

Die Lage am Abend Berühmte erste Worte

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Heimbürokratie – Was gilt jetzt fürs Homeoffice?
US-Präsident Biden – Eine große Rede?
Schwarz-gelb-Seher – Hat Dortmund noch Chancen?
1. Die Heimbürokratie
Die ganze Pandemie fühlt sich manchmal an wie ein sehr langer Tag im Homeoffice, die Wiederkehr des Immergleichen. Wie geht es jetzt weiter mit Kitas und Schulen, mit den Impfterminen und den FFP2-Masken? Zur Routine nach immer neuen Shutdown-Beschlüssen gehört: Sich einen Überblick verschaffen (hier), was genau im eigenen Bundesland gilt. Dann das Familienleben neu organisieren, Termine verschieben, mit Kolleginnen, Freunden und Verwandten sprechen: Wie machen wir weiter?

Homeoffice aus dem Symbolbildkeller, ausgewählt in Heimarbeit
Foto: Fabian Strauch / dpaImmerhin, beim Punkt Homeoffice haben es die Kanzlerin und die Länderchefs dieses Mal nicht bei Appellen belassen – eine Verordnung gibt es seit heute, damit endlich mehr Leute zu Hause bleiben und nicht mehr unnötig ins Büro pendeln. Mein Kollege Florian Diekmann, selbst genervt nach drei Monaten Homeschooling in einer eher kleinen Wohnung, spricht dennoch von der »so ziemlich weichsten Regelung«. »Eine echte Pflicht zur Büroarbeit von zu Hause aus – sowohl für Beschäftigte als auch für Arbeitgeber – ist rechtlich wohl ziemlich heikel«, sagt er. »Aber der Beschluss ist auch deshalb so windelweich, weil die Politik die Wirtschaft so wenig wie möglich einschränken will. Einerseits verständlich nach dem tiefen Einbruch im ersten Shutdown. Andererseits könnte eine echte Pflicht helfen, den Shutdown zu verkürzen, was der Wirtschaft wohl noch mehr helfen würde.«
Den ganzen Kommentar lesen Sie hier: Warum der jüngste Homeoffice-Beschluss wohl wenig ändern wird
2. Große Worte
Eben hat die Amtszeit von Joe Biden begonnen, er hat den Eid auf die Verfassung abgelegt und in seiner Rede zur Einheit des Landes aufgerufen. »Nicht jede Meinungsverschiedenheit muss ein Grund für totalen Krieg sein«, mahnte er. »Ich werde der Präsident aller Amerikaner sein.« Das zu hören fühlt sich an wie das Detox-Frühstück nach einer durchzechten Nacht – nur dass die Trump-Eskapade vier Jahre dauerte. Jetzt also Entgiftung.

SAUL LOEB/POOL/EPA-EFE/Shutterstock
War es eine gelungene Rede? Dazu braucht es Vergleichsgrößen. Ich habe frühere und aktuelle US-Korrespondenten und Reporterinnen gefragt, wessen Antrittsrede sie besonders beeindruckt hat. Die Auswahl:
»We are not enemies, but friends. We must not be enemies. Though passion may have strained it must not break our bonds of affection.« Abraham Lincoln, 1861 – Sebastian Fischer sagt: »Als Lincoln die Präsidentschaft übernahm, hatten bereits sieben Südstaaten die Union verlassen und Jefferson Davis als ›Präsident‹ ihrer Konföderation eingesetzt. Der Bürgerkrieg stand bevor. 1861 ist also nicht vergleichbar mit 2021. Nichtsdestotrotz wirken Lincolns Worte seltsam aktuell. Weil sie sich an eine gespaltene Nation richten. Und was mich stets politisch berührt, wenn ich diese wenigen Sätze dieses so literarischen Präsidenten lese, das ist der Appell an die Humanität, an das Gute im Menschen, an die ›better angels of our nature‹. Das gibt doch Hoffnung. Für Amerika und für uns.«

