
Die Lage am Abend Sind Razzien gegen die »Letzte Generation« gerechtfertigt?

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Razzien bei Klimaaktivisten – ist die »Letzte Generation« eine kriminelle Vereinigung?
Gestiegene Preise – welche Unternehmen nutzen die Inflation, um ihre Gewinne zu steigern?
WM in Katar – schreiben die Kroaten heute Geschichte?
1. Klima der Angst
Hausdurchsuchungen an elf Orten im ganzen Bundesgebiet, unter anderem wegen des Anfangsverdachts auf Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung: Die Ermittler haben schweres, juristisches Geschütz aufgefahren bei ihrer Aktion gegen die Klimaaktivisten der »Letzte Generation« heute morgen. Es geht offenbar nicht um die Klebeaktionen auf Straßen, Flughäfen oder in Museen, sondern um mehrere Aktionen der Protestierer gegen den brandenburgischen Raffineriebetrieb PCK Schwedt im Frühjahr. Damals hatten Mitglieder der Gruppe mehrmals Notfallventile einer Rohöl-Pipeline zugedreht. Konfisziert hat die Polizei nach Angaben der Aktivisten lediglich einige Laptops, Handys und Plakate. Festgenommen wurde niemand, wie meine Kollegen Sven Röbel und Jonas Schaible berichten. (Hier mehr.)
Es stellt sich die Frage, was die Ermittler hofften zu finden – und wen sie aufspüren wollten. »Die Klimaaktivisten handeln alles andere als klandestin«, sagt Jonas, der die Szene gut überblickt. »Das sind Leute, die ihre Personalausweise mitbringen zu ihren Aktionen – die lassen sich widerstandslos festnehmen.« Möglicherweise geht es um Abschreckung: Will die Polizei weitere Aktionen verhindern, indem sie Aktivistinnen und Aktivisten einschüchtert? »Die Leute von der ›Letzten Generation‹ haben bereits angekündigt, dass sie weitermachen«, sagt Jonas, »die haben sich entschieden.« Durch Razzien wie diese fühlten sie sich eher bestätigt – und bekämen womöglich noch mehr Sympathien.
Vielleicht geht es den Ermittlern also um das Signal: Wir tun etwas, wir lassen denen das nicht durchgehen! Es wäre nicht ohne Ironie, wenn der Staat mit symbolischem Handeln gegen das symbolische Handeln der Aktivisten vorgeht. Gestern hat unser Kolumnist Nikolaus Blome darüber geschrieben, dass man sich über »Klimakleber« und »Reichsbürger« zugleich empören kann, ohne sie gleichzusetzen: »Für meinen Teil habe ich nichts gegen eine Machtdemonstration des Staates.« Nur wenn aus ihr wenig folgt, ist es dann nicht eher eine Ohnmachtsdemonstration?
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Razzia gegen Klimaaktivisten der »Letzten Generation«
2. Weniger ist weniger
Mit dem Zweiten sieht man – weniger. Jedenfalls heute früh: Das ZDF-»Morgenmagazin« ist wegen eines Streiks einiger Journalistinnen und Journalisten ausgefallen, auch eine »heute Xpress«-Nachrichtensendung am Vormittag. Stattdessen liefen Wiederholungen. Die Arbeitnehmervertreter finden, dass sich in den Verhandlungen über Gehälter »nicht wirklich etwas« bewege. Sie wollen mehr Geld. (Hier mehr dazu.)
Mit dem Gefühl, dass es nicht reicht, sind sie nicht allein. Zwar sind die Tariflöhne in Deutschland im zu Ende gehenden Jahr gestiegen, doch die Inflation hat das Plus schnell wieder aufgefressen – und war damit noch lange nicht satt: Einen »in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland bislang einzigartigen Reallohnverlust« von durchschnittlich 4,7 Prozent haben gewerkschaftsnahe Wirtschaftswissenschaftler errechnet. (Hier mehr dazu.)
