Alexander Neubacher

Die Lage am Abend War Hamburgs Polizei unfähig, einen irren Waffenbesitzer zu erkennen?

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:

  1. Amokläufer: Warum durfte Philipp F. seine Waffe behalten?

  2. Schadensbericht: Bundeswehr – alles noch viel schlimmer?

  3. Studierendenpauschale: Hurra, die 200 Euro sind endlich da?

1. Hamburger Amokläufer: Warum durfte Philipp F. seine Waffe behalten?

Nach der Amoktat bei einer Versammlung der Zeugen Jehovas in Hamburg könnte das Waffenrecht verschärft werden. So fordert es Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Wer eine Waffenbesitzkarte beantragt, könnte künftig vorher zum Arzt oder Psychologen geschickt werden, unabhängig vom Alter. Bislang gilt das nur für unter 25-Jährige. Halb automatische Waffen, die aussehen wie verbotene Kriegswaffen, werden für Privatleute möglicherweise verboten. Auch Erwerb und Besitz von Schreckschusspistolen und Armbrüsten sollen strenger reguliert werden als bislang.

Hätte sich der Amoklauf von Hamburg so verhindern lassen? Philipp F. besaß seine Tatwaffe, eine Pistole von Heckler & Koch, legal. Er war Sportschütze in einem Verein und hatte gegenüber den Behörden alle Bedingungen erfüllt.

Doch tatsächlich lebte er in einer Wahnwelt, wie meine Kollegen von SPIEGEL TV recherchiert haben. Er äußerte sich frauenfeindlich, antisemitisch und vertrat irre Ansichten über Hitler als angeblichen »Vollstrecker Jesu Christi«. Philipp F. hätte also niemals die Erlaubnis bekommen oder behalten dürfen, eine Pistole in die Hand zu nehmen – und zwar wohl auch auf Grundlage des bestehenden Rechts.

Schon die bereits geltenden Regeln sehen vor, dass es bei Waffenbesitzern keine Zweifel an deren Zuverlässigkeit geben darf, wie es im Gesetz heißt. Wer etwa seinen Führerschein wegen Trunkenheit verliert, muss auch um seine Waffenbesitzkarte fürchten. Eine Verurteilung wegen einer Straftat zu mindestens einem Jahr ist ein Ausschlusskriterium, auch bei Steuerhinterziehung. Ebenso eine – aktuelle oder zurückliegende – Mitgliedschaft in einer extremistischen Vereinigung. Es gab auch schon Fälle, in denen die Waffenerlaubnis aberkannt wurde, weil jemand mit Selbstmord gedroht hatte. Weil er sinnlos im Garten in die Luft geballert hatte. Weil er den Code seines Waffenschranks einem Familienmitglied gegeben hatte, das selbst keine Waffenerlaubnis besaß.

Im Fall von Philipp F. hatte ein anonymer Tipp dazu geführt, dass ihn Beamte Anfang Februar wegen des Verdachts auf eine psychische Erkrankung zu Hause aufsuchten. Doch F. gelang es, den Verdacht zu zerstreuen. So viel zum Thema Psychotest. Es heißt, er sei den Beamten extrem sympathisch, eloquent und authentisch begegnet.

Dass er Autor eines Buches war, in dem er Massenmord im Gottesauftrag für legitim erklärte, dass er sich damit sogar im Internet brüstete, hatten die Beamten offenbar übersehen. Aus Schlamperei? Meine Kollegen schreiben heute : »Die Amoktat von Hamburg hätte eventuell verhindert werden können – wenn die Beamten richtig gegoogelt hätten.«

So aber passierte außer einer Ermahnung wegen eines nicht vorschriftsmäßig abgelegten Projektils nichts, das Philipp F. von seiner Wahnsinnstat abhalten konnte.

Was heißt das für die Debatte über eine Verschärfung des Waffenrechts? Ich glaube, dass es richtig ist, Waffenbesitz an strenge Bedingungen zu knüpfen und entsprechend zu kontrollieren. Doch wenn die Politik Scheinlösungen präsentiert und an den echten Problemen vorbeiregiert, sollte man misstrauisch sein.

