Die Lage am Montag Liebe Leserin, lieber Leser,

der Ausblick in den Tag beginnt mit einem Rückblick: Was in der Sommernacht vom 25. auf den 26. August vergangenen Jahres in Chemnitz passierte, erschütterte die Republik. In jener Nacht starb der Deutschkubaner Daniel Hillig am Rande eines Stadtfestes. Mehrere Messerstiche beendeten sein Leben, er wurde 35 Jahre alt. Ein anderer Mann wurde schwer verletzt.
Tatverdächtig sind zwei Flüchtlinge, der Iraker Farhad A. und der Syrer Alaa S. Das Verbrechen trieb Tausende Demonstranten auf die Straße, vorneweg etliche Rechtsextremisten und Neonazi-Hooligans, die ihrem Hass auf Ausländer freien Lauf ließen. Die Polizei war überfordert, unterschätzte die Lage, und die Berliner Politik führte semantische Hetzjagd-Diskussionen. Am Ende musste Hans-Georg Maaßen, Chef des Verfassungsschutzes, gehen (die Ereignisse jener Tage können Sie hier in einer SPIEGEL-Rekonstruktion nachlesen).
An diesem Montag, rund sieben Monate danach, beginnt die juristische Aufarbeitung der Bluttat von Chemnitz, und man kann nur hoffen, dass die politische Dimension des Verbrechens dabei keine Rolle spielt, zumindest im Gerichtssaal. Dort beobachtet meine Kollegin Beate Lakotta den Prozessauftakt.
Auf der Anklagebank sitzt Alaa S., 23, der 2015 als Flüchtling nach Deutschland kam. Der Vorwurf lautet: gemeinschaftlicher Totschlag, gemeinschaftliche Körperverletzung. Der andere Verdächtige, Farhad A., ist auf der Flucht.
Der Prozess gegen Alaa S. wird vor dem Landgericht Chemnitz geführt, findet aber in einem Gebäude des OLG Dresden statt, weil dort die Sicherheit besser gewährleistet werden kann. Die Verteidiger des Angeklagten wollten sogar eine Verhandlung außerhalb von Sachsen, Thüringen und Brandenburg, wo in diesem Jahr gewählt wird. Sie befürchten Ausschreitungen rechtsradikaler Demonstranten, von denen sich die Richter beeinflussen lassen könnten. Der Bundesgerichtshof lehnte ab, er teilte diese Sorge nicht. Mit einer politischen Instrumentalisierung des Prozesses muss man rechnen, aber es gibt keinen Grund, an der Unabhängigkeit der Justiz zu zweifeln.
Dazu gehört auch, dass am Ende des Prozesses ein Freispruch stehen könnte. Alaa S. bestreitet die Tat, die Beweislage scheint, so ist zu hören, nicht besonders eindeutig. Sollte Alaa S. nicht verurteilt werden, "dann würde es schwierig" für ihre Stadt, sagte die SPD-Oberbürgermeisterin von Chemnitz, Barbara Ludwig, jetzt der "taz". Sie fürchtet, dass die Stadt nicht zur Ruhe kommt, wenn das Verbrechen ungesühnt bleibt.
Umgekehrt wird aber auch nichts draus: Das Problem, das Chemnitz mit Rechtsextremen hat, wird auch ein Schuldspruch nicht lösen.
Ebenfalls am Montag soll der verstorbene rechtsextreme Hooligan Thomas Haller beerdigt werden, für den im Stadion des Chemnitzer FC jüngst eine Trauerfeier abgehalten wurde. Die Behörden befürchten, dass Tausende Personen aus der rechten Szene anreisen könnten.
Neuseeland nach dem Terror

