
Die Lage am Abend Lauterbach & Wieler, die Chaos-Show

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Lockdown ja oder nein – Warum widersprechen sich Gesundheitsminister und RKI-Chef?
Porsche, Lindner, FDP – Sind die Liberalen wirklich eine Autopartei?
Bitcoin-Beschlagnahme – Volle Staatskasse dank Kryptogeld?
1. Lauterbach und die Wieler-Welle
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Lothar Wieler vom Robert Koch-Institut (RKI) haben auf ihrer gemeinsamen Pressekonferenz heute versucht, den Bürgern zu erklären, ob sie Weihnachten und Silvester feiern können. Leider gibt es diesbezüglich unterschiedliche Ansagen. Lauterbach hat einen Lockdown vor Weihnachten ausgeschlossen. Erst am 28. Dezember treten strengere Coronaregeln in Kraft, so wurde es gestern verkündet. Eine Silvesterparty mit bis zu zehn Geimpften oder Genesenen soll aber erlaubt sein.
RKI-Chef Lothar Wieler hingegen hat gestern gefordert, das Land »sofort« mit Regelungen zu belegen, die einem Lockdown gleichkommen: »maximale Kontaktbeschränkungen«, »maximale infektionspräventive Maßnahmen«, »Reduktion von Reisen auf das unbedingt Notwendige«. Seine Warnung, eine Stunde vor dem Bund-Länder-Treffen platziert, schlug eine gewaltige Welle.
Wie das eine zum anderen passen soll, Lockdown nein, Lockdown ja, blieb auch heute das Geheimnis von Lauterbach und Wieler. In der Pressekonferenz spielten sie die Differenzen herunter. Auf die Frage, ob er noch zu Wieler stehe, sagte Lauterbach: »Ob ich noch zu Wieler stehe? Sonst säße er hier nicht.« Alles Weitere seien »Interna«. Als Beobachter in der Bundespressekonferenz kam man sich vor wie bei »Karl und Lothar, die Chaos-Show«.
Leider ist es so: entweder hat Lauterbach recht, dann betreibt Wieler Panikmache. Oder Wieler hat recht, dann schickt uns Lauterbach mit unseren Familienbesuchen an Weihnachten womöglich ins Unglück. Ich vermag nicht zu entscheiden, was stimmt. Aber die Bürgerinnen und Bürger zwei Tage vor Heiligabend mit solchen Widersprüchen zu konfrontieren, ist verantwortungslos.
Lesen Sie hier mehr: Kein bisschen Frieden
Und hier finden Sie einen Kommentar meiner Kollegin Heike Le Ker, die ganz anderer Ansicht ist als ich: Wieler und Lauterbach widersprechen sich öffentlich – warum das ein gutes Zeichen ist
2. FDP-Verkehrspolitik: Wohin steuert die Porsche-Partei?
Weil die FDP in den Koalitionsverhandlungen verhindert hat, dass es in Deutschland ein generelles Tempolimit geben wird, steht für viele das Urteil fest: gute Nacht, Verkehrswende. Christian Lindners Porsche fährt das Klima kaputt. Und hatte der neue Verkehrsminister Volker Wissing im Wahlkampf nicht ständig Witze über Lastenfahrräder gemacht?
Mein Kollege Arvid Kaiser hat sich die Verkehrspläne der FDP nun genauer angesehen und mit Parteileuten sowie Expertinnen und Experten gesprochen. Sein Eindruck: »Manch ein Autofreund freut sich womöglich zu früh.«
Unter der Ampelkoalition soll die Bahn erstmals mehr Geld bekommen als der Straßenbau. Hier ist der Koalitionsvertrag sehr detailliert. Als Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz profilierte sich Wissing bereits als Bahnförderer.
Wissings Staatssekretärin Daniela Kluckert gilt als Freundin alternativer Kleinfahrzeuge. Im Gespräch mit dem SPIEGEL kündigt sie an, die Zahl der Lademöglichkeiten schnell zu steigern. Außerdem rühmt sich die Partei ihrer Fahrradfreundlichkeit, will Schnellradwege besser fördern. Was laut Arvid dafürspricht, ist Karlsruhe, die laut Fahrradklub ADFC radfreundlichste Großstadt, maßgeblich befördert von der FDP. Was dagegen spricht: Wiesbaden, wo die FDP die Citybahn verhinderte.