ap
»Ask not what your country can do for you — ask what you can do for your country.« John F. Kennedy, 1961 – Markus Feldenkirchen findet: »Antrittsreden werden überbewertet, selten bleibt etwas davon hängen. Insofern hat Kennedy immerhin einen Satz rausgehauen, der bis heute gern zitiert wird und es in alle politischen Poesiealben geschafft hat. Für die USA war der Satz in der damaligen Zeit sicher angemessen. Mir persönlich ist er aus heutiger Sicht zu nationalistisch. Ich würde ›euer Land‹ heutzutage durch ›eure Mitmenschen‹ ersetzen. Dann passt er auch in die heutige Zeit.«
»We observe today not a victory of party but a celebration of freedom.« Auch John F. Kennedy, 1961 – Alex Sarovic findet: »Es ist eine Erinnerung daran, was Wahlen in erster Linie sind: kein Wettkampf, sondern ein Akt, mit dem die Demokratie am Leben gehalten wird. Es wird lange dauern, den Schaden zu reparieren, den Trumps Versuch, seine Niederlage wegzulügen, der amerikanischen Demokratie zugefügt hat.«
»Government is not the solution to our problem; Government is the problem.« Ronald Reagan, 1982 – Ines Zöttl schreibt: »Weil es ihm gelungen ist, eine ökonomische Doktrin in einem Satz zu kondensieren, der noch heute nachwirkt.«
»There is nothing wrong with America that cannot be cured by what is right with America.« Bill Clinton, 1993 – Alexander Osang schreibt: »Ich bin früh morgens in einem alten Chevy mit ein paar Kommilitonen von der Duke University viereinhalb Stunden nach Washington gefahren, um dabei zu sein, wenn alles neu anfängt. So dachten wir. Nach den endlosen Reagan- und Bush-Jahren. Ich stand da in der Kälte, hörte Jack Nicholson, Fleetwood Mac, Aretha Franklin und Maya Angelou. Es war unwirklich schön. In meiner Erinnerung lächeln alle, die da waren. Irgendwann sagte Clinton diesen Satz. Ich bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob er wirklich stimmt. Aber damals dachte ich: Genauso so ist es.«

CHUCK KENNEDY/ AFP
»I thank President Bush for his service to our nation.« Barack Obama, 2009 – Roland Nelles sagt: »Die Rede erinnert daran, wie Amtsübergaben in einer Demokratie eigentlich ablaufen sollten, respektvoll, friedlich, mit einem Sinn dafür, dass der politische Gegner kein Todfeind ist, sondern nur eine andere Meinung vertritt. Donald Trump hat das alles nicht verstanden, weshalb es gut ist, dass er endlich weg ist.«
Marc Pitzke erinnert sich an dieselbe Rede, die er »inmitten von einer Million heulenden Amerikanern« auf der National Mall miterlebte: »Niemals zuvor – und niemals seitdem – fand ich Amerika besser. Da passte alles, wenn auch nur für einen Tag! Bonus: Aretha Franklins fantastischer Diva-Hut, als sie »My Country, 'Tis of Thee« sang, Amerikas erste, bewegende Nationalhymne.«
»Power is a lot like real estate, remember?« Frank Underwood, 2014 – Ralf Neukirch sagt: »Die beste Inauguration-Address ist die Ansprache des 46. US-Präsidenten Frank Underwood an seine Zuschauer in ›House of Cards‹, weil Kevin Spacey im Jahr 2014 in anderthalb Minuten alles vorwegnimmt, was Amerika in den vergangenen vier Jahren heimgesucht hat.«
»America will start winning again, winning like never before.« Donald Trump, 2017 – René Pfister sagt: »Eines muss man Trump lassen: Er hat sich durch sein Amt nicht verbiegen lassen. Am ersten Amtstag blieb er das Großmaul, das er sein ganzes Leben war.«
Meine Kollegin Alexandra Rojkov denkt nicht zuerst an die Rede eines Wahlsiegers, sondern an die des Wahlverlierers John McCain im Jahr 2008: »This is an historic election, and I recognize the special significance it has for African-Americans and for the special pride that must be theirs tonight.« Alexandra sagt: »Obwohl man ihm den Schmerz des Verlierers anmerkt, schafft er es nicht nur, Obama mit bewegenden Worten zu gratulieren. Er erkennt auch an, wie bedeutend sein Sieg für die Schwarzen in den USA sein muss. Schwer vorstellbar, dass Trump so etwas jemals sagen könnte.«
Stimmt, Trump blieb sich auch im Abschied treu. Er pries sich, seine Regierung, seine Familie – und kündigte an: »Unsere Bewegung fängt gerade erst an.« Vielleicht muss das politische Detox-Programm noch etwas warten, das Impeachment-Verfahren läuft ja auch noch.
Verfolgen Sie Bidens Amtseinführung und die Feierlichkeiten hier live
Mehr Hintergrund hier: Diese sechs Probleme muss Joe Biden jetzt lösen
3. Schwarz-Gelb
Noch ganz schnell zum Sport: »Mentalität, Körpersprache, Siegeswillen – wenn Borussia Dortmund verliert, werden stets die gleichen Schlüsse gezogen« analysiert mein Kollege Markus Krämer. »Aber sie greifen zu kurz: Der BVB bremst sich mit seiner Vereinspolitik selbst aus.«
Mehr lesen Sie hier: Warum der BVB chancenlos im Meisterschaftsrennen ist
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Was heute sonst noch wichtig ist
Baerbock wirft Laschet Nähe zu Russland vor: Armin Laschet ist bald auch offiziell CDU-Chef – die Grünen kritisieren ihn bereits hart. Parteichefin Annalena Baerbock diagnostiziert im SPIEGEL außenpolitische Orientierungslosigkeit.
Kabinett beschließt Pfand für To-go-Bestellungen: Restaurants und Cafés müssen Speisen und Getränke zum Mitnehmen künftig auch in wiederverwendbaren Verpackungen anbieten. Außerdem wird die Pfandpflicht für Einwegflaschen ausgeweitet.
Prozess gegen Nawalny in Russland verschoben: Eigentlich sollte Alexej Nawalny am Mittwoch vor Gericht in Moskau angehört werden. Doch nach seiner Ankunft in Russland befindet sich der inhaftierte Kremlgegner noch in Quarantäne.
Dax-Konzerne sind ein bisschen weniger männerdominiert: Die größten börsennotierten Unternehmen in Deutschland haben so viele Frauen in den Vorstand berufen wie nie zuvor. Eine aktuelle Studie zeigt allerdings: Der Weg bis zur Parität ist noch weit.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
So verringern Sie die Ansteckungsgefahr in geschlossenen Räumen: Wie schützt man sich am besten vor einer Infektion? Und welche Bedingungen kann das Coronavirus nicht leiden? Aerosolforscher Alfred Wiedensohler weiß Rat.
»Das Regime steht mit dem Rücken zur Wand«: Eine neue soziale Bewegung setzt die Regierung in Havanna unter Druck. Der Schriftsteller und Regimegegner Carlos Manuel Álvarez analysiert die Schwäche der Herrschenden und die Aussichten auf einen Wandel in Kuba.
»Ich schaue mir das Gesicht an und weiß, diese Person muss es sein«: Der Polizist Andy Pope hat schon mehr als 2000 Kriminelle erkannt. Wie macht er das? Und wie kann man herausfinden, ob man diese besondere Gabe besitzt?
Was heute nicht so wichtig ist

