Wolfgang Höbel

Die Lage am Abend Ist die Polizei schlauer als die Wissenschaft?

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:

  1. Ursprung des Coronavirus – warum heizen US-Behörden wie das FBI die Spekulation über ein Leck in einem chinesischen Labor an?

  2. Inflation – was treibt die Preise in Deutschland und den USA?

  3. Protesttag in Israel – ist Benjamin Netanyahus umstrittene Justizreform noch aufzuhalten?

1. Die Debatte über den Coronaursprung hat wohl nicht mit neuen Erkenntnissen zu tun, sondern soll US-Präsident Joe Biden unter Druck setzen

»Ist nicht der Anfang und das Ende jeder Wissenschaft in Dunkel gehüllt?«, hat der selbst ziemlich düstere deutsche Dichter Heinrich von Kleist gefragt. Kleist, der von 1777 bis 1811 lebte, kannte den Streit um den Ursprung des Coronavirus natürlich noch gar nicht. Mir kommt die Diskussion darüber, ob ein Labor im chinesischen Wuhan der Ort war, an dem die Pandemie ihren Ausgang nahm, ziemlich ermüdend vor – auch weil es mutmaßlich nie wissenschaftliche Klarheit über die wahren Anfänge der Pandemie geben wird.

Nun hat in den USA der Chef der Bundespolizei FBI, er heißt Christopher Wray, die Spekulationen über den Ursprung des Coronavirus weiter angeheizt. »Das FBI geht schon seit geraumer Zeit davon aus, dass der Ursprung der Pandemie höchstwahrscheinlich ein möglicher Laborvorfall in Wuhan ist«, sagte Wray in einem am Dienstagabend ausgestrahlten Fernsehinterview. »Hier geht es um ein mögliches Leck in einem von der chinesischen Regierung kontrollierten Labor.«

Meine Kollegin Veronika Hackenbroch berichtet , dass das U.S. Department of Energy sich der Einschätzung des FBI angeschlossen hat, dass das Coronavirus einem Labor entfleucht sein könnte – aufgrund angeblich neuer, aber leider unbekannter Informationen. »Beweise für ein Lab Leak fehlen weiterhin. Das liegt auch an China«, schreibt Veronika.

Die Regierung in Peking hat sich lange gesperrt gegen eine unabhängige wissenschaftliche Überprüfung der Laborleck-Theorie. »Erst ein Jahr nach Beginn der Pandemie, im Januar 2021, konnte ein internationales Expertenteam der WHO Wuhan besuchen. Die Folge: ein Bericht ohne klare Ergebnisse und eine lange Liste dringend notwendiger Untersuchungen, um in Zukunft Ergebnisse liefern zu können.«

Neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern fahnden seit drei Jahren auch Geheimdienste nach dem Ursprung des Pandemievirus. Behauptungen wie die des FBI-Direktors Wray dürften den Druck auf die Regierung von Präsident Joe Biden erhöhen, eine einheitliche Einschätzung der US-Regierung vorzulegen und womöglich China direkt für die Ausbreitung des Virus verantwortlich zu machen. Der FBI-Mann sagte unter anderem, die chinesische Regierung habe »ihr Bestes getan«, um die Arbeit der US-Regierung und ausländischer Partner »zu behindern und zu verschleiern«.

Die Mehrheit der Forschenden halte »inzwischen einen natürlichen Ursprung für deutlich wahrscheinlicher als die Labortheorie«, stellt meine Kollegin Veronika fest. »Eine eindeutige Antwort können aber auch sie nicht liefern, da wichtige Daten aus China weiterhin fehlen.«

2. Die Inflation in Deutschland und in den USA bleibt trotz eher guter Wirtschaftsaussichten hoch – zum Beispiel wegen der Verteuerung der Energie

Die Lebenshaltungskosten in Deutschland steigen, die Inflation ist sogar höher als von Fachleuten erwartet, so wurde heute bekannt. Die Rate im Februar lag bei 8, 7 Prozent.