Arvid schreibt: »Ein mögliches Szenario ist, dass die Liberalen als Schutzmacht der Autofahrer auftreten. Ein anderes, dass sie den Wandel beschleunigen, aber modern und pragmatisch verpackt – ohne den Ballast des Kulturkampfs, mit dem sich die Grünen immer wieder selbst belasten.«
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Die Pläne der Porsche-Partei
3. Bitcoin-Kriminelle machen Hessen reich
Das hoch verschuldete Bundesland Hessen freut sich über eine Extraeinnahme von 100 Millionen Euro – es hat mit Bitcoin Kasse gemacht. Das Kryptogeld gehörte mal einer Bande, die übers Internet Drogen verkaufte. 2019 flog die Sache auf, Frankfurts Generalstaatsanwalt beschlagnahmte das Kunstgeld. »Das geschieht übrigens immer öfter, weil Kryptocoins bei Kriminellen sehr beliebt sind«, schreibt mein Kollege Tim Bartz, »aber normalerweise nicht in dieser Höhe«.
Die Staatsmacht war zunächst ratlos, wie sie mit dem beschlagnahmten Reichtum umgehen soll. »Ein paar Bitcoins verwerten, das bekommen wir auch allein hin. Aber dieser Fall lag anders«, sagte Oberstaatsanwältin Jana Ringwald dem SPIEGEL. »Wir mussten einen Partner suchen, um unserem gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden, die Kryptowerte zu realisieren, ohne den Markt zu beeinflussen.« So kam die Behörde mit einem kleinen, spezialisierten Bankhaus namens Scheich zusammen, das nicht nur professionell mit Bitcoin handelt, sondern auch weiß, wie man digitales Drogengeld wieder reinwäscht, das sogenannte »White-Listing«.
Tim schreibt: »Weil damit zu rechnen ist, dass kriminelle Geschäfte immer öfter in Kryptowährungen abgerechnet werden, haben das Land Hessen und das Bankhaus eine langfristige Rahmenvereinbarung abgeschlossen.« Dass sich damit Hessens Landeshaushalt sanieren lässt, sei aber unwahrscheinlich.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Wie Hessen Kryptogeld im Wert von 100 Millionen Euro loswurde
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Was heute sonst noch wichtig ist
»Ja, meine Sorge ist groß«: Zehntausende russische Soldaten sollen sich nahe der Grenze zur Ukraine aufhalten. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock setzt weiter auf Dialog. Russlands Forderungen seien aber keine Grundlage für eine Lösung.
Omikron-Variante im Bundestag nachgewiesen: In wenigen Wochen wird Omikron in Deutschland laut Experten vorherrschend sein. Nun ist auch im Parlament in Berlin die erste Infektion mit der hochansteckenden Mutante nachgewiesen worden.
EZB-Direktorin Schnabel warnt vor »Aufwärtstrend« bei der Inflation: Trotz steigender Preise in der Eurozone rieten die Währungshüter monatelang zu Gelassenheit. Nun sieht auch EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel ein Risiko für weitere Teuerungen.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Ein Milliardär baut sich eine Stadt

Lidl-Gründer Dieter Schwarz baut seine Heimatstadt Heilbronn neu
Foto: Tim McDonagh für manager magazinVom Lidl-Gründer und Multimilliardär Dieter Schwarz gibt es kein einziges offizielles Foto. Doch in seiner Heimatstadt Heilbronn hinterlässt er überall seine Spuren. Schwarz finanziert Hochschulen und Bildungscamps, lockt Forscher und Existenzgründer an, baut Gebäude und Kulturorte – alles mit der Macht seines ungeheuren Reichtums.
