Wolfgang Höbel

Die Lage am Abend Wenn Schweizer Banker den Notrufknopf drücken

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:

  1. Großbank Credit Suisse in Nöten – was bringt die Milliardenhilfe der Schweizer Nationalbank?

  2. Polnische Kampfjets für die Ukraine – liefern bald auch andere Nato-Staaten Flugzeuge?

  3. Chaos beim Boulevardblatt – warum wirft Springer gleich drei »Bild«-Chefs raus?

1. Die Credit Suisse leiht sich bis zu 50 Milliarden Franken von der Schweizer Nationalbank – und könnte doch weiter unter Druck geraten

Ich weiß nicht, auf welche Börsengurus und deren Weisheiten Sie schwören, für mich hat der von mir sehr verehrte Kabarettist Dieter Hildebrandt die tiefsinnigsten Finanzregeln formuliert. »Wenn Leute nicht mit Geld umgehen können, hängt das oft damit zusammen, dass sie gar keines haben«, hat er zum Beispiel einmal gesagt. Das scheint mir sehr, sehr hübsch zum Drama um die renommierte Bank Credit Suisse zu passen, das heute viele Menschen beschäftigt hat. In der Nacht auf heute hat das Geldinstitut angekündigt, es wolle bei der Schweizer Nationalbank Kredite über bis zu 50 Milliarden Franken aufnehmen. Der Schritt hat die Märkte zumindest vorübergehend beruhigt.

Mein Kollege Michael Brächer hat heute analysiert, was das Drama um die Credit Suisse für die Finanzwelt bedeutet .

Die Credit Suisse verwaltet Milliardenvermögen aus der ganzen Welt und ist zugleich eine ganz reguläre Bank in der Schweiz. Nach dem Kollaps der amerikanischen Silicon Valley Bank und den Turbulenzen am Finanzmarkt war die Credit Suisse in den vergangenen Tagen unter Druck geraten, der Aktienkurs fiel auf ein Rekordtief. »Verunsicherte Kunden dürften angesichts der Schlagzeilen ihre Ersparnisse bei der Bank abgezogen haben, was den Druck zusätzlich erhöht«, schreibt Michael. »Obendrein erklärte am Mittwoch dann ein Großaktionär aus Saudi-Arabien, dass er der Bank kein weiteres Geld zuschießen will – was den Aktienkurs noch weiter abrauschen ließ.«

Die Credit Suisse gilt mit einer Bilanzsumme von 531 Milliarden Franken als eine von 30 global systemrelevanten Banken. Angesichts ihrer Größe und ihrer internationalen Verquickungen fürchten Experten, dass ihr Kollaps das gesamte Finanzsystem ins Wanken bringen könnte. Zwar reagierten die Märkte auf die Hilfen für die Credit Suisse zunächst mit massiver Erleichterung, aber die Probleme der Bank seien damit wohl kaum gelöst. Anleger hatten schon vor den jüngsten Turbulenzen in großem Stil ihre Ersparnisse bei der Schweizer Bank abgezogen. Zudem zweifeln Fachleute an der Strategie der Bank, die weiter auf Investmentbanking setzt.

Anzeichen dafür, dass im Zuge der jüngsten Turbulenzen auch eine deutsche Bank in Schieflage geraten könnte, gibt es derzeit nicht.

War die Not der Credit Suisse abzusehen? Dass nach der amerikanischen Silicon Valley Bank nun gerade dieses Institut in Bedrängnis geriet, sei kein Zufall, sagt mein Kollege Michael. »Für die Schweizer Bank rächt sich eine jahrelange Serie aus Skandalen und Managementfehlern. Sie machten die Bank angreifbar. Die nächtliche Rettungsaktion zeigt aber auch, dass es Politikern und Finanzwächtern immer noch nicht gelungen ist, den Finanzsektor zu zähmen – im Zweifel sind Banken wie die Credit Suisse zu groß, um sie ihrem Schicksal zu überlassen.«

2. Polen will als erster Nato-Staat Kampfjets an die Ukraine liefern – ob weitere osteuropäische Länder nachziehen, ist ungewiss

Im Kampf gegen Russland wünscht sich die Ukraine seit Langem auch Kampfjets von ihren Unterstützern. Nun stehen Lieferungen des ersten Nato-Landes offenbar unmittelbar bevor. Heute hat Polens Präsident Andrzej Duda bei einer Pressekonferenz mit seinem tschechischen Amtskollegen Petr Pavel angekündigt, dass Polen der Ukraine insgesamt ein Dutzend Kampfflugzeuge des Typs MiG-29 zur Verfügung stellen will. Bereits in den kommenden Tagen sollen die ersten vier Flugzeuge übergeben werden.

