Oliver Trenkamp

Die Lage am Abend Die Hitparade der Volkspolitik

Oliver Trenkamp
Von Oliver Trenkamp, Blattmacher in der Chefredaktion

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:

  1. 2000er-Hits - Was haben Friedrich Merz und "Teenage Dirtbag" gemein?

  2. Lieder of the Free World - Was bezweckt Trump mit seiner Briefwahl-Playlist?

  3. Mute in der Endlager-Debatte - Warum schaltet Söder plötzlich auf stumm?

1. Listen to Iron Maiden, maybe

Entschuldigen Sie, gleich wird Sie ein Ohrwurm quälen: "Yeah, I'm just a teenage dirtbag, baby."  Dem Song konnte kaum jemand entgehen, der sich zu Beginn des Jahrtausends einem Autoradio oder einer Provinzdiskothek näherte. Selbst auf einigen frühen iPods war der Track zu finden, wie ich aus eigener Anhörung berichten kann. Mich quält der Ohrwurm wieder, seit ich einen "Rolling Stone"-Bericht  las: Demnach verbringt Sänger und Komponist Brendan Brown einen Großteil seiner Zeit damit, den Song neu einzuspielen, alle Instrumente, alle Stimmen, alle Geräusche, alles. Er ist als Einziger übrig geblieben von der Originalbesetzung der Band Wheatus, "Teenage Dirtbag" war ihr einziger Hit. Leider weiß niemand, wo die Master-Bänder (für Kenner: eingespielt im ADAT -Format) geblieben sind. Brown sagt, die Plattenfirma Sony habe sie verschlampt. "Für einen Musiker, dessen Einkommen zum großen Teil von einem bestimmten Song abhängt, ist das ein Problem", heißt es in dem Artikel.

Einen Hit aus dem Jahr 2000 wieder einspielen und dabei nicht immer den richtigen Ton treffen? Damit sind wir bei Friedrich Merz, einem von drei Anwärtern auf den CDU-Vorsitz. Laut einer aktuellen SPIEGEL-Umfrage liegt er sogar vorn, doch sein Vorsprung schmilzt. (Allerdings entscheiden nicht Umfrageteilnehmer, sondern die Delegierten beim CDU-Parteitag im Winter - wie das ablaufen könnte, lesen Sie hier.)

Unser Kolumnist Nikolaus Blome kommentiert die jüngsten Aussagen des Kandidaten, der Homosexualität und Kindesmissbrauch in einen ziemlich direkten Zusammenhang brachte: "Merz bei Liveinterviews unter Druck kommen zu sehen, das ist, wie bei einem Autounfall zuzuschauen. Man hält den Atem an, die Schultern spannen. Dann geht es entweder gerade noch gut. Oder es scheppert." Merz fehle es, so Blome, an einer "konservativen Urtugend": der Fähigkeit, sein Unbehagen an einem Stück Fortschritt zu artikulieren, ohne die Fortschrittlichen zu verletzen.

Heute traf Merz in der CDU-Zentrale auf seine Kontrahenten Laschet und Röttgen. Noch-Parteichefin Kramp-Karrenbauer appellierte an die Fairness der drei, um einen "ruinösen Wettbewerb" zu verhindern. Ob es hilft? Mein Kollege Florian Gathmann sagt: "Ich habe meine Zweifel, ob es etwas bringt, den dreien ins Gewissen zu reden; normalerweise glauben sie, alles besser zu wissen." Zumindest auf die Wahl der Waffen konnte man sich einigen: auf mehrere Videodiskussionen, die live übertragen werden sollen. Vielleicht gelingt es Merz dort, einen Auffahrunfall zu vermeiden. Die Sache mit dem Mofa ist schließlich auch längst vergessen. Na ja, fast.

2. Lieder of the Free World

Einen Song immer und immer wieder spielen und ihn so zum Hit machen - ein bewährtes Verfahren bei vielen Radiostationen und Musiksendern. Schafft es ein Lied in die "Heavy Hot Rotation", schallt es bei den Hörern bis zu dreißig Mal pro Woche aus den Lautsprechern. Irgendwann kennt es jeder.

Für die Frequenz, mit der Donald Trump die Integrität der US-Wahlen in Zweifel zieht, wäre "Heavy Hot Rotation" eine Untertreibung. Egal, ob Details zu seinen Geschäftspraktiken und Steuertricks öffentlich werden - der US-Präsident spielt seine Wahlkampf-Gassenhauer einfach immer weiter. Seine Playlist sieht ungefähr so aus: 

  • Die Wahl wird der größte politische Schwindel der Geschichte.

  • Umfassende Briefwahlen wären eine Katastrophe.

  • Briefwahlen führen zu Betrug.

  • Eine Schande für unser Land.

  • Wir brauchen am Wahlabend ein Ergebnis.

