
Die Lage am Morgen Das rebellische Robert Koch-Institut

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute beschäftigen wir uns mit dem sonderbaren Alleingang des Robert Koch-Institutes, mit Frank-Walter Steinmeiers Soldatenchat auf Insta und mit Ihren Vorschlägen für zündende Slogans für die Bundesländer.
Wielers Einspruch
Für mich war das Thema des gestrigen Tages die Wandlung des Lothar Wieler. Viele Monate lang war der Präsident des Robert Koch-Instituts im Ringen um die angemessene Coronapolitik der ruhige Fels in der Brandung, der meist an der Seite des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn stoisch die Infektionszahlen herunterbetete und geduldig die AHA-Regeln erklärte. Manchmal wirkte sein Ton etwas zu ruhig angesichts der Dramatik, die er beschrieb.
Dieser Ton aber hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten verändert, die Ruhe ist unverhüllter Ungeduld gewichen. Mitte November sprach Wieler in einem Livevideo mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Man vernahm ein Flehen, den Ernst der Lage endlich zu begreifen. »Wir laufen derzeit in eine ernste Notlage. Wir werden wirklich ein sehr schlimmes Weihnachtsfest haben, wenn wir jetzt nicht gegensteuern«, sagte Wieler. »Das ist eine klare Sprache, aber ich kann es nach 21 Monaten auch schlichtweg nicht mehr ertragen, dass es vielleicht nicht erkannt wird, was ich unter anderem sage, wie auch viele andere Kolleginnen und Kollegen.«
Dieses Gefühl, es nicht mehr ertragen zu können, hat Wieler gestern womöglich wieder überfallen, denn just eine Stunde vor der Runde der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit Bundeskanzler Olaf Scholz setzte das RKI eine Stellungnahme ab, die ein Warnschuss war.

Behördenchef Wieler, Gesundheitsminister Lauterbach
Foto: Filip Singer / EPADie Behörde forderte deutlich schärfere Maßnahmen, als die Länderchefinnen und Länderchefs mit Scholz anschließend vereinbarten. »Maximale Kontaktbeschränkungen, maximale infektionspräventive Maßnahmen, Reduktion von Reisen auf das unbedingt Notwendige«, listete das RKI unter anderem als Maßnahmen auf – »die sofort beginnen sollten«. Die vergleichsweise moderaten Kontaktbeschränkungen, die Scholz am Abend verlas , gelten dagegen erst ab dem 28. Dezember.
Verwirrende Kommunikation hat die Pandemie von Anfang an geprägt. Dass eine Behörde offenbar ohne Rücksprache mit dem für sie zuständigen Gesundheitsminister eine derartige Empfehlung abgibt, ist allerdings ein Vorgang. Noch dazu, da Wieler auch Mitglied des 19-köpfigen Expertenrats der Bundesregierung ist, der am Sonntag ebenfalls eine Stellungnahme veröffentlicht hat, die zwar auch deutlich mahnte, aber in den Details unkonkret blieb. Zu unkonkret für den RKI-Chef?
Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der in der Runde seinen Ärger über das RKI kaum verbergen konnte, wird mit Wieler heute vermutlich ein ernstes Wort sprechen, bevor sie dann gemeinsam mit dem Chef der Kassenärztlichen Vereinigung, Andreas Gassen, um 12.30 Uhr in der Bundespressekonferenz Fragen zu Omikron beantworten. Im Netz wird der RKI-Chef für seine klaren Worte inzwischen gefeiert, Hashtag #DankeWieler.
Die entscheidende Frage aber ist: Wer hat recht? Brauchen wir härteste Maßnahmen, um die Omikron-Welle eindämmen zu können? Oder ist es in Ordnung, dass wir Weihnachten weitgehend normal und Silvester in kleineren Gruppen und ohne Feuerwerk feiern? In wenigen Wochen werden wir wissen, ob die Politik gestern einen großen Fehler gemacht hat.
Strittig bleibt auch die Frage nach einer allgemeinen Impfpflicht. Der Kanzler hat sich dazu gestern erstaunlich klar positioniert: Er sei nicht dafür, von einer Impfpflicht Abstand zu nehmen, selbst wenn man in der Impfkampagne weiter große Fortschritte erziele, sagte Scholz. »Das ist eine Diskussion, die grundsätzlich erforderlich ist.« Eine knappe, deutliche Ansage, eher ungewöhnlich für ihn.
Weitere Einschränkungen werden sich im neuen Jahr vermutlich nicht verhindern lassen, schätzt Marcus Panning vom Institut für Virologie der Uniklinik Freiburg
Steinmeiers Zeichen
Außenpolitisch stehen die Ukraine und Russland seit Tagen im Mittelpunkt. Was in den anderen Regionen dieser Welt geschieht, spielt in der öffentlichen Wahrnehmung gerade kaum eine Rolle.
Frank-Walter Steinmeier setzt nun einen Akzent mit einem für einen Bundespräsidenten eher ungewöhnlichen Format: Auf Instagram unterhält er sich heute Abend um 19.30 Uhr live mit einer Soldatin und einem Soldaten des deutschen Einsatzkontingents der Uno-Stabilisierungsmission Minusma in Mali.

