
Die Lage am Abend Ringer on Fire

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Warum ist der Durchbruch kein Durchbruch?
Wie kam es zum Zugunglück in Tschechien?
Wer ist der Mann, für den es in der Redaktion Champagner gab?
1. Warum ist der Durchbruch kein Durchbruch?
Das Wort Durchbruch ist außerhalb der Medizin in der Regel positiv konnotiert: Durchbruch bei Tarifverhandlungen, Durchbruch bei Tunnelarbeiten, Durchbruch bei Koalitionsgesprächen. Man hat etwas zustande gebracht. Wenn man neuerdings von Durchbrüchen hört, schaudert es jedoch viele Menschen. Denn in letzter Zeit ist überall von Impfdurchbrüchen die Rede. Damit ist leider nicht gemeint, dass die Impfkampagne gegen die Coronapandemie endlich so viel Fahrt aufgenommen hat, dass wir kurz vor einer Herdenimmunität stehen. Eher im Gegenteil: Die Kurve der einmal Geimpften flacht zusehends ab, die Zahl der vollständig Geimpften steigt nur sehr langsam. Und nun hören wir immer wieder von Fällen, bei denen trotz einer doppelten Impfung eine Corona-Erkrankung ausgebrochen ist: der Impfdurchbruch. Nicht wir, sondern das Virus hat also was zustande gebracht – nämlich die Antikörper überlistet. Das hört sich dramatisch an – und für Betroffene, die sich eigentlich in Sicherheit wiegten, ist es das auch. Dennoch besteht kein Anlass zu resignieren. Denn Impfdurchbrüche sind eigentlich erwartbar.

Senioritätsprinzip: Die Impfwirkung lässt nach
Foto: Felix Kästle / dpaKeinem der zugelassenen Coronaimpfstoffe wurde eine hundertprozentige Wirksamkeit bescheinigt. Wenn also ein Impfstoff eine Wirksamkeit von 95 Prozent hat, bleibt ein Restrisiko für Geimpfte, doch an Corona zu erkranken. Insgesamt ist die Gesamtanzahl der Betroffenen sehr gering. Von rund 44 Millionen doppelt Geimpften infizierten sich laut Robert Koch-Institut bislang rund 7200 von ihnen trotz Impfschutz mit Corona. Diese Zahl wird weiter steigen, ja, aber nur in Relation zu den vollständig Geimpften. Meine Kollegin Katherine Rydlink hat darüber auch mit dem Impfstoffforscher Leif Erik Sander von der Charité gesprochen. Seine These: Impfdurchbrüche kommen den RKI-Zahlen zufolge häufiger bei Senioren vor. Sanders These dazu: Ältere haben eine schwächere Immunantwort auf die Impfstoffe – und sie gehörten zu den Ersten, die geimpft wurden, nun lässt der Impfschutz womöglich langsam nach.
Auch an anderer Stelle wurde eher Entwarnung signalisiert. Vor einigen Tagen hatte ein japanisches Team ein sogenanntes Preprint über die Coronavariante Lambda veröffentlicht. Sie bescheinigten dieser Variante eine höhere Infektiosität und legten nahe, dass bei ihr Impfstoffe womöglich gar nicht helfen. Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, gibt sich jedoch gelassen. Die Daten zeigten, dass Lambda in Laborversuchen etwas ansteckender sei als das ursprüngliche Virus, aber nicht ansteckender als die Delta-Variante. Lambda könnte demnach auch dem Immunschutz »etwas entkommen, aber nicht so stark wie Delta«. Weil Lambda weniger ansteckend ist als Delta, hat es sich bislang auch nicht in Deutschland ausgebreitet, es geht also bislang keine wirkliche Gefahr von dieser Variante aus.
Lesen Sie hier Katherine Rydlinks beiden jüngsten Texte zu Impfdurchbrüchen:
2. Wie kam es zum Zugunglück in Tschechien?
Als heute die Nachricht über den Zusammenstoß zweier Züge nahe der deutsch-tschechischen Grenze über die Agenturen kam, musste ich sofort an das schwere Zugunglück vor fünf Jahren in Bad Aibling in Oberbayern denken. Zwei Regionalzüge prallten damals frontal zusammen, zehn Menschen, unter ihnen die beiden Lokführer, kamen ums Leben. Damals war menschliches Versagen die Ursache, ein Fahrdienstleiter spielte mit seinem Handy und setze dadurch falsche Signale.
Auch im aktuellen Fall in Tschechien kamen beide Lokführer ums Leben, zehn Menschen sind mit schweren bis lebensgefährlichen Verletzungen in tschechische Krankenhäuser gebracht worden, auch diesmal war es nach ersten Erkenntnissen wohl ein menschlicher Fehler, der das Unglück verursachte. Einer der beiden Lokführer missachtete offenbar ein Haltesignal. Vielmehr ist bislang noch nicht bekannt. Die Ermittlungen dürften sich über Monate ziehen. Auf tschechischen Eisenbahnstrecken kommt es immer wieder zu Unfällen. Die Sicherungstechnik gilt vielerorts als veraltet. Erst vor einem Jahr waren im Erzgebirge nahe der deutschen Grenze zwei Züge frontal zusammengestoßen.
