Anna Clauß

Die Lage am Abend Ist die German Angst zurück?

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:

  1. Im Westen nichts Neues, im Osten schon – Was sagen die Deutschen zur geplanten Panzerlieferung in die Ukraine?

  2. Mutige Passagiere, unvorsichtige Behörden – Was ist heute über die Messerattacke im Regionalzug bekannt?

  3. Asteroid verfehlt die Erde knapp – Bleibt der Klimawandel doch die größte Bedrohung der Menschheit?

1. Eine richtige Entscheidung?

Am Tag als bekannt wurde, dass Deutschland Leopard-2-Panzer an die Ukraine liefern wird, sorgte noch eine weitere Nachricht mit historischer Dimension für viele Schlagzeilen: Erstmals hat ein deutscher Film die Chance, einen Oscar in der Hauptkategorie zu gewinnen. »Im Westen nichts Neues« bekam insgesamt neun Nominierungen.

Hollywood und Olaf Scholz haben auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun. Vermutlich war es reiner Zufall, dass die Entscheidung einer Filmjury mit der des Kanzlers Mitte der Woche zusammenfiel. Dennoch lassen sich die zwei so unterschiedlichen Nachrichten zusammenfügen wie zwei Puzzlestücke.

»Im Westen nichts Neues«, gedreht nach der Buchvorlage von Erich Maria Remarque aus den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, zeigt das Grauen des Ersten Weltkriegs aus der Sicht eines jungen deutschen Soldaten. Die Erfahrung von Krieg, Naziherrschaft und Holocaust in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts haben das kollektive Gedächtnis dieses Landes geprägt. Die Lieferung hochmoderner deutscher Leopard-2-Panzer ins ukrainische Kriegsgebiet sorgte auch deshalb für viele Diskussionen.

Laut einer heute veröffentlichten SPIEGEL-Umfrage befürworten 54 Prozent die Entscheidung der Bundesregierung. 37 Prozent sprechen sich allerdings gegen die Leopard-Lieferung aus. Wie stark das Thema Waffenlieferungen polarisiert, zeigt sich auch darin, dass nur überschaubare neun Prozent der Umfrage zufolge noch unentschieden sind.

Mit der Scholz-Entscheidung, die ukrainischen Truppen aufzurüsten, verbinden viele Deutsche die Angst, dass Russland den Krieg ausweiten könnte, womöglich sogar auf deutsches Terrain. Bei anderen dominiert die Hoffnung, dass mit mehr militärischem Druck auf Putin Friedensverhandlungen wahrscheinlicher werden.

Mein Kollege Ralf Neukirch kommentiert : »Am Ende hat Scholz die richtige Entscheidung getroffen, darauf kommt es an.« Was wie eine Eskalation des Krieges aussehe, könnte ein entscheidender Schritt zu seinem Ende sein. Nur wenn Putin eine Niederlage droht, wird er seine Haltung überdenken. »Kampfpanzer verhindern Verhandlungen nicht. Sie schaffen die Voraussetzung dafür.« Entscheidend sei »das Signal an den russischen Präsidenten Wladimir Putin: Der Westen will, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt.«

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Die Überraschung mit der Nummer Sechs: Fachleute hatten erwartet, dass die Bundesregierung veraltete Leopard 2 an Kiew liefert. Das jetzt zugesagte Modell 2 A6 zählt jedoch zu den modernsten Versionen des Panzers. Welchen Unterschied das macht und wo Probleme liegen .

  • »Schön, mal wieder bei der Truppe zu sein«: Nach einer ersten Turbowoche im Amt kann der neue Verteidigungsminister beim Antrittsbesuch bei der Truppe wenig falsch machen. Seine Vorgängerin hat die Latte sehr niedrig gehängt. Kann Pistorius mit den Soldaten? 

  • »Das heißt Tod, Vertreibung, Vergewaltigung, Zerstörung«: Deutschland liefert Kampfpanzer an die Ukraine. Im SPIEGEL-Spitzengespräch streiten Janine Wissler, Ralf Stegner und Thorsten Frei über die Grenzen der Unterstützung für die Ukraine – und die Risiken von Waffenlieferungen.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

2. Mutige Passagiere, unvorsichtige Behörden?

Heute wurde bekannt, dass es sich bei den zwei Opfern einer Messerattacke im Regionalzug zwischen Hamburg und Kiel um eine 17-Jährige und einen 19-Jährigen handeln soll. Acht weitere Menschen wurden verletzt. Nach bisherigen Erkenntnissen griff ein Mann am Mittwochnachmittag wahllos Passagiere an, er konnte aber von Fahrgästen überwältigt und bis zum Eintreffen der Polizei am Bahnhof in Brokstedt festgehalten werden. Das Land Schleswig-Holstein hat am Donnerstag Trauerbeflaggung angesetzt.

