Wolfgang Höbel

Die Lage am Abend Einigkeit und Recht auf Heizung?

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:

  1. Ukrainekrieg – Was genau geschah beim »Vorfall« im russischen Grenzgebiet Brjansk?

  2. Rutsch in die Insolvenz – Was lief schief beim beim Düsseldorfer Modehändler Peek & Cloppenburg?

  3. Aus für Öl- und Gasanlagen – Wie teuer werden Robert Habecks Heizungspläne für Bürgerinnen und Bürger?

1. Offenbar mischte ein aufseiten der Ukraine kämpfender russischer Rechtsextremist beim Vorfall im Grenzgebiet mit – Moskaus Sicherheitsbehörden sehen nicht gut aus

»Lügen in Zeiten des Krieges« heißt ein Roman des von mir verehrten US-amerikanischen Schriftstellers Louis Begley, der als Kind in Polen nur knapp den Holocaust überlebt hat. Der Buchtitel ist zu einer Art geflügeltem Wort geworden und kam mir wieder in den Sinn, als sich russische Nachrichtenagenturen und Politiker zu einem »Vorfall« in Russlands Grenzregion äußerten. Russlands Machthaber Putin spricht von einem »Terroranschlag« im Grenzgebiet zur Ukraine.

Meine Kolleginnen Ann-Dorit Boy und Christina Hebel  haben die widersprüchlichen Informationen sortiert. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB berichtet von zwei getöteten Zivilisten und einem verletzten Kind und beschuldigt »ukrainische Saboteure«. Kiew weist jede Verantwortung vor sich. Bei den Ereignissen im russischen Grenzgebiet Brjansk im Südwesten des Landes hat aber wohl ein russischer Neonazi eine wesentliche Rolle gespielt.

Die Kolleginnen schreiben, alle Informationen, die über die Vorfälle im Grenzgebiet bisher vorlägen, stammten ausschließlich von russischen Sicherheitsbehörden sowie staatlichen Medien. Ein auf Telegram veröffentlichtes Video zeige einen schwer bewaffneten Mann, der sich angeblich auf russischem Gebiet aufhält, es ist wohl Kapustin alias Nikitin, der Kommandeur des auf ukrainischer Seite kämpfenden »Russischen Freiwilligenkorps«. Der Rechtsextremist Kapustin wuchs in Köln auf, spricht fließend Deutsch und entwickelte sich zu einer Führungsfigur der rechtsextremen Kampfsportszene. Deutschland wies den Russen 2019 aus. Nach SPIEGEL-Recherchen darf er zehn Jahre lang nicht in den Schengenraum einreisen.

Seit 2018 lebt Kapustin offenbar in der Ukraine. Das sogenannte Russische Freiwilligenkorps hat er wohl im Sommer 2022 ins Leben gerufen, um aufseiten der Ukraine gegen russische Truppen zu kämpfen.

»Unklar ist, ob Kapustin auf eigene Faust im Grenzgebiet Brjansk gehandelt hat. Unklar ist auch, mit wie vielen Männern er in russisches Territorium eindrang und was dort wirklich passierte«, so die Kolleginnen. Auch wenn Kapustins »Russisches Freiwilligenkorps« offiziell nicht zur Internationalen Legion der ukrainischen Territorialverteidigung gehört, scheint die Ukraine sein Treiben bisher zu dulden. Die Führung in Kiew jedenfalls hält sich auffällig bedeckt.

»Es bleiben viele Fragen nach diesem merkwürdigen Zwischenfall offen«, so die Kolleginnen . »Russlands Sicherheitsbehörden sehen nach dem Vorfall von Brjansk nicht besonders gut aus: Ihr Land wirkt verwundbar – und das nicht das erste Mal.« Russlands Präsident Wladimir Putin hatte für heute angekündigt, auf einer Sitzung des Sicherheitsrates über die Ereignisse im Grenzgebiet Brjansk zu beraten.

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Regionalpolitiker drohen Probleme nach Protestaktion gegen Putin: Mit Nudeln auf den Ohren demonstrierte ein Regionalpolitiker kürzlich seine Abneigung gegen Kremlchef Putin. Die Protestaktion könnte ernste Konsequenzen für den Russen haben.

