
Die Lage am Abend Krieg und Krisen

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Zwanzig Jahre später – was lehrt uns der Irakkrieg?
Ein paar Grad wärmer – wird der Klimawandel schlimm oder sehr schlimm?
Viele Millionen weniger – was bedeutet die Übernahme der Credit Suisse für deutsche Bankinstitute?
1. Tragisches Denken und Gedenken

Menschen in Helsinki sitzen am Wasser und genießen die Frühlingssonne
Foto:Markku Ulander / dpa
Heute ist nicht nur »Weltglückstag«. Ein Montag wie jeder andere, an dem in New York der »World Happiness Report« veröffentlicht wurde, der Deutschland auf Platz 16 gleich hinter den USA verortet. Heute jährt sich außerdem der Einmarsch amerikanischer Truppen in den Irak. Am 20. März 2003 begann der Sturz Saddam Husseins. Eine Invasion, die bis heute als »eine der größten Fehlleistungen amerikanischer Außenpolitik gilt«, wie mein SPIEGEL-Kollege Bernhard Zand schreibt .
Unter anderem deshalb, weil der Sieg gegen den irakischen Diktator sehr viele unglückliche Folgen hatte. Saddams Sturz gelang um den Preis Zehntausender Menschenleben, beförderte den Aufstieg des »Islamischen Staates« und stärkte das Regime in Teheran.
Zand hat in der amerikanischen Kleinstadt Stockbridge, tief im Westen von Massachusetts, den ehemaligen Bush-Berater Robert D. Kaplan getroffen, der ein Buch über den Irakkrieg geschrieben hat. Kaplan war vor 20 Jahren einer der prominentesten Befürworter der Invasion, weil er, wie er sagt, noch nie »eine Tyrannei wie diese erlebt« hatte, und er sich damals fragte: »Was könnte schlimmer sein als das?«
Heute bereut er sein Urteil: »Ich hatte meinen Emotionen erlaubt, die leidenschaftslose Analyse außer Kraft zu setzen. Ich war an meiner Prüfung als Realist gescheitert.« Ein Jahr nach Kriegsbeginn kehrte Kaplan in den Irak zurück und »erlebte etwas, das viel schlimmer war als selbst der Irak der Achtzigerjahre: die blutige Anarchie aller gegen alle, die Saddams Regime mit extremer Brutalität unterdrückt hatte«. Seit damals klinge ihm ein Wort des persischen Philosophen Abu Hamid al-Ghasali im Ohr: »Ein Jahr der Anarchie kann schlimmer sein als hundert Jahre Tyrannei.«
»Kaplans Lehre aus dem Irakkrieg von 2003 ist keine einfache und radikale«, schreibt der Kollege Zand. »Er ist nicht grundsätzlich gegen militärische Interventionen, aber er fordert viel größere Vorsicht und Verantwortung ein, als sie der jüngere Bush – auch auf seinen Rat hin – damals walten ließ. Politiker hätten die Verpflichtung, »tragisch zu denken«, also abzuwägen zwischen unterschiedlichem Leid, das eine Entscheidung möglicherweise bedeutet.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »Ein Jahr der Anarchie kann schlimmer sein als hundert Jahre Tyrannei«
Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
Szenen einer Vernunftehe: Chinas Parteichef Xi Jinping reist für drei Tage zu Kremlchef Wladimir Putin. Wie positioniert sich Peking im Ukrainekrieg – und was erhofft sich Russland von dem Treffen? Die wichtigsten Fragen und Antworten .
Ein Zeichen der Empörung: Hunderte Zivilisten, viele davon Kinder, starben im März 2022, als Russland das Theater von Mariupol bombardierte. Aktivisten erinnerten nun in Prag an den Angriff – gleichzeitig besuchte Putin die besetzte ukrainische Stadt.
EU-Außenminister billigen neues Munitionspaket für die Ukraine: Die Ukraine versucht derzeit, die russischen Truppen im Osten des Landes zurückzuschlagen – unter hohem Materialeinsatz. Die EU will nun mit einer Großlieferung Kiews Feuerkraft sichern.
2. Vernarrt in schlechte Klimanachrichten
Hitze, Dürren und Fluten werden die Welt häufiger treffen: Im heute veröffentlichten Abschlussbericht des Weltklimarates beschreiben Forscher eine erschreckende Zukunft . Aber auch Auswege, um den Worst Case noch zu verhindern.
»Die Zukunft ist rot. Fraglich ist bloß noch, wie rot sie wird« schreibt die Klimaexpertin des SPIEGEL Susanne Götze. Ein gemäßigtes Klimaszenario könne nur eintreten, wenn Politikerinnen und Politiker weltweit handeln. Dafür müssten Gesellschaften aber radikal anders leben und wirtschaften, heißt es im aktuellen Report .

