

Die Lage am Abend MfG, Ihre MPK

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Sind die nächsten MPK-Beschlüsse faule Eier?
Warum starb Karin Strenz?
Wie soll die Welt China bändigen?
1. Sind die nächsten MPK-Beschlüsse faule Eier?

Als Jens Spahn am vergangenen Freitagvormittag vor der Bundespressekonferenz auftrat und zum Impfgipfel am Freitagnachmittag befragt wurde, rollte der Gesundheitsminister entnervt mit den Augen. Heutzutage würde jede Telefonschalte gleich zum »Gipfel« hochstilisiert, klagte er. Dabei seien das doch ganz normale politische Zusammenkünfte im Regierungsgeschäft. Am heutigen Montag ist Ministerpräsidentenkonferenz – für die Newsjunkies unter uns kurz #MPK –, auch wieder so ein Gipfel. Vielleicht wäre das Treffen besser als Tiefpunkt des Corona-Krisenmanagements beschrieben?
Das Gremium gibt es schon immer, aber seit Ausbruch der Pandemie kommt ihm eine besondere Bedeutung zu, es tagt alle zwei bis vier Wochen. Die Bund-Länder-Konferenz zwischen Kanzlerin und den Ministerpräsidentinnen und -präsidenten legt die Regeln fest, an die sich die Gesellschaft zu halten hat, um das Corona-Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu halten. Ich habe die Treffen seit Herbst des vergangenen Jahres nicht mitgezählt, aber es drängt sich der Eindruck auf, dass eigentlich immer das Falsche beschlossen wurde. (Sehen Sie hier ein Video über die nicht immer ganz konsistenten Entscheidungen der Politik.) Lockerungen im Shutdown wurden erlaubt, wo er eigentlich hätte verschärft werden müssen. Schulen und Kitas wurden geöffnet, obwohl die Länder bei Teststrategien noch völlig blank waren. Zusammenkünfte wurden ausgeweitet, wo man sie hätte einschränken sollen. Dabei ist eine Mehrheit in der Bevölkerung gegen Lockerungen, so eine aktuelle SPIEGEL-Umfrage, 40 Prozent plädieren gar für Verschärfungen – wahrscheinlich, weil sie wollen, dass der Spuk möglichst schnell zu Ende ist.
Doch die Papiere der Politik legen immer akribisch fest, wie sich Privatpersonen zu verhalten haben. Die Wirtschaft hat die Politik aber immer ausgeblendet – als mache das Coronavirus einen Bogen um Baustellen, Fabrikhallen und Großraumbüros. Abgesehen von Handel, Gastronomie und Kultur wurde lediglich »eindringlich aufgefordert«, »erneut gebeten«, »zügig angestrebt«, dass die Wirtschaft doch bitte auch pandemiekonform agiere. Konsequenzen = null. Wenn eine Mutter ohne Maske an einem Spielplatz sitzt, kann sie schon mal ein Bußgeld riskieren. Der Arbeitgeber, der Homeoffice als nicht praktikabel betrachtet, hat nichts zu befürchten. Immerhin ist er jetzt aufgefordert, seinen Mitarbeitenden medizinische Masken fürs Büro anzubieten.
Zu mehr wird es auch nach den heutigen Beschlüssen nicht kommen. Bislang gibt es lediglich Entwürfe, der »Gipfel« ist noch nicht erklommen, oder das Tal der Tränen noch nicht durchschritten, je nach Blickwinkel. Doch die wichtigsten Punkte liegen auf dem Tisch:
Der Shutdown wird weiter verlängert bis zum 18. April.
In Landkreisen mit Inzidenzwerten über 100 könnten nächtliche Ausgangsbeschränkungen hinzukommen.
Schulen und Kitas könnten wieder geschlossen werden, sofern nicht zweimal die Woche getestet wird oder die Inzidenzwerte über 200 steigen.
Die bei der letzten MPK vor zwei Wochen erlaubten Öffnungen im Handel sollen wieder rückgängig gemacht werden, die eingeführte »Notbremse« soll gezogen werden.
Für Ostern geplante Lockerungen sind dagegen wieder verworfen worden: Treffen mit vier über den eigenen Hausstand hinausgehenden Personen zuzüglich Kindern im Alter bis 14 Jahre aus dem engsten Familienkreis sollten ursprünglich erlaubt werden. Die Mehrheit der Deutschen will ohnehin zu Hause bleiben (mehr im Corona-Update).
Weil sich dieses Hü und Hott nun schon seit vielen Monaten hinzieht und nicht von Anfang an konsequenter agiert wurde, werden wir am 12. April wieder eine Bund-Länder-Konferenz haben, auf der – da muss man kein Wahrsager sein – wegen exponentiell steigender Zahlen die erneute Verlängerung des Shutdowns beschlossen werden wird. Was allerdings wirklich irritiert, ist, mit welch abgestumpfter Routine die Politik die Entscheidungen inzwischen verkündet – so als stünden nicht Millionen Schicksale von Menschen dahinter, die an Einsamkeit leiden, an Einkommen verlieren, Existenzen aufgeben müssen. Nach dem Motto: MfG, Ihre MPK.
Bund-Länder-Runde: Shutdown in Deutschland wird bis Mitte April verlängert
Corona-Schutzausrüstung: Arbeitgeber von Spahns Ehemann verkaufte Masken ans Gesundheitsministerium
Was würden Ausgangssperren bringen? Home Sweet Home
2. Warum starb Karin Strenz?

