Susanne Beyer

Die Lage am Morgen Kanzlerin befürchtet "Unheil"

Susanne Beyer
Von Susanne Beyer, Autorin im SPIEGEL-Hauptstadtbüro

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute beschäftigen wir uns mit der "Unruhe", die das Treffen mit den Ministerpräsidenten bei der Kanzlerin ausgelöst hat, mit der sehr ernsten Lage in Frankreich und einer starken Reaktion der EU gegenüber Russland.

Ministerpräsidententreffen bei der Kanzlerin - "Team Umsicht" hat gewonnen

Die Türen waren verschlossen. Aber auch wenn nichts nach außen gedrungen wäre währenddessen - nicht, dass die Kanzlerin von drohendem "Unheil" gesprochen, nicht, dass es über lange Strecken Uneinigkeit gegeben habe -, hätte das Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten gestern in Berlin von außen merkwürdig gewirkt. Die Tatsache, dass die Gastgeberin, die Bundeskanzlerin, in den zu verhandelnden Fragen weniger Macht hatte als die Ministerpräsidenten, war schon kompliziert genug, aber so ist es nun mal im Föderalismus und das hat auch seine Vorteile.

Doch dass sie einen Infektionsforscher in aller Ausführlichkeit hat vortragen lassen, wie es um die Ausbreitung des Virus bestellt ist, zeigte, dass die Kanzlerin einem Teil der Runde nicht zutraute, den Ernst der Lage von sich aus erkannt zu haben. Und dann dauerte es und dauerte es, bis die Ergebnisse kamen. Unter den wartenden Journalisten machte ein Vergleich die Runde: Das sei ja alles wie bei einem Gipfeltreffen der EU - was ja nichts anderes heißt, als dass man der Führungsriege ein und desselben Landes unterstellt, sich so wenig zu vertragen wie die zum Teil extrem unterschiedlichen Länder Europas.

Am späteren Abend trat eine erschöpfte Kanzlerin vor die Presse und bestätigte, was zuvor schon durchgesickert war: Dass man eine Lösung beim Beherbergungsverbot vertagt habe - obwohl die Bevölkerung hier am ehesten auf Klärung gehofft hatte.

Ein paar Beschlüsse gab es dann doch: In Regionen mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche sollen private Feiern auf zehn Teilnehmer und zwei Haushalte begrenzt werden. Bleibt der Wert der Neuinfektionen über zehn Tage so hoch, dürfen sich nur noch fünf Personen aus zwei Haushalten zu privaten Feiern treffen. Für die Gastronomie gilt eine Sperrstunde ab 23 Uhr, ebenfalls bei 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in einer Woche. Bei Inzidenzwerten ab 35 pro Woche gilt eine ausgeweitete Maskenpflicht.

Ihre "Unruhe" sei noch nicht weg, aber sie sehe in dem Treffen einen wichtigen Schritt, sagte die Kanzlerin hinterher diplomatisch, was nur bedeutet, dass weitere Treffen mit möglicherweise schärferen Beschlüssen anstehen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder warnte vor den wirtschaftlichen Folgen eines zweiten Lockdowns, dem Deutschland "viel näher" sei, "als wir es wahrhaben wollen". In der Runde eben aber habe sich "Team Umsicht und Vorsicht" durchgesetzt. Gab es denn noch andere Teams? Team Leichtsinn etwa? Das verlangt nach einer Erklärung.

Macron tagte parallel zu Merkel - Frankreich im Gesundheitsnotstand

Während Merkel und die Ministerpräsidenten in Berlin tagten, war in Frankreich das Kabinett zusammengekommen, um über neue Corona-Maßnahmen zu verhandeln. Der Zentralstaat Frankreich war schneller als sein föderaler Nachbar: Auf deutschen TV-Bildschirmen waren am Abend noch stundenlang leere Stühle im Presseraum des Kanzleramts eingeblendet, da hatte Präsident Emmanuel Macron schon längst zu seinem Volk gesprochen und es auf wesentlich härtere Maßnahmen eingeschworen als die, die in Deutschland fast zeitgleich beschlossen wurden. In Paris und acht weiteren Großstädten dürfen die Bürger ab dem Wochenende zwischen 21 Uhr abends und sechs Uhr morgens das Haus nicht mehr verlassen. Es wird Kontrollen und Strafen geben. Außerdem wird in ganz Frankreich vom Wochenende an der Gesundheitsnotstand wieder eingeführt, die Regierung hat dadurch die Möglichkeit, Beschlüsse schnell über Verordnungen umzusetzen. 