2. Schadensbericht: Trümmertruppe Bundeswehr

Vielleicht sollte sich die Bundeswehr an die Firma Inflatech wenden. Das tschechische Unternehmen stellt aufblasbare Militärattrappen her, etwa Gummipanzer, die in Größe und Form erstaunliche Ähnlichkeit mit echten Panzern aufweisen. Jedenfalls aus größerer Entfernung betrachtet. Aber zu einem Bruchteil des Preises echter Panzer! Im Einsatz sollen sie den Gegner beeindrucken; ihn dazu verleiten, seine Munition zu verschwenden. Und am Tag der offenen Tür könnte man sie vielleicht sogar als Hüpfburg für Kinder nutzen. Nachwuchswerbung!

Bitte entschuldigen Sie meinen Sarkasmus. Aber ich habe heute im neuen Jahresbericht der Wehrbeauftragten Eva Högl gelesen, wie es um die Bundeswehr steht. Hier Auszüge:

»Zu sehen waren undichte Fenster, Wasserschäden infolge von Rohrbrüchen und Dachschäden, nicht nutzbare Sanitärbereiche und Unterkünfte in inakzeptablem Zustand.«

»Hygiene- und Bauauflagen könnten jederzeit zur Schließung der Küche führen.«

»Asbest«, »Schimmel«, »28 Jahre alter Nadeldrucker«.

In Eckernförde wird seit 14 Jahren an einer Schwimmhalle für Kampftaucher gewerkelt. In einer Kaserne in Idar-Oberstein droht die Decke herabzufallen. In der Klotzberg-Kaserne müssen Mauern mit Sandsäcken vor dem Einsturz bewahrt werden. Und dass so wenige Frauen zur Truppe wollen, liegt womöglich auch daran, dass es weder sitzende Kleidung noch passende Griffstücke für Pistolen gibt.

Aber sollte durch die von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete Zeitenwende nicht alles besser werden? Schön wär’s, schreibt mein Kollege Konstantin von Hammerstein  und fasst den Bericht der Wehrbeauftragten so zusammen: »Ob nun neue Munition, Panzerhaubitzen oder warme Unterhosen – Verbesserungen erreichen die Bundeswehr immer noch im Tempo einer Wanderdüne.«

Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Der gefährliche Job der Frontsanitäter: Das Tauwetter im Donbass verwandelt viele Landstraßen in Matsch. Die ukrainischen Ersthelfer stellt das vor noch größere Probleme als ohnehin schon – und sie improvisieren weiter.

  • Russische Truppen sollen offenbar ausgemusterte Munition einsetzen: Beide Seiten beklagen im Ukrainekrieg Munitionsmangel. Die russischen Streitkräfte greifen laut britischem Verteidigungsministerium nun auf Material zurück, das eigentlich schon als unbrauchbar eingestuft wurde.

  • »Ohne Aufträge produziere ich nichts«: Eigentlich müsste die EU die Granatenproduktion verdoppeln, damit die Ukraine genügend Munition bekommt. Doch die EU trödelt bei der Bestellung, warnt der Chef des Rüstungskonzerns Rheinmetall.

3. Studierendenpauschale: Hurra, die 200 Euro sind da (fast)

Nach monatelangem Warten können Studierende und Fachschüler ab morgen früh ihren Antrag auf die 200-Euro-Energiepauschale stellen, die ihnen die Bundesregierung schon vor Monaten versprochen hat. Endlich. Manche und mancher dürfte schon geglaubt haben, das Studium werde schneller beendet sein als die bürokratischen Vorarbeiten der zuständigen Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).

Insgesamt 3,5 Millionen Menschen haben nun Anspruch auf das Geld. Die Regierung hat eine Onlineplattform namens www.einmalzahlung200.de  eingerichtet. Man braucht ein sogenanntes BundID-Konto sowie einen Zugangscode, der von der Hochschule oder Ausbildungsstätte vergeben wird. Reichlich kompliziert, aber die meisten Betroffenen haben ja Abitur.

Wie lange es dauern wird, bis das Geld auf dem Konto landet, ist noch offen. Die Bildungsministerin verspricht, es gehe »kurz und schnell«. Allerdings hatte sie das so ähnlich bereits im letzten Dezember gesagt.

