
Die Lage am Abend Schweigers Durchdreharbeiten

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Die Akte Til Schweiger – was wird dem Schauspieler vorgeworfen?
Angeschlagener Erdoğan – warum jubeln ihm offenbar vor allem Frauen so zu?
Gewissensfragen im Parlament – was hat die Wahl in Berlin zum Regierenden Bürgermeister mit dem Koalitionskrach in Hamburg zu tun?
1. Ab in die Männerpension?
Als am Vormittag die Recherche meiner Kolleginnen Maike Backhaus und Alexandra Rojkov über die Exzesse und Ausfälligkeiten des Schauspielers Til Schweiger erschien, musste ich an das Jahr 2018 denken. Damals machte Schweiger die Alkohol- und Drogenabhängigkeit eines prominenten Radrennfahrers öffentlich. Der Ex-Sportler sei auf Mallorca auf Schweigers Grundstück eingebrochen und habe völlig derangiert und aggressiv gewirkt. »Er ging sofort mit einem Besenstiel auf einen Freund von mir los«, sagte Schweiger damals der »Bild am Sonntag«. Daraufhin habe Schweiger auf den Radfahrer, der bis dato sein Freund war, eingeredet, er müsse etwas gegen seine Sucht tun.

Schauspieler Til Schweiger: »Ich wünsche mir, dass er in einen Entzug geht und zu dem Menschen zurückkehrt, der er eigentlich ist«
Foto: Britta Pedersen/ DPAIch wunderte mich damals etwas, denn in meinem Umfeld kenne ich Menschen, die mit Schweiger zusammenarbeiten und erzählten, dass er selbst ein Alkoholproblem habe. Ich fand es scheinheilig, wie Schweiger sich in der Öffentlichkeit über den Radfahrer äußerte. Nun scheinen die Recherchen von Maike und Alexandra die Schilderungen meiner Bekannten auf eindrückliche Weise zu bestätigen. Beschimpfungen, Wutausbrüche und Trunkenheit – das alles soll an den Filmsets von Til Schweiger die Regel gewesen sein.
Mehrere Personen beschreiben ein Klima der Angst, das bei Dreharbeiten mit Schweiger geherrscht haben soll. Insgesamt haben meine Kolleginnen mit mehr als 50 Filmschaffenden, ehemaligen und aktuellen Vertrauten des Schauspielers und Regisseurs gesprochen. »Im Grundgesetz heißt es, die Würde des Menschen ist unantastbar. Nicht an den Sets von Til Schweiger«, fasst eine Kollegin Schweigers mutmaßliches Verhalten zusammen.
Zeugen beschreiben auch, der Darsteller und Regisseur sei immer wieder bei Dreharbeiten betrunken gewesen. Am Filmset von »Manta Manta – Zwoter Teil« soll Schweiger vier Mitarbeitern zufolge unter Alkoholeinfluss einen Mann ins Gesicht geschlagen haben.
Eine Anwältin, die Til Schweiger vertritt, antwortete auf einen ausführlichen Fragenkatalog des SPIEGEL, ein Teil der »Sachverhalte« sei ihrem Mandanten »nicht bekannt«, ein anderer unterstelle »angebliche Sachverhalte, die es nicht gegeben hat«. Der SPIEGEL sei »offenbar nicht umfassend informiert worden«, seit Jahren »kursierende Gerüchte« würden »zu Unrecht als tatsächlich« dargestellt. Constantin Film, mit dem Schweiger seit 2022 zusammenarbeitet, bezeichnete die gegen Schweiger erhobenen Vorwürfe als »überwiegend unvollständig und verzerrend, teilweise auch wiederum schlicht falsch«.
Schweiger zählt zu den größten deutschen Film- und Fernsehstars. Die Fortsetzung von »Manta Manta« war einer der erfolgreichsten Kinostarts in diesem Jahr. Fast alle Personen, die mit dem SPIEGEL gesprochen haben, betonen, dass Til Schweiger auch gute Seiten habe. Aber viele seiner Leute sagen: Schweigers Alkoholkonsum hätte Ausmaße angenommen, die ihnen Angst machten. Angst um ihn, aber auch um sich selbst.
