

Die Lage am Abend Wie erklär ich's Mario?

Guten Abend, liebe Leserinnen und liebe Leser, die drei Fragezeichen heute:
Corona-Maßnahmen, Folge 147?
Trump und sein Scherbenhaufen?
Überraschung: Angaben der Autoindustrie stimmen nicht?
An dieser Stelle begrüßt Sie in der Regel mein Kollege Oliver Trenkamp. Ab heute darf ich Ihnen für die kommende Woche die wichtigsten Themen des Tages nahebringen – und ein bisschen fühlt es sich so an, als würde Thomas Gottschalk »Wetten dass…?« abgegeben haben. Ich bin quasi schon gescheitert. Hoffen wir also, dass es mir nicht so geht wie Gottschalk-Nachfolger Wolfgang Lippert (Sie erinnern sich, Lippi, der 1997 ins Gerede kam, weil er eine Kombizange im Baumarkt klaute), sondern eher wie dem »Wetten dass…?«-Kurzzeitmoderator Markus Lanz, der seit seiner Schmach am Samstagabend immerhin auf anderem Gebiet einen sehr respektablen Job macht, wie unser Autor Arno Frank jüngst feststellte.
1. Neue Beschränkungen
Jeden Morgen sitzen wir in der Redaktionskonferenz und beraten die wichtigsten Themen des Tages. Und glauben Sie mir, wir würden wirklich sehr gern den Tag erleben, an dem die beiden Topthemen nicht Trump und Corona heißen. Mir scheint, bis auf Weiteres werden wir diesen Tag nicht erleben. Auch heute dominierte das Virus wieder den Takt des Nachrichtenstroms. Mitunter fällt es selbst uns schwer, die wir von Berufs wegen alles verfolgen, den Überblick zu behalten. Was für eine Beschlussvorlage war das noch mal, über die sich letzte Woche alle Ministerpräsidentinnen und -präsidenten aufgeregt haben? Es war die des Kanzleramts, die verteilt wurde, ohne die Regierungschefs der Länder vorher zu informieren. Um welche Beschlussvorlage geht es heute? Diesmal hat das Land Berlin eine Beschlussvorlage formuliert, Berlin hat derzeit den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz inne. In das Papier sind Vorschläge aus Vorbesprechungen der Länder eingeflossen, an denen aber der Bund noch nicht beteiligt war. Und steht da nicht das Gleiche drin, wie auch in dem Papier des Kanzleramts? Ja, beinahe, nur mit anderen Worten und mit vielen Tagen Verzögerung.