Ein bisschen klingt das so, als sei der Fall auf dem besten Weg, in der Schublade »Schlimmer Schicksalsschlag, den leider niemand verhindern konnte«, abgelegt zu werden. Dem ist aber nicht so. Vor allem stellt sich die Frage, warum der Täter noch bis vor wenigen Tagen wegen einer ähnlichen Tat im Gefängnis saß – sich nun aber wieder frei bewegen konnte? Hätte der Mann sich nicht ohnehin längst in einem Abschiebeflieger befinden müssen?

Bei dem Täter handelt es sich laut Innenministerium Schleswig-Holstein um einen staatenlosen Palästinenser. Der Mann aus Gaza reiste nach SPIEGEL-Informationen im Dezember 2014 in die Bundesrepublik ein. Er erhielt im Juli 2016 subsidiären Schutz, allerdings wurde ein Rücknahmeverfahren eingeleitet .

Ibrahim A. saß vom 20. Januar 2022 bis zum 19. Januar dieses Jahres in Untersuchungshaft, bestätigte ein Hamburger Gerichtssprecher dem SPIEGEL. Er hatte am 18. Januar 2022 in der Schlange vor einer Essensausgabe für Wohnungslose auf einen anderen Mann mehrfach eingestochen. Der Verurteilte legte Berufung ein, das Urteil ist bisher nicht rechtskräftig. Ibrahim A. kam daher nicht in Strafhaft, sondern blieb in U-Haft. Vor wenigen Tagen erreichte die Dauer der U-Haft nahezu das verhängte Strafmaß. Eine Richterin am Landgericht habe daher am 19. Januar entschieden, er sei noch am selben Tag freizulassen, so der Gerichtssprecher. Eine weitere U-Haft sei als »unverhältnismäßig« bewertet worden.

3. Schluss mit lustig

Vor ein paar Tagen habe ich noch gelacht, als der stellvertretende Bayerische Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Deutschlandfunk zum Besten gab: »Ob in hundert Jahren noch Ski gefahren wird, wissen wir nicht.« Vielleicht schlage bis dahin auch »ein Meteorit in unsere liebe Erde ein«. Es klang so, als könne man sich Anstrengungen in Sachen Klimawandel sparen, denn eher früher als später gehe die Welt eh unter .

Jetzt lache ich nicht mehr. Denn offenbar fliegt heute Nacht ein Asteroid nur sehr knapp an der Erde vorbei. Der »2023 BU« genannte Brocken aus dem All ist ungefähr so groß wie ein großer Lieferwagen – und wird wohl keinen Schaden anrichten. Nach Angaben der US-Weltraumbehörde Nasa  ist es aber einer der engsten bekannten Vorbeiflüge eines erdnahen Himmelskörpers überhaupt.

Um 1.27 Uhr deutscher Zeit am frühen Freitagmorgen soll sich der Asteroid den Berechnungen zufolge der Erde auf bis zu 3600 Kilometer nähern. Er befindet sich dabei über der Südspitze Südamerikas. Zur Einordnung: Die Internationale Raumstation ist deutlich näher an der Erde, sie kreist in etwa 400 Kilometer Höhe. Kommunikations- und Wettersatelliten sind dagegen deutlich weiter entfernt, sie ziehen zum Beispiel in rund 36.000 Kilometer Höhe ihre Bahn.

Was mich ein bisschen verunsichert: Der heranrasende Asteroid wurde offenbar erst vor fünf Tagen überhaupt entdeckt. Was mich beruhigt: Hätte er sich auf Kollisionskurs mit der Erde befunden, wäre er beim Flug durch die dichteren Schichten der Atmosphäre wahrscheinlich auseinandergebrochen und zu großen Teilen verglüht. Es bestand und besteht vorerst wohl keine Gefahr für Pisten, Politiker und die Menschheit als solche.

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Die Post darf langsamer werden: 80 Prozent der Postsendungen sollen aktuell am nächsten Werktag zugestellt werden. Das Wirtschaftsministerium hält die Vorgabe für »kaum hilfreich« – stattdessen sollen Sendungen zuverlässiger werden.

  • Kündigungsschutz beginnt 280 Tage vor dem Geburtstermin: Schwangere dürfen nicht gekündigt werden. Eine Frau aus Baden-Württemberg wurde trotzdem vor die Tür gesetzt – und klagte dagegen. Die Richter am Bundesarbeitsgericht gaben ihr recht.