2018 schilderte Schweiger in der »BamS«, wie er und andere Freunde mit ihren Ratschlägen nicht zu dem Ex-Sportler durchgedrungen seien, der zwischendurch sogar hinter Gittern landete. Danach sagte der Schauspieler, er sehe in dem Geschehen auch etwas Gutes: »Ich wünsche mir, dass er aus dem Knast direkt in einen Entzug geht und zu dem Menschen zurückkehrt, der er eigentlich ist. Nämlich ein herzensguter, liebenswerter, großzügiger Mensch, der seine Kinder abgöttisch liebt und seine Frau eigentlich auch.«
Vielleicht ist die Zeit jetzt für den Ex-Radrennfahrer gekommen, die guten Ratschläge zurückzugeben.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Vorwürfe von Mitarbeitern gegen Til Schweiger – Sie nennen ihn den »Imperator«
2. Winke, winke und bye bye?
Es waren Bilder, wie wir sie auch beim SPIEGEL seit drei Jahren kennen. Konferenzen, die entweder teilweise live, virtuell, remote, hybrid, oder sonst wie beginnen, enden zum Schluss meist mit einem freundlichen Winken in die Kamera. Da war es fast drollig zu sehen, dass auch Despoten diese Art der Geste noch beherrschen. Gestern weihte der gesundheitlich angeschlagene türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin das erste türkische Atomkraftwerk ein – per Videoschalte. Das Akkuyu-Atomkraftwerk an der Mittelmeerküste wurde unter wesentlicher Mithilfe des staatlichen russischen Atomunternehmens Rosatom gebaut.

Türkischer Präsident Erdoğan in Videoschalte: Auch Despoten beherrschen die Geste
Foto: Mikhail Klimentyev / APBereits am Mittwoch hatte der 69-jährige Erdoğan krankheitsbedingt mehrere Wahlkampftermine abgesagt. Gesundheitsminister Fahrettin Koca begründete seine Abwesenheit mit einer »infektiösen Gastroenteritis«. Am Dienstagabend brach der türkische Staatschef ein Live-Interview im Fernsehen ab. Anschließend sagte er, er habe sich zu Beginn der Woche einen Magen-Darm-Virus zugezogen. Heute musste Erdoğan einen weiteren Termin mitten im Wahlkampf canceln, eine Brückeneinweihung.
Am 14. Mai muss sich Erdoğan der Wahl stellen. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Oppositionskandidaten Kemal Kilicdaroglu oder einen Sieg des sozialdemokratischen Herausforderers voraus. Schon jetzt können Türkinnen und Türken, die in Deutschland leben, ihre Stimmen abgeben. Meine Kollegin Katrin Elger beobachtet die politische Lage seit Langem, bereits im Februar sagte ihr ein Regierungsgegner: »Wir hoffen alle, dass Erdoğan endlich abtritt. Aber ich bin sicher, unsere Landsleute in Deutschland werden es vermasseln.« Nun sieht es tatsächlich so aus, als könnten die Türken in Deutschland bei einem knappen Ergebnis über Erdoğans Zukunft entscheiden – vor allem die Türkinnen. »Der Präsident setzt besonders auf die Frauen«, sagt Katrin, die Wahlkampftermine in Köln und Hamburg besucht hat. »Es ist verstörend, wie kritiklos manche ihn verehren.«
Lesen Sie hier Katrins Geschichte: »Unser Leben würden wir hergeben, Erdoğan niemals!«
3. Die Gewissensfrage
Wahrscheinlich haben Sie den Namen Miriam Block noch nicht so oft gehört. Sie ist Grünenabgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft, votierte kürzlich bei einer Abstimmung entgegen der Parteilinie mit der Opposition und berief sich dabei auf ihr Gewissen. Es ging um die Einsetzung eines NSU-Untersuchungsausschusses (PUA) in Hamburg. Im Streit darüber wäre die rot-grüne Landesregierung beinahe zerbrochen. Die Koalition hing »am seidenen Faden«, wie mehrere führende Hamburger Grüne meinen Kollegen Ansgar Siemens, Serafin Reiber und Florian Bayer bestätigten.

Abgeordnete Miriam Block (Bündnis 90/Die Grünen) im Plenum der Hamburgischen Bürgerschaft: Politische Vernunft vs. Opportunismus
Foto:Marcus Brandt / dpa
In ihrem Koalitionsvertrag 2020 hatten beide Parteien bewusst keinen NSU-PUA vereinbart. Es war ein Zugeständnis der Grünen an die SPD, die einen solchen Ausschuss nicht will. Kuschen die Grünen also vor der SPD, um ihre Macht und Posten zu behalten?
Als die oppositionelle Linksfraktion vor Kurzem zum wiederholten Mal einen PUA beantragte, bekundeten einige Grünenabgeordnete noch ihre Sympathie. »Hätten mehrere Grünenabgeordnete mit dem Linken-Antrag gestimmt, hätten die Sozialdemokraten sicherlich den Stecker gezogen«, heißt es aus grünen Senatskreisen.