Trump spuckt solche und ähnliche Tweets und Zitate aus, als hielte jemand bei ihm "Shuffle" und "Repeat" gedrückt. Warum er das tut, erklärt mein Kollege Ralf Neukirch: "Der Präsident hat die Hoffnung aufgegeben, auf regulärem Weg an der Macht zu bleiben", berichtet er. "Die Umfragen sehen seinen demokratischen Widersacher Joe Biden seit Wochen stabil vorne, auch in wichtigen Swing States." (Mehr zu Bidens Chancen lesen Sie hier .) Also versucht Trump, die Wahl zu delegitimieren. Er will unbedingt an der Macht bleiben. Die Chancen, dass ihm das mit seiner Chaos-Strategie gelingt, stehen gar nicht so schlecht.

3. Mute zur Lücke

Für das Gegenteil der "Heavy Hot Rotation" entschied sich heute Morgen der bayerische Ministerpräsident: Markus Söder schaltete vorübergehend auf stumm und sagte ein verabredetes Morgen-Interview mit dem Deutschlandfunk kurzerhand ab.

"So kennt man ihn gar nicht", kommentiert mein Kollege Stefan Kuzmany. "Gemeinhin hat der CSU-Chef schnell das erste Wort, gern auch das letzte, und zwischendrin auch noch so einige." Aber in der Debatte über Atommüll-Endlager (mehr dazu hier) hat Söder nun mal nichts zu gewinnen: Als Ministerpräsident muss er Atommüll von Bayern fernhalten, will er keinen Ärger. Als bayerischer Interessenvertreter kann er aber nicht Kanzlerkandidat werden.

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

Mein Lieblingssong heute: "Someone like you" von Adele

Heute ist der letzte Tag von bento, unserem jungen Magazin. Ab morgen werden Website und App nicht mehr aktualisiert. Junge Leserinnen und Leser finden dann bei uns SPIEGEL Start, das neue Angebot für alle Fragen rund um Ausbildung, Studium und Berufseinstieg. Ein Abschied, ein Neubeginn.

Die bento-Chefinnen, meine Kolleginnen Viktoria Bolmer und Julia Rieke, verabschieden sich bei ihren Leserinnen und Lesern so:

"Wir hatten eine fantastische Zeit mit euch - und ihr hoffentlich mit uns. Dank euch sind wir auf viele Themen überhaupt erst aufmerksam geworden und durften mit der wachsenden bento-Community viele spannende Protagonistinnen und Protagonisten kennenlernen. Ohne euch wäre bento nicht bento gewesen." (Den ganzen Text finden Sie hier.)

Als Kollege denke ich heute ans ganze bento-Team: Ja, wir hatten eine fantastische Zeit mit euch. Danke! Auf euch!

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

Was heute nicht so wichtig ist

Zur Sicherheit: Dies ist nicht das Nacktfoto

Zur Sicherheit: Dies ist nicht das Nacktfoto

Foto: Jon Kopaloff/ AFP
  • Akt der Freude: Schauspielerin Gwyneth Paltrow, 48, hat zu ihrem Geburtstag ein Nacktfoto von sich bei Instagram veröffentlicht. Ob sie damit ihren Fans ein Geschenk machen wollte? Die Erwähnung ihrer eigenen Kosmetiklinie im Text zum Bild und die Anpreisung einer "Body Butter" lassen eher auf andere Gründe für die Haut-Couture-Show schließen. Sie selbst tat kund: "Trage heute nichts als meinen Geburtstagsanzug." Ihre Tochter antwortete, empört oder bewundernd, das ließ sich nicht herausfinden, in Großbuchstaben: "MOM!"

Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: "Konflikt mir Aserbaidschan: Armenien wirft Türkei Entsendung von 4000 Kämpfern aus Syrien vor"

Cartoon des Tages: Versucht's doch!

Foto: plassmann / Thomas Plaßmann

Und heute Abend?

Sie könnten eine investigative Dokumentation über das Selbstbewusstsein junger Rechtsradikaler gucken, sie läuft heute Abend um 20.15 Uhr auf ProSieben. Besonders verstörend, wenn auch vielleicht nicht überraschend, sind einige Zitate eines AfD-Funktionärs. Der sagt in dem Film über Migranten:

"Wir können die nachher immer noch alle erschießen. Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal!"

Gefilmt wurde verdeckt, jetzt hat die "Zeit" berichtet, um welchen AfD-Mann es sich handelte: Christian Lüth, der frühere Sprecher der Bundestagsfraktion. (Mehr dazu lesen Sie hier.)

In diesem Sinne: Schauen Sie sich öffentlich Rechte im Privatfernsehen an.

Ihnen einen schönen Abend, bis morgen. Herzlich

Ihr Oliver Trenkamp

Hier können Sie die "Lage am Abend" per Mail bestellen.

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