

Die Lage am Abend Die Pflege-Verunsicherung

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Corona – Impfpflicht fürs Pflegepersonal?
Trump – Was rät Scholz?
Brexit – Wie lange noch?
1. Wir Landjugendliche
Der Shutdown lässt uns alle nachfühlen, wie es für Jugendliche auf dem Land war, bevor irgendjemand im Freundeskreis einen Führerschein hatte – keine Partys, kein Kino, keine große weite Welt; dafür fernsehen, treffen am Rodelhügel und Flaschenbier bei Minusgraden im Wartehäuschen, an dem der leere Bus vorbeifährt. Sollte man doch einsteigen wollen, muss man in Bayern ab kommender Woche eine FFP2-Maske tragen, wie Markus Söder heute verkündete. Ein einfacher Stofffetzen, euphemistisch Community-Maske genannt, reicht dann nicht mehr.
Was das bringt, erklärt meine Kollegin Julia Merlot aus unserem Wissenschaftsressort: »Weil die Luft gefiltert wird, verhindern FFP2-Masken Infektionen deutlich besser als ein einfacher Mund-Nasen-Schutz.« Laut europäischer Norm müssen sie 94 Prozent der Aerosole filtern. »Allerdings bringt das Tragen nur etwas, wenn die Masken auch richtig sitzen – also fest über Mund und Nase, sodass vom Rand keine ungefilterte Luft einströmt«, sagt Julia.
Ein anderer Vorstoß Söders, ebenfalls von heute, hat hingegen massive Kritik in Parteien und Verbänden ausgelöst: Er schlug vor, der Ethikrat solle zum Schutz der Bewohner von Alten- und Pflegeheimen eine Impfpflicht für das Personal prüfen. Denn offenbar ist es so: Die Zahl der impfbereiten Bewohner eines Pflegeheimes verhält sich zur Zahl der impfbereiten Mitarbeiter in etwa so wie die Menge wissenschaftlicher Publikationen von Christian Drosten zu der von Alexander Kekulé.
»Doch all diese polemischen Vorhaltungen entbehren einer tragfähigen Grundlage, denn tatsächlich gibt es keine stichhaltigen Erkenntnisse über die Impfbereitschaft bei Pflegekräften«, kommentiert meine Kollegin Milena Hassenkamp. Die Debatte komme zwei Wochen nach Impfbeginn ohnehin zu früh. Sie findet: »Die Pandemie hat den Pflegenden vieles abverlangt. Es ist nicht in Ordnung, über sie zu bestimmen, als hätten sie die Entscheidungskompetenz über ihren Körper mit der Berufswahl abgegeben.« (Der ganze Kommentar hier.)
Unklar ist, ob die bisherigen Impfstoffe auch gegen Virusmutationen wirken, wie sie in Südafrika oder Großbritannien auftreten (und die mittlerweile beide auch in Deutschland nachgewiesen wurden). »Experten hoffen es«, sagt Julia, die auch über eine brasilianische Viruslinie berichtet: Coronaviren mit einer sogenannten E484K-Mutation waren dort für Mehrfachinfektionen verantwortlich – zwei Frauen hatten sich innerhalb weniger Monate mehrfach mit dem Coronavirus angesteckt. »Es muss sich aber noch zeigen, ob solche Reinfektionen im Zusammenhang mit den Mutanten tatsächlich häufiger vorkommen als mit anderen Viruslinien«, sagt Julia.
Ihre ganze Analyse lesen Sie hier: Was, wenn es zurückkommt?
2. Scholz vs. Trump
Oha, nach Arnold Schwarzenegger hat jetzt der deutsche Vizekanzler das Verhalten des US-Präsidenten kommentiert. Olaf Scholz sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Donald Trump sei verantwortlich für den Angriff auf das Kapitol. »Daran besteht kein Zweifel«, sagte Scholz. »Und er sollte die Verantwortung übernehmen. Darum sollte er gehen.«
Das Deutsche kennt leider keine Ironiezeichen, weder Strichelchen "", noch die sogenannten Guillemets »«, auch bekannt als umgekehrte französische Anführungszeichen, lassen sich so nutzen. Sonst würde hier stehen: »Oha, jetzt wird es aber eng für Trump.«
Im Ernst: Mehr als jede Scholzsche Rücktrittsforderung dürfte dem Nochpräsidenten zu schaffen machen, dass sich die Deutsche Bank von ihm distanziert. Wie die »New York Times« berichtet, will das größte deutsche Geldhaus keine neuen Geschäfte mit Trump und seinen Firmen mehr wagen. Noch stehen allerdings Kredite in einer Höhe von 340 Millionen Dollar aus, die in den nächsten Jahren fällig sind.
