
Die Lage am Abend Haben Sie zufällig Sahra Wagenknecht gesehen?
Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Phantom: Warum fehlt Sahra Wagenknecht häufig bei Abstimmungen im Bundestag?
Förderprogramm: Schenkt uns Robert Habeck die neue Ökoheizung?
Streik bei der Post: Werden wir es bemerken?
1. Sahra Wagenknecht, das Phantom im Bundestag
So häufig die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht im Fernsehen sitzt, so selten trifft man sie an ihrem vom Steuerzahler finanzierten Arbeitsplatz, dem Deutschen Bundestag. Von den bislang 89 Sitzungstagen in dieser Legislaturperiode hat sie 29 Tage nachweislich verpasst. So ergeben es SPIEGEL-Recherchen . Bei weiteren acht Sitzungen galt sie offiziell als anwesend, fehlte aber bei Abstimmungen, was auf einen frühen Feierabend schließen lässt.
Mein Kollege Marc Röhlig hat mithilfe der Sitzungsprotokolle herausgefunden, dass Wagenknecht auch bei vielen namentlichen Abstimmungen nicht da war. Von insgesamt 67 hat sie 32 verpasst. Zum Vergleich: Linkenchefin Janine Wissler fehlte bei neun Abstimmungen, Fraktionschef Dietmar Bartsch bei einer einzigen. Selbst Außenministerin Annalena Baerbock, ständig auf Dienstreisen, verpasste nur 27 Abstimmungen.
Wagenknecht räumt ein, ganze Sitzungswochen versäumt zu haben. Sie sei krankgeschrieben gewesen, sagte sie auf Nachfrage. Warum sie an Abstimmungen selbst dann nicht teilgenommen hat, wenn sie laut Protokoll eigentlich anwesend war, erklärte sie so: Da namentliche Abstimmungen »leider« meist kurzfristig angesetzt würden, hätten sich »terminliche Kollisionen nicht in jedem Fall vermeiden lassen«.
Etwa am 19. Mai 2022. Wagenknecht war zur Bundestagssitzung eingetragen. Doch als unter Tagesordnungspunkt 14 die Nahrungsmittelversorgung in der Ukraine aufgerufen wurde, war keine Wagenknecht da. Sie saß lieber im ZDF-Talk »Markus Lanz«, der zur selben Zeit aufgezeichnet wurde.
Ich habe extra in der ZDF-Mediathek nachgesehen: Wagenknecht erläuterte Lanz, warum der Westen ihrer Ansicht nach ein Kriegsende in der Ukraine verhindere.
Mein Kollege Marc schreibt: »In der Linksfraktion lästern manche schon länger über die Phantomabgeordnete. Sie trage sich, wenn sie in Berlin sei, zwar in die Listen ein, bleibe dann aber häufig den Debatten fern, heißt es. Schon als Fraktionsvorsitzende sei sie ›nicht die Fleißigste‹ gewesen.«
Vor einigen Tagen hat Wagenknecht angekündigt, bei der nächsten Wahl nicht mehr für die Linke anzutreten. Ob sie aus der Politik verschwinden wird, ist noch offen. Im Bundestag würde ihre Abwesenheit jedenfalls kaum auffallen.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Das Bundestagsphantom
2. Neue Heizung – Habeck zahlt?
Bundeswirtschaftsminister Robert »Ist ja nur Geld« Habeck von den Grünen hat heute ein milliardenschweres Förderprogramm angekündigt, um Hauseigentümern den Abschied von der Öl- oder Gasheizung zu erleichtern. Haushalte mit niedrigem Einkommen sollen einen höheren Zuschuss bekommen als Besserverdiener.
Es sei sinnvoll, die Förderung sozial zu staffeln, sagte Habeck. »Wenn man eine Villa für zehn Millionen saniert, wird man da auch eine Wärmepumpe einbauen können.« Anderes könne gelten, wenn man »ein kleines Häuschen und geringe Ersparnisse hat«. Falls dann eine neue Heizung fällig sei, müsse beispielsweise die Differenz zu anderen Heizungssystemen »weitestgehend überbrückt werden«.