Aber es gibt auch Inflationsgewinner, der kleine Klassenkämpfer in mir schreibt an dieser Stelle ein »natürlich« dazu: Viele Unternehmen nutzen laut Ifo-Institut die Inflation, um ihre Gewinne zu steigern, vor allem der Handel, die Landwirtschaft und der Bau. Firmen aus diesen Branchen erhöhten demnach ihre Preise deutlich stärker, als es aufgrund der gestiegenen Kosten zu erwarten gewesen wäre. Ein billiger Trick, der die Sachen teurer macht. (Mehr dazu hier.)
Hier finden Sie unseren Kaufkraftrechner: So frisst die Inflation Ihr Gehalt auf
3. Favoriten und Ikonen
Am Abend treffen in Katar Argentinien und Kroatien aufeinander. »Wenn Kroatien das WM-Halbfinale gewinnen sollte, dann wahrscheinlich im Elfmeterschießen«, berichtet mein Kollege Jan Göbel aus Doha. »Das liegt unter anderem am starken Keeper Dominik Livaković. Doch es gibt noch mehr Gründe.« (Mehr hier. )
Und mein Kollege Christoph Scheuermann schreibt seine WM-Minikolumne über eine deutsche Ikone:
Rudi Völler ist zurück. Das ist deshalb überraschend, weil er sich erst vor wenigen Monaten verabschiedet hatte. Jetzt soll Völler laut »Bild« einer siebenköpfigen Beratungskommission des DFB angehören, die nichts weniger zur Aufgabe hat, als bei der Europameisterschaft in Deutschland in zwei Jahren eine erneute Totalblamage des DFB-Teams zu verhindern. Völler soll den Fußball retten, wieder mal. Womöglich hatte er andere Pläne für seinen Ruhestand, aber für den Rest des Landes ist das eine gute Nachricht.
Man könnte denken, dass Rudi Völler nicht die Personalie ist, die den deutschen Fußball nach vorne bringt. Das Gegenteil ist richtig. Völler wurde zwar als Teamchef der Nationalmannschaft 2002 nur Vizeweltmeister, zwei Jahre später schied er bei der EM schon in der Vorrunde aus. Aber er hat sich schon durch seine Fähigkeit, 40 Jahre im deutschen Fußball überlebt zu haben, den Status einer Legende erarbeitet. Vor allem aber beherrscht er die rhetorischen Genres der Wutrede und der Journalistenbeschimpfung (»Ich kann diesen Scheißdreck nicht mehr hören«), zwei wichtige Führungsinstrumente, die dem DFB unter Flick und Bierhoff abhandengekommen sind.
Klar ist: Der Held steht bereit. Die Frage ist nur noch, ob der deutsche Fußball von Rudi Völler gerettet werden will.
Und hier lesen Sie hier mehr über die Chancen Kroatiens: Nur 120 Minuten durchhalten – dann haben sie die Favoritenrolle
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine
»Sie müssen für ihre Taten bestraft werden«: In der befreiten Region Cherson suchen internationale Ermittler nach Belegen für Kriegsverbrechen. Es geht um Folter, Mord und sexualisierte Gewalt.
Ukrainekonferenz sagt Kiew eine Milliarde Euro Winterhilfe zu: Russland attackiert gezielt die Infrastruktur der Ukraine – nun haben sich Dutzende Länder und Organisationen darauf geeinigt, Winter-Soforthilfe zu leisten, um die Energie- und Gesundheitsversorgung aufrechtzuerhalten.
Russen feuern laut USA mit Uraltmunition, neue Attacken auf Stromnetz befürchtet: Die russische Armee setzt offenbar zunehmend veraltete Geschosse mit hoher Versagerquote ein. Präsident Selenskyj spricht über drohende neue Blackouts. Und: Scholz baut den Russen eine Brücke. Die wichtigsten Entwicklungen.
Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
Was heute sonst noch wichtig ist
Eva Kaili als Vizepräsidentin des EU-Parlaments abgesetzt: Eine Bestechungsaffäre erschüttert das EU-Parlament. Als Reaktion wirft das Plenum nun die verdächtigte Eva Kaili als Vizepräsidentin raus.