Die Regierung in Prag wollte daraufhin die Signaltechnik umfassend modernisieren. Doch erst 2025 soll das moderne europäische Zugsicherungssystem ETCS auf allen Hauptstrecken installiert sein. So wichtig das ist: Wenn Menschen wie im jüngsten Fall Fehler machen, wird auch das modernste Signalsystem Unfälle nicht verhindern können.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Eisenbahninspektion prüft, warum Lokführer nicht am Haltesignal stoppte
3. Wer ist der Mann, für den es in der Redaktion Champagner gab?
Man sagte mir mal, die Lagen am Morgen oder auch diese Lage am Abend dürften ruhig ab und an einen Blick durchs Schlüsselloch gewähren – also Ihnen, liebe Leserinnen und lieber Leser, zeigen, wie es bei uns so zugeht in der Redaktion. Das ist gegenwärtig schwierig, denn es gibt homeofficebedingt nicht das eine Schlüsselloch in den Konferenzraum, sondern vielleicht hundert oder mehr, durch die Sie aktuell luschern müssten. Das werden Sie gar nicht wollen. Ich plaudere daher jetzt mal frank und frei ein paar Interna aus der gestrigen Konferenz aus, abgehalten per Video – noch immer. Dienstags nämlich wird bei uns immer eine Flasche exquisiter Schaumwein vergeben. Für eine besonders gelungene Grafik, das Video der Woche, den herausragenden Text. Gestern gewannen den Champagner meine Kollegen aus dem Sportressort, Thilo Neumann und Sonja Och, zusammen mit dem Team aus dem Layout. Thilo für seinen famosen Text über den Ringer Frank Stäbler, Sonja für die dazugehörigen Fotos.
Das war gewissermaßen Fügung. Denn als der Champagner gestern Morgen von der Chefredaktion vergeben wurde, stand noch nicht fest, dass Stäbler bei den Olympischen Spielen in Tokio kurz darauf die Bronzemedaille gewinnen würde.
Thilos Text handelt genau davon: Wie Stäbler, der aus einem kleinen schwäbischen Dorf stammt (sehr sympathisch!), nach unzähligen Rückschlägen in seiner langen Karriere nun verbissen auf Olympia hinarbeitete, um noch einmal eine Medaille zu gewinnen.
Ich muss gestehen, mich hat der Olympiasieg der deutschen Weitspringerin Malaika Mihambo sportlich mehr fasziniert (wenn bislang von Ringen die Rede war, habe ich immer nur an die fünf des Olympiasymbols gedacht...), aber nachdem ich Thilos Geschichte gelesen hatte und dann Stäbler nach dem Gewinn seiner Bronzemedaille gesehen habe, war ich nicht minder berührt.
Lesen Sie hier mehr zu Frank Stäbler:
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Was heute sonst noch wichtig ist
Jede Minute ein neuer Lastwagen mit Müll: Die riesigen Mengen Abfall aus den verwüsteten Dörfern im Ahrtal bereiten zunehmend Probleme. Die Betriebe kommen mit dem Sortieren nicht hinterher.
Timanowskaja reist über Wien nach Polen: Nach kritischen Äußerungen gegen Sportfunktionäre sollte die belarussische Sprinterin Kristina Timanowskaja angeblich entführt werden. Nun erhält sie Asyl in Polen – und wechselte in letzter Minute den Flug.
Lost in Brandenburg: Annalena Baerbock hat beim Besuch in Brandenburgs Wäldern mit mangelnder Ortskenntnis geglänzt. Kleiner Trost: Politiker haben schon häufiger die Orientierung verloren. Eine Sammlung.
Der Deutsche Wald schwindet immer schneller: Die Menge an Schadholz in deutschen Wäldern steigt dramatisch. Insekten wie der Borkenkäfer profitieren von der Klimakrise – und zerstören ganze Waldflächen.