In harten Debatten, so heißt es, einigten sich die Koalitionäre auf einen Kompromiss. Statt eines Ausschusses solle es eine wissenschaftliche Aufarbeitung geben. Bei der Abstimmung in der Bürgerschaft setzte sich der Kompromissantrag durch. Als einziges Mitglied der Grünenfraktion votierte eben jene Abgeordnete Miriam Block für den Linken-Antrag.
An der Spitze der Landespartei heißt es, ihr Verhalten sei »egoistisch und unsolidarisch« gewesen. Sie habe sich mit ihrem Votum als einzige Aufrechte stilisiert – und damit alle anderen Fraktionsmitglieder brüskiert. Wegen ihres abweichenden Stimmverhaltens beschloss die Fraktion sogar, Block wichtige Ämter wegzunehmen.
Der Fall ähnelt – wenn auch in deutlich kleinerer Dimension – der gestrigen Wahl zum Regierenden Bürgermeister in Berlin. In der SPD war die Koalition mit der ungeliebten CDU hochumstritten, in den ersten beiden Wahlgängen erhielt der Kandidat Kai Wegner nicht die erforderliche Mehrheit, wohl aus Frust über das Regierungsbündnis, das knapp die Hälfte der SPD-Basis nicht wollte. Schließlich brüstete sich sogar die AfD, Wegner zur Mehrheit verholfen zu haben. Ob das pure Propaganda ist oder tatsächlich passierte, wird man nie klären können, denn die Wahl war geheim. Wahrscheinlicher ist, dass am Ende doch die SPD-Leute einlenkten und Koalitionsdisziplin walten ließen. Gewissen hin, Gewissen her. In Hamburg wäre eine Regierung an dieser Frage beinahe zerbrochen, in Berlin wäre sie beinahe gar nicht erst zustande gekommen. Dass es beides Mal anders kam, kann man politische Vernunft nennen – oder Opportunismus.
Lesen Sie hier mehr zu Hamburg: Eklat bei Hamburger Grünen – Eine Regierung am seidenen Faden
Lesen Sie hier mehr zu Berlin: Wahldebakel in Berlin – Bürgermeister von Gnaden der AfD?
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
Hier sprechen die Männer, die aus Putins Armee desertiert sind: Sie marschierten mit Schalldämpfern auf Kiew, kletterten auf Funkmasten im Donbass, ihre Namen stehen auf Fahndungslisten. Sie schossen sich selbst ins Bein oder flohen noch vor dem Marschbefehl mit ihren Familien nach Kasachstan – seitdem flehen sie die Botschaften des Westens an, sie nach Europa zu lassen. Wer sind diese Männer?
Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
Was heute sonst noch wichtig ist
Habeck will Spitzenjob neu ausschreiben lassen: Der Trauzeuge eines Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium sollte Chef der Deutschen Energie-Agentur werden. An dieser Personalentscheidung gab es heftige Kritik. Nun räumt die Behörde Fehler ein.
Bahn plant ICE-Halbstundentakt für 20 Großstädte: Jede halbe Stunde ein Fernverkehrszug: In drei Jahren soll das in doppelt so vielen Städten wie jetzt Realität sein. Damit will sich die DB für mehr Fahrgäste rüsten. Diese Bahnhöfe sind dabei.
Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen in Duisburg: Ein 26-jähriger Syrer steht im Verdacht, innerhalb von zehn Tagen mit einem Messer fünf Menschen in Duisburg attackiert zu haben, ein Mann starb. Jetzt schaltet sich der Generalbundesanwalt ein.
Wirtschaftsprüfer soll vertrauliche Ministeriumsinformationen durchgestochen haben: Er verfügte offenbar über sensible Daten des Gesundheitsministeriums und soll sie einer 29-Jährigen verraten haben – gegen sexuelle Nähe. Nun hat die Staatsanwaltschaft Berlin Anklage gegen einen Manager erhoben.
Frau hinter Vorwürfen gegen 14-jährigen Emmett Till gestorben: Carolyn Bryant beschuldigte 1955 einen schwarzen Teenager, sie berührt zu haben. Der 14-Jährige wurde daraufhin gelyncht, eines der berüchtigtsten Verbrechen aus der Zeit der Rassentrennung. Bryant wurde nie angeklagt – bis zuletzt.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Minister Perfect?