Hunderte Menschen in Teheran zu Freiheitsstrafen verurteilt: Das Regime in Iran versucht, Proteste mit allen Mitteln zu unterdrücken. Nun hat die Justizbehörde in Teheran Zahlen zu Verurteilungen veröffentlicht. Allein in der Hauptstadt wurden demnach 400 Freiheitsstrafen verhängt.
Acht Jahre Haft für Cum-ex-Schlüsselfigur Hanno Berger: Das Bonner Landgericht hat den Anwalt Hanno Berger wegen Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt. Er gilt als Architekt der illegalen Cum-ex-Steuergeschäfte.
Wissenschaftler erzielen Durchbruch in der Kernfusion: Erstmals wurde beim Verschmelzen von Atomkernen mehr Energie gewonnen, als Laserenergie zur Auslösung erforderlich war: Die Forschung ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer neuen klimafreundlichen Energiequelle.
Mein Lieblingsheft heute: Dein SPIEGEL – wenn Arten verschwinden
Für viele Kinder und Jugendliche ist die Weltlage frustrierend: Die Klimakrise bedroht den Planeten. Wenn nicht gehandelt wird, könnten eine Million Tier- und Pflanzenarten aussterben, viele davon in den nächsten Jahrzehnten. Im Kinder-Nachrichtenmagazin »Dein SPIEGEL« geht es darum, welche Folgen das Verschwinden der Arten haben kann – und darum, wie Artenschutz gelingen kann. Außerdem stellt das Magazin die Frage, wie radikal Protest sein darf. Das Magazin gibt es seit heute am Kiosk, hier kann man das Heft auch online kaufen: bei Amazon und bei »Meine Zeitschrift« .
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
China steht vor einem finsteren Winter: Die Volksrepublik lockert ihren strikten Coronakurs, aber die Menschen feiern keinen »Freedom Day«. Fiebermedikamente sind ausverkauft, die Straßen in Peking wie ausgestorben. Und im Januar droht ein Superspreader-Event .
Die Zeit der Straflosigkeit ist endlich vorbei: Die EU-Staaten haben dem ungarischen Ministerpräsidenten Orbán klargemacht, dass sie sich nicht mehr erpressen lassen. Es ist eine historische Entscheidung, der allerdings weitere folgen müssen .
Geschwister als Unternehmer – geborene Gewinner: Zerstrittene Erben prägen Deutschlands Unternehmenslandschaft. Aber wenn es gut läuft, sind Geschwister als Team nicht zu schlagen. Was wir von den Seidenstickers, Goldbecks, Sixts und anderen lernen können .
»Die Lage der Bahn ist kritisch«: Detlef Müller ist SPD-Fraktionsvize und gelernter Lokführer. Hier spricht er über den Frust seiner Kollegen – und gibt Tipps, wie Bahnkunden dem Chaos an den Weihnachtstagen entkommen können .
Was heute weniger wichtig ist
Alle Jahre Lieder: Auch 2022 ist Mariah Carey, 52, mit ihrem Weihnachts-Ohrwurm »All I Want For Christmas Is You« aus dem Jahr 1994 an der Spitze der amerikanischen Charts angekommen – zum vierten Mal in Folge. Das Magazin »Billboard« verglich die Rückkehr der Musikerin auf Platz eins mit dem »Weihnachtsmann, der sich auf seine jährliche Schlittenfahrt begibt«.
Tippfehler des Tages, inzwischen korrigiert: Nachdem sie am Montagmittag erschossen worden waren, eilte den Angaben zufolge ein Spezialkommando zum Ort des Geschehens. Zudem wurden Hubschrauben zu dem Einsatzort geschickt.
Cartoon des Tages: Bestechende Logik

Illustration: Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Könnten Sie sich, klar, das Fußballspiel angucken, es läuft in der ARD. Oder Sie verfolgen es bei uns im Liveticker (hier ist der Link). Oder beides.
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp