Susanne Beyer

Die Lage am Morgen Ende des Gemeinschaftsgefühls

Susanne Beyer
Von Susanne Beyer, Autorin im SPIEGEL-Hauptstadtbüro

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute beschäftigen wir uns mit den lokalen Lockdowns, mit der Wendung im Fall Lufthansa und der Frage, wer aus welchem Land bald in die EU einreisen darf.

Phase 3

Die These stimmte von Anfang an nicht, aber offenbar hatte sie in der ganzen Katastrophe etwas Tröstliches, sodass sie sich also doch verbreitete: Corona sei der große Gleichmacher, hieß es, das Virus kenne keinen Stand, kein Geschlecht, keine Landesgrenzen. Ein jeder laufe Gefahr, erwischt zu werden. Nun war es aber von vornherein klar, dass, sagen wir, rumänische Leiharbeiter in Massenunterkünften von der Krankheit selber stärker betroffen sein würden als, sagen wir, gewisse ostwestfälische Konzernlenker mit Villenbesitz.

Es war auch klar, dass es die Arbeitnehmer im Homeoffice leichter haben würden, als diejenigen, die mit Bus und Bahn zur Arbeit fahren müssen. Und so weiter. Dennoch konnten sich alle erst mal über dieselben Regeln verständigen, als die Kontaktbeschränkungen in Deutschland im März verkündet wurden. Das stiftete einen gewissen Gemeinschaftssinn. Nach den Lockerungen (Phase 2) beginnt nun eine dritte Phase, die der lokalen Lockdowns, durch die die These vom Gleichmacher wohl endgültig verschwinden dürfte.

Die Bewohner der Kreise Gütersloh und Warendorf sind nun, kurz vor Ferienbeginn, als Gäste nicht mehr gern gesehen.

Der Landkreis Vorpommern-Greifswald hatte Anfang der Woche auf der Insel Usedom 14 Touristen aus Corona-Risikogebieten abgewiesen. Auch Bayern und Niedersachsen planen inzwischen sogenannte Beherbergungsverbote. Österreich hat sogar eine Reisewarnung für Nordrhein-Westfalen ausgesprochen. Ministerpräsident Armin Laschet, eigentlich Fan von Lockerungen, musste jetzt seinen in dieser Sache andersdenkenden Kollegen aus Bayern, den Herrn Söder, bitten, Urlauber aus den Kreisen Gütersloh und Warendorf, die negativ auf das Coronavirus getestet wurden, willkommen zu heißen.

Gestern drängten so viele Leute im Kreis Gütersloh in die Corona-Testzentren, dass etliche von ihnen auf heute vertröstet werden mussten. Die lokalen Lockdowns sind zwar richtig, aber so wenig gerecht wie das Virus selbst. 

"Ich werde zustimmen" - Wendung im Fall Lufthansa

Wochenlang haben Bundesregierung, Lufthansa und EU an einem Rettungsplan für die Fluggesellschaft gearbeitet. Durch die Coronakrise hat der Konzern, der Gründungsmitglied des Dax gewesen ist, schwere Verluste erlitten und war vor wenigen Tagen vom Dax in den MDax abgestiegen. Tausende Jobs in dem Konzern mit etwa 138.000 Beschäftigten sind gefährdet.

Als dann aber die außerordentliche Hauptversammlung, die für heute Mittag geplant ist, anstand, begann die nächste Zitterpartie. Würde der Milliardär Heinz Hermann Thiele als größter Aktionär mit einem Anteil von 15,5 Prozent den Staatseinstieg verhindern? Die geringe Beteiligung von weniger als 38 Prozent der Stimmrechte an der Aktionärsversammlung hat Thiele eine Sperrminorität verschafft und er äußerte sich in Interviews, nun ja, nicht gerade euphorisch über das Rettungspaket.

