Wolfgang Höbel

Die Lage am Abend Wann schlägt die Ukraine zurück?

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:

  1. Ukrainekrieg – Wann genau und mit welchem Ziel startet die ukrainische Gegenoffensive?

  2. Ehemaliger »Bild«-Chef – Wieso attackiert Kai Diekmann die Söhne von Helmut Kohl?

  3. Start der Freibadsaison – Warum will in Deutschland kaum jemand Schwimmmeisterin oder Schwimmmeister werden?

1. Kiews Soldaten bereiten ihre Gegenoffensive vor – und brauchen Erfolge auch für die öffentliche Meinung im Westen

Wenn die Menschen später mal über die sogenannte Schlacht um die Stadt Bachmut sprechen werden, dann wird ihre Einschätzung womöglich so ähnlich klingen, wie der berühmte Satz, den Friedrich Schiller in einem seiner Theaterstücke einer Figur in den Mund legt: »Ein Schlachten war’s, nicht eine Schlacht zu nennen.« Heute haben die Militärs in Kiew von Geländegewinnen ihrer Soldaten bei Bachmut berichtet, die russische Seite hingegen hat Berichte über einen Durchbruch ukrainischer Truppen dementiert. Wie stets lassen sich die Informationen beider Seiten aus dem Kriegsgebiet nicht überprüfen.

Meine Kollegen Oliver Imhof und Alexander Sarovic berichten, warum die Ukraine bei ihrer offenbar bevorstehenden Gegenoffensive dringend einen Erfolg braucht .

Die Führung in Kiew hat neue Kampfverbände geschaffen und schwere Waffen aus Nato-Staaten ins Land gebracht, darunter Kampfpanzer und Geschütze. »Die Ukrainer kämpfen nicht nur gegen die russische Armee, sondern auch um die öffentliche Meinung im Westen«, schreiben die Kollegen. »Bringt die Gegenoffensive keine nennenswerten Erfolge, könnte mittelfristig die Unterstützung in den Partnerländern schwinden.« Politische Machtwechsel in Nato-Staaten, allen voran ein Sieg Donald Trumps bei der US-Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr, könnten künftige Hilfen und Waffenlieferungen gefährden.

Wo und wann genau die ukrainischen Truppen mit der Gegenoffensive beginnen werden, ist unklar. »Die ukrainische Führung könnte ihre Truppen für einen Großangriff bündeln oder immer wieder kleinere Attacken an verschiedenen Frontabschnitten starten, womöglich über Monate hinweg«, schreiben die Kollegen. Im Ausland rechneten viele mit »etwas Riesigem«, sagte der Kiewer Verteidigungsminister Oleksij Resnikow kürzlich. Er fürchte, das könne zu einer »emotionalen Enttäuschung« führen.

Die Offensive, wie groß auch immer sie ausfällt, wird den Krieg wohl nicht beenden. Wie besonders gefährlich die Berichterstattung in diesem Krieg ist, hat mein Reporterkollege Christoph Reuter in einem beeindruckenden Text beschrieben . Die Gefechte in der Ukraine seien anders als die meisten, die er und seine Kollegen in den vergangenen Jahren erlebt hätten, etwa im Irak, in Syrien oder in Afghanistan. Angriffe dort erfolgten in der Regel mit leichteren und mit weniger Waffen, im Krieg in der Ukraine gingen auf Orte wie Bachmut mitunter Tausende Artilleriegranaten nieder, dazu kämen Angriffe mit Raketenwerfern wie dem nicht sehr zielgenauen russischen Grad-System. »Alle Journalisten, die im Donbass arbeiten, gehen dort nur mit schusssicherer Weste und Helm nach Bachmut oder in andere Kampfzonen«, berichtet Christoph. »Aber vor einer Granate oder einer Grad-Rakete schützen einen keine Weste und kein Helm.«

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Putins Vorschlaghammer: Die Wagner-Truppe unterstützt Machthaber von Mali bis Syrien, richtig bekannt geworden ist sie durch ihren Kampf um Bachmut. Ihr Chef Jewgenij Prigoschin steht für die Verrohung des russischen Regimes – wer ist dieser Mann? 

  • Harte Bandagen: Zu Beginn des Ukrainekrieges sollte die Söldnerfirma Wagner zugunsten eines anderen Unternehmens ausgebootet werden. Doch Prigoschin wehrte sich erfolgreich .

  • Dutzende Russen verlieren »goldene Pässe«: Der Verkauf von EU-Pässen an reiche Russen hat Zypern und Malta Milliarden eingebracht. Wegen des Kriegs in der Ukraine haben die beiden Inselstaaten nun einige »goldene Pässe« wieder einkassiert.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

2. In einem Buch attackiert Kai Diekmann die Söhne des Altkanzlers – Walter Kohl nennt ihn »unprofessionell« und kündigt juristische Schritte an

Der frühere »Bild«-Chefredakteur Kai Diekmann hat ein Buch geschrieben. Die Aufregung, die es verursacht, ist ein bisschen anders als erwartet. Der SPIEGEL hatte ein Kapitel aus Diekmanns Buch vorab veröffentlicht  und unter anderem mit dem Satz kommentiert: »Diekmann erzählt, was er erzählen will, und lässt weg, was in seiner Erinnerung keinen Platz haben soll.«

Für Ärger und Erstaunen sorgen nun vor allem Passagen in Diekmanns Buch, in denen er schwere Vorwürfe gegen Walter und Peter Kohl erhebt, die Söhne des Altkanzlers. Sie hätten Verleumdungen über Ihren Vater ausgekübelt und ihn »als reine Gelddruckmaschine« betrachtet. Meine Kollegin Melanie Amann und mein Kollege Sven Röbel haben mit Walter Kohl ein Interview geführt, das ich sehr beeindruckend finde. Unter anderem, weil Helmut Kohls Sohn glaubwürdig berichtet, wie sehr ihn die Attacke verletzt hat.

Kohl spricht von einem »Angriff aus dem Nichts«, von der »Isolierung meines Vaters« durch dessen Lebensgefährtin Maike Kohl-Richter, die der alte Mann schließlich heiratete. »Kohl-Richter entschied, seine Familie und sein Umfeld auszutauschen – mit Unterstützung ihres Trauzeugen Kai Diekmann«, sagt Walter Kohl. Im Buch wirft Diekmann den Söhnen unter anderem vor, es sei Ihnen »ausschließlich um ihr eigenes materielles Wohlergehen« gegangen. Walter Kohl nennt das »eine zynische und unwahre Unterstellung« und den Buchautor »unprofessionell«.

Der Sohn des einstigen Kanzlers kündigt im Interview an, er wolle gegen zahlreiche Äußerungen in Diekmanns Buch juristisch vorgehen. Sie könne die Chancen rechtlicher Schritte nicht sicher beurteilen, sagt meine Kollegin Melanie Amann. »Aber normalerweise ist es Usus, Menschen mit Vorwürfen und Kritik zu konfrontieren, bevor man darüber schreibt. Das gilt auch für Buchautoren, und Diekmann scheint sich diesen Schritt gespart zu haben.« Der Zorn der Kohl-Söhne komme auch daher, dass sie erst durch eine »Stern«-Anfrage von den Angriffen erfuhren. Vorwürfe wie die, sie selbst seien wirtschaftlich erfolglos, empfänden die Söhne offensichtlich als »maximal demütigend«, so Melanie.

3. Zum Start der Freibadsaison fehlen in vielen Kommunen Schwimmmeister – vor allem, weil es an der Bezahlung hapert

Für mich ist das Freibad, wie für viele andere Menschen auch, seit Kindheitstagen ein Lieblingsplatz. Den lasse ich mir nicht mal durch unappetitliche Scherze wie Haralds Schmidts Lehrsatz »Das Freibad ist der Ort, wo man auch im Sommer frische Pilze kriegt« vermiesen. Mein Kollege Jonas Kraus berichtet heute allerdings, dass zahlreiche deutsche Freibäder ganz geschlossen bleiben oder nur eingeschränkt öffnen können. Der Grund: Es mangelt an Personal .

»Rund 3000 Schwimmmeister und -meisterinnen fehlen im ganzen Land, schätzt deren Bundesverband«, schreibt Jonas. Und er fragt: »Wird Deutschland ein Nichtschwimmerland?« In allen Bundesländern gebe es Probleme. Freibäder bleiben die ganze Saison dicht, auch weil sie saniert werden müssten und die Renovierung den Kommunen zu teuer ist. Andere verlegen den Start nach hinten oder verkürzen die Öffnungszeiten. Schuld seien nicht die weiterhin hohen Energiepreise, sondern eben der Mangel an Betreuungskräften für die Besucherinnen und Besucher. Ein abschreckender Faktor ist das niedrige Gehalt: Um die 2200 Euro brutto bekommt ein ausgebildeter Fachangestellter für Bäderbetriebe am Anfang. Aber auch die hohe Arbeitsbelastung inklusive Wochenenddiensten schrecke viele Bewerber ab.

Immer weniger Deutsche beherrschten die sichere Fortbewegung im Wasser, berichtet Jonas. Rund 20 Prozent der Kinder zwischen sechs und zehn Jahren konnten im vergangenen Jahr nicht schwimmen. 2022 starben in Deutschland mindestens 355 Menschen bei Badeunfällen.

Die niedrige Bezahlung für Schwimmmeister »passt nicht für einen verantwortungsvollen Job«, sagt Jonas. »Und weil eben derzeit so wenig Personal da ist, müssen diejenigen, die noch Bock drauf haben, oft jedes Wochenende ran.« Einige Kandidaten schrecke auch ab, dass immer mehr Nichtschwimmer in den Becken unterwegs seien. Denn klar hätten viele Bewerber dieselbe Horrorvorstellung: »Dass während der eigenen Schicht ein Mensch ertrinkt«.