Außenminister Steinmeier besucht 2016 deutsche und französische Soldaten in Mali
Foto: Britta Pedersen/ dpaEs gerät bisweilen in Vergessenheit, dass Deutschland 1100 Soldatinnen und Soldaten für eine Mission stellt, die nicht nur zu den gefährlichsten Auslandseinsätzen der Bundeswehr gehört, sondern deren Sinn auch immer wieder hinterfragt wird. Zwar wurde der Einfluss dschihadistischer Gruppen regional eingedämmt, doch ein Aufflammen des Terrors ist immer wieder zu beobachten. Zuletzt wurde bekannt, dass die malische Übergangsregierung, die nach einem Militärputsch an die Macht kam, erwägt, die berüchtigte russische Söldnergruppe Wagner zu engagieren, angeblich für die Ausbildung der eigenen Leute und für Dienste wie den Personenschutz. Sollte dieser Vertrag zustande kommen, wäre es das Aus für den deutschen Einsatz.
Bis dahin freuen sich die Soldatinnen und Soldaten sicherlich über die weihnachtliche Zuwendung ihres Staatsoberhauptes. Noch mehr freuen dürften sie sich, wenn die Regierung sie endlich ordentlich ausstatten würde. Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, war nach ihrem letzten Besuch bei der Truppe in Mali entsetzt: Manche der Fahrzeuge seien knapp 40 Jahre alt, teilweise liege die Einsatzbereitschaft bei nur 50 Prozent, erzählte die SPD-Politikerin. Es fehle aber auch an einfacher Kleidung. Vielleicht kann der Bundespräsident noch rasch ein paar Pakete nach Afrika schicken.
Wie Deutschland und Frankreich auf das mögliche Söldnerengagement in Mali reagieren wollen
Wolf und Wagnis
Gestern haben Sie die große Auswahl Ihrer Vorschläge für ein modernes Motto des Freistaats Bayern lesen können. Sie waren allesamt großartig, die Bayerische Staatskanzlei hat sich allerdings noch nicht gemeldet, um die Urheberrechtsfragen zu klären.