Louis van Gaal ist zurück – und wird zum dritten Mal Bondscoach: 2017 hatte er seine Trainerkarriere beendet, jetzt ist der General wieder da: Louis van Gaal wird mit 69 Jahren Trainer der Niederlande. Die Elftal hatte er 2014 ins WM-Halbfinale geführt.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Kochen ohne Kohle

Alles, was man für die US-amerikanische Brotzeit braucht
Foto:Sebastian Maas
Nicht nur heute, sondern jedes Mal, wenn mein Kollege Sebastian Maas seine Kolumne »Kochen ohne Kohle« veröffentlicht, zählt der Text zu meinen Lieblingsgeschichten an dem jeweiligen Tag. Sebastian ist Hobbykoch, vermag es launig zu erzählen, welche Bruchlandungen er schon in der Küche hingelegt hat und wie er dann das Beste daraus macht. In seiner heutigen Folge beschreibt er, wie man das uramerikanische Gericht »Grilled Cheese« zubereitet. Dazu eine Tomatensuppe. Wo andere livrierte Hobbyköche sich verkünsteln in Sprache und Empfehlungen, schreibt Sebastian: »Dazu passen am besten alberne Sitcoms oder Nickelodeon-Comics aus den Neunzigern.« Sie merken schon: Es ist ein Genuss, nicht nur seine Rezepte auszuprobieren, sondern auch die Texte zu lesen.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Schattenkrieg der ungeliebten Außenseiter: Der Konflikt mit Israel eskaliert, die Nukleargespräche in Wien stocken – zugleich tritt Irans neuer Präsident Ebrahim Raisi sein Amt an. Im Interview erklärt Nahostexperte Sina Azodi die Hintergründe.
So radikal neu sollen unsere Innenstädte aussehen: Das alte Konzept der City ist tot: Auch nach Corona werden sich Deutschlands Fußgängerzonen nicht mehr füllen. Investoren haben deshalb revolutionäre Pläne – für mehr Grün und mehr Eventkultur.
Für ihren Traum wird sie sich weiter schinden: Monatelang war sie im Trainingslager, weit weg von der Familie, doch Gesa Krause geht in Tokio leer aus. Allerdings mit dem typischen Krause-Biss. Aufgeben ist nicht ihre Art.
Der schwerste Moment der Geburt – und wie man ihn überwindet: Irgendwann kommt fast jede Frau während der Geburt an den Punkt, an dem sie erschöpft aufgeben will. Hier erklärt die Hebamme Agnes Maier, warum das oft ein guter Moment ist – und wie sie der Schwangeren dann hilft.
Was heute weniger wichtig ist
Radio Gaga: Es ist ein ungleiches Paar, musikalisch natürlich, nicht was Sie denken! Lady Gaga kommt wieder mit Tony Bennett zusammen. Sie: 35. Er: 95. Doch die 60 Jahre Altersunterschied sind vollkommen irrelevant, wenn man beide zusammen singen hört. Natürlich ist Lady Gaga vor allem jenen bekannt, die sie für ihre innovativen Popsongs wie »Poker Face«, »Just dance« oder »Paparazzi« sowie ihre exzentrischen Kostümierungen schätzen. Doch ihre wahre Berufung scheint der Jazzgesang zu sein. Schon 2014 veröffentlichte sie zusammen mit dem Croner-Altmeister Bennett das Swingalbum "Cheek to cheek", und wer das Duo einmal live erleben durfte, spürte das Vergnügen, das Lady Gaga beim Interpretieren von Jazzklassikern ganz offensichtlich hatte. Das Timbre in der Stimme, die vielen Oktaven, die sie mühelos bewältigte, der Schmelz (nicht Schmalz!), mit dem sie Klassiker wie »Lush life« sang. Jetzt haben beide ein neues Album mit Liedern aus dem Great American Songbook von Cole Porter angekündigt. Am 1. Oktober soll es erscheinen. Das ist schön, denn überfällig, und traurig zugleich, da Bennett an Alzheimer erkrankt ist. Es wird es wohl sein letztes sein.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Selbst aussuchen konnte er sich den Ort freilich nicht, denn darüber entschied die Zentralstelle für die Vergabestelle von Studienplätzen, kurz ZVS.
Cartoon des Tages: Prima Klima

Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Könnten Sie mal wieder in einen unserer zahlreichen Podcasts reinhören. Zum Beispiel in unseren jüngsten, den wir »Klimabericht« getauft haben und der sich mit dem Zustand des Planeten beschäftigt. In der aktuellen Folge geht es um die Flutkatastrophe und die Frage, ob sie einen Richtungswechsel in der Klimapolitik der Parteien einleiten wird. Kurt Stukenberg und Sebastian Spallek kommen zu dem Schluss, dass das Hochwasser im Westen Deutschlands schnell zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen wurde – mehr aber auch nicht. Kaum waren die ersten Trümmer begehbar, holten Politikerinnen und Politiker zwar ihre Funktionskleidung hervor und leisteten Anteilnahme. Durch Naturkatastrophen wurden schließlich schon so manchen Wahlen gewonnen. Es stellt sich jedoch die Frage: Wie wichtig ist den Politikerinnen und Politikern das Thema Klima wirklich? Zu Gast ist in dieser Folge Melanie Amann, die Leiterin des SPIEGEL-Hauptstadtbüros und Mitglied der Chefredaktion. Und Steffen Vogel von SPIEGEL TV, der bei der Flutkatastrophe vor Ort war. Hier können Sie den Podcast hören.
Einen schönen Abend, bis morgen. Herzlich
Ihr Janko Tietz
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