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

  • »Zahlreiche Messerstiche« – zwölfjährige Luise aus Freudenberg von zwei Kindern getötet: Zwei Mädchen haben laut Staatsanwaltschaft gestanden, Luise aus dem nordrhein-westfälischen Freudenberg umgebracht zu haben. Demnach kommen die beiden aus dem Bekanntenkreis des zwölfjährigen Opfers.

  • Kritik an russischen Söldnern steht nun auch unter Strafe: Moskau will die »Verleumdung« russischer Soldaten härter ahnden. Zudem wird künftig die »Diskreditierung« der Söldnertruppe Wagner sanktioniert. Deren Kommandeur muss nun auch selbst stärker bei kritischen Aussagen aufpassen.

  • Bundespolizei nimmt mutmaßliche Schlüsselfigur einer Schleuserbande fest: Spezialkräfte der Bundespolizei haben einen mutmaßlichen Logistiker einer großen Schleuserbande festgenommen. Nach SPIEGEL-Informationen soll der polizeibekannte Mann Dutzende Schlauchboote und Motoren gelagert haben.

  • EU-Parlament stimmt für Sanierungspflicht alter Gebäude: Es geht um die Klimasanierung von europaweit 35 Millionen Immobilien: Das Europaparlament hat strenge Energieeffizienzregeln auf den Weg gebracht. Besonders Besitzer älterer Häuser könnten darunter leiden.

Meine Lieblingsgeschichte heute: Böse Kriege, gute Kriege

Britische Soldaten im Ersten Weltkrieg, etwa Oktober 1917 bei Passendale im belgischen Westflandern, digital koloriert

Britische Soldaten im Ersten Weltkrieg, etwa Oktober 1917 bei Passendale im belgischen Westflandern, digital koloriert

Foto:

akg-images

Anlässlich des Erfolgs von »Im Westen nichts Neues« hat sich mein Kollege Dirk Kurbjuweit  Gedanken zum Kriegsfilmgenre gemacht. Oder zum Antikriegsfilmgenre? Dirk schreibt: »Das Paradox vieler dieser Filme ist, dass sie den Krieg zugleich verdammen und feiern: Er zerstört Menschen, holt aber auch das Beste aus ihnen heraus.«

Besonders fordernd sei das Genre für deutsche Regisseure. Ein Film brauche Identifikationsfiguren – doch wer wollte mit Nazis mitfiebern? Dirk erinnert an »Die Brücke« von Bernhard Wicki , der das Problem mit einem Trick löste: »Die Soldaten, die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs eine Brücke verteidigen sollen, sind selbst Opfer, weil sie als Kinder in diese sinnlose Schlacht geworfen werden. So hatte das Publikum die Chance, mit den Protagonisten mitleiden zu können, ohne sich damit dem Verdacht auszusetzen, Sympathien für Nazis zu hegen.«

Oder »Das Boot« von Wolfgang Petersen. Heroismus war ausgeschlossen, aber Petersen konnte auch nicht ein paar Schlaffis zeigen, die unter dem Meerespiegel dahinschippern. »Also machte er aus der Besatzung von U 96 Helden des Erduldens«, so Dirk. In der spannendsten Szene reparieren zwei Leute das Boot unter dramatischen Umständen und retten damit sich und die Kameraden: »Deutsche Ingenieurskunst, deutsches Handwerk im Rettungseinsatz – mit diesem Heroismus konnte Petersen nichts falsch machen.«

Auch »Im Westen nichts Neues« gibt es kein kriegerisches Heldentum. Damit wird es schwierig, einen klaren Bezug zum Krieg in der Ukraine herzustellen, obwohl sich die Bilder aus Film und Wirklichkeit ähneln.