Wie viel Sicherheitsabstand die Republikaner zwischen sich und dem Mann im Weißen Haus bringen wollen und können, bleibt unklar. »Der Putschversuch der vergangenen Woche hat den destruktiven Kern der Trump-Präsidentschaft für alle Welt offensichtlich gemacht«, analysiert mein Kollege Ralf Neukirch. »Und er zwingt die Republikaner, ihre Beziehung zu einem Präsidenten zu klären, dem sie bis vor Kurzem noch zugejubelt haben.« Eine kaum lösbare Aufgabe.
Lesen Sie hier die ganze Analyse: Der schwierige Abschied von Donald Trump
3. Da fehlt doch was
Erst Corona, dann Trump, welches Thema fehlt? Richtig, der Brexit. Der sei noch lange nicht vorbei, sagt der ehemalige britische EU-Botschafter Ivan Rogers. Mein Kollege Jörg Schindler hat den Ex-Diplomaten interviewt, und Rogers äußert sich in dem Gespräch alles andere als diplomatisch: »Boris Johnson versteht nicht, welchen Schaden er sich selbst zugefügt hat.«
Er habe in den vergangenen Jahren mehrfach mit Rogers gesprochen, sagt Jörg, weil der sich immer wieder als weitsichtig erwiesen habe. »Als einer der Ersten hat er gewarnt vor der jetzigen Situation, in der Handelspartner keine Hemmnisse abbauen, sondern neue aufbauen.«
Das ganze Gespräch lesen Sie hier: »Das wird alles noch sehr holprig«
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Was heute sonst noch wichtig ist
Guttenberg soll Wirecard-Ausschuss belogen haben: Warb Karl-Theodor zu Guttenberg in seiner Rolle als Wirecard-Lobbyist in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« für ein Leerverkaufsverbot? Im Untersuchungsausschuss stritt er das ab, doch ein neues Dokument weckt große Zweifel.
Bevölkerung wächst erstmals seit 2011 nicht mehr: Seit der Wiedervereinigung ist die Zahl der Einwohner in Deutschland überwiegend gestiegen. Im vergangenen Jahr wurde dieser Trend nicht fortgesetzt. Grund dafür sei auch die Corona-Pandemie.
Knapp 83.000 Anträge auf Nothilfe gestellt: Die Überbrückungshilfe des Bildungsministeriums soll Studierenden helfen, die in eine finanzielle Notlage geraten sind. In der zweiten Runde der Hilfe gingen bereits fast 83.000 Anträge ein – nicht alle werden bewilligt.
Parler ist offline – die Inhalte bleiben: Ob offiziell gelöscht oder nicht: Aktivisten haben offenbar fast alle Beiträge aus dem bei US-Rechten beliebten Netzwerk Parler kopiert. Mit den Daten soll nun der Sturm aufs Kapitol aufgearbeitet werden.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Bytes gegen Blechkisten: Tesla, Google oder Apple sind mit ihrer Software den deutschen Autoherstellern enteilt. Sind Volkswagen, BMW und Daimler allein chancenlos?
»Für die einen geht es um Leben und Tod, für die anderen um einen Blechschaden«: Jana Kühl will, dass Fahrradfahrerinnen bei der Verkehrsplanung stärker berücksichtigt werden als heute. Damit macht sie sich nicht nur Freunde.
Letzter Wille: Gutes tun: Gemeinnützige Vereine bringen reiche Bürgerinnen und Bürger dazu, ihnen ihr Vermögen zu vermachen. Vielen Menschen kann so geholfen werden. Aber es gibt Widerstände.
Was heute weniger wichtig ist
Verzockt: Der Student Janos Pigerl aus Köln marschierte souverän durch beim »Zocker-Spezial« von »Wer wird Millionär« am Montagabend, ging aber dann doch mit nur 1000 Euro nach Hause. 13 von 15 Fragen beantwortete er richtig, scheiterte aber an der 750.000-Euro-Frage: »In welcher Sportart konnten deutsche Athleten bei Olympischen Spielen bisher am häufigsten Gold für ihr Land gewinnen?«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Ich habe keine Präsentation in Ann Harbour gehalten«
Cartoon des Tages: Spahn versucht es jetzt auf eigene Faust und an der EU vorbei...

Und heute Abend?
Könnten Sie zum Beispiel alte Folgen von »Sex and The City« schauen und im Glam der 2000er schwelgen. Sie erinnern sich an gestern, als wir meldeten: Die Serie über vier hippe und emanzipierte New Yorker Freundinnen soll jetzt neu aufgelegt werden, bis auf Kim Cattrall sind alle Schauspielerinnen wieder mit dabei.
Jetzt schildert meine Kollegin Elisa von Hof, warum sie die Serie in ihrer Teenagerzeit so liebte – und warum das Revival trotzdem alles anders machen sollte. (Hier geht's zum Text.)
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp
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