verbinde weiterhin eine "very special relationship", eine sehr besondere Beziehung.
- Großbritannien nach der Wahl: Was Boris Johnson jetzt vorhat
Amerika und die Trump-Droge

Der Justizausschuss des US-Repräsentantenhauses hat mit der Mehrheit der Demokraten zwei Anklagepunkte gegen Präsident Donald Trump für das Amtsenthebungsverfahren verabschiedet. Bereits in der kommenden Woche wird dann voraussichtlich das gesamte Repräsentantenhaus über das Impeachment abstimmen. In der Watergate-Affäre in den Siebzigerjahren trat Präsident Richard Nixon vor dieser Abstimmung zurück. Dies wird bei Trump nicht passieren.
Anders als Nixon genießt Trump weiterhin eine große Unterstützung in seiner eigenen Partei. Trump und seine Leute planen bereits den Gegenangriff: Der Anwalt des Präsidenten, Rudolph Giuliani, war gerade erst wieder auf einer Mission in der Ukraine unterwegs, um belastendes Material gegen Trumps Rivalen Joe Biden zu sammeln. Die nächsten Tage dürften Trump und seine Leute allerlei Theorien über angebliche Verstrickungen der Bidens in düstere Machenschaften veröffentlichen.
Es ist die Trump-Verwirrungstaktik: Die amerikanischen Wähler sollen mit so vielen vermeintlichen Skandal-Informationen zu anderen Politikern überhäuft werden, dass sie nicht mehr wissen, was sie glauben sollen. Die Wahrheit über Trumps Machtmissbrauch und andere Vergehen bleibt dabei auf der Strecke. Trumps Fans jubeln ihrem Idol weiter zu. "Manchmal wirkt es so, als habe Trump das Land auf Drogen gesetzt", schreibt mein Kollege in Washington, René Pfister, in seinem sehr lesenswerten Report zu Trump im neuen SPIEGEL.
- Die USA und das Impeachment: Donald Trump, der Unverwundbare
Taschen voller Geld

Es ist eine dieser Geschichten, die wie ein Kriminalroman klingen. Der ehemalige Vizekanzler Österreichs, Heinz-Christian Strache, muss sich für Fotos aus seiner Zeit als FPÖ-Parteichef rechtfertigen. Die Aufnahmen, die dem SPIEGEL und der "Süddeutschen Zeitung" vorliegen, zeigen Taschen mit Bargeld dubioser Herkunft, die offenbar in Straches Dienstwagen liegen.
Die Aufnahmen stammen aus den Jahren 2013 und 2014 und zeigen jeweils mehrere Bündel mit 100- und 50-Euro-Scheinen. Laut Positionsdaten wurden sie in Wien und am Wörthersee aufgenommen.
Das Geld könnte, so eine Vermutung, in Zusammenhang mit einem möglichen Mandatskauf stehen. Demnach sollen ukrainische Oligarchen mit geschäftlichen Interessen in Österreich zehn Millionen Euro ausgelobt haben, um dem FPÖ-Mann Thomas Schellenbacher ein Mandat im österreichischen Parlament zu verschaffen. Strache hatte 2013 den bis dahin politisch unbekannten Unternehmer Schellenbacher als Überraschungskandidaten auf der Wiener Landesliste präsentiert, einen Tag, nachdem eine der Aufnahmen mit den Geldbündeln entstanden war.
- Österreichs Ex-Vizekanzler Strache: Cash im Kofferraum, Metall in der Unterhose
Gewinner des Tages...

... ist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Schon zwei Jahre bevor dessen Amtszeit endet, spricht sich FDP-Vize Wolfgang Kubicki im SPIEGEL für weitere fünf Jahre Steinmeier aus. "Wir stehen vor gewaltigen politischen Umwälzungen, die Menschen sind verunsichert", sagte Kubicki. "Umso wichtiger ist es, dass Frank-Walter Steinmeier als Bundespräsident wie ein Fels in der Brandung steht." Er fülle sein Amt hervorragend aus, so Kubicki. Dem ist ausnahmsweise nichts hinzuzufügen.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
- US-Verteidigungsminister wettert gegen "Schmarotzer" in der Nato: Es dürfe in dem Bündnis keine "Rabatte" geben, so Mark Esper mit Blick auf Europa
- Klimakonferenz von Madrid geht in die Verlängerung: Auch in den Morgenstunden war noch keine Einigung abzusehen. Dafür gibt es zu viele Streitpunkte
- Höchstes Gericht der USA entscheidet über Donald Trumps Steuererklärung: Allerdings ist damit erst im Juni 2020 zu rechnen - mitten im Wahlkampf
Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute
- SPD-Pragmatiker: Der bemerkenswerte Aufstieg des Hubertus Heil
- Prämien, Protzautos, Vetternwirtschaft: Die Arbeiterwohlfahrt als Selbstbedienungsladen
- Der Siemens-Chef und sein Nachfolger: "Ich erkläre gern, wie es wirklich war"
- Verbraucherschützer gibt Tipps: So finden Sie die richtige Haftpflichtversicherung
- Vizekanzler Scholz und die SPD: Lass gut sein, Olaf!
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Ihr Roland Nelles