Ich erinnere mich an ein italienisches Lied aus meiner Kindheit, in dem der Sänger Adriano Celentano sehr grimmig und trotzdem gut gelaunt die Inflation in seinem Land besang, es heißt »Svalutation«. Im Text geht es unter anderem darum, dass staatliches Geld in einem großen Loch verschwindet. Natürlich sind damals wie heute auch alle Privatmenschen von der Inflation betroffen, weil sich zum Beispiel Energie und Nahrungsmittel zuletzt stark verteuert haben. Energie kostete im Februar 19,1 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Aus der US-amerikanischen Hauptstadt Washington berichtet heute meine Kollegin Ines Zöttl, dass die Inflation auch dort keineswegs besiegt ist, entgegen früherer Experten-Einschätzungen . Derzeit kommt sie in vielen Branchen zurück – und nährt die Sorge, dass die Notenbank Fed trotz guter Arbeitsmarktdaten härter durchgreifen muss, was einen sogenannten Zinsschock auslösen könnte.

Noch Anfang dieses Jahres schien in den USA der Preisdruck nachzulassen, während die Wirtschaft sich gut behauptete. »Die Erleichterung über sinkende Inflationsraten hat sich jedoch als voreilig entpuppt«, schreibt meine Kollegin. Am vergangenen Freitag wurden in den USA die aktuellen Daten veröffentlicht, die Inflationsrate hat im Januar so stark zugelegt wie seit Monaten nicht mehr. Seitdem herrscht an den Finanzmärkten Angst, dass die Fed die Zinsen im März um weitere 50 Basispunkte erhöhen könnte.

Die Beurteilungen des derzeitigen Zustands der US-Wirtschaft seien allerdings sehr unterschiedlich, schreibt Ines – und zitiert Experten mit ihren mal optimistischen, mal pessimistischen Einschätzungen. Einer sagt einen Merksatz, der wohl auch für Deutschland gilt: »Die Inflation erweist sich als hartnäckig und klebrig.«

3. Israels Regierung will die umstrittene Justizreform trotz der Proteste durchsetzen – doch es gibt wohl einen ersten Kompromissvorschlag

Ein Bild aus Israel hat mich heute besonders beeindruckt. Es zeigt Protestierende, die mit weißen Hauben und roten Umhängen in einem Zug sitzen. Sie sind wie in der Serie »The Handmaid’s Tale« gekleidet, die von der Unterdrückung von Frauen in einem fiktiven faschistischen Staat erzählt.

Drohen totalitäre Zustände in Israel? Zahlreiche Menschen im Land haben heute gegen die geplante Justizreform der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu protestiert. Demonstranten blockierten zum Beispiel die Hauptautobahn zwischen Tel Aviv und Jerusalem. »Israel ist keine Diktatur, Israel ist nicht Ungarn«, skandierten sie. Viele von ihnen schwenkten Fahnen in den israelischen Landesfarben Blau-Weiß. Die Organisatoren des Protestes hatten zu einem »Tag der Störung« aufgerufen.

Netanyahus Gegner werfen ihm und seiner Koalition vor, mit der Reform die Judikative schwächen zu wollen und die Demokratie zu untergraben. Seit Wochen kommt es deshalb in Israel zu Massenprotesten. Die Regierung will mit der Reform unter anderem ihren Einfluss bei der Auswahl von Richtern stärken und die Befugnisse des Obersten Gerichtshofs einschränken, Gesetze zu kippen. Sie begründet dies mit dem Vorwurf, der Gerichtshof werde von linksgerichteten Richtern dominiert, die sich aus politischen Gründen in Bereiche einmischten, die nicht in ihre Zuständigkeit fielen.