  • Zerstört, befreit – und wieder bedroht: Die Bilder der Befreiung Lymans gingen um die Welt. Jetzt liegt die Stadt in Trümmern, Suchtrupps sprengen Minen. Nur an den Wiederaufbau denkt hier noch niemand: Die russischen Truppen rücken wieder näher.

  • Selenskyj schwört Vergeltung für Saporischschja, USA liefern Waffen für 400 Millionen Dollar: Zehn Menschen werden nach dem Beschuss eines Wohnhauses in Saporischschja vermisst – und Präsident Selenskyj droht Russland. Brasilien will neutral bleiben. Und: neue Hilfen der USA.

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

2. Peek & Cloppenburg aus Düsseldorf rutscht in die Insolvenz – damit der Modehändler überlebt, müssten ihn Kunden wohl künftig auch im Internet auf dem Schirm haben

Der Legende nach hat der Kaufhausunternehmer Hermann Tietz, einer der Gründer des Kaufhauses Hertie, mal den Geschäftsgrundsatz formuliert: »Qualität bedeutet, dass der Kunde und nicht die Ware zurückkommt.« Heute wurde bekannt, dass der Düsseldorfer Modehändler und Kaufhausbetreiber Peek & Cloppenburg Insolvenz anmelden musste.

»Managementwechsel und Strategiefehler rächen sich«, schreiben meine Kollegin Kristina Gnirke und meine Kollegen Simon Book und Jürgen Dahlkamp  in ihrer Geschichte über das bedrängte Unternehmen. Der Geschäftsbetrieb laufe in allen Filialen und im Onlineshop weiter, es seien auch keine betriebsbedingten Kündigungen geplant. Der Umsatz schrumpft demnach schon seit Jahren, »in den zwei Pandemiejahren sogar um jeweils 30 Prozent – die Firma schrieb Verluste.« Ein Onlinegeschäft sei bislang kaum existent.

Die Zukunft des Unternehmens hängt wohl davon ab, welches Geschick der führende Spross der P&C-Dynastie nun beweist. Patrick Cloppenburg zeigte laut Insidern bislang wenig Talent dafür, das Familienunternehmen mit guten Ideen zu modernisieren. In den vergangenen Monaten litt die Firma unter mehreren Managementwechseln, die zur schwierigen Lage zusätzlich Unsicherheit ins Unternehmen trugen. Kaum ein Kunde habe den Modehändler im Internet auf dem Schirm.

»Im Umfeld des Modehändlers machen sich angesichts der Insolvenz Sorgen breit, wie das Unternehmen sich künftig erholen soll«, heißt es im Bericht der Kollegin und der Kollegen . In solch einer Lage sei es schwierig, von Lieferanten erstklassige Ware zu erhalten oder Vorschüsse. Das Vertrauen schrumpfe. »Die Eigentümerfamilie immerhin dürfte die Chance nun nutzen können, ihr Unternehmen zu entschulden. Ähnlich hatte es schon Galeria-Karstadt-Kaufhof-Eigentümer Signa vor Jahren getan, glitt aber zuletzt erneut in eine Insolvenz. »Immerhin werden dem Cloppenburg-Clan genügend Finanzmittel zugeschrieben, sodass er sich einen langen Atem leisten können dürfte«, sagt Kristina Gnirke . »Er wird also wohl an der Firma festhalten, doch ob sie so groß bleiben kann?«

3. Die Kosten von Robert Habecks Heizungsplänen könnten Bürger sehr ungleich belasten – das Wirtschaftsministerium kündigt Abfederungsprogramme an

Zu den manchmal nervigen Widersprüchen des Politikerjobs und des Journalistenlebens gehört es, dass auch all jene, die die »Bild«-Zeitung nicht mögen, sich öfter mit der Wirkung des Mediums beschäftigen müssen. Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck ist wegen eines Gesetzentwurfs, den er gemeinsam mit Bundesbauministerin Klara Geywitz von der SPD verantwortet, zum Beispiel aktuell mit der »Bild«-Zeile konfrontiert: »Habeck-Hammer für unsere Heizungen«. Die FDP nennt den Entwurf eine grüne »Verschrottungsorgie für Heizungen«.

Meine Kollegen Henning Jauernig und Gerald Traufetter schreiben heute  in ihrer Analyse: »Der Zweck, den Habeck mit dem Regelwerk verfolgt, ist richtig. Der Gebäudesektor verschlingt ein Drittel aller Energie und bleibt weit hinter seinen Klimazielen zurück.« Leider seien aber die bisher bekannt gewordenen Regelungen lückenhaft, etliche technische Fragen ungeklärt. Hinzu kommt: Sie verlangten den Bürgern teils enorm hohe Investitionen ab.

