Wolfgang Höbel

Die Lage am Abend Mit mehr Staatsknete gehört Papa mir!

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:

  1. Bahnstreik – Nützt oder schadet der Ausstand den dringend nötigen Reformen beim Konzern?

  2. Streit um E-Scooter – Wie bekommen deutsche Städte Unfallrisiko und wilde Abstellerei in den Griff?

  3. Elterngeld – Warum fordern viele Deutsche eine Erhöhung der staatlichen Hilfen?

1. Der Bahnstreik am Montag und Dienstag mag aus Mitarbeitersicht verständlich sein – aber er bringt die Reformen im Konzern eher nicht voran

Die Bahn nervt viele Menschen, aber ohne Bahnfahren ist das Leben wohl auch nicht angenehmer. Als der große deutsche Dichter Heinrich Heine im Jahr 1843 die Eröffnung der Eisenbahnstrecke Paris-Rouen beobachtete, beschrieb er noch ein »unheimliches Grauen« in seinem Inneren und behauptete: »Durch die Eisenbahn wird Raum getötet, und es bleibt nur noch die Zeit übrig.« Heute wurden Details zum bundesweiten Streik von Bahnmitarbeitern ab Sonntagabend bekannt. Er soll, wenn es nach der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft geht, bis Dienstagnacht dauern.

Durch diesen Ausfall der Bahn wird im Leben vieler Menschen, um es mit Heine zu sagen, garantiert eine Menge Zeit getötet. Auf der Bahn-Webseite hieß es heute, der bundesweite Fernverkehr werde an den Hauptstreiktagen Montag und Dienstag eingestellt. Zwischen Sonntagabend um 22 Uhr und Dienstagabend um 24 Uhr bleiben offenbar sämtliche ICE- und IC-Züge in den Depots. Auch der Nahverkehr dürfte stark beeinträchtigt sein.

Für Pendlerinnen und Pendler kann der Bahnstreik besonders anstrengend werden, da sie oft dennoch im Job erscheinen müssen. Wer als Arbeitnehmer bereits regelmäßig im Homeoffice arbeitet, hat dagegen gute Chancen, das auch für den Streiktag erlaubt zu bekommen.

»Die Beschäftigten der Bahn haben allen Grund, mit ihrem Arbeitgeber unzufrieden zu sein. Die vielen Störungen, der Frust der Fahrgäste, der Massenandrang durch das Deutschlandticket«, sagt mein Kollege Serafin Reiber, der sich viel mit den Zuständen bei der Deutschen Bahn befasst.

Doch zugleich sei dieser Streik auch eine Machtdemonstration gegenüber all jenen, die weitreichende Reformen des sanierungsbedürftigen Konzerns fordern. »Nicht mit uns«, laute die Botschaft der Mitglieder der Eisenbahnergewerkschaft EVG. »Die Bahn dürfte ihnen dafür dankbar sein«, so Serafin. »Die hoch bezahlten Manager wollen nämlich am liebsten, dass der Konzern genau so bleibt, wie er ist.«

2. E-Scooter tragen kaum zur Verkehrswende bei, sorgen für Innenstadtchaos und Unfälle – Experten halten Regeländerungen wie eine Helmpflicht für nötig

Ich finde, es sieht meistens bescheuert aus, wenn Menschen auf E-Scootern durch die Gegend fahren, besonders wenn sie verbotswidrig zu zweit auf dem Trittbrett stehen. Ich halte es für dumm, dass viele E-Scooter-Benutzerinnen und Benutzer ihre Leihgeräte in der Straße, in der ich wohne, gern mitten auf dem Bürgersteig abstellen oder gleich aufs Pflaster werfen. Trotzdem habe ich mich kürzlich mal wieder bei einem E-Scooter-Vermieter angemeldet, weil ich auf dem Weg in ein Berliner Theater schnell vorankommen wollte – und das Fahren hat mir Spaß gemacht.

Unterm Strich aber leuchtet mir ein, was heute meine Kollegen Matthias Bartsch, Philipp Kollenbroich und Alfred Weinzierl über das E-Scooter-Chaos in vielen deutschen Städten schreiben: »So kann es nicht weitergehen.« 

Wild umherliegende E-Roller, rücksichtslose Fahrer und so viele Unfälle wie nie. Meine Kollegen berichten darüber, dass einige Städte jetzt Ordnung schaffen, indem sie, wie zum Beispiel Düsseldorf, strengere Regeln einführen und bei Verstößen Geldstrafen kassieren wollen. Nur knapp ein Prozent der Deutschen, so hat ein Umfrageinstitut ermittelt, nutzen E-Scooter einmal die Woche bis täglich, 93 Prozent nie. 70 Prozent sehen in den Rollern ein Ärgernis. In Paris sind die Fahrgeräte faktisch aus der Stadt verbannt. Die Einwohnerinnen und Einwohner votierten kürzlich mit 89 Prozent gegen die Scooter – allerdings bei geringer Wahlbeteiligung. Ende August müssen die Vermieter ihre E-Scooter einsammeln. In Deutschland ist so ein Bürgerentscheid nicht möglich.