Was bedeutet das für die militärische Unterstützung der Ukraine durch den Westen insgesamt? Lange ist die ukrainische Forderung nach Kampfjet-Lieferungen auf breite Ablehnung gestoßen. US-Präsident Joe Biden zum Beispiel hatte Ende Januar eine Lieferung von Kampfjets vom Typ F-16 an die Ukraine abgelehnt.

Nun hat ein polnischer Regierungssprecher behauptet, weitere Länder hätten Lieferungen von MiG-Kampfjets an Kiew zugesagt. Allerdings ließ er offen, um welche Staaten es sich dabei handeln soll.

»Mit der Entscheidung könnte Polen die Tür aufstoßen, dass die Ukraine zeitnah auch aus anderen osteuropäischen Staaten ältere Kampfjets aus russischer Produktion erhält«, sagt mein Kollege Matthias Gebauer. »Ganz ähnlich begann ja auch der Weg hin zur Lieferung von Kampfpanzern. Fraglich ist nun, ob Warschau für die Jets, die Deutschland Polen in den Neunzigern aus DDR-Beständen verkaufte, eine Exportgenehmigung in Berlin beantragt.« Bisher liegt ein solcher Antrag nach Informationen der SPIEGEL-Kolleginnen und -Kollegen nicht vor.

»Bei den Leopard-Panzern hatte Polen Berlin mit der Exportanfrage massiv unter Druck gesetzt«, sagt mein Kollege Matthias. »Kann sein, dass das wieder so läuft.«

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • US-Militär veröffentlicht Video von Vorfall über dem Schwarzen Meer: Trägt Moskau die Schuld am Absturz einer US-Drohne über dem Schwarzen Meer? Washington hat nun ein Video veröffentlicht, das die Näherung eines Kampfjets an das Gerät zeigen soll. Dabei kam es offenbar zum Defekt.

  • Russischer Soldat gesteht Kriegsverbrechen – und wird für Geständnis bestraft: Er gab an, bei Kiew einen Zivilisten erschossen zu haben. Nun ist ein russischer Soldat in seinem Heimatland verurteilt worden. Allerdings nicht für sein Verbrechen – sondern für seine Beichte.

  • Russische Offensive in Wuhledar verliert angeblich an Tempo: Präsident Selenskyj hat Wuhledar kürzlich als einen Schlüsselabschnitt im Kampf um die Ostukraine bezeichnet. Nun vermuten britische Experten: Die Angriffe der Kremltruppen sind bislang gescheitert – und die Verluste hoch.

3. Der Axel-Springer-Verlag löst drei »Bild«-Chefs ab – über die Gründe spekuliert heute die ganze Branche

»Es wäre verfehlt, zu einem ihrer Redakteure freundlich oder auch nur höflich zu sein«, hat der auf Benimmfragen besonders großen Wert legende, von mir sehr gern gelesene Schriftsteller Max Goldt über die Zeitung »Bild« geschrieben. Er hat das Boulevardblatt, das von vielen Menschen und auch von den meisten meiner Kolleginnen und Kollegen gelesen wird, ein »Organ der Niedertracht« genannt. Die Tageszeitung ist wegen der Art ihrer Berichterstattung und wegen der Vehemenz ihrer politischen Kampagnen umstritten. Heute wurde bekannt, dass der Axel-Springer-Verlag sämtliche derzeit amtierende Chefs des Blatts rauswirft.

Die drei Führungskräfte der aktuellen »Bild«-Chefredaktion, sie heißen Johannes Boie, Alexandra Würzbach und Claus Strunz, verlassen ihre Posten mit sofortiger Wirkung.

