Martin Knobbe

Die Lage am Morgen Das entscheidende Wochenende

Martin Knobbe
Von Martin Knobbe, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen!

Heute beschäftigen wir uns mit der Frage, die sich in diesen Tagen so viele stellen: Gibt es bald landesweite Ausgangssperren? Außerdem blicken wir auf Probleme bei der Versorgung der Supermärkte und auf die AfD, die sich heute mit ihrem rechtsextremen "Flügel" auseinandersetzt.

Auf die Bürger kommt es an

Es ist die Frage dieser Tage: Wird eine landesweite Ausgangssperre verhängt, um der Ausbreitung des Coronavirus Herr zu werden? So wie in Italien, wie in Frankreich?

Die Antwort hängt von zwei Faktoren ab: Wie steil steigt die Kurve der Zahl an Infizierten an? Und, noch wichtiger: Wie verhalten sich die Bürger, wie verhalten Sie sich, wie verhalte ich mich?

Dieses Wochenende wird entscheidend. Darauf hat sich Kanzlerin Angela Merkel gestern in einer Telefonschalte mit den Ministerpräsidenten der Länder verständigt.

Sind die Bilder aus den Städten und Gemeinden geprägt von Picknicks im Park, von Trink- und Tanztreffen unter freiem Himmel, von offensiv gelebter Sorg- und Achtlosigkeit trotz der vielen Aufrufe, soziale Kontakte außerhalb der Kernfamilie zu vermeiden, dann wird der Druck auf die Politik groß. Dann könnte eine landesweite Ausgangssperre schon in wenigen Tagen verhängt werden, dann könnten Deutschlands Straßen bald sehr leer werden. Wenn das Wochenende vorüber ist, wollen sich die Landeschefs mit der Kanzlerin wieder besprechen.

"Wir werden uns das Verhalten der Bevölkerung an diesem Wochenende anschauen", sagte uns gestern Nachmittag Helge Braun, der Chef des Bundeskanzleramts. "Der Samstag ist ein entscheidender Tag, den haben wir besonders im Blick." Das Interview mit Braun lesen Sie in wenigen Stunden auf SPIEGEL.de und am Samstag im gedruckten SPIEGEL.

Der Staatsminister machte in dem Gespräch klar, dass er kein Freund von Ausgangssperren ist. "Das wäre eine enorme zusätzliche Belastung." Deshalb appelliert er an die Deutschen, "sich die bislang beschlossenen Maßnahmen zu Herzen zu nehmen und sie umzusetzen". 

Es sind am Ende die Bilder, die entscheiden.

Obstfahrer gesucht

"Die Rente ist sicher", versprach einst Norbert Blüm, und die Republik glaubte ihm.

Die Versorgung sei gesichert, versprach die Kanzlerin am Mittwoch in ihrer Fernsehansprache, und die Republik glaubte ihr. Auch deshalb, weil am nächsten Morgen Edeka, Rewe, Lidl, Aldi und weitere Ketten in einer gemeinsam geschalteten Zeitungsanzeige dies fast wortgleich bekräftigten.

Deutschland wird in den nächsten Wochen und Monaten nicht hungern müssen, das steht außer Frage. Dennoch ruckelt und zuckelt es derzeit in den Lieferketten und Versorgungssträngen, was zum Beispiel an den vielen Grenzkontrollen innerhalb der EU liegt, die lange Staus verursachen, auch für Lkw. Es liegt aber auch am zunehmenden Personalmangel, wie ein Warnruf des spanischen Unternehmens Iberiana Frucht klar macht. Von dem Großhändler beziehen viele deutsche Ketten ihr Obst und Gemüse.

Die Firma beklagt einen erheblichen Fahrermangel im internationalen Transport, der Grund: die geschlossenen Grenzen. "Viele Fahrer möchten kein Risiko eingehen und bleiben lieber zu Hause." Sie wüssten nicht, ob sie an ihren oft fernen Zielort gelangten, und falls ja, "ob sie danach die Rückreise überhaupt wieder antreten dürfen".