Vorstandschef Carsten Spohr hatte sich schon auf ein mögliches Scheitern des Rettungsplans vorbereitet, doch gestern Abend hat Thiele nun über die "FAZ" Entwarnung gegeben: "Ich werde für die Beschlussvorlage stimmen", sagte er der Zeitung.

EU berät, wer einreisen darf – und einer wird wohl sauer sein

EU-Botschafter berieten gestern über Kriterien für die Einreise ab Juli. Ein Kriterium soll die Infektionszahl pro 100.000 Einwohner innerhalb der vergangenen zwei Wochen sein. Das würde bedeuten, dass US-Bürger, anders als etwa Chinesen, auch über den 1. Juli hinaus nicht in die EU einreisen dürfen. Sollte es so kommen, gäbe es mindestens einen US-Bürger, der ganz bestimmt nicht amüsiert sein wird: US-Präsident Donald Trump. Er selbst scheint zwar kaum etwas lieber zu tun, als Grenzen zu schließen, würde es aber gar nicht mögen, ausgerechnet von diesen alten Europäern indirekt darauf hingewiesen zu werden, dass er die Lage nicht im Griff hat. Auf Angela Merkel, in der er die Anführerin der EU sieht, ist er ohnehin nicht gut zu sprechen.

Er ließ es sich nicht nehmen, auf seiner Wahlkampfveranstaltung in Tulsa am Wochenende über Deutschland herzuziehen. Die Hoffnung, dass die Spannungen zwischen Europa/Deutschland und den USA durch die Wahlen in Amerika bald ein Ende haben werden, ist nicht mehr als das: eine Hoffnung. Natürlich: Objektiv ist es nicht mehr lange hin bis zum Wahltag, dem 3. November. Nach den Maßstäben von Politik ist das aber eine halbe Ewigkeit. Und dass der Ausgang ungewiss bleibt, kann man gar nicht oft genug betonen.

Morgen werden die Botschafter die Diskussion über die Einreise fortsetzen.

Zeit der Verluste

An dieser Stelle steht meist die Rubrik "Gewinner/Verlierer" des Tages. Es ist viel netter, sich auf die Suche nach Gewinnern zu machen, zumal, wie mir ein Leser gestern schrieb, die negativen Nachrichten in den Morning Briefings so sehr überwiegen. Nun bin ich aber auf eine so traurige Geschichte gestoßen, dass ich doch nicht anders kann, als sie Ihnen hier zu erzählen, und zwar nicht unter der Kategorie "Verlierer", das wäre zynisch, denn in dieser Geschichte verlieren viele Menschen ihr Leben.

Corona scheint sich mit beinahe jedem Thema zu verknüpfen: Fleischindustrie, Klimapolitik, Luftfahrt und, und, und. Dass die Coronakrise aber nicht nur zum Stillstand von Flugzeugen führte, sondern sogar zum Absturz einer Maschine, das ist kaum zu ertragen.

Vor rund einem Monat aber stürzte ein Airbus A320 in Pakistan ab, es gab 97 Todesopfer. Gestern wurde der Untersuchungsbericht vorgestellt. Beide Piloten hätten sich über die Virus-Pandemie unterhalten und die Lage des Flugzeugs dabei nicht im Blick behalten, sagte der Luftfahrtminister des Landes. Ihre Familien seien von der Pandemie betroffen gewesen. Ein technischer Defekt sei auszuschließen. Diagnose: menschliches Versagen.

Eine letzte gute Nachricht wollte ich doch noch möglich machen. Ich las, dass die Behörden im Ostkongo heute das Ende des dortigen Ebola-Ausbruchs verkündet wollen. Die Krankheit hatte das Gebiet fast zwei Jahre im Griff. Dann las ich weiter: Im Land breite sich Corona aus, hieß es. Das war bekannt. Aber nun soll es im Westen des Landes auch noch einen neuen Ebola-Ausbruch geben.

Heute wird’s irgendwie nichts mit den guten Nachrichten.

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