Caroline Seidel/ dpa
Was letzte Woche Bundeskanzlerin Merkel noch wollte, nämlich von vornherein strengere Regeln, scheiterte am Widerwillen der Ministerpräsidentinnen und -präsidenten. Nachdem diese nun auch eingesehen haben, dass die bisherigen Maßnahmen die Infektionszahlen nicht spürbar gesenkt haben, wollen sie am kommenden Mittwoch mit einem Vorschlagspaket in die Verhandlungen mit dem Bund gehen, das man eigentlich schon vor sechs Wochen hätte verabschieden können. Kernpunkte sind:
Shutdown bis mind. 20. Dezember
Kontaktbeschränkungen verschärfen (zwei Haushalte, max. fünf Personen)
Weihnachten ohne Beschränkung auf Haushalte, aber auf Personen (fünf oder zehn)
Kein Feuerwerk an Silvester
Kaum wurde das Papier der Länderchefs öffentlich, preschten zumindest einige der CDU-geführten Länder vor. Ein Silvester ohne Böller sei nicht vorstellbar. Auch wollen die CDU-geführten Länder, dass in Bundesländern, die weniger als 50 Neuinfektionen pro Woche und 100.000 Einwohner haben, Lockerungen von den Schließungen möglich sein sollen – im Papier der SPD-regierten Länder ist von einem Inzidenzwert von 35 die Rede.
Dieses Wirrwarr und diese Uneinigkeit – und ja, auch diese Profilierungssucht einiger Politiker – kostet, je länger es dauert, Zeit, Nerven und Zuspruch in der Bevölkerung für das Management der Krise.
Immerhin schwant den Entscheidern, dass bei der Bekämpfung der Pandemie womöglich auch die Schulen ein zentrales Puzzleteil sein könnten. Bis zuletzt sträubten sie sich, Schulen zu schließen oder auf Hybrid- und Digitalunterricht umzuschwenken. Wenigstens in den Kultusministerien scheint nun darüber Einigkeit zu herrschen, dass sich das Dogma wohl nicht länger aufrechterhalten lässt. Heute ab 19 Uhr wird wieder diskutiert.
Hier lesen Sie, was bislang über die neue Beschlussvorlage einiger Länder bekannt ist: Auf diese neuen Corona-Maßnahmen müssen sich die Deutschen einstellen
Und hier hat Silke Fokken zusammengetragen, wie der Schulunterricht bis auf Weiteres aussehen könnte: Kultusminister schlagen neue Regeln für Schulen in Hotspots vor
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2. Trump und sein Erbe
Donald Trump und kein Ende: Neulich habe ich unser Auto verkauft und als der Käufer mitbekam, dass ich Journalist bin, löcherte er mich mit Fragen zu Trump. Was macht der da? Wie ist der einzuschätzen? Wird er seinen Sessel doch noch freiwillig räumen? Tja, wenn ich das wüsste. Bei jeder neuen Meldung schickt Mario, so heißt der Käufer, eine WhatsApp mit Fragen. Heute bekam er mit, dass Trumps Außenminister Pompeo nach Saudi-Arabien geflogen ist und dort den Kronprinzen Mohammed bin Salman getroffen hat. Auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu soll heimlich zum saudischen Kronprinzen geflogen sein. Welchem Zweck die Treffen dienten, ist bislang nicht bekannt. Mario hat eine böse Vorahnung: »Will Trump in letzter Minute mit Verbündeten doch noch den Erzfeind Iran angreifen?«