Mit dem Namen Karin Strenz werden wahrscheinlich nur die wenigsten außerhalb des Berliner Politikbetriebes sofort etwas anfangen können. Sie war seit 2009 Bundestagsabgeordnete für die CDU in Mecklenburg-Vorpommern, wo auch Kanzlerin Angela Merkel ihren Wahlkreis hat. Am Sonntagabend ist Strenz auf einem Rückflug von einer Reise aus Kuba im Flugzeug kollabiert und nach einer Notlandung im irischen Shannon gestorben. Sie war in Begleitung ihres Mannes. Frau Strenz wurde nur 53 Jahre alt.
Strenz war eine umstrittene Politikerin. Schon kurz nach ihrem Einzug ins Parlament geriet sie in Verdacht, sich mit Despoten gemeinzumachen. In einem vom aserbaidschanischen Staatsfernsehen ausgestrahlten Video lobte sie 2010 eine »gute Wahl« in Aserbaidschan, »nach internationalen Standards. Sie ist nicht zu kritisieren«. Dabei war damals schon klar, dass Machthaber Ilcham Alijew alles tat, um freie Wahlen zu unterdrücken. 2015 nahm Strenz an einer Wahlbeobachtungsmission des Europarats teil. Die OSZE hatte wegen drohender Behinderungen keine Wahlbeobachter entsandt. Das Europäische Parlament forderte seine Mitgliedstaaten auf, »von Wahlbeobachtungstätigkeiten Abstand zu nehmen«, um die Wahl nicht zu legitimieren. Strenz dagegen begrüßte, dass Aserbaidschan »einen weiteren Schritt nach vorn hin zu freien, fairen und demokratischen Wahlen gemacht hat«. Es hagelte Kritik, sie witterte eine Verschwörung, ließ ihr Amt im Europarat aber ruhen.
Im vergangenen Jahr ermittelte der Staatsanwalt unter anderem wegen des Verdachts der Bestechlichkeit. Strenz soll über Umwege Geld aus Aserbaidschan bekommen haben, zwischen 7500 und 15.000 Euro. Der Bundestag hob ihre Immunität auf, daraufhin durchsuchten hundert Beamte das Abgeordnetenbüro von Strenz im Bundestag, ihre Privatwohnung sowie weitere Wohnungen, Geschäftsräume und Anwaltskanzleien in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern und Belgien.
Nun hat die Staatsanwaltschaft Schwerin ein Todesermittlungsverfahren eingeleitet. Auf diesem Weg könnten von den irischen Behörden Informationen zur Todesursache erbeten werden, sagte ein Sprecher der Behörde. Er gehe davon aus, dass Strenz' Leichnam in Irland obduziert werde. Erkenntnisse über die Todesursache liegen der Staatsanwaltschaft Schwerin noch nicht vor, und somit auch keine Hinweise auf einen eventuell nicht natürlichen Tod.
Nach Notlandung: CDU-Bundestagsabgeordnete Strenz stirbt auf Flug aus Kuba nach Deutschland
CDU-Bundestagsabgeordnete: Staatsanwaltschaft leitet nach Strenz' Tod Ermittlungsverfahren ein
3. Wie soll die Welt China bändigen?

