Philipp Wittrock

Die Lage am Morgen Ist die Impfpflicht der letzte Ausweg?

Philipp Wittrock
Von Philipp Wittrock, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um die deutsche Wende hin zur Impfpflicht und den Versuch des künftigen Kanzlers, in der Coronapolitik in die Offensive zu kommen. Außerdem: Wie läuft es eigentlich im CDU-Machtkampf?

Die Corona-Impfpflicht kommt

Versprochen, gebrochen – in der Politik verheißt das meist nichts Gutes. Wir Journalisten hauen dann gern verbal drauf auf die Kanzler, Minister, Parteichefs, die ihr Wort nicht gehalten haben und die die Erwartungen gutgläubiger Wählerinnen und Wähler enttäuscht haben. Bei der Corona-Impfpflicht, die nun wohl Anfang 2022 kommen wird, muss ich eine Ausnahme machen.

Impfstelle in Frankfurt am Main

Impfstelle in Frankfurt am Main

Foto: Arne Dedert / dpa

Sicher, viele deutsche Spitzenpolitiker – Noch-Kanzlerin und Bald-Kanzler inklusive – sind selbst schuld an ihrer misslichen Lage. Sie hätten die allgemeine Impfpflicht in der Pandemie nicht so früh, nicht so kategorisch ausschließen müssen. Aber zugegeben, auch ich war skeptisch und habe geglaubt, es braucht die staatlich verordnete Spritze gar nicht. Wir wollen doch alle wieder raus aus der Corona-Depression.

Falsch geglaubt. Inzwischen ist klar: Bei vielen der 14 Millionen Ungeimpften bringt eine freundliche Impfeinladung nichts. Nicht wenige Skeptiker dürften sich bei einer Impfpflicht murrend ihrem Schicksal fügen. Beim Rest, der immer noch von implantierten Mikrochips und dem Great Reset halluziniert, muss niemand mehr von drohender gesellschaftlicher Spaltung sprechen. Die Verschwörungsideologen haben sich selbst abgespalten.

Und so geben nun fast alle Parteien ihren Widerstand gegen die Impfpflicht auf. Sogar die FDP dürfte in einer offenen Abstimmung im Bundestag mehrheitlich zustimmen. Natürlich wird das die vierte Welle nicht mehr bremsen. Aber wollen wir sehenden Auges in die fünfte rennen? Wollen wir den ewigen Ausnahmezustand? Politikerinnen und Politiker hatten schon schlechtere Gründe, ein Versprechen zu brechen.

Späte Einsicht

Markiert Olaf Scholz' Plädoyer für die Impfpflicht nun die Wende in seiner bisher zögerlichen Coronapolitik? Der künftige Kanzler hat sich beim Versuch, endlich in die Offensive zu kommen, zumindest geschickt angestellt. In der Bund-Länder-Schalte ließ er die meckernde und fordernde Unionsseite auflaufen, indem er seine eigenen Vorschläge für striktere Anti-Corona-Maßnahmen samt Impfpflicht-Vorstoß präsentierte. Am Ende lobte sogar Markus Söder: »Die Richtung stimmt.«

Ampelpartner Christian Lindner, Olaf Scholz

Ampelpartner Christian Lindner, Olaf Scholz

Foto: Kay Nietfeld / dpa

Zur Wahrheit gehört aber auch: Scholz ist spät dran mit seiner Offensive. Vielleicht zu spät. Und das womöglich aus taktischen Gründen. Aus Rücksicht auf die FDP ließ er zunächst das Infektionsschutzgesetz verschlanken. Nun soll es zum zweiten Mal nachgebessert werden, auch weil die Karlsruher Verfassungsrichter die Regelungen der Bundesnotbremse aus dem Frühjahr und Sommer nachträglich gebilligt haben. Die Notbremse hatte Scholz einst mit ausgehandelt, die FDP aber, sein neuer Partner, war unter den Klägern dagegen.

Erst jetzt traut sich Scholz also mehr zu, und die Liberalen assistieren brav, alle Vorschläge seien »natürlich mit der FDP abgestimmt« und fänden ihre »uneingeschränkte Unterstützung«. Bis die neuen Regeln greifen, vergeht aber wieder wertvolle Zeit: erneute Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag, Bundestag, Bundesrat. Es wird wohl noch zwei Wochen dauern, bis alles durch ist. Hätte man auch früher haben können.

Corona-Alltag auf der Intensivstation

Wer wissen will, was auf einer Corona-Intensivstation derzeit wirklich los ist, dem empfehle ich heute die neue Podcast-Folge von unserem SPIEGEL-Daily-Team.

