

Die Lage am Abend Wie Corona-Leugner zu Mail-Superspreadern wurden

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Digitale Superspreader – Wie sehr nerven Mails von Corona-Leugnern?
7-Tage-Inzidenz – Soll der Corona-Wert ins Gesetz?
Völlig löwgelöst – Warum spielt die DFB-Elf?
1. Mail-Superspreader
Das Schlimmste an Bürojobs sind nicht die Bürojob-Sprüche, die in den Kaffeeküchen hängen ("T.e.a.m. = Toll, ein anderer macht's"); und es ist auch nicht die alljährliche gesetzlich erforderliche Unterweisung zum Arbeitsschutz, die nach SPIEGEL-Informationen oft in einen Onlinetest mündet, der die Belegschaft quält mit Fragen zum zulässigen Neigungswinkel eines Bildschirms bei Gegenlicht und abnehmendem Mond. Nein, das Schlimmste an Bürojobs sind die E-Mails, das Allerschlimmste sind E-Mail-Verteiler und das Allerallerschlimmste sind E-Mail-Verteiler-Mailwechsel, weil dauernd jemand auf "allen antworten" klickt. Zwar scheinen in der Homeoffice-Ära zahlreiche Unternehmen auf Chat- und Videoprogramme wie Slack und Teams umzuschwenken (hier mehr dazu). Dummerweise gelang es auch ihnen nicht, die E-Mailerei auszurotten.
Viele Schulen scheinen noch ganz uns gar auf E-Mails angewiesen zu sein (was im Vergleich zu vielen faxenden Gesundheitsämtern ein Fortschritt ist). In Hamburg hat nun irgendjemand den internen Mailverteiler der Schulbehörde an Corona-Leugner weitergeleitet. Die wiederum nutzten die Adressen für Propaganda-Spam: Alle staatlichen Schulen fanden in ihren Posteingängen Mails aus dem "Querdenker"-Umfeld, wie ein Behördensprecher sagte, von Gruppen mit Namen wie "Eltern stehen auf". Die Aktivisten versuchen, Schulleitungen zu agitieren; sie warnen, Masken seien gefährlich für Kinder, solche Sachen.
Nur eine kleine Corona-Anekdote in dieser verrückten Zeit? So richtig lachen kann ich nicht darüber. Der Winter wird düster, das hat auch Angela Merkel heute wieder angekündigt: "Wir müssen davon ausgehen, dass die zweite Welle härter ist, und sie fällt vor allem in eine schlechte Jahreszeit." Zusätzliches Mail-Sperrfeuer macht es nur noch anstrengender.
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2. Viren halten sich selten an Gesetze
Die Parlamente müssen mitreden bei den Corona-Maßnahmen, hieß es immer wieder. Morgen darf der Bundestag mitreden: Es geht um das Infektionsschutzgesetz. Union und SPD wollen den sogenannten Inzidenzwert reinschreiben lassen – sobald es mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern binnen einer Woche gibt, dürfen schwerwiegende Maßnahmen folgen.
Eine Zahl, die sich klar ermitteln lässt. Die jeder nachvollziehen kann. Die Landkreise und Städte miteinander vergleichbar macht. Das ist die Idee. Der Inzidenzwert war bislang ein ziemlich guter Hinweis darauf, ob und wo das "Infektionsgeschehen außer Kontrolle" ist, wie es so gesundheitsbürokratisch heißt. Die Zahl macht Corona für Juristen greifbar. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach unterstützt den Vorstoß.
Einige Wissenschaftler sehen das allerdings ganz anders. "Manche finden es problematisch, die Maßnahmen von einer Zahl abhängig zu machen, die die Schwere der Situation nicht wirklich gut abbildet", sagt meine Kollegin Katherine Rydlink aus unserem Gesundheitsteam. Sie hat mit dem Chefepidemiologen des Helmholtz-Zentrums, Gérard Krause, gesprochen. Er sagt, der Inzidenzwert unterliege zu starken Schwankungen und solle nicht als einziger Parameter genommen werden.
"Wer hier recht hat, lässt sich schwer sagen", so Katherine. "Wir müssen weiter ausprobieren und uns der Lage anpassen – doch genau das könnte mit einem festen Wert schwieriger werden." Die Sorge: Bei jeder neuen Erkenntnis bräuchte es eine Gesetzesänderung.
Lesen Sie hier mehr: Die fragwürdige Macht des Inzidenzwertes
Lesen Sie hier mehr: So lief die Suche nach dem Biontech-Impfstoff
3. Völlig löwgelöst
Im Radio haben sie gesagt: Heute Abend tritt die deutsche Fußballnationalmannschaft an gegen das tschechische Team, ein Testspiel. Bei uns auf SPIEGEL.de steht das auch. Muss also stimmen.
Selbst ein Laie in einem Hamburger Homeoffice fragt sich da: Ein Fußballspiel, bei dem es um wenig bis nichts geht, während des Corona-Shutdowns – ist das sinnvoll? Mein Kollege Peter Ahrens aus dem Sportressort sagt:
"Mit der Sinnlosigkeit von Spielen hat Joachim Löw mittlerweile Erfahrung. Bereits zum dritten Mal in der Corona-Zeit spielt sein Team eine Partie ohne Wert, ohne Publikum, ohne Leistungsträger. Diesmal gegen Tschechien, auch nicht gerade der Gegner, der die Menschen zu spontanen La-Ola-Wellen provoziert."
Warum also?
"Der DFB braucht Länderspiele als Einnahmequelle, die TV-Anstalten brauchen Länderspiele, weil sie für die Austragung bereits viel Geld vorgestreckt haben. Aber sonst braucht solch ein Spiel, ehrlich gesagt, niemand."
Anpfiff ist um 20.45 Uhr. Hier lesen Sie mehr.
Was heute sonst noch wichtig ist
So könnte das Kabinett von Joe Biden aussehen: Divers und progressiv soll die nächste US-Regierung sein, so will es die demokratische Basis. Doch ein voraussichtlich republikanischer Senat muss das Kabinett absegnen. Eine schwere Aufgabe für Joe Biden.
Österreichs Regierung legt neue Antiterrorpläne vor: Anfang November erschoss ein Terrorist in Wien vier Menschen. Nun hat die österreichische Regierung Pläne zur Bekämpfung von Terror vorgestellt – mit verschärften Regeln für Gefährder.
Tausende Armenier demonstrieren gegen Abkommen über Waffenstillstand: In Armeniens Hauptstadt Eriwan haben zahlreiche Menschen gegen Premierminister Paschinjan und die Vereinbarung über das Ende der Gefechte mit Aserbaidschan protestiert. Die Polizei nahm mehrere Demonstranten fest.
Law-and-no-Order: Nichts ist schlimmer als ein Staat, der das Recht nicht durchsetzt – das ist der Glaubenssatz von Law-and-Order-Politik. Doch warum dürfen Verschwörungstheoretiker auf den Straßen tun und lassen, was sie wollen?
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Wie geht ein Trump-Fan mit der Niederlage um? Das Projekt "Make America Great Again" ist vorerst gestoppt. Das müssen auch Donald Trumps treueste Anhänger akzeptieren. Unser Reporter hat den rechten Vordenker Gavin McInnes getroffen.
Gastronomen leiden unter der Lieferando-Macht: In der Coronakrise präsentiert sich Lieferando als Retter der Restaurants. Doch der ruppige Umgang des Lieferdiensts stößt zunehmend auf Widerstand.
Das abenteuerliche Leben des Schießpulverkönigs Max Duttenhofer: Ein Historiker hat das Leben eines nahezu vergessenen Rottweiler Unternehmers rekonstruiert. Es ist ein Lehrstück über skrupellose Geschäftemacherei.
Der Tod des Mohamed S. und seine Folgen: Als ein Mitglied der Großfamilie S. aus dem siebten Stock des Hamelner Polizeigebäudes stürzt und stirbt, eskaliert die Gewalt. Auszug aus dem SPIEGEL-Buch "Die Macht der Clans".
Was heute nicht so wichtig ist