Was ist nun der Unterschied zwischen Kriegs- und Antikriegsfilm? Dirk schreibt: »Eine gesellschaftliche Funktion des Kriegsfilms ist, dass er das Ungesehene, Unerlebte zeigt. Wie es zugeht, wenn eine Granate einschlägt, wenn sich Soldaten im Nahkampf zerfleischen, kann nur der Spielfilm zeigen. Damit wird er zum Antikriegsfilm, zur Aufforderung, Menschen nicht in solche Situationen zu bringen.«

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Türkische Regierung mischt sich in deutschen Antrag ein: Die türkische Generalkonsulin hat versucht, auf einen Antrag des nordrhein-westfälischen Landtags zur Erdbebenhilfe einzuwirken und bestimmte »Aussagen zu streichen«. Politiker in Düsseldorf sprechen von »einer Anmaßung« .

  • Fußballfans haben Bürgerrechte: Wer die falsche Postleitzahl im Ausweis stehen hat, darf Eintracht Frankfurt in der Champions League nicht nach Neapel begleiten. Eine überraschende Nachricht? Nein, Fußballfans stehen leider unter Generalverdacht .

  • Die Schweiz, eine willige Kremlhelferin? Mein Heimatland sei ein Oligarchenparadies, schrieb ein SPIEGEL-Kolumnist, es sanktioniere Russland nur halbherzig und zeige sich unsolidarisch mit der Ukraine. Doch das ist falsch. 

  • Die Komplimente-Formel für ein gutes Leben: Vielen Menschen fällt es schwer, Komplimente zu machen oder anzunehmen. Forscherinnen erklären, woran das liegt, warum Männer und Frauen unterschiedlich mit Lob umgehen und wann positives Feedback zu viel wird .

  • Per Anhalter über den Atlantik: Unser Autor wollte auf seinem Segelboot niemals Tramper mitnehmen. Dann lernte er vor seiner Atlantiküberquerung Carl kennen. Drei Wochen auf engstem Raum – kann das gut gehen? 

Was heute weniger wichtig ist

Apache rollt: Der Ludwigshafener Rapper Apache 207, 25, hat den Rekord der britischen Band Wham! in den deutschen Charts geknackt. Sein Song »Roller« ist dort mit Unterbrechungen nun bereits 162 Wochen vertreten. »Last Christmas« von Wham! kommt nach Angaben des Marktforschungsunternehmens GfK nur auf 161 Wochen. Apaches Spitzenplatz ist allerdings gefährdet. Als Weihnachtshit dürfte »Last Christmas« auch in den nächsten Jahren weitere Chartplatzierungen erreichen. Ob auch »Roller« (»Apache bleibt gleich, brummbrumm«) zum Dauerohrwurm wird, ist offen.

Mini-Hohlspiegel

Aus einer Zeitungsanzeige für eine Schiffahrt von Hurtigruten Expeditions

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Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons

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Illustration: Klaus Stuttmann

Und heute Abend?

Dosentomaten, Sardellen, Kapern, Knoblauch und ein paar schwarze Oliven: Viel mehr braucht es nicht für eine Pasta alla Puttanesca, Nudeln nach Hurenart. Meine Kollegin Verena Lugert schreibt, wie es dazu kam: Ende der Fünfzigerjahre fiel spätabends noch eine Schar Jetset-Leute in das Restaurant Il Rancio Fellone auf Ischia ein; der Koch kippte zusammen, was in Griffnähe war. Heraus kam ein Essen, das, so Verena, »auch um Mitternacht kinderleicht zuzubereiten ist, weil die Chancen gut stehen, dass sich so gut wie alle Zutaten in einem durchschnittlichen Vorratsschrank befinden.« Wer dem Ganzen noch eine Dose Thunfisch hinzufügt, macht nach meiner Erfahrung nichts falsch. Vegetarier indes können selbstverständlich auch die Sardellen weglassen. Hier finden Sie Verenas klassisches Rezept.

Ich wünsche Ihnen guten Appetit und einen schönen Abend.

Herzlich Ihr Alexander Neubacher, Leiter Meinung und Debatte

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es: »Wer eine Waffenbesitzkarte beantragt, könnte künftig vorher zum Arzt oder Psychologen geschickt werden, unabhängig vom Alter. Faeser hatte das nur für unter 25-Jährige vorgesehen.« Tatsächlich müssen Unter-25-Jährige schon jetzt ein Attest vorlegen. Faesers Vorschlag ist, die Attestpflicht nun auf alle auszuweiten. Wir haben die Stelle korrigiert.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

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