Abholzung des Amazonas-Regenwaldes
Foto: iStockphoto / Getty ImagesEine der Erkenntnisse des sechsten Sachstandsberichts des UNO-Weltklimarates: Das Ziel des Pariser Weltklimavertrags, die durchschnittliche Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird nicht zu halten sein. Selbst im besten Falle mit einer ehrgeizigen Klimaschutzpolitik wird es »wahrscheinlich« und in allen anderen Szenarien mit weniger Klimaschutz »wahrscheinlich oder sehr wahrscheinlich« überschritten. Es gehe, schreibt Susanne Götze, »schon lange nicht mehr darum, den Klimawandel nachzuweisen, sondern darum, wie sich Gesellschaften verändern müssen – und wer dafür zahlen muss«.
Bleibt die Frage, wie man Menschen für den Kampf gegen den Klimawandel motiviert? SPIEGEL-Kolumnist Nikolaus Blome gibt zu bedenken, dass man Menschen jeden Alters mit Loben auf Dauer besser anleitet als mit Tadeln. »Das gilt beim Spülmaschineausräumen, Powerpoint-Malen, im Privaten wie im Beruf. Deshalb sollte es bei der großen Menschheitsaufgabe dieses Jahrhunderts auch gelten, finde ich.«
Deutschland hat im Jahr 2022 den CO₂-Ausstoß weiter gesenkt und unterm Strich das Etappenziel erreicht. »Allein: Wer sich über Fortschritte beim Klimaschutz freut, macht sich der Verharmlosung verdächtig«, schreibt Nikolaus Blome. Auf unserer SPIEGEL-Hompage war jedenfalls letzte Woche keine Jubelarie zu lesen, sondern unter anderem diese Überschrift über einem Nachrichtentext: »Bei Verkehr und Gebäuden verfehlt Deutschland die Klimaschutzziele für 2022«. Susanne Götzes Text allerdings verzichtet im Titel auf Schwarzmalerei:
Es ist (wahrscheinlich) noch nicht zu spät: Hitze, Dürren und Fluten werden die Welt häufiger treffen: Im Abschlussbericht des Weltklimarates beschreiben Forscher eine erschreckende Zukunft. Aber auch Auswege, um den Worst Case noch zu verhindern .
3. Bankschrott
Die staatlich verordnete Zwangsehe zwischen den Schweizer Banken Credit Suisse und UBS sorgte auch an diesem Montag für Turbulenzen an den Finanzmärkten. Bankrott ist die Credit Suisse wohl vorerst nicht. Dafür trifft auf sie das Wort zu, das mein 8-jähriger Sohn kürzlich beim Monopolyspielen erfunden hat. Sie ist »bankschrott«.