Chinas Rolle in der Welt wird immer undurchsichtiger. Vor zwanzig, dreißig Jahren galt das Land vor allem als Werkbank der Welt. Nahezu alle Industriestaaten ließen dort billig produzieren. Doch je wohlhabender das Land wird, je abhängiger die Welt von China ist, desto stärker trumpft es auf und schert sich nicht um internationale Gepflogenheiten. Die mehrheitlich muslimischen Uiguren sind dem Land missliebig, Hunderttausende werden in Umerziehungslagern kaserniert. Die ehemalige britische Kronkolonie Hongkong wird seit der Rückgabe 1997 Schritt für Schritt dem Machtapparat Pekings untergeordnet. Freie Meinungsäußerung wird systematisch unterbunden, Medien wie der BBC wird verboten, in China auszustrahlen, soziale Plattformen werden gesperrt. China betreibt zunehmend Geiseldiplomatie, das heißt, das Land versucht Einfluss auf Gerichtsprozesse gegen eigene Staatsbürger im Ausland zu nehmen, indem es andere Staatsbürger im eigenen Land ohne Rechtsgrundlage in Gefängnisse steckt.
Die EU hat wegen des Abdriftens in diktatorische Verhältnisse Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen gegen China verhängt. Die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten beschlossen Strafmaßnahmen gegen Verantwortliche in dem Land. Kurz darauf reagierten die Chinesen und antworteten mit Gegenmaßnahmen. Einigen Parlamentariern, darunter der Grüne Reinhard Bütikofer und Michael Grahler (CDU) sowie ihren Familien ist es dem chinesischen Außenministerium zufolge verboten, das chinesische Festland, Hongkong und Macau zu betreten.
Mein Kollege Bernhard Zand war acht Jahre Korrespondent in China, jetzt berichtet er aus Hongkong – gewissermaßen von außen, wobei das nicht ganz stimmt. Denn durch das umstrittene Sicherheitsgesetz will China Hongkong quasi wie jede andere chinesische Millionenmetropole behandeln. Bernhard schreibt in seinem Kommentar, es stelle sich die Frage, »was das moderne China als Anwalt von Gerechtigkeit und Freiheit taugt«, wenn das Land so auftrumpft, wie es das gegenwärtig tut.
Video über Hongkong: »Das Vibrierende ist weg«
Reaktion auf EU-Strafmaßnahmen: China verhängt Sanktionen gegen EU-Abgeordnete und Diplomaten
Kommentar zur Politjustiz in Peking: Was China unter Gerechtigkeit versteht
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Was heute sonst noch wichtig ist
Türkische Lira stürzt nach Entlassung von Zentralbankchef ab: Schock an den Finanzmärkten. Nachdem Präsident Erdoğan überraschend den Notenbankchef gefeuert hat, stürzt die türkische Lira vorübergehend um 17 Prozent ab. Der Börsenhandel wurde kurzzeitig ausgesetzt.
CSU-Politiker Sauter tritt aus Fraktion aus: Der ehemalige bayerische Justizminister Alfred Sauter steht in der Maskenaffäre unter Druck. Um einem möglichen Ausschlussverfahren zuvorzukommen, hat der CSU-Politiker nun seine Fraktionsmitgliedschaft gekündigt.
Großbrand in Rohingya-Flüchtlingslager ausgebrochen: Hunderttausende Rohingya leben in Flüchtlingslagern in Bangladesch. In einem Camp wütet nun ein Feuer – Tausende Geflüchtete könnten obdachlos werden.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Welche Maßnahmen wirklich helfen: Wissenschaftler simulieren, wie sich bestimmte Vorschriften und Einschränkungen auf den Pandemieverlauf auswirken. Was ist nötig, um den R-Wert dauerhaft unter 1 zu drücken?