Jede noch so düstere Stunde hat ihre Heldengeschichten. Als der Rechtsextremist Brenton Tarrant am vergangenen Freitag im neuseeländischen Christchurch schwer bewaffnet betende Muslime in Moscheen angriff und 50 von ihnen ermordete, hielt ihn Abdul Aziz womöglich davon ab, noch mehr Menschen zu töten. Auch der Pakistaner Mian Naeem Rashid stellte sich dem Terroristen in den Weg - er bezahlte seinen Mut mit dem Leben.
Das Land steht unter Schock. In der Trauer gibt es Lob für Premierministerin Jacinda Ardern, 38: Der Art und Weise, wie sie in dieser Situation Mitgefühl und Entschlossenheit miteinander verbindet, gebührt Respekt. Am Wochenende besuchte Ardern die muslimische Gemeinde in Christchurch, sie trug dabei ein schwarzes Kopftuch. Am Montag beriet die Regierungschefin mit ihrem Kabinett erste Konsequenzen aus dem Anschlag. Das Waffenrecht soll verschärft werden.
Man muss ehrlich sein: Strengere Gesetze werden ähnliche Anschläge in Zukunft nicht verhindern. Aber ein politisches Signal sind sie allemal. Ein notwendiges Signal.
Justizministerin Barley im SPIEGEL-Interview

Als meine Kollegen Christian Teevs und Sebastian Fischer Ende vergangener Woche Katarina Barley zum Interview in ihrem Bundestagsbüro aufsuchten, trafen sie eine - zumindest nach außen - frohgemute und optimistische Bundesjustizministerin und SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl.
Woher ihre gute Laune angesichts der trüben Aussichten rührt? "Als ich die Spitzenkandidatur übernommen habe, da waren wir bei 13 bis 14 Prozent", sagt Barley. Heute sind es zwei, drei Pünktchen mehr, und Barley meint: "Die SPD ist gerade auf einem sehr guten Weg." Es braucht in diesen Zeiten nicht viel, um eine Sozialdemokratin zuversichtlich zu stimmen.
Die Justizministerin erklärt im Interview auch ihre Haltung zur europäischen Urheberrechtsreform, inklusive der umstrittenen Uploadfilter. Wobei erklären womöglich nicht das richtige Wort ist. Aber lesen Sie selbst an diesem Montag bei SPIEGEL ONLINE.
Macron nach Gelbwesten-Gewalt unter Druck

Die Krise schien fast ausgestanden für Emmanuel Macron, und jetzt das: Am Wochenende eskalierten auf dem Pariser Champs-Élysées die Gelbwesten-Proteste, 5000 Polizisten konnten das nicht verhindern. Der französische Präsident wurde von dem Gewaltausbruch im Ski-Kurzurlaub in den Pyrenäen überrascht, er eilte zurück in die Hauptstadt.
Und nun? Am Montag will die Regierung über Konsequenzen beraten, Macron kündigt "starke Entscheidungen" an. Zugeständnisse an die Gelbwesten dürften damit nicht gemeint sein.
Wann gehen die Briten?

Eine Lage ohne Brexit? Aber nicht doch. Ich will Sie mit den Details nicht langweilen, nur in aller Kürze: Beim Gipfel diese Woche entscheidet die EU - vielleicht -, wie viel Aufschub sie den Briten für ihren Abschied gewährt. Vorher stimmt das britische Parlament - vielleicht - ein drittes Mal über Theresa Mays Brexit-Deal ab. Aktuell gibt es Bewegung bei den May-Kritikern, etwa von der nordirisch-protestantischen DUP, auch Labour-Chef Jeremy Corbyn spricht von einer möglichen Zustimmung. Wenn hinterher noch einmal das Volk abstimmen darf. Klar soweit?
Vorerst wird hinter den Kulissen weiterverhandelt. May wird am Montag ihre Gegner umwerben, im Kanzleramt bespricht sich Kanzlerin Angela Merkel mit EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Verlierer des Tages...

... sind die Frauen. Bitte nicht missverstehen! Dass das so ist, ist eine Schande. An diesem Montag ist Equal Pay Day, der internationale Aktionstag für die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern. Frauen verdienen in Deutschland, so hat es das Statistische Bundesamt berechnet, im Durchschnitt noch immer 21 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. Oder anders gerechnet: Nimmt man an, dass Frauen und Männer den gleichen Stundenlohn bekommen, dann arbeiten Frauen bis zum heutigen 18. März ohne Bezahlung, während Männer vom 1. Januar an für ihre Arbeit voll entlohnt werden. Ein Armutszeugnis, dass es einen solchen Aktionstag noch braucht.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
- Attentat in Christchurch: Mutmaßlicher Schütze kaufte Waffen online - und will sich selbst verteidigen
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Ihr Philipp Wittrock