Im Land selbst hatte es zuletzt viel Kritik an der Regierung gegeben, es hieß, sie bekomme die Pandemie nicht in den Griff - das ist auch nicht zu leugnen, in Paris steigt die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen immer weiter an, und natürlich ist das Handeln von Regierungen ein entscheidender Faktor im Infektionsgeschehen. Und doch sind politische Regelwerke in Zeiten der Pandemie immer nur das eine - entscheidend ist das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger. Der Gesundheitsnotstand galt in Frankreich in diesem Jahr schon einmal, von Ende März bis Anfang Mai und dann verlängert bis zum 10. Juli. Wären die danach gewährten Freiheiten verantwortungsvoller genutzt worden, wären derart strenge Beschlüsse wie die des gestrigen Abends - Herbst hin oder her - nicht nötig geworden.

Fall Nawalny - EU beschließt Sanktionen gegen Russland

Nach dem Giftanschlag auf den Kremlkritiker Alexej Nawalny hatten Deutschland und Frankreich bei der EU ein Sanktionspaket gegen Moskau eingebracht, das gestern erstaunlich schnell beschlossen wurde. Auch gegen sechs Vertreter Russlands, die angeblich aus dem innersten Zirkel von Präsidenten Wladimir Putin kommen, sollen Einreiseverbote und Kontensperrungen verhängt werden. Russlands Außenminister hat gleich Gegensanktionen angekündigt. Die Situation jetzt ist beiden Seiten nicht zu wünschen, die EU braucht Russland und Russland braucht die EU. Doch weit schlimmer wäre es gewesen, wenn die EU hingenommen hätte, dass so vieles für eine Beteiligung oberster Kreise am Mordkomplott spricht, diese Kreise aber auf Bitten um Aufklärung mit Zynismus und beredtem Desinteresse reagieren. Ja, in einer idealen Welt wären Russland und die EU Partner, aber Partnerschaft ist nur auf Augenhöhe möglich, die EU hat jetzt einmal Stärke bewiesen. Putin, der Stärke schätzt, kann und wird das nicht egal sein.

Verlierer dieses Winters...

...sollen Grippeviren sein, und damit das auch wirklich so kommt, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn 26 Millionen Dosen Impfstoff bestellt, so viele wie noch nie zuvor in Deutschland für die Grippeimpfung. Den ersten Beschwerden von Ärztevertretern, es drohe ein Engpass, trat er entgegen. Und da Bilder oft mehr wirken als Worte, ließ sich der Minister gestern öffentlich impfen und hat - robuster Westfale, der er ist - nicht einmal gezuckt. Wer Spritzen nicht sehen kann, sollte seinen Fernseher besser ausmustern, zurzeit braucht man ihn ja nur anzuschalten und irgendwer piekst irgendwohin. Es ist ein Rätsel, warum Fernsehjournalisten ausgerechnet dieses scheußliche Bild so lieben. Das Bild allerdings, wie in diesem Herbst die eigene Ärztin oder der eigene Arzt einen selbst gegen die Grippe impft, sollten sich aber selbst die Empfindlichsten unter uns nicht ersparen. Was der Spahn kann, können wir schon lange.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

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  • Schottlands Regierungschefin wirft Boris Johnson "Ruchlosigkeit" vor: Einer Umfrage zufolge wollen so viele Schotten wie nie die Unabhängigkeit. Vor dem Brexit-Gipfel attackiert Nicola Sturgeon nun Premier Boris Johnson: Er handle "töricht" und "verantwortungslos"

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