
Die Lage am Abend Dieser Wegner wird kein leichter sein

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Der Deutsch-Iraner, der hingerichtet werden soll – wie steht es um Jamshid Sharmahd?
Der türkische Präsident, der gewählt werden will – Politiker und Patient?
Der Berliner, der doch noch Bürgermeister wurde – wie knapp lief es für Kai Wegner?
1. Wie lange lassen sie ihn noch leben?

Todeskandidat Sharmahd (im Februar 2023 im Gericht in Teheran)
Foto:Koosha Mahshid Falahi / AFP
Mitte März sprachen meine Kolleginnen und Kollegen noch mit seiner Tochter. Seit zweieinhalb Jahren kämpft Gazelle Sharmahd um das Leben ihres Vaters Jamshid Sharmahd. Der deutsch-iranische Ingenieur wurde 2020 vom iranischen Geheimdienst entführt, als er auf einer Geschäftsreise in Dubai einen Zwischenstopp machte. Die Machthaber in Teheran hatten ihn seit Jahren im Visier, er betrieb einen Radiosender und eine Website, auf der Menschen über die Lage in Iran berichten konnten.
In Iran wird Sharmahd vorgeworfen, Anführer einer Terrorgruppe zu sein und als solcher für Attentate mit Hunderten Toten in Iran verantwortlich zu sein. Deswegen soll er sterben: Sein Todesurteil ist bestätigt, jede Minute kann Sharmahd in Iran am Galgen aufgehängt werden.
Meine Kollegin Susanne Koelbl schreibt in ihrem Kommentar über die Entsetzlichkeit dieses Vorgangs. »Denn gesetzmäßig war am Verfahren gegen diesen Mann so gut wie nichts«, so Susanne. »Nicht rechtmäßig war Sharmahds Entführung am Flughafen. Nicht rechtmäßig war seine Folter im Gefängnis, die Verhöre ohne unabhängigen Anwalt, der Ablauf der Verhandlung, die grundlegende Standards internationalen Rechts ignorierte.«
Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat deutlich gemacht, dass Sharmahds Hinrichtung für Iran einen politischen Preis haben würde. Die Europäische Union verhängte gegen einige Kommandeure der mächtigen Revolutionswächter in Iran Sanktionen. Während Sharmahds Leben zur Verhandlungsmasse internationaler Politik geworden ist, ist völlig unklar, ob ihm selbst das noch etwas bringt. Es sei wahrscheinlich, schreibt Susanne Koelbl, dass er sterben wird.
Lesen Sie hier den Kommentar: Vor diesem Gericht hatte der Angeklagte keine Chance
2. Präsident und Patient?

Präsident Erdoğan muss bei der Wahl am 14. Mai zum ersten Mal ernsthaft um die Macht fürchten
Foto:Gabriel Bouys / AFP
Geht es dem türkischen Präsidenten nicht gut? Eigentlich wollte Recep Tayyip Erdoğan diese Woche noch ein Kernkraftwerk in seinem Land einweihen. Seine Teilnahme hat er jedoch abgesagt – aus gesundheitlichen Gründen. Eigentlich wollte Erdoğan, am Dienstag bereits ein TV-Interview geben – doch auch das wurde abgesagt, angeblich wegen Magenproblemen. Wahlkampftermine für Mittwoch und Donnerstag: ebenfalls gecancelt.
Nicht nur in der Türkei wird seitdem gerätselt: Was ist denn mit ihm?
Mal heißt es, Erdoğan habe einen Herzinfarkt erlitten. Dann soll er vergiftet worden sein. Wie es Erdoğan wirklich geht, dringt nicht an die Öffentlichkeit.
»Mutmaßungen über Erdoğans Gesundheit gibt es mehr oder weniger seit er an der Macht ist«, schreibt mein Kollege Maximilian Popp über die brodelnde Gerüchteküche. »Sie haben sich bislang stets als weitgehend unbegründet herausgestellt. Auch jetzt gibt es bislang keinen Hinweis dafür, dass er ernsthaft erkrankt ist.«
Doch etwas falle auf, schreibt Max: Die abgesagten Termine passierten in einem Wahlkampf, der bisher erstaunlich verhalten verlaufe. »Erdoğan ist seit 20 Jahren an der Macht. In früheren Kampagnen war stets er es, der den Ton setzte, seine Konkurrenten vor sich hertrieb. Diesmal wirkt er kraft- und ideenlos.« Was haben sein Wahlkampf und die vermeintliche Unpässlichkeit miteinander zu tun?
Lesen Sie hier die ganze Analyse: Der türkische Patient
3. Berlin wählt, nächster Teil