Habeck reagiert damit auf Kritik an seinem Plan, neue Öl- und Gasheizungen schon ab nächstem Jahr zu verbieten. Wo das Geld für die Förderung herkommen soll, ist aber noch fraglich. Der Minister äußerte sich wolkig: »Die politische Logik sagt: Die finanziellen Möglichkeiten, die gebraucht werden, müssen bereitgestellt werden.«
In der Ampelkoalition ist Habecks Heizungsplan umstritten. Die SPD denkt etwa an die Bewohner von Mehrfamilienhäusern, in denen es derzeit noch ungefähr vier Millionen gasbetriebene Etagenheizungen gibt. Geht davon nur eine einzige in einer Wohnung kaputt, braucht die ganze Hausgemeinschaft eine neue Lösung . Der FDP ist der Plan insgesamt viel zu teuer.
Branchenexperten prophezeien, dass es schwierig bis unmöglich sei, in der von Habeck angekündigten Geschwindigkeit Zigmillionen Heizungen auszutauschen, weil es an Handwerkern und Material fehle. Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sagt: »Gasheizungen generell zu verbieten, ist falsch.«
Der Wirtschaftsminister müsste auch noch die Frage beantworten, warum es ökologisch vorteilhaft sein soll, wenn die vielen neuen Wärmepumpen noch für längere Zeit mit besonders dreckigem Strom betrieben werden. Wie das Statistische Bundesamt heute mitteilte, stieg der Anteil von Kohle an der deutschen Stromproduktion vergangenes Jahr auf genau 33,3 Prozent. Bildlich gesprochen: In jeder neuen Habeck-Heizung kokelt heimlich ein Braunkohlebrikett.
Lesen Sie hier mehr: Habeck will Heizungsumstieg mit Milliardenprogramm fördern
3. Die Post geht nicht ab, na und?
Wichtige Unterlagen und Terminsachen sollten Sie ab sofort besser nicht mehr mit Post verschicken: Die dort angestellten Mitglieder der Gewerkschaft Ver.di haben sich heute mit 85,9 Prozent für einen unbefristeten Streik ausgesprochen. Das nötige Quorum von 75 Prozent wurde damit klar übertroffen.
Bevor die Beschäftigten die Arbeit einstellen, soll morgen aber noch einmal verhandelt werden. Ver.di fordert 15 Prozent mehr Lohn in einem zwölf Monate laufenden Tarifvertrag. Die Post bot zuletzt eine Tariferhöhung in zwei Stufen ab 2024 an, die Firmenangaben zufolge die Bezahlung um durchschnittlich 11,5 Prozent verbessern würde.
Als Außenstehender ist man einerseits geneigt, den Beteiligten zuzurufen, sie möchten sich doch bitte gleich in der Mitte treffen, anstatt wochenlang den Briefverkehr lahmzulegen und sich schließlich mit kampfmüden, übernächtigten Gesichtern genau da zu treffen: in der Mitte. Denn so läuft es ja häufig bei solchen Auseinandersetzungen.
Andererseits denkt man: Ach ja, Schneckenpost, ob’s Tage oder Wochen dauert, ist inzwischen ja auch fast egal.
Lesen Sie hier mehr: Ver.di-Mitglieder votieren für unbefristeten Streik bei Deutscher Post
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
AKW Saporischschja nach Beschuss ohne Strom: Seit Kriegsbeginn attackiert Russland immer wieder gezielt die ukrainische Energieinfrastruktur. Nach heftigen Luftschlägen in der gesamten Ukraine sollen nun 15 Prozent der Bürger ohne Strom sein. Auch das Atomkraftwerk in Saporischschja ging vom Netz.