Experten und Expertinnen aus Unfallforschung, Verkehrswissenschaft und Verwaltungsrecht, aber auch wichtige Leute bei Tier, Lime, Bolt oder wie die Anbieter sonst heißen, sind vor allem über die Zahl der Unfälle besorgt. Im Jahr 2022 gab es auf deutschen Straßen 8260 Unfälle mit E-Scootern, dabei starben elf Verkehrsteilnehmer. Diskutiert werden nun zum Beispiel eine Helmpflicht für Scooter-Fahrer und häufigere Alkoholkontrollen.

Er habe bei der Recherche vor allem gelernt, sagt mein Kollege Alfred Weinzierl, »wie oberflächlich und Erfahrungen des Auslands ignorierend eine Bundesregierung Gesetze und Verordnungen in Kraft setzt. Das erinnert schon an die Heizungswende oder andere Schnellschüsse, die der Regierung dann auf die Füße fallen.« Jetzt, nach vier Jahren, hätten die Städte gemerkt, dass sie die Versäumnisse ausgleichen müssen. »Ordentliche Parkplätze einrichten ist das Minimum, das Städte leisten sollten. Das wird jetzt vielerorts nachgeholt. Und wer die Dinger im Weg stehen lässt, müsste belangt werden. Wenn die Scooter weniger stören, wird auch ihr Image besser werden. Das kann aber jeder Nutzer selber beeinflussen.«

Bei meiner nächsten E-Scooter-Fahrt werde ich das brav bedenken.

3. Eine Erhöhung des Elterngelds würde vielen Familien helfen – und wohl auch mehr Väter zur Sorgearbeit zu Hause motivieren

Der Verteilungskampf um öffentliches Geld könnte sich in den nächsten Monaten verschärfen. Heute Nachmittag hat der deutsche Finanzminister Christian Lindner die aktuelle Steuerschätzung bekannt gegeben. Ihr zufolge müssen Bund, Länder und Kommunen im kommenden Jahr wohl mit weniger Steuereinnahmen auskommen als noch im Herbst veranschlagt. 30,8 Milliarden Euro weniger als zunächst gedacht dürften eingenommen werden, insgesamt werden für 2024 Einnahmen von 962,2 Milliarden Euro erwartet.

Die Chancen für ein höheres Elterngeld dürfte diese Steuerschätzung nicht verbessert haben. Dabei halten viele Menschen in Deutschland eine Erhöhung für dringend geboten. Meine Kollegin Hanna Zobel berichtet, dass die staatliche Unterstützung für Eltern trotz Inflation seit ihrer Einführung vor 16 Jahren nicht erhöht worden ist. Und sie hat drei Frauen befragt, die deshalb eine Petition gestartet haben.

Die Frauen fordern von der Bundesregierung den ersten Inflationsausgleich beim Elterngeld und eine Anpassung des Mindest- und Höchstsatzes. Innerhalb weniger Tage hat die Petition, auch dank prominenter Unterstützung von Influencerinnen und Influencern, ihr erstes Ziel erreicht und muss nun dem Bundestag zur Diskussion vorgelegt werden.

Das Elterngeld habe nicht nur einen finanziellen Aspekt, sondern sei auch dafür entscheidend, wer die Sorgearbeit für die Kinder übernimmt, argumentiert eine von Hannas Gesprächspartnerinnen. Überwiegend sind es bislang Frauen. Viele Familien könnten sich offenbar ihren Lebensunterhalt nicht leisten, wenn der Mann in Elternzeit geht. So waren von den 1,85 Millionen Menschen in Deutschland, die im Jahr 2022 Elterngeld bekommen haben, knapp Dreiviertel Frauen.

Würde mehr Elterngeld tatsächlich mehr Väter in Elternzeit motivieren? Klar, sagt Hanna, »in anderen Ländern wurde der Effekt bewiesen. In Norwegen bekommen Eltern während der Elternzeit 100 Prozent ihres vorigen Gehaltes und müssen sich die Elternzeit einigermaßen gleichmäßig aufteilen, um die volle Bezugszeit nutzen zu können.« Seit Einführung dieses Gesetzes sei die Zahl der Männer, die Elternzeit nehmen, drastisch gestiegen. International gelte: »In allen Studien zum Thema ist immer das Hauptargument von Vätern gegen Elternzeit, dass es finanziell nicht zu machen sei.«

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine

  • Kiews Schattensturm: Neue Waffen für die Ukraine: Großbritannien liefert Marschflugkörper vom Typ Storm Shadow. Theoretisch könnten die Truppen damit sogar russisches Territorium angreifen. Was heißt das für den Krieg? 

  • Russinnen in Lettland droht die Abschiebung: In Lettland lebt eine große russische Minderheit, das Land ist seit Jahrzehnten ihre Heimat. Doch das Misstrauen gegen sie wächst. Nun sollen sie Sprachtests absolvieren – oder das Land verlassen.