Sinnvoll seien die Regelungen, die sich auf Neubauten beziehen. Bauherren haben ab dem nächsten Jahr praktisch kaum mehr eine andere Wahl, als eine Wärmepumpe zu installieren. Die Wärmepumpe nutzt den Strom fünfmal so effizient wie grüner Wasserstoff, der in einer konventionellen Gasheizung verbrannt würde. Die Sorge, dass für einen solchen Umbau gar nicht genügend Wärmepumpen zur Verfügung stünden, gilt mittlerweile als übertrieben. Die Hersteller rüsten ihre Unternehmen gerade massiv um, Handwerksbetriebe orientieren sich neu.

Komplizierter wird es für Besitzer von Bestandsanlagen. Gehen Gasheizungen kaputt oder erreichen sie die Altersgrenze von 30 Jahren, sollen sie künftig gegen ökologische Wärmequellen ausgetauscht werden. »Bei alten, schlecht isolierten Einfamilienhäusern müssten sehr leistungsstarke Wärmepumpen her, die weit über 30.000 Euro kosten können«, schreiben die Kollegen. Als Alternative zulässig sind Fernwärme, die es in vielen Siedlungen nicht gibt, Biomasse wie Holzpellets oder wieder eine Gasheizung, die dann mit mindestens 65 Prozent Biogas betrieben werden muss. »Beides eher teure Lösungen.«

Habeck und seine Leute haben drei Jahre Übergangsfrist eingeräumt. Sorgen machen einem von den Kollegen zitierten Verbraucherschützer die mehr als vier Millionen gasbetriebenen Etagenheizungen, die in Mehrfamilienhäusern hängen. Geht davon nur eine einzelne in einer Wohnung kaputt, soll die ganze Hausgemeinschaft innerhalb von sechs Jahren ein Konzept vorlegen, wie künftig geheizt werden kann.

»Gute Beratung ist unabdingbar. Wer einfach eine Wärmepumpe in ein unsaniertes Gebäude einbaut, läuft Gefahr, das Gerät zu überdimensionieren – mit entsprechend hohen Stromkosten«, analysieren die Kollegen. »Das Problem: Es fehlt schon jetzt an Energieberatern, Kunden müssen teilweise Monate warten.«

Um den Umstieg zu erleichtern und finanziell abzufedern, plant die Regierung neue Förderprogramme, die über jene Investitionshilfe hinausgehen, die es schon heute gibt. »Der Umstieg soll durch Förderung gerade für untere und mittlere Einkommensgruppen unterstützt werden«, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium.

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Pistorius und Habeck bitten die Schweiz um Genehmigung für Leopard-2-Panzer: Wegen der Panzerlieferungen an die Ukraine haben Deutschland und seine Partnerländer Bedarf an Leopard-2-Nachschub. Robert Habeck und Boris Pistorius bitten nun per Brief die Schweizer Regierung um Hilfe.

  • Bafin warnt vor Teilverkauf von Immobilien: Viele Rentner haben zwar ein Haus, aber wenig Geld zum Leben. Neue Anbieter locken deshalb mit einem Teilverkauf der Immobilie. Die Finanzaufsicht hält die Angebote für wenig tauglich.

  • Wissing kalkuliert mit 54 Prozent mehr Lkw-Verkehr: Die Straßen müssen deutlich mehr Last tragen, besagt eine neue Prognose von FDP-Verkehrsminister Wissing. Doch Kritiker sagen: Erst seine Politik sorgt dafür, dass die Vision wahr wird.

  • Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Achraf Hakimi wegen mutmaßlicher Vergewaltigung: Eine 24-Jährige wirft dem marokkanischen Fußballnationalspieler Hakimi vor, sie vergewaltigt zu haben. Er bestreitet die Vorwürfe.