Kai Wegner
Foto: Clemens Bilan / EPANeue Episode Chaos-City: Das Berliner Abgeordnetenhaus hat heute versucht, einen neuen Regierenden Bürgermeister zu wählen. Im dritten Wahlgang klappte es dann auch: Kai Wegner von der CDU erhielt von 159 abgegebenen Stimmen 86 Ja-Stimmen bei 70 Nein-Stimmen und drei Enthaltungen. Im ersten Anlauf war Wegner noch gescheitert, mit nur 71 Ja-Stimmen; beim zweiten Versuch verfehlte er das Quorum mit 79 Stimmen nur knapp. Immerhin gab es offenbar genug Wahlzettel.
Lesen Sie hier mehr: Wegner mit absoluter Mehrheit zum Regierenden Bürgermeister Berlins gewählt
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
»Wir werden den Feind vertreiben«: Mit Geschützen aus der Sowjetzeit bekämpfen ukrainische Soldaten nahe Bachmut feindliche Artillerie – und verbreiten Zuversicht. Die russische Söldnertruppe Wagner rechnet Anfang Mai mit dem Beginn der ukrainischen Gegenoffensive. Sehen Sie hier das Video.
Reporter für italienische Tageszeitung in der Ukraine erschossen: Ein ukrainischer Korrespondent der italienischen Tageszeitung »La Repubblica« ist in der Stadt Cherson durch Schüsse getötet worden. Sein Kollege konnte verletzt fliehen und kam in ein Krankenhaus.
Konfrontation (Folge 6): Der frühere Chefentwickler der russischen Hackerfirma Vulkan arbeitet inzwischen bei Amazon. Wir klingeln bei ihm, denn wir wissen, dass er früher für den Geheimdienst gearbeitet hat. Hören Sie hier den Podcast »Putins Krieg im Netz«.
Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
Was heute sonst noch wichtig ist
Reallöhne in Deutschland sinken um 4,0 Prozent: Die Kaufkraftverluste von Arbeiternehmerinnen und Arbeitnehmern sind im vergangenen Jahr größer ausgefallen als gedacht. Grund ist die Inflation – und eine Umstellung der Berechnung beim Statistischen Bundesamt.
Staatsanwaltschaft ermittelt gegen zuständige Personen von Waffenbehörde und Prüfungsausschuss: Im März erschoss der 35-jährige Philipp F. bei einem Amoklauf in Hamburg acht Menschen. Nun ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter der Waffenbehörde und Mitglieder des Prüfungsausschusses.
Staatsanwaltschaft klagt Ibrahim A. wegen Messerangriff in Zug in Brokstedt an: Gut drei Monate nach der tödlichen Messerattacke von Brokstedt hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Ibrahim A. erhoben. Dem 33-Jährigen werden zweifacher Mord und vierfacher versuchter Mord vorgeworfen.
Auto- und Radfahrer blockieren sich fast 45 Minuten: Zwei Männer im rheinland-pfälzischen Böhl-Iggelheim haben eine gute Dreiviertelstunde lang an Ort und Stelle verharrt – einer auf dem Rad, einer im Auto. Bewegen wollte sich niemand. Erst die Polizei konnte den Streit lösen.
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Warum Deutschland es nicht schafft, seinen Bürgern ein Klimageld zu überweisen: Die Schweiz bekommt es hin, Österreich auch. Nur Deutschland ist bis heute nicht in der Lage, jedem Bürger direkte Hilfen zu schicken. Das von der Ampel eigentlich geplante Klimageld rückt damit in weite Ferne .
»Ein guter Tag wurde auf einmal total dunkel«: Die Autorin E. Jean Carroll beschuldigt Donald Trump, sie in den Neunzigerjahren vergewaltigt zu haben. Jetzt hat sie den mutmaßlichen Vorfall erstmals vor Gericht beschrieben – im Detail und unter Eid. Glauben die Geschworenen ihr?
Berliner Verlag lieferte Springer Belege für Julian Reichelts Chatleaks: Springer hat offenbar gute Munition für seine Klage gegen Julian Reichelt. Nach SPIEGEL-Informationen unterrichtete Verleger Holger Friedrich den Konkurrenten über internes Material, das der ehemalige »Bild«-Boss dort angeboten haben soll .
Geheimdienste prüfen Spionageverdacht gegen die USA: Ein geleaktes US-Geheimdienstpapier sorgt in Berlin für Aufregung. Präzise wird darin über ein Treffen von Beamten des Wehrressorts mit einer chinesischen Delegation berichtet. Wie kamen die USA an die Informationen ?
Meine Lieblingsgeschichte heute: Der Mann, der achtmal den Krebs besiegte