TV-Moderatorin schwadroniert über Eichhörnchen auf britischen Tellern: Großbritannien gehört zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine. Glaubt man der »Eisernen Puppe von Putin TV«, Moderatorin Olga Skabejewa, hat Londons Waffenhilfe nun Folgen für die Ernährung der britischen Bevölkerung.
Ein Boot, sechs Verdächtige, viele Fragen: Hinter den Sprengungen der Ostseepipelines könnte neuen Erkenntnissen zufolge ein proukrainisches Kommando stecken. Was ist über den mysteriösen Sabotageakt bekannt – und was nicht? Der Überblick .
Kremlsprecher sieht Ukraine nicht als Drahtzieher – und bezichtigt den Westen: Ermittlungen zu den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines deuten jüngsten Medienberichten zufolge auf eine ukrainische Tätergruppe hin. Der Kreml verbreitet seine eigene Theorie.
Kolumne – Eine Chance für China: Warum es falsch ist, den Friedensplan Pekings zu diskreditieren .
Was heute sonst noch wichtig ist
Deutschland fehlen fast zwei Millionen Arbeitskräfte: Die Zahl der unbesetzten Stellen in Deutschland hat mit 1,98 Millionen einen neuen Höchstwert erreicht. Die Betriebe buhlen um passendes Personal – weil ein Großteil der Jobs sofort zu besetzen ist.
Berliner Bäder-Betriebe erlauben »oben ohne« für alle: In Berlin wurde eine Frau eines Schwimmbads verwiesen, weil sie ihre Brüste nicht bedecken wollte. Mit einer Beschwerde hat die 33-Jährige Erfolg: Die Badeordnung soll nun anders angewendet werden.
Spanier muss seiner Ex-Frau mehr als 200.000 Euro zahlen: Er wurde reich, sie kümmerte sich um die Kinder und half im Unternehmen ihres Mannes mit. Dafür hat eine Frau in Spanien nun unter anderem eine monatliche Zahlung zugesprochen bekommen – trotz vereinbarter Gütertrennung.
Führende Sozialdemokraten fordern Vermögensabgabe: Die Genossen blinken nach links: »Die Reichsten der Reichen« müssten an den Kosten der Krise beteiligt werden, heißt es nach SPIEGEL-Informationen in einem Papier aus der SPD-Bundestagsfraktion.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Überleben in der Brandenburger Zombie-Apokalypse
Mein Kollege Philipp Lage war übers Wochenende in den Wäldern Brandenburgs, um für die Zombie-Apokalypse zu üben. Oder für irgendeine andere Katastrophe, die einen zwingt, sich mit einem Minimum an Ausrüstung durch die Wildnis zu schlagen. Oder wie es die Band Deichkind in ihrem fabelhaften Hit »In der Natur« besingt: »Ich hänge hier im Wald rum, ohne Hafermilch und Heizung.«

Philipp schreibt : »Ich habe ein Winter-Survival-Wochenende gebucht, zwei Tage Überlebenstraining, unter professioneller Anleitung. Orientierung im Gelände, den Körper warmhalten, ein Nachtlager errichten. Innerhalb der nächsten zwei Tage werde ich irgendwo dort draußen in ein eiskaltes Gewässer steigen müssen. Ich kann mir wenig Unangenehmeres vorstellen. Genau das ist der Punkt.«
Geht es darum, aus dem Alltag auszubrechen? Philipp machte jedenfalls die beglückende Erfahrung, dass sein Schlafsack auch bei minus sieben Grad halbwegs warmhält. Er entfachte Glut mit Feuerstahl und Birkenrinde, filterte mit Kohle sein Trinkwasser und schoss seinen Pfeil mit dem Bogen an der Zielscheibe vorbei. Einer der Guides täuschte außerdem einen Beinbruch vor, um die Spannung zu erhöhen.
