
Die Lage am Morgen Wer hat beim Triell gesiegt?

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute bewerten wir die Auftritte beim ersten TV-Triell, blicken auf eine schwierige Mission des Außenministers und auf eine Verlangsamung in Paris.
Juhu, der Wahlkampf ist da!
Man kann nach dem gestrigen Triell bei RTL/ntv schon sagen: Armin Laschet ist aus dem Schlafwagen aus- und, sagen wir, in den Regionalexpress umgestiegen. Er gab sich kämpferischer als in den vergangenen Monaten, er gestikulierte, war leidenschaftlich, in der ersten Hälfte noch mehr als in der zweiten, wirkte zwischenzeitlich erschöpft, vergaloppierte sich bei manchen Themen (Vorratsdatenspeicherung) und lief am Ende noch mal zu Hochform auf, als Olaf Scholz sich in Olaf-Scholz-Manier um die Antwort drückte, ob er denn mit den Linken koalieren würde. »Das ist jetzt nicht Ihr Ernst, Herr Scholz!«, sagte Laschet und wirkte ehrlich entsetzt.

Erstes TV-Triell: Umfragen sahen Scholz nach wie vor vorn
Foto: Michael Kappeler / dpaAuch Annalena Baerbock hat sich aus ihrem Plagiats- und Mogelsumpf freigeschwommen. Sie argumentierte klar und angriffslustig, war stark, als sie Laschet bei der Frage der Kinderarmut sprachlos machte, und tat sich leicht, immer wieder auf die Versäumnisse der Großen Koalition hinzuweisen. Was sollen die anderen dazu auch sagen?
Baerbock allerdings gelang es nicht, den ewigen Vorwurf der »Verbotspartei« klug zu kontern, ein Klischee, das die Grünen viele Punkte gekostet hat und womöglich noch kosten wird. Stattdessen warf sie Scholz und Laschet vor, nichts verbieten zu wollen, was am Ende das eigene Klischee nur noch verstärkt.
Olaf Scholz war das solide Grundrauschen in dieser Runde, eine Tonspur ohne Ausschlag. Er gab sich staatstragend und vernünftig, verlor sich aber in komplizierten Satzkonstruktionen und strauchelte, wie zu erwarten, am Ende bei der Linken-Frage. Einen Satz, der nachhallte, gab es von Scholz an diesem Abend nicht.
Und so ging dieses Triell ohne klaren Sieger zu Ende, auch wenn eine Forsa-Umfrage im Anschluss Olaf Scholz im Vorsprung sah, was darauf hindeutet, dass ein einziger Abend einen Trend so schnell nicht zu drehen vermag. Wer Scholz favorisierte, wird sich nach den knapp zwei Stunden nicht entsetzt von ihm abgewendet haben. Und wer ihn vor Beginn schon trocken fand, wird am Ende nicht in Jubelgeschrei über ihn ausgebrochen sein.
Die gute Botschaft dieses Abends aber war: Der Wahlkampf hat endlich begonnen. Und es ging um Inhalte.
Die schlechte: Wichtige Themen wie Bildung oder Digitalisierung kamen kaum vor. Gern hätte ich dafür auf die verkrampfte Frage an Armin Laschet verzichtet, ob er das Gefühl habe, in diesem Land nicht mehr alles sagen zu können – denn seine Antwort war genauso verkrampft.
Stimmten Laschets Aussagen zur Beschaffung von Transportflugzeugen? Und Baerbocks zur Förderung von E-Autos? Lesen Sie hier den Faktencheck der SPIEGEL-Dokumentation zu den Aussagen im TV-Triell.
Finanzminister Robert Habeck
Deutlich gelöster ging es am Samstag zu, als auf Einladung von SPIEGEL, T-Online und »Vice« die Kandidaten der Herzen diskutierten, Markus Söder und Robert Habeck.
Ich kann Ihnen nur empfehlen: Schauen Sie sich die Sendung an, wenn Sie es noch nicht getan haben. Da streiten zwei, die sich schätzen und offensichtlich mögen, die in vielen Punkten weitgehend einer Meinung sind (Corona, Außenpolitik) und sich doch auch oft verhakeln, sei es bei der Frage der Stromgewinnung in Bayern oder des angemessenen Steuerkonzepts.
Schwarz-Grün bekommt nach dieser Debatte deutliche Konturen, zwei, mit denen dieses Experiment wohl hätte klappen können, saßen da zusammen.

Habeck, Söder beim »Duell der Herzen« von SPIEGEL, T-Online und »Vice«
Foto: Marco Urban / DER SPIEGELUnterdessen läuft sich Robert Habeck, auch das machte das Duell klar, als Finanzminister warm, für welche Mannschaft auch immer. Neulich, bei Maybrit Illner, ließ er mit einem finanzpolitischen Vortrag den ebenfalls anwesenden CDU-Wirtschaftsexperten Friedrich Merz und seine Konzepte sehr alt aussehen. Nun ließ er auch gegen den wortgewaltigen Markus Söder nicht locker: »Ich mache mir Sorgen um die mathematische Kompetenz der Union«, sagte Habeck. Klarer Punktsieg für ihn.
Als weiteren Schritt im Projekt »Deutschland sucht den Super-Finanzminister« würde ich ein baldiges Duell Robert Habeck gegen Olaf Scholz empfehlen.
Sehen Sie hier Habeck vs. Söder – die einzig wahre Wahlkampfdebatte.
Maas’ heikle Mission
Vor gut einer Woche sagte Außenminister Heiko Maas in einem Gespräch mit dem SPIEGEL einen bemerkenswerten Satz. Auf die Frage, ob er seine Fehler durch die Evakuierungsoperation in Afghanistan heilen könne, sagte er: »Ich weiß nicht, ob man das überhaupt heilen kann.« Es war eine ehrliche Offenbarung.