Noch-US-Außenminister Mike Pompeo bei seiner Ankunft in Saudi-Arabien
Foto: Patrick Semansky / dpaIch kann Mario leider keine befriedigende Antwort schicken. Aber feststeht: Das Erbe Trumps ist auch ohne eine Intervention in Iran eine schwere Bürde für den neuen Präsidenten. Joe Biden, der mit Anthony Blinken seinen designierten Außenminister vorstellte, wird genügend Mühe haben, den Schutt beiseite zu räumen, den Trump ihm hinterlassen hat. Trumps Ex-Sicherheitsberater Bolton resümierte, er führe sich auf »wie ein Randalierer«.
Lesen Sie hier ein Interview mit der Migrationsforscherin Doris Meissner über Trumps brutale Migrationspolitik: Was Joe Biden rückgängig machen kann – und was nicht.
3. Die Schwindel-Industrie
Dass den Angaben der Autohersteller beim Energieverbrauch nicht mehr zu trauen ist, liegt in erster Linie an den Autoherstellern selbst. Zu sehr haben sie getrickst, zu sehr die Öffentlichkeit bei ihrer Kommunikation in die Irre geführt, zu wenig aus den Desastern gelernt. Die Verbräuche bei den Verbrennern liegen immer noch stets über denen, die die Produzenten selbst angeben.
Hoffnungen liegen deshalb auf Plug-in-Hybridfahrzeugen und der E-Mobilität. Zwar ist auch die nicht unumstritten, der Ressourcenaufwand zur Herstellung der Batterien ist immens, die CO₂-Ersparnis käme erst zum Tragen, wenn die Fahrzeuge enorm lange mit vielen Kilometern gefahren werden. Dennoch gelten die Fahrzeuge als umweltschonender – auch wegen der Angaben der Hersteller.
Doch auch hier stimmen die offiziellen Daten mit der Realität nicht überein. Plug-in-Hybridfahrzeuge gelten als Sparwunder und werden vom Staat gefördert. Eine Studie hat nun untersucht, wie viel Benzin sich drei typische Zwitterexemplare tatsächlich genehmigen – nämlich deutlich zu viel.
Die beiden Verkaufsschlager Mitsubishi Outlander und Volvo XC60 sowie den BMW X5 wurden getestet. Keiner der drei SUV schaffte es, die niedrigen offiziellen CO2-Emissionen – und damit den versprochenen niedrigen Spritverbrauch – einzuhalten. Das ernüchternde Fazit der Expertin Julia Poliscanova: »Plug-in-Hybride sind Pseudo-Elektroautos, die für Labortests und Steuererleichterungen gebaut werden, aber nicht für tatsächliches Fahren.«
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: So viel verbrauchen Plug-in-Hybride wirklich
Was heute sonst noch wichtig ist
Türkei verhindert Bundeswehrinspektion auf verdächtigem Frachter: Bei der EU-Mission zur Eindämmung des Waffenschmuggels nach Libyen kommt es zum Eklat. Als eine Bundeswehrfregatte ein türkisches Schiff kontrollieren will, legt Ankara scharfen Protest ein. Die Soldaten müssen wieder von Bord.
Trump-Team trennt sich von Anwältin Powell: Die Anwältin Sidney Powell tischte abstruse Verschwörungstheorien auf, wie Donald Trump angeblich der Wahlsieg gestohlen wurde. Das war selbst den Juristen des US-Präsidenten zu viel.
Ehemalige »Bild«-Chefredakteurin Tanit Koch verlässt RTL: Das war ein kurzes Gastspiel. Tanit Koch wird nur noch bis Ende des Jahres für die RTL-Mediengruppe arbeiten. Dies bestätigte der Sender. Koch war erst im März 2019 eingestellt worden.
Mitbegründer der Ice Bucket Challenge gestorben: Patrick Quinn war eines der Gesichter der Ice Bucket Challenge, sein Schicksal bewegte viele Menschen. Nun ist er an der Nervenkrankheit ALS gestorben, er wurde 37 Jahre alt.
Weitere Durchsuchung bei Volkswagen: In der Affäre um einen mutmaßlichen Spitzel bei Volkswagen kündigt sich laut Medienberichten eine neue Wendung an. Die Staatsanwaltschaft hat sich zusätzliche Unterlagen bei dem Autokonzern besorgt.
Mein Lieblingsinterview heute
Claus Hecking hat mit dem österreichischen »Ski-Napoleon« Peter Schröcksnadel ein Gespräch geführt, einem Geschäftsmann, der Anteile an Dutzenden Liften besitzt und Webcam-Bilder von den Gipfeln an Fernsehsender verkauft. Er ist einer dieser verschrobenen älteren Herrschaften, denen Corona gehörig auf den Senkel geht. So wie zum Beispiel der Theatermann Frank Castorf (»Ich möchte mir von Frau Merkel nicht sagen lassen, dass ich mir die Hände waschen muss«) oder Steakhaus-Veteran Eugen Block (»Dann sterbe ich eben drei Tage früher, na und?«). In diese Kategorie fällt auch Schröcksnadel, der auf die Frage »Kann eine Gondelfahrt nicht zum Spreader-Event werden?« antwortet: »Ah geh.«
Man muss seine lakonische Art nicht mögen, wie er auf das Thema Corona blickt, aber er hat auch Argumente, die über »Ah geh.« hinausgehen und die man sich zumindest mal durchlesen kann. »Schröcksnadel und andere Ski-Unternehmer versuchen, die Wintersaison noch irgendwie zu retten«, sagt Claus. »Dafür haben sie sich einiges an Konzepten einfallen lassen, bis hin zum Versprühen von Desinfektionsmitteln mit Schneekanonen. Aber fraglich ist, ob das die deutschen Behörden überzeugt, die Quarantänebestimmungen für Rückkehrer aus Risikogebieten zu lockern.«
Lesen Sie hier das komplette Interview: »Die Freude am Skifahren darf man sich von der Panikmache nicht nehmen lassen« und hier einen Text aus dem aktuellen SPIEGEL, was Gastronomen und Liftbetreiber in den Bergen alles unternehmen, um ihre Existenz zu sichern: Skisaison-Start unter Corona-Bedingungen
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
»Wenn ich die Kinder weinen höre, kann ich nicht zu ihnen«: Der Vater schließt sich ein, die Mutter sagt mit Mundschutz »Gute Nacht«. Hier berichten Eltern und ein Kind von ihrer Zeit in Quarantäne.
Keinen Süßstoff und kein Nervengift mehr, bitte: Null Zucker ist auch keine Lösung: Das habe ich bei meinem Experiment, bei dem ich meinen Darmpilz aushungern sollte, gelernt. Und noch einiges mehr. Auch über mich selbst.
In Georgia entscheidet sich, wie viel von Trump bleibt: Bei der Stichwahl geht es um die Mehrheit in Washington – und darum, ob der neue Präsident Joe Biden das Erbe seines Vorgängers beseitigen kann.
In Europa wird zu klein gedacht: KI gilt als Klimasünder, weil Superrechner immens viel Strom verbrauchen. Doch andererseits helfen immer mehr Anwendungen, Umweltprobleme zu lösen.
Was heute nicht so wichtig ist
Es ist natürlich immer eine Frage der Perspektive, was wichtig ist und was nicht. Es mag Menschen (auch in dieser Redaktion) geben, für die die Nachricht sehr wichtig ist, dass der royale Hund Lupo von Prinz William und Herzogin Catherine verstorben ist. Anderen ist das eher egal und sie kommentieren das mit einem achselzuckenden »Sollen sie sich halt einen neuen kaufen.«