  • Luftverschmutzung könnte Pollen aggressiver machen: Spannende Studie für Allergiker: Haben Stadtbäume wegen der dreckigeren Luft Pollen, die allergener sind als solche auf dem Land? Forscher aus Polen wollen Hinweise gefunden haben – doch nicht alle Fachleute sind überzeugt.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • »Putin hat zu meiner physischen Vernichtung aufgerufen«: Der ehemalige Präsident Georgiens soll in Haft schwer erkrankt sein. Wurde er vergiftet oder simuliert er? Micheil Saakaschwili über eine Warnung an Selenskyj, Parallelen zu Nawalny und große finanzielle Sorgen .

  • Die Unruhe nach dem Sturm: Tausende Aktivisten demonstrierten in Lützerath gegen den Kohleabbau. Warum für manche Anwohner der angrenzenden Dörfer die Folgen des Protests eine Zumutung sind .

  • CDU treibt Parteiausschluss gegen Maaßen weiter voran: Hans-Georg Maaßen provoziert mit seinen Aussagen zur »Rassenlehre«. Die CDU will den Ex-Verfassungsschutzchef endgültig aus der Partei raushaben – einfach wird das nicht .

  • Rechtsmediziner empfiehlt Alkoholverbot beim Fahren mit E-Scootern: Thomas Daldrup hat untersucht, wie Alkohol die Fahrtüchtigkeit auf E-Scootern beeinflusst – mit eindeutigem Ergebnis. Als Referent auf dem Verkehrsgerichtstag wird der Rechtsmediziner daher eine klare Position einnehmen .

Was heute weniger wichtig ist

Lost in translation: Die amerikanische Star-Skirennläuferin Mikaela Shiffrin, 27, bricht nicht nur einen Rekord nach dem anderen – sondern auch ein vermeintliches Tabu in ihrem Sport. Nach ihrem zweiten Sieg im Riesenslalom am italienischen Kronplatz hat Shiffrin über ihre Periode und die Probleme einer Leistungssportlerin gesprochen. »Nach gestern war ich ziemlich müde, ich habe gerade nicht den besten Moment in meinem monatlichen Zyklus«, sagte sie dem österreichischen Sender ORF. Die Moderatorin zeigte Verständnis. Der Übersetzer des Senders schien mit der Situation jedoch überfordert. Aus den englischen Worten »I'm kind of in an unfortunate time of my monthly cycle« konstruierte er den deutschen Satz: »Es ist sehr anstrengend. Ich komme nicht einmal zum Radfahren, was ich jeden Monat mache.«

Mini-Hohlspiegel

Die »Mitteldeutsche Zeitung« über den Dichter Novalis:

»In Oberwiederstedt wurde er 1722 als Georg Philipp Friedrich von Hardenberg (1722–1801) geboren. Mit nur 28 Jahren starb er 1801 in Weißenfels.«

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons

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Illustration: Thomas Plaßmann

Und heute Abend?

In Erinnerungen an die eigene Jugend zu schwelgen, ist etwas Schönes. In diesen herrlichen Modus versetzt haben mich die Kollegen Tobias Rapp und Jurek Skrobala aus unserem Kulturressort. Sie haben das Hip-Hop-Trio »Fettes Brot« interviewt . Im August hatte die Band angekündigt, dass sie sich auflöst.

Schwer zu sagen, wie oft im Leben mich deren Hit aus dem Jahr 1996 »Jein« auf die Tanzfläche einer WG-Party getrieben hat. Sehr oft jedenfalls. »Jein« war die Hymne aller Unschlüssigen. Dass ich als Heranwachsende unschlüssig sein durfte, ist aus heutiger Perspektive fast ein Privileg. So sehen das auch die Band-Mitglieder Boris Lauterbach, Martin Vandreier und Björn Warns – heute alle Ende 40 und besser bekannt unter ihren Künstlernamen König Boris, Dokter Renz und Björn Beton.

»Ich würde mir für jede neue Generation wünschen, dass sie auch in diese Phase kommt, wo sie das Gefühl hat: Ja, irgendwann muss ich mich entscheiden, das schwant mir schon – aber eben jetzt noch nicht«, sagt Vandreier. Und Lauterbach ergänzt: »Die Angst, unter die Räder zu kommen, ist bei vielen heute sehr, sehr viel präsenter als damals.«

»Macht mit unserer Musik, was ihr wollt!«, sagen die Spaßrapper zum Abschied. Ich lasse sie heute Abend laut durchs Wohnzimmer schallen und feiere mit der Familie WG-Party.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich
Ihre Anna Clauß, Leiterin Meinung und Debatte

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

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