Maas bei seiner Ankunft in Antalya (Türkei)
Foto: Felix Zahn/photothek.net / imago images/photothekNun beginnt der Außenminister doch eine Art Heilungsprozess: Er ist gestern zu einer Reise in die Türkei, nach Usbekistan, Pakistan, Tadschikistan und Katar aufgebrochen, mit dem Ziel, die Ausreise weiterer Ortskräfte von Bundeswehr und Nichtregierungsorganisationen zu ermöglichen.
Es geht vor allem um zwei Optionen der Ausreise: über den Landweg oder über den zivilen Flughafen in Kabul. Bei beiden sind hohe Hürden zu überwinden: Für die Ausreise über Land fordern die Taliban offenbar Visa und Pässe, die aber derzeit nur schwer auszustellen sind. Und der zivile Flughafen müsste erst mal wieder aufgebaut werden. Völlig unklar ist, wer das leisten kann, wer es zahlt und wie lange es dauert.
Die Zeit bis dahin könnte die Bundesregierung dazu nutzen, sich darüber klar zu werden, wie viele Ortskräfte sich wo versteckt halten. Und auch, wen sie neben den Ortskräften aufnehmen will: bedrohte Mädchen und Frauen, Menschenrechtsaktivistinnen, Anwälte, Journalisten, Künstlerinnen und Künstler? Der Druck auf Maas ist groß: Er sollte mit guten Botschaften nach Hause kommen – und mit einem klaren Plan.
Die Zurückgelassenen: die Ortskräfte der Deutschen – ein bewegender Bericht meiner Kollegen Maximilian Popp, Thore Schröder und Muriel Karisch.
Bremser Laschet
Beim Triell antwortete Armin Laschet auf die Frage, ob Innenstädte autofrei werden sollten, mit einem entschiedenen Nein. Seine Begründung: Die Innenstädte sollten »lebendig« bleiben. Lebendig durch Blechlawinen? Der schnelle Spott in den sozialen Netzwerken war ihm sicher.

Bald überall in Innenstädten? Tempo 30-Schild
Foto: imago imagesParis, nur knapp fünf Autostunden von Laschets Heimat Aachen entfernt, verbannt zwar nicht seine Autos aus der Stadt, aber führt heute eine entschlossene Regel ein: In den meisten Stadtteilen herrscht nun Tempo 30. Es war der Wunsch der Bürger: 59 Prozent der Pariser stimmten bei einer Umfrage einer Geschwindigkeitsbegrenzung zu. 25 Prozent weniger Unfälle, zweimal weniger Lärm und mehr Raum insbesondere für Radfahrer waren die Argumente der Befürworter.
Auch in Nordrhein-Westfalen gibt es Bestrebungen, Tempo-30-Zonen in Städten flächendeckend einzuführen, die CDU-geführte Landesregierung unter Laschet zeigte sich dafür allerdings wenig aufgeschlossen. Vermutlich sind langsam fahrende Autos nicht so richtig lebendig.
Zur Verkehrswende in Paris lesen Sie hier einen Text.
Verlierer des Tages …
… sind viele Männer in der Politik.
Warum sind so wenige Frauen in den Parteien engagiert, warum streben so wenige Spitzenämter an? Es sind Fragen, die uns seit Jahren beschäftigen. Antworten gibt nun meine Kollegin Luise Glum, die Ute Bertram aus Hildesheim begleitet hat. Die CDU-Politikerin saß bis 2017 im Bundestag und bewirbt sich wieder um das Amt im Parlament. Was sie dabei erlebt, welchen Hass, welche Intrigen von konkurrierenden Männern , macht mich sprachlos. Wohl wissend, dass es kein Einzelfall ist.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
Geplante 3G-Regelung in Fernzügen vor dem Aus: Bahnreisen nur noch für Geimpfte, Genesene und Getestete – das hatte die Bundesregierung erwogen. Nach Informationen der »Bild«-Zeitung ist der Plan jedoch vom Tisch, auch aus Rücksicht auf das Personal.
Nordkorea nimmt offenbar Atomreaktor wieder in Betrieb: »Zutiefst beunruhigend«: Laut Uno dürfte das nordkoreanische Regime die Arbeiten in der Atomanlage Yongbyon erneut aufgenommen haben. Dafür spreche unter anderem der Abfluss von Kühlwasser.
Hurrikan »Ida« mit maximalen Windgeschwindigkeiten über Louisiana: Stärke vier von fünf: Nach mehr als vier Stunden über dem US-Bundesstaat Louisiana verliert der Wirbelsturm »Ida« nur langsam an Stärke. Ein Hurrikan dieser Stufe verursacht in der Regel »katastrophale Schäden«.
Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag – und auch in die Woche!
Ihr Martin Knobbe