Das letzte Mal, dass ein Mann Verteidigungsminister war, war im Jahr 2013. Bis Dezember amtierte Thomas de Maizière, dann kamen Ursula von der Leyen, Annegret Kramp-Karrenbauer und Christine Lambrecht. Nun mit Boris Pistorius also wieder ein Mann. Es ist mir ja etwas unheimlich, wie er in so kurzer Zeit zum beliebtesten Minister geworden ist – so als ob die Deutschen denken: Endlich ist mal wieder ein FachMANN am Werk.
Als eine Art Messias gefeiert, muss Pistorius fast Unmögliches vollbringen: Die Bundeswehr ist in einem bedauernswerten Zustand, er muss dringend Munition beschaffen, die Ukraine beliefern, den Etat sinnvoll einsetzen, die Soldatinnen und Soldaten umgarnen. »Der Mann scheint unbändige Freude an dem Höllenjob zu haben«, sagt mein Kollege Konstantin von Hammerstein, der in der Titelgeschichte gemeinsam mit Matthias Gebauer beschreibt, wie es Pistorius gelingen konnte, innerhalb so weniger Wochen die Herzen der Deutschen zu erobern.
Als Konstantin kürzlich eine Delegation des Verteidigungsministeriums nach Afrika begleitete, nahm Pistorius sich viel Zeit, den mitreisenden Journalisten von seinen ersten Erfahrungen im Amt zu berichten. Da sei ein neuer Ton im Ministerium eingezogen, sagt Hammerstein, der die Bundeswehr seit Langem kennt. Und auch ein neuer Politikstil.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Die ersten 100 Tage im Amt – Alles hofft auf sein Kommando
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Was der Viessmann-Deal für Deutschland bedeutet: Der Mittelständler Viessmann verkauft seine Wärmepumpensparte an einen US-Rivalen. Kritiker warnen, Deutschland gebe eine Industrieperle aus der Hand. Dabei könnten Verbraucher von dem Deal sogar profitieren .
»Ich habe da richtig Bock drauf«: In kaum einem Bundesland schneiden Kinder in Leistungstests so schlecht ab und ist der Lehrkräftemangel so eklatant: Nun ist Katharina Günther-Wünsch Bildungssenatorin in Berlin – was will sie für die Schulen tun?
Lasst mich in Ruhe mit euren superduperkreativen Brotdosen! Liebe Momfluencerinnen, ich finde es ganz toll, dass ihr um fünf Uhr aufsteht, um für eure Kinder Kanapeeherzchen auszustechen. Aber was hat das mit dem echten Leben zu tun?
Was heute weniger wichtig ist
Wonne-Nonni: Die Schweizer Moderatorin Michelle Hunziker, 46, und ihr Ex-Mann, der italienische Sänger Eros Ramazzotti, 59, präsentieren sich bei Instagram gerade als frisch gebackene Oma und Opa mit ihrem Enkel Cesare. Offenbar sind die Großeltern dem Charme des Babys völlig erlegen: »Wenn Cesare, der Kaiser, ruft, rennen die Großeltern«, schrieb Hunziker unter das Bild.
Mini-Hohlspiegel

Aus der Speisekarte eines Restaurants im Baybachtal im Hunsrück
Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages
Und am Wochenende...
…könnten Sie schon mal vom Sommer träumen. Das Wochenende und der Feiertag am 1. Mai geben ja schon mal einen Vorgeschmack, das Wetter soll sonnig werden.

Baltic-Weekender-Festival-Ort Weissenhäuser Strand
Foto: Marcus Brandt / picture allianceUnd am Weissenhäuser Strand könnten Sie am Wochenende danach Vorsommer und Musik kombinieren. Sie kennen den Weissenhäuser Strand nur aus dem Fernsehen vom G7-Außenministertreffen im vergangenen Jahr? Dann haben Sie noch nicht das Festival Baltic Soul Weekender erlebt. Seit ein paar Jahren hat sich der DJ Dan Dombrowe ganz der Leidenschaft verschrieben, alte Soulgrößen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren wiederzuentdecken und an die Ostsee einzuladen.
Viele der Stars von einst wurden teilweise von ihrem Management finanziell böse hintergangen, leben heute in Armut. Dombrowe kümmert sich um sie und präsentiert sie einem Publikum, das vielleicht die Hits kennt, aber kaum die Interpretinnen und Interpreten dahinter. In diesem Jahr gibt es eine Ausnahme: Der Top-Act ist Aloe Blacc, der mit »I need a Dollar« einen Riesenhit hatte. Vielleicht ist er da, um seine Hymne den Kollegen von damals zu widmen.
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Janko Tietz, Ressortleiter Deutschland/Panorama