Meine Kollegin Sonja Banze von unserem Schwesternblatt »manager magazin« hat sich in Heilbronn umgesehen . Manche vergleichen es mit Boulder in Colorado, einer vergleichbar großen Stadt an den Ausläufern der Rocky Mountains, die zum Zentrum der amerikanischen Start-up-Szene wurde. Sonja schreibt: »Mit seinem Geld will der Multimilliardär seine Heimatstadt zu einem Modellort machen. Alte Geistesstädte wie Tübingen oder Freiburg degenerieren ob des Vorwärtsdrangs zu Zweitligisten.« Dabei bleibe Schwarz am liebsten im Hintergrund. »Er taucht bisweilen mit seiner Frau zu Terminen mit Architekten auf, aber er sitzt nie in der ersten Reihe, sondern immer irgendwo hinten.«
Ich bin hin- und hergerissen. Einerseits ist es seltsam, wenn ein geheimnisvoller Milliardär seine eigene Stadt baut wie einst im Wilden Westen. Andererseits sollte man wohl froh sein über jeden Superreichen, der sein Geld nicht für Luxusjachten ausgibt, sondern für Wissenschaft, Bildung, Kultur. Lesen Sie Sonjas Report – und entscheiden Sie selbst.
Hier die ganze Geschichte: Ein Multimilliardär baut sich eine Stadt
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Geimpft – und ausgesperrt: Eigentlich wollte der Student Julius Hege nur helfen, als er sich für eine Impfstoffstudie meldete. Nun darf er weder in die Uni noch ins Kino. Warum?
Vom Feierabendspieler zur WM-Sensation: Einst spielte er Handball in der zweiten Liga und Darts nur zum Spaß. Jetzt hat Florian Hempel mit seinem Sieg über Turnierfavorit Van den Bergh bei der WM in London für einen Wow-Moment gesorgt. Wer ist der 31-Jährige?
Bidens bittere Weihnacht: Omikron trifft die USA voll, mitten in der Reisesaison. Deshalb hat Präsident Joe Biden neue Maßnahmen verkündet und setzt weiter auf Appelle. Lässt sich so der »virale Blizzard« bremsen, den Epidemiologen prophezeien?
Was heute weniger wichtig ist
Der Bergdoktor ruft: Schauspieler Hans Sigl, 52, besser bekannt als Martin Gruber aus der ZDF-Serie »Der Bergdoktor«, wirbt dafür, sich impfen zu lassen. »Der Bergdoktor würde rund um die Uhr impfen«, sagte er im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa. Sein Engagement gefalle allerdings nicht jedem. Immer häufiger werde er in den sozialen Netzwerken angegangen. »Der Bergdoktor« zählt zu den erfolgreichsten Serien im deutschen Fernsehen, im Januar startet die 15. Staffel. Corona gibt es dort allerdings nicht.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Eine der Hauptattraktionen des Eilands ist die Ruine der Burg, die Mönche im frühen 14. Jahrhundert errichtetet hatten, um schottische Plünderer abzuschrecken.
Cartoon des Tages: Guter Wille

Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Der Alltag in einer Großfamilie ist mir wohlvertraut, doch was bei den Sullivans und den Seymours abgeht, stellt alles in den Schatten. Beide Familien gehören zu den größten Großbritanniens; die einen haben elf Kinder, die anderen neun. An Weihnachten gibt es schon mal dreihundert Geschenke auszupacken.
Am meisten beeindruckt hat mich das Sortiment an Frühstücksflocken. 15 verschiedene Sorten gibt es bei den Sullivans zur Auswahl. Allerdings bedauern die Eltern – sie sind britische Durchschnittsverdiener –, dass sie nicht auch über eine Kuh verfügen, die die entsprechenden Mengen Milch beisteuern könnte. Bei den Seymours hingegen herrscht eine gewaltige Auswahl an teuren Sneakern; die Eltern sind reiche Unternehmer. Ihre Waschmaschine läuft trotzdem den ganzen Tag durch; das nimmt ihnen keiner ab. Sie finden das sympathische Doppelporträt der beiden Familien hier bei SPIEGEL TV.
Schönen Abend! Herzlich
Ihr Alexander Neubacher
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