Vor wenigen Monaten hat Baden-Württemberg eine neue Dachmarke propagiert: The Länd. Die Lage-Leser haben bessere Ideen.
Foto: Arnulf Hettrich / imago images/Arnulf HettrichEinige von Ihnen haben auch Vorschläge für andere Bundesländer geschickt, eine kleine Auswahl davon lesen Sie hier. Besonders freut mich, dass der Aufruf in Richtung der östlichen Bundesländer gefruchtet hat. Vielen Dank dafür!
Vorhang auf!
Baden-Württemberg:
Schaffa schaffa Hightech baua
Spätzle und Sturmgewehr
Grombiraschnitz und Spaceship
Grün, aber nicht wirklich
The Länd – Spätzle and Autös
Wir sind viele, nicht nur Schwaben
Schwarzwald und schwarze Löcher
Spätzle und Sparen
Berlin:
Wir können alles. Außer Verwaltung
Brandenburg:
Wolf und Wagnis
Tesla und Tristesse
Bremen:
Bremen heißt schämen
Hessen:
Handkäs trifft Hochfinanz
Handkäs' und Hightech
Äppler & Action
Erbarmen
Niedersachsen:
Busch & Bregenwurst
Meer und mehr
Nordrhein-Westfalen:
Was die Rheinländer versprechen, halten die Westfalen
Bratwurst und Breitling
Rhein in die Zukunft!
Pommes und Prada
Currywurst und Covid – wir kriegen alles hin!
Rheinland-Pfalz:
Wein und Wissenschaft
Sachsen:
Grüne Klöße – maskenlos
Der wunderbare Freistaat Sachsen, wo die schönsten Verschwörungstheorien wachsen
Quer not Queer
Sachsen-Anhalt:
Land der Alles-Verschlafer
Schleswig-Holstein:
Wir sind platt
Schleswig-Holstein – Moin
Schleswig-Holstein – in Deutschland ganz oben!
Thüringen:
Grüne Lunge gegen Rote Seele
Breitband und Bratwurst
Rotwurst mit brauner Soße
Nachträge zu Bayern:
Laber-Käs und Laser-Schmarrn
Back to Spitze – with noch a Spritze
Weltherrschaft und Wurstsemmel
Warpantrieb und Wammerl
Dirndl und dicke Hose
Gewinnerin des Tages…

…ist die Ständige Impfkommission, kurz Stiko. Nachdem wir gestern an dieser Stelle die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) für ihre Zulassungsempfehlung des Impfstoffes Novavax beglückwünscht haben, ist heute eine weitere Institution in der Pandemiebekämpfung dran: Die Stiko hat gestern empfohlen, Boosterimpfungen bereits ab dem dritten Monat nach der Zweitimpfung vorzunehmen. Nach meiner laienhaften Einschätzung nicht nur eine richtige, sondern für dieses Gremium erstaunlich schnell gefasste Entscheidung.
Bisher haben wir die Stiko ja eher auf der Verliererseite gesehen, da sie für krisen- und damit zeitrelevante Entscheidungen bislang – bei allem Respekt für wissenschaftliche Gründlichkeit – unerträglich lange gebraucht hat. Hinzu kamen ein paar verunglückte Äußerungen des Stiko-Chefs Thomas Mertens.
Doch diesmal haben die Expertinnen und Experten uns positiv überrascht.
Für Coronaverharmloser ist die Entscheidung natürlich bester Stoff für neue Verschwörungserzählungen. Ich warte schon auf den nächsten Hetz-Tweet von AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, in dem sie wieder vom sich »händereibenden« Biontech-Gründer Uğur Şahin schwadroniert.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
RKI meldet 45.659 Neuinfektionen – Sieben-Tage-Inzidenz sinkt erneut: Das Robert Koch-Institut hat binnen 24 Stunden 510 neue Todesfälle im Zusammenhang mit dem Coronavirus registriert. Und: Die Sieben-Tage-Inzidenz geht auf 289 zurück
Ukrainekonflikt: Bulgarien gegen Stationierung von Nato-Truppen auf Staatsgebiet. Russland zieht offenbar weiter Truppen nahe der Ukraine zusammen, die Nato diskutiert eine mögliche Präsenz in Bulgarien. Doch Verteidigungsminister Stefan Janew sieht keinen Grund dafür
Fauci über »Todesschuss«-Bemerkung von Fox-News-Moderator: »Der Mann sollte an Ort und Stelle gefeuert werden.« Der US-Sender Fox News arbeitet sich regelmäßig an Anthony Fauci ab – nun aber scheint ein Kommentator eine Grenze im Umgang mit dem Virologen überschritten zu haben. Dieser antwortete mit einer Wutrede
Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Martin Knobbe