We've come so far
Foto:Isa Foltin / Getty Images
Never Forget: Gary Barlow, 50, als Boyband-Sänger weltberühmt geworden, hat heute Geburtstag. Meine Kollegin Anja Rützel gratuliert und findet: »Gegen alle popkulturellen Wahrscheinlichkeiten ist er nun ein noch größerer Popstar als Mitte der Neunzigerjahre, als er zusammen mit Take That mit sieben Singles in Folge Platz eins der britischen Charts erreichte.«
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Dass der Umgang mit den Schulen in der Runde der Regierungschefinnen und -chefs zu den heikelsten Tagesordnungspunkten gehört, das war schon bei früheren Sitzungen der Minipräsidentenkonferenz zu beobachten gewesen.«
Cartoon des Tages: Atmen

Klaus Stuttmann
Und heute Abend?

Mädelsführer
Foto:NDR/Michael Ihle
Könnten Sie »Sörensen hat Angst« im Ersten gucken, in dem Bjarne Mädel (bekannt aus »Stromberg«, »Tatortreiniger« und »Mord mit Aussicht«) nicht nur die Hauptrolle spielt, sondern zum ersten Mal auch Regie geführt hat. »Dieser Film schafft es, von Provinzmuff, schlechtem Essen und gemeinen Verbrechen gleichzeitig todernst und brutal komisch zu erzählen – mit überraschenden Wendungen und prächtig aufgelegten, gruselig hergerichteten Starschauspielern, unter denen Matthias Brandt der Tollste ist«, sagt mein Kollege Wolfgang Höbel. (Seine Rezension lesen Sie hier, den Film in der Mediathek finden Sie hier. Und im linearen Fernsehen läuft er um 20.45 Uhr.)
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp
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