Monitor auf der Intensivstation der Charité

Monitor auf der Intensivstation der Charité

Foto: Robert Hauspurg / DER SPIEGEL

Zwei Tage lang konnten meine Kollegin Regina Steffens und mein Kollege Robert Hauspurg den Oberarzt Daniel Zickler bei seiner Arbeit in der Berliner Charité begleiten.

Es ist erst das zweite Mal überhaupt seit Beginn der Pandemie, dass die Klinik einem Reporterteam diesen Zugang gewährt. Dabei ist ein intensiver und emotionaler Einblick in den Alltag der Mediziner und Pflegekräfte entstanden.

Mein Hörtipp für heute:

Triell der CDU-Chefanwärter

Corona und die Ampel haben den Machtkampf ein wenig in den Hintergrund rücken lassen – aber seien Sie versichert: Die CDU sucht immer noch einen neuen Chef. Helge Braun, Friedrich Merz und Norbert Röttgen buhlen um die Gunst der Mitglieder, die von Samstag an über den Nachfolger des glücklosen Armin Laschet abstimmen können.

Friedrich Merz

Friedrich Merz

Foto: Kay Nietfeld / dpa

Heute Abend kommt es zum Triell, zum direkten Aufeinandertreffen der drei Möchtegern-Chefs bei einer sogenannten Townhall im Konrad-Adenauer-Haus. Wegen der Infektionslage dürfen nur gut zwei Dutzend ausgewählte Frauen und Männer mit Parteibuch live vor Ort dabei sein. Andere konnten vorher Fragen einreichen.

So richtig aufregend dürfte die Veranstaltung unter diesen Bedingungen nicht werden. Da auch die von der CDU organisierten, digitalen Solo-Formate eher müde Bewerbungsgespräche boten, muss man sich die Frage stellen: Wem der drei Kandidaten nutzt die Corona-Tristesse in den Vorstellungsrunden?

Den Außenseitern dürfte sie jedenfalls nicht helfen. Dass Norbert Röttgen und Helge Braun in diesen Tagen echte Aufbruchstimmung in der Union geweckt hätten, dafür gibt es keine Anzeichen. Auch Favorit Merz hat nicht gerade ein Feuerwerk der Zukunftsideen gezündet, aber immerhin gibt sich der sonst so markige Konservative plötzlich Mühe, auch die liberaleren Christdemokraten einzubinden.

Am Ende weiß niemand genau, wie die Mitglieder ticken. Aber mein Kollege Kevin Hagen, der die CDU für uns beobachtet, hält sogar eine absolute Mehrheit für Merz in der ersten Runde der Mitgliederbefragung für möglich, »selbst wenn er nicht mehr die große Euphorie früherer Zeiten auslöst«.

Hören Sie zu: Das Klima kippt

Eisschilde schmelzen, Wälder vertrocknen, Korallenriffe sterben ab – die Klimaerwärmung bringt die Natur aus ihrer natürlichen Balance. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen davor, dass die Erderhitzung nicht mehr kontrolliert werden kann, wenn bestimmte Punkte erreicht sind und diese Balance regelrecht kippt. Dann könnte unser Klima umschlagen, so wie ein Kartenhaus kollabiert, aus dem man eine Karte zieht.

Foto: Liu Shiping / picture alliance/dpa

Doch kann unser Klima wirklich einfach so »kippen«? Wie entscheidend sind die »Kipppunkte« und wie nah sind sie? Was wären die Folgen und könnte man sie verhindern? Das fragen wir uns in der neuen Folge unseres Klimabericht-Podcasts. Meine Kollegen Sebastian Spallek und Kurt Stukenberg haben diesmal den Klimaphysiker Torsten Albrecht vom Institut für Klimafolgenforschung in Potsdam zu Gast.

Gewinner des Tages…

…sind Marthe Wandou, Wladimir Sliwjak, Freda Huson und die Legal Initiative for Forest and Environment. Sie alle werden heute in Stockholm bei einer Online-Zeremonie mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet, dem kleinen, rebellischen Bruder des berühmten Nobelpreises. Eigentlich heißt er Right Livelihood Award und wird von der gleichnamigen Stiftung verliehen.

Freda Huson

Freda Huson

Foto: CARLOS OSORIO / REUTERS

Die Juristin Marthe Wandou aus Kamerun kämpft seit Jahrzehnten gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder. Wladimir Sliwjak ist russischer Umweltschützer, die Kanadierin Freda Huson setzt sich für Rechte indigener Gemeinschaften ein, und die indische Organisation LIFE unterstützt Gemeinden juristisch beim Schutz ihrer natürlichen Ressourcen gegen scheinbar übermächtige Großkonzerne. Warum die diesjährigen Preisträger die Auszeichnung verdient haben, lesen Sie hier.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Podcast Cover

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Herzlich,

Ihr Philipp Wittrock

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

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