Mein Lieblingsinterview heute: »Wir müssen weg von der Vergütung pro Stunde«

Mein Kollege Tobias Becker spricht mit der Professorin Barbara Prainsack  über die Zukunft der Arbeit – und über die Vorzüge eines bedingungslosen Grundeinkommens. Prainsack ist unter anderem Vorsitzende des Ethikrats der Europäischen Kommission. Sie sagt: »Es ist nicht einzusehen, dass die Einkommen mancher Menschen in schwindelerregendem Tempo steigen, während andere nicht genug haben, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Das ist in den vergangenen Jahren eskaliert.« Die Arbeitswelt drifte derzeit noch weiter auseinander. Die angebliche Jobkiller-Wirkung von mit Künstlicher Intelligenz arbeitenden Technologien hält die Professorin für überschätzt. »Es gibt zwei Arten von Jobs, die Menschen ungern machen«, sagt Prainsack. »Zum einen sinnentleerte, demütigende und gefährliche Jobs. Diese Jobs sollten lieber heute als morgen automatisiert werden. Und ein Grundeinkommen, prognostiziere ich, würde einige Automatisierungsschübe auslösen, zum Beispiel in der Toilettenreinigung. Daneben gibt es die Jobs, bei denen die Tätigkeit selbst eigentlich als positiv erlebt wird, aber die Arbeitsbedingungen unattraktiv sind. Das klassische Beispiel: die Gastronomie. Viele Menschen würden dort gerne arbeiten, wenn sie nur nicht diese krassen Arbeitszeiten hätten, dazu Chefs, die sie anschreien, und ein schlechtes Gehalt.«

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Wie der Hype um KI einen globalen Machtkampf ausgelöst hat: ChatGPT ist nur der Anfang: Google und Microsoft streiten um die Vorherrschaft im Silicon Valley, China und die USA um die Technologieführerschaft in der Welt. Und Europa? Diskutiert. 

  • Was Angeberei mit uns macht: Bescheidenheit galt mal als schick. Heute zeigen alle ihre tollen Kinder, Wohnungen und Lebensläufe auf Instagram und LinkedIn. Hat Social Media Prahlerei salonfähig gemacht ?

  • Ersetze »Putin« durch »Bush« und »Ukraine« durch »Irak«: Die Justiz ist verpflichtet, alle verfolgbaren Taten aufzuklären und Schuldige zu bestrafen. Doch im Krieg gelten andere Regeln .

  • »Frau Baerbock hat ihre Prioritäten«: Feministische Außenpolitik, Konfrontation mit China: Die Politik von Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock stößt bei Ex-SPD-Chef Martin Schulz auf Kritik. Er spricht sich für einen anderen Ansatz aus .

Was heute weniger wichtig ist: Sozial entgifteter Popstar

Offline: Billie Eilish, 21, US-Sängerin, verzichtet neuerdings auf soziale Medien. »Ich schaue es mir nicht mehr an«, sagte sie in einem Podcast über den Verzicht auf Instagram und Konsorten. Sie fühle sich nicht wohl, wenn sie sich Beiträge über sich selbst ansehe. Beunruhigend findet sie auch folgende Erkenntnis: »Alles, was ich im Internet lese, glaube ich. Ich weiß genau, dass das dumm ist.«

Mini-Hohlspiegel

Aus dem »Solinger Tageblatt«

Aus dem »Solinger Tageblatt«

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Und am Wochenende?

Könnten Sie sich den Podcast meines Kollegen Juan Moreno, er trägt den Titel »Moreno +1«, mit Stefanie Stahl als Gast anhören. »So viel von dem, was auf der Welt passiert, geschieht aus einem Mangel an Selbstreflexion und tragischer Unwissenheit«, sagt die Bestsellerautorin und Psychotherapeutin Stahl darin zum Beispiel. Ich selbst halte Stahls Erfolgsbuch »Das Kind in Dir muss Heimat finden« zwar für eine Plattitüdensammlung. Meine Kollegin Anja Rützel hat übrigens vor einiger Zeit sehr vergnüglich über einen Online-Selbsthilfekurs mit Stahl berichtet .

Podcast Cover

Aber in vielem argumentiert die Autorin natürlich trotzdem einleuchtend. »Sich mit Psychologie zu beschäftigen ist eine gesellschaftliche und politische Notwendigkeit«, sagt sie zum Beispiel im Podcast mit Juan. Und: »Wenn ich mir Putin anschaue, da würde ich sagen, da liegt eine manifeste Persönlichkeitsstörung vor.«

Einen schönen Abend. Herzlich

Ihr Wolfgang Höbel, Autor im Kulturressort

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

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