Man wolle die Strukturen bei »Bild« »radikal verändern und weiterentwickeln«, schreibt eine Führungskraft des Hauses in einer verlagsinternen E-Mail. Gewünscht seien »Klarheit und Verlässlichkeit in der Führung und Verantwortung.« Künftig soll die »Bild«-Chefredaktion nur noch aus zwei Personen bestehen: Der frühere »Focus«-Chef Robert Schneider wird am 17. April als Chefredakteur der »Bild« antreten. Er soll an Marion Horn »berichten«, wie das im zeitgenössischen Geschäftsdeutsch heißt; sie kehrt damit zurück zu Springer und zur »Bild«, wo sie bereits eine lange Karriere hinter sich gebracht hat und nun zur Vorsitzenden der Chefredaktion berufen wird.

Der nun geschasste Boie war erst im Oktober 2021 zum Chefredakteur des Boulevardblatts aufgestiegen. Sein Vorgänger Julian Reichelt musste gehen, nachdem Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegenüber »Bild«-Mitarbeiterinnen öffentlich wurden. Reichelt hatte ein Fehlverhalten immer bestritten.

Was bedeutet der heutige Dreier-Rausschmiss? Über die Gründe spekuliere heute die ganze Branche, sagt mein Kollege Anton Rainer. »Er zeigt, dass das Blatt auch eineinhalb Jahre nach Reichelts Rauswurf nicht zur Ruhe kommt«, so Anton. »Zuerst wurde Boie eingesetzt, dann wurde die Personalie Schneider angekündigt, gleichzeitig gab es Gerüchte um die Absetzung von Strunz und Würzbach, die am Ende doch bleiben durften – und jetzt wirbelt man wieder alles durch.« In der Redaktion der »Bild« sei man jedenfalls »verblüfft über so viel Chaos an der Spitze«.

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Macron will Rentenreform ohne Abstimmung verabschieden: Die französische Opposition kritisiert sein Vorgehen als »brutal«: Emmanuel Macron will seine umstrittene Rentenreform ohne Parlamentsabstimmung durchsetzen. Der Präsident nutzt dafür einen speziellen Verfassungsartikel.

  • Antje Vollmer ist tot: Für die Grünen saß sie im Bundestag, war viele Jahre Vizepräsidentin des Parlamentes: Nun ist Antje Vollmer gestorben. Die Theologin wurde 79 Jahre alt.

  • Falscher Zeitpunkt bei Einkäufen kostet Bürger bis zu 5000 Euro im Jahr: Eine Untersuchung zeigt: Die ständig wechselnden Preise vieler Produkte kosten Haushalte in Deutschland viel Geld. Und: Größere Anschaffungen sind in einem Monat besonders günstig.

  • Gutachten hält Schufa-Scoring für rechtswidrig: Die Schufa stellt die Kreditwürdigkeit von Bürgern als übersichtlichen Punktewert dar. Der EuGH-Generalanwalt hält diese Praxis aber für rechtswidrig – und äußerte weitere Bedenken.

  • Inhaftierte Richterin aus »Reichsbürger«-Szene des Dienstes enthoben: Die Ex-AfD-Abgeordnete Birgit Malsack-Winkemann wurde im Dezember bei einer Großrazzia im »Reichsbürger«-Milieu verhaftet. Jetzt hat ein Gericht entschieden, dass sie vorerst nicht weiter als Richterin arbeiten darf.

Meine Lieblingsgeschichte heute: Würden Sie ein Stockbett im Flugzeug buchen?

Klar, mit dem Flugzeug in die Welt zu reisen ist heutzutage aus vielen Gründen keine leichte Entscheidung. Zu hoffen ist zum Beispiel, dass sich Langstreckenflüge in naher Zukunft mit halbwegs umweltschonenden Antrieben absolvieren lassen. Und wie sieht die hoffentlich glänzende Zukunft im Inneren der Maschinen aus? Meine Kollegin Julia Stanek stellt in ihrer sehr vergnüglichen Geschichte Ideen von der Shortlist der Crystal Cabin Awards 2023 vor. Die Jury des Wettbewerbs für innovativen Flugzeugausbau zeichnet Designs und Konzepte aus, die das Fliegen komfortabler, moderner und auch barrierefreier machen könnten.