Die Versorgung ist sicher, ohne Zweifel. Doch sie aufrechtzuerhalten, ist ein täglicher Kampf.

Wird der "Flügel" gestutzt?

Seit gut einer Woche ist bekannt, dass der Verfassungsschutz in einem 258 Seiten langen Gutachten den deutschnationalen "Flügel" der AfD als "eindeutig rechtsextrem" eingestuft hat. Seit einer Woche also darf der "Flügel" mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden.

Heute trifft sich um 11 Uhr der AfD-Bundesvorstand, um zu beraten, wie er mit der dauerhaften Beobachtung umgeht.

Der innerparteiliche Druck, aus der Verfassungsschutzentscheidung Konsequenzen zu ziehen, ist groß. Wie meine Kollegen Ann-Katrin Müller, Ansgar Siemens und Severin Weiland herausgefunden haben, drängt zum Beispiel der nordrhein-westfälische AfD-Landesvorstand auf eine Auflösung des "Flügels". Um, wie es heißt, "wieder Ruhe in unsere Partei einkehren zu lassen und die bereits begonnene Austrittswelle zu stoppen". So steht es in einem Brief, den der Landesvorsitzende Rüdiger Lucassen am Mittwoch an die Parteichefs Jörg Meuthen und Tino Chrupalla schickte. 

Andere fordern den sofortigen Rausschmiss von Andreas Kalbitz, dem Brandenburger AfD-Vorsitzenden, der ein wichtiger Netzwerker in der Parteiführung ist. Im Gutachten des Verfassungsschutzes heißt es über den Kalbitz: "Nachweislich stand Kalbitz über mindestens 14 Jahre in Kontakt mit dem im Jahr 2009 verbotenen rechtsextremistischen Verein 'Heimattreue Deutsche Jugend' (HDJ) und war dort Mitglied." Eine Aussage mit Eskalationspotenzial: Bislang hatte Kalbitz stets betont, er habe sich bei dem Pfingstlager der HDJ nur als Gast informiert. Jetzt ist er in Erklärungsnot.

Die AfD dürfte an diesem Vormittag noch ein weiterer Skandal beschäftigen: Offenbar führte der "Flügel" eine schwarze Kasse. Mehr dazu lesen Sie in Kürze auf SPIEGEL.de

Gewinner des Tages...

... ist der russische Außenminister Sergej Lawrow, er wird morgen 70 Jahre alt. Seit 16 Jahren vertritt er als treuer Soldat die außenpolitischen Begierden seines Dienstherrn Wladimir Putin, seit 16 Jahren ist er trotz der zunehmenden Spaltung zwischen Russland und dem Westen unter Diplomaten ein hochgeschätzter Gesprächspartner. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz kann man Lawrows Geschick jedes Jahr bewundern: Es gibt keinen Redner, der so freundlich, elegant und beflissen dem Westen die Leviten liest.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Die Entwicklungen zum Coronavirus am Freitag: Kaliforniens Gouverneur verhängt eine allgemeine Ausgangssperre für den gesamten Bundesstaat. Olaf Scholz schlägt staatliche Beteiligungen an Großkonzernen vor. China meldet erneut keine Neuinfektionen im Inland. Der Nachrichtenüberblick

  • "Maybrit Illner" zu Corona - Was schlimm wird und was optimistisch stimmt: Die Runde bei Illner lieferte erholsam pragmatische Antworten auf die aktuellen Fragen, inklusive unbürokratischer Hilfe vom Staat und Plänen fürs Danach

  • Indien richtet vier Männer wegen Vergewaltigung einer Studentin hin: Der Fall hatte weltweit für Entsetzen gesorgt: Im Dezember 2012 vergewaltigten mehrere Männer in Neu-Delhi eine junge Frau in einem Bus und verletzten sie tödlich. Nun wurde das Todesurteil gegen vier Täter vollstreckt

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Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag.

Herzlich
Ihr Martin Knobbe

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