Hauptsitz der Credit Suisse in Zürich
Foto: Michael Buholzer / KEYSTONE / dpaBankenschrott ist leider perfekter Zunder für das Auflodern von Finanzkrisen. »Die Rettungsaktion wurde mit heißer Nadel gestrickt, entsprechend sind die Folgen für das Finanzsystem schwer abzuschätzen«, schreibt Michael Brächer aus dem SPIEGEL-Wirtschaftsressort. Leider zeige die Zwangshochzeit, »dass die globalen Anstrengungen zur Regulierung des Finanzsystems gescheitert sind«. Eigentlich sollten Banken nicht mehr so groß sein, dass man sie auf jeden Fall retten muss, um nicht das gesamte Finanzsystem zu gefährden. Staatlich orchestrierte Rettungsaktionen sollten der Vergangenheit angehören.
Doch im Fall der Credit Suisse befürchteten Politik und Aufsicht offenbar eine globale Kettenreaktion und schusterten eine eilig improvisierte Lösung, die das Too-big-to-fail-Problem sogar noch verschärft, sagt Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende: »Mit dieser Fusion zweier Banken, die schon zuvor systemrelevant waren, erhalten wir einen noch größeren Akteur, der erst recht nicht pleitegehen darf.«
Ob die Krise nun ausgestanden ist, weiß wahrscheinlich niemand. Zwar bekräftigte die Finanzaufsicht Bafin heute: »Das deutsche Finanzsystem erweist sich weiterhin als stabil und robust.« Das allerdings, so Michael Brächer, sei »eine Selbstverständlichkeit, die man in normalen Zeiten nicht betonen müsste«. Das Schicksal der Credit Suisse zeige, wie schnell Banken unter Druck geraten können, wenn hausgemachte Probleme auf verunsicherte Märkte treffen.
Lesen Sie hier mehr: Warum die Banken trotz der Credit-Suisse-Rettung weiter zittern
Was heute sonst noch wichtig ist
Twitter reagiert auf Pressemails mit Kackhaufen-Emoji: Jahrelang hat Twitter über die Adresse press@twitter.com Medienanfragen entgegengenommen – ob, wann und in welcher Ausführlichkeit eine Antwort kam, variierte. Neuerdings kommt die Reaktion sofort.
»KI darf den Menschen nicht ersetzen«: Bietet der vermehrte Einsatz künstlicher Intelligenz für die Gesellschaft mehr Chancen oder Risiken? Diese Frage hat den Deutschen Ethikrat beschäftigt – sein Antwortversuch ist fast 300 Seiten lang.
Rationierter Strom für E-Autos? US-Forscher widersprechen Angstszenario: Mehr E-Autos lassen den Stromverbrauch steigen, vor allem zu problematischen Tageszeiten. Der Staat will das Laden nun regulieren – doch laut Wissenschaftlern lässt sich Stress im Netz wohl recht einfach verhindern.
Familien beklagen steigende Belastung: Familien sehen sich laut einer Umfrage seit Monaten durch teure Lebenshaltungskosten immer stärker unter Druck. Besonders kritisch ist die Lage für eine bestimmte Gruppe.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Vom Umgang mit »Volksmacken«
Körperbezogene repetitive Verhaltensstörung! Was für eine dramatische Umschreibung fürs Nasebohren. Auch Nägelkauen, Lippenbeißen, Knibbeln an der Haut oder Haareausreißen gehören dazu. »Eine aktuelle Studie zeigt, dass 97 Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens ein solches Verhalten entwickeln« schreibt meine Kollegin Jule Lutteroth in einem spannenden Text über Volkskrankheiten, die wohl eher »Volksmacken« sind.