Michael Kaufmann mit seiner Lebensgefährtin
Foto:Privat
Manche Medien behandeln den Berliner Michael Kaufmann als Sensation, was nicht übertrieben ist, denn Kaufmanns Arzt sagt über seinen Fall, so einen habe er noch nie gesehen. Derart aggressiven Prostatakrebs – so früh im Leben?
Mit 45 bekam Kaufmann das erste Mal zu hören, er müsse sterben. Es folgten viele Jahre dieser Sätze, Jahre der Metastasen, immer wieder bekam Kaufmann in einem Arztgespräch gesagt: Der Krebs ist zurück. Nicht einmal, nicht zweimal, nicht sechsmal, ingesamt achtmal hat Kaufmann den Krebs besiegt.
Heute ist Kaufmann 52 und ein Wunder, ein menschliches und ein medizinisches. Sein Fall macht Menschen Hoffnung, die laut Diagnose eigentlich auch sterben müssten. Denen gesagt wird: Das war's – überlegen Sie sich, was Sie mit den verbleibenden Monaten noch anfangen wollen. Die vielen Male, die Kaufmann diesen Auftrag bekam, haben ihn völlig verändert, schreibt mein Kollege Max Polonyi : Kaufmann, dem einst dicke Autos wichtig waren, der »Managing Director« in seiner E-Mail-Signatur stehen hat, dessen Haut makellos ist – dem ist das alles jetzt egal. Dinge anhäufen, der Status: egal.
Wofür steht Kaufmann – was können wir, die seine Geschichte lesen, von ihr lernen?
Vielleicht das: Es ist ganz einfach, zu leben. Warum machen wir es uns also ständig so schwer?
Kürzlich wurde Kaufmann gesagt, er müsse bald wieder sterben. Lesen Sie hier, was er tat, als er in diesem Moment in der Arztpraxis saß.
Was heute weniger wichtig ist
Zum Verwechseln ähnlich: Ein Besuch bei Madame Tussauds ist ja immer ein bisschen gruselig, weil man sich ständig vorstellt, die Wachsfiguren könnten plötzlich doch zum Leben erwachen, und dann steht man da – zum Beispiel vor Königin Camilla, 75. Die gibt es neuerdings in den Londoner Tussauds-Hallen zu besichtigen. Im dunkelblauen Kleid, dazu eine Kette. Randnotiz: Es ist bereits die zweite Wachsfigur von Camilla. Die erste – noch ohne Krone – war erst vor wenigen Monaten mit Sahnespritzern beschmiert worden, als Klimaaktivisten der neben ihr stehenden Wachsfigur von König Charles III. eine Torte ins Gesicht warfen.
Mini-Hohlspiegel

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Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.
Illustration: Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Wird ein Rezept umgesetzt, vor dem sich viele Menschen mindestens so fürchten dürften wie vor Wachsfiguren: Es gibt Bärlauch-Baguette. Aus Hefeteig, dem nachgesagt wird, er sei ultra-kompliziert, nichts für die Nerven am Abend, wenn man völlig gestresst aus dem Büro kommt und wieder in der heimischen Küche auftaucht. Keine Sorge, unsere Kochkolumnistin Verena Lugert hat lange für uns gelitten, damit wir uns an diesem Abend das köstlich klingende Bärlauch-Baguette reinpfeifen können: »Als ich mich mehr mit Hefeteig beschäftigt hatte, wurde mir klar, dass der Teig keine Diva ist, sondern ganz logischen Schritten folgt: je mehr Hefe, desto kürzer kann die Gehzeit sein. Und je weniger, desto länger dauert es – und desto störanfälliger wird der Prozess.« Klar. Easy.
Also: Wir backen heute ein schnelles, unaufwendiges Brot, das man frisch aus dem Ofen ziehen kann, mit fein geschnittenem Bärlauch, dem knofeligen Frühlingsboten, der jetzt, wenn es endlich wärmer wird, zum Einsatz kommt. Ich weiß, ich weiß, Sie können nach diesem nervenaufreibenden Tag nicht auch noch Bärlauch pflücken gehen, aber in den Supermarkt müssten Sie es noch gerade so eben schaffen.
Machen Sie sich ein nettes Bärlauch-Fest zu Hause. Herzlich
Ihre
Nike Laurenz, stellvertretende Ressortleiterin Leben