Darum bauen die USA neue Atomwaffen: Das Pentagon plant eine neue Generation nuklearer Interkontinentalraketen. Dabei hatte US-Präsident Biden Abrüstung versprochen. Welches Kalkül steckt dahinter?
Tina Müller schrumpft Douglas – um an der Börse durchzustarten: Bioecke und Botox to go: Chefin Tina Müller will die ehemals biedere Parfümeriekette neu aufstellen. Kosten runter, Filialen schließen, dafür mehr Onlineshopping. Investoren jubeln. Mitarbeiterinnen sind entsetzt.
Joe Bidens Problem Nummer eins: Der neue US-Präsident will durchregieren. Doch bei fast allen Projekten können die Republikaner ihn mithilfe der Filibuster-Regel im Senat stoppen. Etliche Demokraten wollen diese jetzt ändern – ein gewagtes Manöver.
Was heute nicht so wichtig ist
Chapeau Chappi: Nicht alle darben zu Coronazeiten. Tiere dürften zu den Gewinnern der Krise gehören. Menschen, die schon welche hatten, haben seit Beginn der Pandemie mehr Zeit, sich ihnen zu widmen. Tiere ohne Herrchen oder Frauchen haben ihre Chancen erhöht, ein neues Zuhause zu finden, denn viele Haushalte haben sich ein Haustier angeschafft. Folglich profitierte auch die Industrie dahinter: Der Umsatz der deutschen Heimtierbranche stieg im vergangenen Jahr um gut fünf Prozent auf rund 5,5 Milliarden Euro, teilten der Industrieverband Heimtierbedarf (IVH) und der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands (ZFF) mit. Interessanteste Erkenntnis dabei: Wofür es in Deutschland alles Fachverbände gibt: Mehr Leckerlis für Bello.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Berlins Regiererender Bürgermeister Müller, Kanzlerin Merkel und der bayerische Ministerpräsident Söder«
Cartoon des Tages: Bundesverdienstkreuz für außergewöhnliche Langmut

Und heute Abend?

Sie könnten erst schön essen gehen und danach ein Konzert der Berliner Philharmoniker besuchen. Chefdirigent Kirill Petrenko gibt Tschaikowski und Rachmaninows zweite Sinfonie in der Philharmonie... Häh, was schreibt der da?, denken Sie jetzt vielleicht. Ist doch alles geschlossen. Stimmt, aber worauf will ich hinaus? In Berlin gaben die Philharmoniker am Wochenende in einem Pilotversuch ein umjubeltes Konzert vor 1000 Zuhörerinnen und Zuhörern. Die Karten waren binnen drei Minuten ausverkauft. Alle haben sich zuvor einem Coronatest unterzogen, kein einziger Besucher war positiv. Das Projekt zeigt: Es geht! Mit etwas Gestaltungswillen und Flexibilität könnte man wieder ein Gastronomie- und Kulturleben ermöglichen, das so vielen Menschen Halt und Zuversicht geben würde. Solange aber alles stur auf »Geschlossen« getrimmt ist, können Sie sich zumindest was Schönes kochen und sich danach dieses Video auf Ihren Fernseher streamen. Als Appetizer für bessere Zeiten sozusagen.
Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen. Herzlich
Ihr Janko Tietz
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