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In irgendeiner Form sei fast jeder Mensch betroffen, und man sollte die körperbezogene Verhaltensauffälligkeit keinesfalls pathologisieren. »Doch bei etwa jeder vierten Person führt das Verhalten zu psychischen oder physischen Problemen, die man ernst nehmen sollte«, sagt der Neuropsychologe Steffen Moritz. Sein fachliches Interesse hat viel mit seiner eigenen Erfahrung zu tun: »Ich habe selbst Nägel gekaut und darunter ziemlich gelitten.« In der sogenannten Küchenpsychologie werde einem schnell unterstellt, man habe eine psychische Störung. »Also wollte ich wissen, was dahintersteckt und wie man mir und anderen Betroffenen helfen kann.«
Auslöser für »Volksmacken« seien laut Moritz in der Regel Stress und der Wunsch, Spannungen abzubauen. Selbst entspannte Menschen sind davor nicht gefeit: »Stress lässt sich nun mal nicht immer vermeiden. Auch der Dalai Lama wird bestimmt mal an seiner Haut knibbeln unter Stress«, glaubt er.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »Das sind keine Volkskrankheiten, sondern eher Volksmacken«
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
So hoch sind die Gehälter im öffentlichen Dienst wirklich: Schon bald könnte Ver.di mit unbefristeten Streiks das Land lahmlegen. Die Gewerkschaft verweist auf die notorisch schlechte Bezahlung durch den Staat. Aber stimmt das überhaupt?
Weniger arbeiten ist auch keine Lösung: Die Generation Z sucht nicht mehr die Erfüllung im Beruf, sondern setzt auf Work-Life-Balance. Nur macht mehr Freizeit wirklich zufriedener? Eine Harvardstudie zeigt, wie wichtig der Job ist – und wie man dort sein Glück findet .
Warum sich beliebte Chatbots plötzlich prüde geben: Schluss mit dem Pornomodus: Anzügliche Chats und erotische Rollenspiele sind für die Start-ups hinter Replika und Character.ai gleichermaßen zum Erfolgsrezept und zum Problem geworden .
Grüne fordern EM-Ausschluss für Belarus: Belarus soll wie Russland weder an den Qualifikationsspielen noch an der EM-Endrunde 2024 teilnehmen dürfen: Das fordern Grünenabgeordnete nach SPIEGEL-Informationen in einem Brief an die Uefa .
Was heute weniger wichtig ist

Barack Obama
Foto: PATRICK T. FALLON / AFPDer ehemalige amerikanische Präsident Barack Obama kommt von Ende April an für mehrere Auftritte nach Europa. Und das nicht, um andere Politiker zu treffen, sondern um Shows zu machen. Die Veranstalter haben große Hallen gebucht, zuerst am 29. April in Zürich, dann am 1. Mai in Amsterdam und schließlich am 3. Mai in Berlin. Dass ein ehemaliger Politiker auf Tour geht wie ein Rockstar, ist eher ungewöhnlich. Was Obama bei seinen Auftritten genau machen wird, ist zudem unklar. Die Veranstalter haben weder den Namen eines Moderators oder einer Moderatorin bekannt gegeben, noch haben sie erklärt, was genau auf der Bühne stattfinden wird. Jeder Abend werde »mit einer Serie von Begegnungen und besonderen Gästen« beginnen, heißt es in einer Erklärung, und es werde um »Kreativität, unternehmerische Verantwortung, Leadership und Transformation« gehen.
Mini-Hohlspiegel

Einblendung in der Sendung »MDR Aktuell« im MDR
Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.
Illustration: Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Bis Ostern versuche ich zu fasten. Das bedeutet: kaum Zucker, kaum Alkohol, kaum Milchprodukte oder Fast-Food wie Pizza, Pasta oder Pommes. Ob es mir bislang gelingt? Kaum. Was auch an Rezepten wie diesem hier liegt, das ich allein deshalb sofort nachbacken möchte, weil es alle Zutaten enthält, die ich eigentlich meiden müsste. Der »Burnt Basque Cheese Cake« strahlt den Reiz des Verbotenen aus!
»Es handelt sich um einen Kuchen ohne Boden, fast ohne Mehl, der eigentlich nur aus Frischkäse, Ei, Sahne und Zucker besteht, in wenigen Minuten zusammengerührt und in den Ofen gesteckt wird«, so Koch-Kolumnistin Verena Lugert. Beim Kult-Käsekuchen aus dem Baskenland braucht es Mut, schreibt sie: »Gegen jeden Instinkt muss man den Kuchen bei großer Hitze im Ofen lassen.« Die Überwindung zahle sich aus. Denn wer den Kuchen über Nacht vollständig abkühlen lasse, werde mit einer »fast überirdisch cremigen Kreation belohnt«, die im Mund schmilzt und »durch die angebrannte Oberfläche von zartesten Karamell-Aromen durchdrungen ist«.
Das Gute an der Fastenzeit ist: Sie kommt nächstes Jahr wieder. Vielleicht halte ich sie dann ein.
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihre Anna Clauß, Leiterin Meinung und Debatte