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Ermittler fanden Waffen in Keller des Verdächtigen: In dem Hochhaus, in dem ein Bewohner mehrere Einsatzkräfte angegriffen hat, ist unter anderem eine Schreckschusswaffe entdeckt worden. Auf einer Pressekonferenz war von einer »gezielten Attacke« die Rede.

  • Eisenbahngewerkschaft hält an 50-Stunden-Warnstreik fest: Ein Ultimatum verstrich ohne Ergebnis. Nun wollen Bahnbeschäftigte wie geplant für zwei Tage streiken. »Wir waren zu Kompromissen bereit«, beteuert die Gewerkschaft – knapp 10 Millionen Fahrten sind laut Bahn betroffen.

  • Mutmaßlicher Schütze von Sindelfingen besaß Waffe offenbar illegal: Der 53-Jährige, der im Mercedes-Werk in Sindelfingen auf zwei Kollegen geschossen haben soll, äußert sich bislang nicht zur Tat. Nun geben die Ermittler neue Details bekannt.

  • Importe von Elektroautos aus China legen stark zu: Aus China kommen stetig mehr Autos nach Deutschland. Die Produktionskosten sind verlockend niedrig, Schutzzölle gibt es nicht. Zu Hause dominieren chinesische Marken den Elektroautomarkt bereits.

Meine Lieblingskolumne heute: Anja goes to Liverpool

Reiley aus Dänemark (bei der Generalprobe): Fahriger Wuschel im rosa Anzug

Reiley aus Dänemark (bei der Generalprobe): Fahriger Wuschel im rosa Anzug

Foto:

Sarah Louise Bennett / EBU

Es ist stets ein großes Vergnügen, wenn meine Kollegin Anja Rützel vom European Song Contest berichtet. Heute besonders. Sie macht sich zum Beispiel Sorgen, dass bei der Abstimmung per Telefon »die jungen Leute eventuell gar nicht mehr wissen, wie man telefoniert« und freut sich über eine Begegnung mit Conchita Wurst, der nämlich hat »die Brustwarzen festlich rot in Herzform glasiert, soweit man das im Vorbeihuschen erkennen kann.«

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Ampelkoalition will umstrittenes Heizungsgesetz wohl verschieben: Die Ampel möchte ab 2024 den Einbau neuer Öl- und Gaskessel weitgehend verbieten. Nun zeichnet sich ein späterer Start der Heizungswende ab. Eigentümer könnten so noch Monate länger eine fossile Heizung einbauen .

  • Ist die Ibiza-Republik noch zu retten? 50 Beschuldigte gibt es nun, vier Jahre nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos, auch Ex-Kanzler Kurz ist darunter. Doch die rechtspopulistische FPÖ ist wieder stärkste Partei. Warum das Land offenbar nichts gelernt hat .

  • Als ich meine Lebensretterin wiedersah, brach ich in Tränen aus: Sportlich, schlank, stresserprobt: Trotzdem sackte ich beim Einkaufen plötzlich zusammen. Ich erlitt einen Herzinfarkt mit Kammerflimmern. Warum ich das Glück hatte zu überleben – und was ich mir jetzt wünsche .

  • Dieses Dorf könnte von zwei Millionen Kubikmeter Stein überrollt werden: Rutschende Felsmassen bedrohen den Schweizer Ort Brienz. Welche Katastrophenszenarien gibt es? Sorgen Extremwetter und Klimawandel für instabile Hänge? Antworten auf die wichtigsten Fragen .

Mini-Hohlspiegel

Werbung in einem Schaufenster in Leer

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Und am Wochenende?

Könnten Sie sich in der Mediathek des Senders Arte den Film »Die Brücke«  von Bernhard Wicki ansehen. Am Tag, an dem in Berlin der deutsche Filmpreis verliehen und sicher viel über die Neuverfilmung von »Im Westen nichts Neues« diskutiert wird, ist dieser Klassiker aus dem Jahr 1959 meine herzliche Empfehlung. »Dieses herbe, expressive Kriegsend-Drama wurde zu Recht rund um die Welt wie zuvor kein Film aus der Bundesrepublik gefeiert«, hat mein Kollege Urs Jenny über den Film geschrieben – und beklagt, das Wicki nicht viel mehr Filme drehen durfte: »Es gehört zur stetigen Ungerechtigkeit der Branchenverhältnisse, dass mit diesem Kraftakt keine folgerichtige Regiekarriere begann, nicht fürs deutsche Kino und erst recht nicht für Hollywood.« (Lesen Sie hier den Beitrag aus dem SPIEGEL-Archiv.)

Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Wolfgang Höbel, Autor im Kulturressort

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