  • Die Ukraine muss im Westen verankert werden: Wenn der Westen einen endlosen Krieg vermeiden will, dann muss er sich für die dauerhafte Sicherheit der Ukraine einsetzen. Dafür braucht es eine klare Nato-Perspektive.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

Meine Lieblingsgeschichte heute: Wohin mit dem Klimagift?

CO₂-Tanks in Norwegen

CO₂-Tanks in Norwegen

Foto:

Ilja C. Hendel / DER SPIEGEL

Der bedrohlichste Stoff unserer Zeit hat das unscheinbare Kürzel CO₂: Kohlendioxid als Treibhausgas ist Gift für das Klima – zumindest in der Menge, in der wir Menschen es produzieren. Jetzt arbeiten Firmen daran, das Klimagift endzulagern – unter Tage und unter dem Meeresgrund. »Denn es wird nicht reichen, einfach weniger Dreck aus Schornsteinen und Auspuffs zu blasen, um die Klimakrise zu meistern«, sagt meine Kollegin Susanne Götze, die gemeinsam mit fünf Kollegen in Deutschland, Norwegen und Island recherchiert hat, was die Technik kann, welche Chancen und Risiken die unterschiedlichen Verfahren mit sich bringen .

Entstanden ist der Report im »Climate Desk« des SPIEGEL. Meine Kollegen Kurt Stukenberg und Oliver Trenkamp koordinieren dort unsere Berichterstattung zur Klimakrise. Ein gutes Dutzend Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Abteilungen arbeiten zusammen. »Das Megathema ist zu groß und komplex für ein einzelnes Ressort«, sagt Stukenberg, »da lag es nahe, die Kräfte zu bündeln.«

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Das steckt hinter Netanyahus Operation »Schild und Pfeil«: Die israelische Armee tötet drei Topterroristen des Islamischen Dschihad im Gazastreifen. Der rächt sich mit Raketen auf Tel Aviv. Warum Premier Netanyahu mit einem Alleingang reagiert .

  • So gut wie Mourinho und Guardiola? Xabi Alonso galt bei Real Madrid als Prätorianer von José Mourinho, nun treffen beide im Europa-League-Halbfinale aufeinander. Dem Bayer-Trainer wird eine große Karriere zugetraut – auch wegen seiner Lehrmeister .

  • Kann eine E-Mail dem Kanzler gefährlich werden? In der Affäre um die Warburg Bank beruft sich Olaf Scholz auf Erinnerungslücken. Erst spät will er in seinen Kalender geschaut haben, um brisante Gespräche mit einem Eigner zu bestätigen. Dem SPIEGEL liegt eine E-Mail vor, die Zweifel daran weckt .

  • CDU-Politiker Kuban stellt Kindergarten an den Pranger: Ist es Aufgabe von Kitas, Geschenke für den Muttertag zu basteln? Ein Kindergarten in Hessen sagt Nein, der CDU-Abgeordnete Tilman Kuban macht die Anschrift öffentlich, die Folge: Hass. Nun fordert ihn eine Petition zur Mandatsniederlegung auf .

Was heute weniger wichtig ist

Harter Aufschlag: Boris Becker, 55, hat öffentlich über seine Lebensprinzipien gesprochen. Beim Hamburger OMR-Festival, einem zweitägigen Popkultur- und Marketingevent, begründete er seinen Umzug nach Italien mit den Vorlieben seiner von dort stammenden Frau. Er habe gelernt: »Happy wife, happy life.« Über seine Zeit in einem britischen Gefängnis, wo er wegen Insolvenzstraftaten sieben Monaten einsaß, sagte er: »Man kann ja mal hinfallen, aber das Geheimnis ist, wieder aufzustehen.« 

Mini-Hohlspiegel

Aus dem »Kölner Stadtanzeiger«:
»Ein 17-Jähriger konnte nach Faustschlägen ins Gesicht die Klinik wieder verlassen.«

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

Illustration: Klaus Stuttmann

Und heute Abend?

Könnten Sie den Kinofilm »Book Club – The Next Chapter« ansehen. In dem reisen vier nicht mehr ganz junge Freundinnen – gespielt von den Hollywoodstars Jane Fonda, Diane Keaton, Candice Bergen und Mary Steenburgen – zu einem Junggesellinnenabschied nach Italien. Inspiriert sind sie von Paulo Coelhos »Der Alchimist«, einem, finde ich, wirklich schauderhaften Bestsellerbuch voller Glückskeksprosa.

Der Film hat meiner Kollegin Elisa von Hof trotzdem gut gefallen . »Die US-Amerikanerinnen touren durch alle italienischen Klischees«, schreibt sie. Die Bilder seien »absurd postkartig und hochglanzpoliert« und der Film mache auf sehr unterhaltsame Weise ältere Frauen sichtbar, die sonst in Kinofilmen eher selten zu sehen sind. Es handle sich, findet Elisa, um einen »seichten Spaß mit Ambitionen«.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Höbel, Autor im Kulturressort

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

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