Nur die gefürchtete Flussdurchquerung blieb Philipp erspart. Die Naturschutzbehörde hatte Einwände erhoben wegen möglicher Störung brütender Vögel; so endete das Abenteuer an den Grenzen der Bürokratie.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »Endlich mal in Ruhe durchschlafen«
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Was die Umstellung der elektronischen Akten für Patienten und Ärzte bedeutet: Ab Ende kommenden Jahres soll jeder Kassenpatient eine elektronische Akte haben, es sei denn, er widerspricht. Wann der Zugriff auf die digitalen Daten von Vorteil ist – und für wen er zum Problem werden könnte .
Ist der IQ von Schülern in der Pandemie gesunken? In der Pandemie war oft kein normaler Unterricht möglich. Das könnte sich auch auf die Intelligenz von Kindern ausgewirkt haben, zeigt eine Studie. Die womöglich am stärksten betroffene Gruppe wurde aber gar nicht erfasst .
Was hat die Mädchen so krank gemacht? Hunderte Mädchen in Iran litten an Kopfschmerzen, Herzrasen, Erschöpfung. Vermutet werden gezielte Giftanschläge. Die Symptome könnten aber auch psychische Ursachen haben. Was hinter dieser Theorie steckt .
Was heute weniger wichtig ist
Ohne Blutbad: US-Komiker Jimmy Kimmel, 55, vertraut darauf, dass es bei der von ihm moderierten Oscarverleihung am kommenden Sonntag keinen neuen Ohrfeigen-Eklat geben wird. Erstmals seit Jahrzehnten werden die Stars dort nicht über einen roten Teppich laufen, sondern über einen in Champagnerfarbe. »Die Entscheidung zeigt, wie zuversichtlich wir sind, dass kein Blut vergossen wird«, so Kimmel. Bei der Oscarverleihung im vergangenen Jahr hatte Schauspieler Will Smith dem Komiker Chris Rock eine schallende Ohrfeige verpasst, nachdem dieser einen Witz über Smiths Ehefrau Jada Pinkett gemacht hatte.
Mini-Hohlspiegel
»Etwa elf Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland im Jahr weggeworfen. Das ist ungefähr so viel wie drei Elefanten wiegen.«
Aus den »Nürnberger Nachrichten«
Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.
Illustration: Thomas Plaßmann
Und heute Abend?
Als hoher Oscarfavorit gilt ein Film aus Deutschland. »Im Westen nichts Neues« von Regisseur Edward Berger könnte beim Hauptpreis »Bester Film« gewinnen, ebenso in den Kategorien »Bester internationaler Film«, »Bestes adaptiertes Drehbuch«, »Bester Ton«, »Beste Filmmusik«, »Bestes Make-up und beste Frisuren«, »Bestes Szenenbild«, »Beste Kamera« und »Beste visuelle Effekte«. Das hat es so noch nie gegeben. Zumal der Film ja auch schon bei den britischen Bafta-Awards abräumte, und es laut Netflix in 91 Ländern in die Spielfilm-Top-Ten geschafft hat.

Szene aus »Im Westen nichts Neues«
Foto: Reiner Bajo / NetflixSeltsam ist nur: Während »Im Westen nichts Neues« im Ausland gefeiert wird , wurde er in Deutschland bislang weitgehend ignoriert oder sogar abgelehnt. In der »Süddeutschen Zeitung« und in der »Frankfurter Allgemeinen« erschienen böse Verrisse. Mein Kollege Arno Frank schrieb unter der Überschrift »Warum interessiert mich das nicht?«, er habe nach 12 Minuten und 44 Sekunden ausgeschaltet. Damit traf er offenbar einen Nerv. Sein Text gehörte für mehrere Tage zu den meistgelesenen auf SPIEGEL.de. Was wiederum zeigt, dass der Film offenbar doch viele Menschen beschäftigt, auch wenn sie ihn nicht sehen wollen.
Vielleicht machen Sie sich selbst ein Bild. Ich jedenfalls werde mir »Im Westen nichts Neues« heute Abend ansehen, bevor ab Sonntag womöglich die ganze Welt darüber spricht.
Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.
Herzlich,
Ihr Alexander Neubacher, Leiter Meinung und Debatte