Netanyahu und seine Minister sprechen abfällig über die Proteste, zuletzt warf der Premierminister den Demonstrierenden vor, »auf der Demokratie herumzutrampeln«. Sowohl ein ehemaliger Mossad-Chef als auch ein früherer Direktor des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet hätten mittlerweile Bedenken gegenüber dem geplanten Justizumbau geäußert, so sagt meine Kollegin Muriel Kalisch. »Außerdem wird der Umbau von nationalen wie internationalen Rechtsexperten, Professoren und Politiker, kritisiert. Ihnen allen linken Aktivismus vorzuwerfen, wird für die Regierung zunehmend schwierig.«

In der Knesset scheine es nun erste, zaghafte Schritte in Richtung eines Kompromisses zu geben, so Muriel. Simcha Rothman, Mitglied der ultrarechten Partei »Religiöser Zionismus«, gilt als Architekt der Reformen und hat einen Kompromissvorschlag angedeutet, der an das britische Justizsystem angelehnt ist. »Zwar wehrt sich auch hier die Opposition, jedoch fand überhaupt ein Austausch statt«, so meine Kollegin. »Kampflos aufgeben will jedenfalls derzeit in Israel niemand.«

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Das Schauermärchen vom Kaputtsparen: Ob im Gesundheitswesen, Bildungssystem oder in der Verwaltung: Wer kein Konzept hat, kann immer noch über Geldmangel jammern .

  • Vom Volksstromer zum Luxusmobil: Volkswagens Elektromodell ID.3 hat die Erwartungen bisher enttäuscht: Dem Anspruch, ein neuer Golf zu werden, ist der Wagen kaum gerecht geworden. Nun bessert Wolfsburg nach. Reicht das für die Wende? 

  • Braucht man Drogen, um sich aus einem psychischen Tief zu befreien, Herr Kast? Bestsellerautor Bas Kast stellt in seinem »Kompass für die Seele« zehn Wege für mehr Wohlbefinden vor. Bewegung und gesundes Essen zählen dazu, doch als »Gamechanger« bezeichnet er halluzinogene Pilze. Wie bitte?! 

Was heute weniger wichtig ist

Fuchsteufelswilder Fußballtrainer: José Mourinho, 60, in aller Welt bewunderter portugiesischer Fußballcoach, hat sich an seinem aktuellen Arbeitsplatz in Italien in Rage geredet. Bei der Niederlage seiner Mannschaft AS Rom gegen Schlusslicht Cremonese am 24. Spieltag der italienischen Serie A sah Mourinho die Rote Karte des Schiedsrichters – und beschwerte sich hinterher bitterlich, weil er vom sogenannten vierten Offiziellen provoziert worden sei. »Die Reaktion, die ich hatte, kommt daher, dass etwas passiert ist«, sagte der Trainer. »Ich bin nicht verrückt.«

Mini-Hohlspiegel

»Hunde, die Herrchen oder Frauchen im Wald frei laufen lassen, sind potenzielle Überträger.«
Die »Neu-Ulmer Zeitung« über den Fuchsbandwurm

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Illustration: Klaus Stuttmann

Und heute Abend?

Könnten Sie sich die Serie »Shrinking« ansehen. Sie läuft auf AppleTV+ und zeigt Harrison Ford in seiner ersten regulären Serienrolle, als Darsteller eines Psychiaters.

Ford spielt in der Serie einen weisen, älteren Seelendoktor, der in einer Praxisgemeinschaft einem schwer durchgeknallten jüngeren Kollegen beistehen muss. Der Kollege heißt Jimmy, hat seine Frau durch Krankheit verloren und vermag seinen Psychiaterberuf nur noch auf sehr verdrehte Weise auszuüben, weil er – das älteste aller Psychiaterklischees – eigentlich selbst auf die Couch gehört.

Der Schauspieler Jason Segel, den viele aus »How I Met Your Mother« kennen, erweist sich hier als wunderbar komischer Trauerkloß. Die Serie macht sich einen Spaß aus der Veralberung vieler psychotherapeutischer Methoden und Prozesse und nimmt die Probleme der Patientinnen und Patienten doch einigermaßen ernst. Ich finde besonders Segels Auftritte an der Seite der Schauspielerin Jessica Williams superlustig.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Höbel, Autor im Kulturressort

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