Familienstreik: Britney Spears, 38, will bis auf Weiteres nicht mehr auftreten, nachdem sie mit ihrem Versuch gescheitert ist, ihren Vater Jamie als gesetzlichen Vormund abzusetzen. Ein Gericht in Los Angeles lehnte den entsprechenden Antrag ab. Die Vorsitzende Richterin gab der Popsängerin allerdings die Möglichkeit, einen neuen Antrag auf Änderung der Vormundschaft zu stellen, über den sie dann separat entscheiden werde. Nach einer Reihe von öffentlichen Zusammenbrüchen des einstigen Teeniestars hatte ihr Vater 2008 die Vormundschaft übernommen.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: "Hersteller werden bauen viele Traditionsmodelle nicht mehr."
Cartoon des Tages: Alles fertig machen zum Mutieren!!

Und heute Abend?
Könnten Sie den grauen Tag ausklingen lassen mit einem Netflix-Film, der "leichtfüßig und sonnig daherkommt", wie mein Kollege Christian Buß sagt, "der uns aber dann in die dunkelsten Ecken einer Paarbeziehung führt".
"Die stärkste Liebe wird auf die Probe gestellt, wenn eine zentrale Sehnsucht keine Erfüllung finden kann", sagt Christian. "Die immer tolle Lavinia Wilson und der hier ebenfalls tolle Elyas M’Barek spielen den unerfüllbaren Kinderwunsch ihrer Figuren mit aller Wut auf das Schicksal und mit allem Mut zur Wahrheit. Aufwühlend, detailgenau, tröstlich." (Hier lesen Sie die ganze Rezension.)
In diesem Sinne: Streamen Sie schön.
Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp
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