Das sogenannte Skynest, entwickelt von Air New Zealand, könnte den Wunsch vieler Reisender nach etwas mehr Schlafkomfort Wirklichkeit werden lassen. Das Nest besteht aus Stockbetten in der Holzklasse, die für gewisse Slots – zum Beispiel von vier Stunden – buchbar sein sollen. Air New Zealand arbeitet wohl bereits daran, das Skynest in ihren neuen Boeing 787-9 Dreamlinern einzuführen.
Bei einer anderen Fluglinie ist zum Beispiel eine Sitzheizung in Planung. »Besitzen Sie ein Auto mit Hinternheizung?«, fragt Julia. »Dann kennen Sie eventuell schon das Gefühl, das Fluggäste auf diesem Sitz erwartet. Darauf soll es möglich sein, die Wärme ganz nach individuellen Bedürfnissen einzustellen. Vielleicht gibt es dazu bei Bedarf auch einen Glüh-Champagner.«

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • »Tempolimit bringt mehr, als alle Staus aufzulösen«: Auf einen Schlag acht Millionen Tonnen CO₂ sparen? Mit einem Tempolimit ginge das, sagt Markus Friedrich. Der Verkehrsprofessor erklärt, wie er auf die Zahl kommt und was an einer alternativen Berechnung der FDP dran ist .

  • Der Fußball-Herrscher und seine Skandale: Die Liste seiner juristischen Verwicklungen ist lang, trotzdem wird Fifa-Präsident Gianni Infantino sicher in seinem Amt bestätigt. Auf dem Kongress des Weltverbands lässt er sich auch durch neue Vorwürfe nicht stoppen .

  • Rechnungshof rügt Coronazulagen für Soldaten: Während der Covid-Krise leisteten Tausende Soldatinnen und Soldaten Amtshilfe und erhielten dafür finanzielle Zuschläge. Nun drohen vielen Helfern erhebliche Rückzahlungen .

  • Jetzt soll Wokeness schuld am Bankenkollaps sein: Die US-Republikaner wollen die Ursache für den Zusammenbruch der Silicon Valley Bank entdeckt haben: Das Finanzhaus sei zu woke gewesen. Linke Demokraten sehen die Schuld dagegen bei Donald Trump .

  • Bundesminister scheuen Transparenz in eigener Sache: Die Mitglieder der Bundesregierung wollen private Vermögensverhältnisse und etwaige Interessenkonflikte nicht offenlegen – das monieren die Korruptionswächter des Europarats in einem Bericht. Und es gibt weitere Punkte .

Was heute weniger wichtig ist

Bye-bye, Big City Fußball: Lars Windhorst, 46-jähriger Investor und Sportfreund, hat seine Mitgliedschaft bei Hertha BSC beendet. Er sei am vergangenen Samstag als Mitglied aus dem Verein ausgetreten, so ein Sprecher. Windhorst war 2019 bei dem Klub eingestiegen und hatte insgesamt 374 Millionen Euro bei Hertha investiert. Sportlich war das von diversen Affären überschattete Engagement in Berlin keine Erfolgsgeschichte. Hertha-Präsident Kay Bernstein hat nun angekündigt, man werde den wohl von Windhorst geprägten Begriff des »Big City Clubs« beerdigen und den »Größenwahn der vergangenen Jahre beenden«.

Mini-Hohlspiegel

Aus dem »Westfalen-Blatt«

Aus dem »Westfalen-Blatt«

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.

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Illustration: Thomas Plaßmann

Und heute Abend?

Könnten Sie sich auf Arte  die Serie des italienischen Regisseurs Marco Bellocchio über den Fall Aldo Moro ansehen. Sie heißt »Und draußen die Nacht« und schildert, wie die Terroristen der sogenannten Brigate Rosse im Jahr 1978 den ehemaligen Ministerpräsidenten und Christdemokraten Moro entführten und – nach langen erfolglosen Verhandlungen mit der italienischen Regierung – schließlich umbrachten.

»Bel­locchio nutzt das serielle Format, um neue erzählerische Ebenen zu erschließen«, lobt meine Kollegin Hannah Pilarczyk . »Die Verdichtung dient ganz der Psychologie der Figuren.« Besonders gelinge das im Fall von Innenminister Cossiga (dargestellt von Fausto Russo Alesi), der mit aller Macht um die Freilassung Moros kämpft. »Ein menschlicheres Wrack als ihn hat man im Serienfernsehen selten gesehen.«


Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Höbel, Autor im Kulturressort

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