Gewinnendes Lächeln: Taylor Swift
Foto: - / AFPAuch dass Taylor Swift nun inzwischen 32 American Music Awards ihr Eigen nennt – und damit acht mehr als der bisherige Rekordhalter Michael Jackson ist keine Nachricht, die die Welt aus den Angeln hebt. Dennoch zeigt die Vergabe des Preises, dass in den USA Frauen zumindest im Showbiz ernster genommen werden als hierzulande. Neben Taylor Swift wurden auch Dua Lipa, Maren Morris, Nicki Minaj, Cardi B oder Doja Cat ausgezeichnet. Bei der »1Live Krone« dagegen, dem besten deutschen Musikpreises, wie mein Fachkollege Jonas Leppin urteilt, wurden ausnahmslos Männer geehrt – außer in der Kategorie »Beste Künstlerin«, wo sich offenbar beim besten Willen kein geeigneter Mann hat finden lassen.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: »Berlin hält derzeit den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz inne.«
Cartoon des Tages: Wir hatten doch noch nie zu Weihnachten Oma und Opa dabei!

Und heute Abend?
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk will aktuell die Beiträge erhöhen und es wird heftig darüber diskutiert, ob das gerechtfertigt ist. Mal wird beklagt, dass es keine Orchester braucht, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk unterhält, mal, dass zur besten Sendezeit Schmonzetten laufen und die Perlen ins Nachtprogramm verbannt werden. Wer so argumentiert, schaut Fernsehen offenbar noch linear und hat noch nicht mitbekommen, dass es längst Mediatheken gibt.
Daher seien Ihnen zwei Stücke daraus ans Herz gelegt (müssen Sie auch nicht heute Abend gucken, können Sie auch morgen um 13 Uhr oder um 6 Uhr vor dem Joggen):
Schauen Sie sich den letzten »Talk aus Berlin« im rbb an und beobachten Sie, wie die Ökonomin und Umwelt-Wissenschaftlerin Maja Göpel dem leicht bräsigen Moderator Jörg Thadeusz geduldig erklärt, was selbst 17-Jährige gut verstehen können – nämlich, warum es keine gute Idee ist, sich ein SUV anzuschaffen.

Wie-oft-soll-ichs-denn-noch-Erklärerin Maja Göpel
Foto: Soeren Stache / picture alliance / dpaUnd danach können Sie sich gern die eindrucksvolle 90-Minuten-Doku des Filmemachers Nathan Grossmann über Greta Thunberg ansehen. Grossmann hat die Schwedin vom Tag 1 ihres Schulstreiks am Stockholmer Parlament an begleitet und zeichnet ein Porträt einer heute 17-Jährigen, die einerseits kämpft, andererseits resigniert und an ihrer Rolle als unfreiwillige Ikone zu zerbrechen droht.
Wenn wir uns nun noch darauf verständigen können, dass die öffentlich-rechtlichen Sender nicht dauernd Werbung für ihre News-Apps machen, sollen sie meinetwegen ihre 86 Cent mehr pro Haushalt bekommen. Durchfinanziert sind ihre Online-Angebote so oder so, da braucht es keine Promo in den Hauptnachrichtensendungen.
Ich wünsche Ihnen einen vergnüglichen Abend und freue mich, wenn wir uns morgen hier wieder begegnen,
Ihr Janko Tietz
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