
Die Lage am Abend Fünf Tage Gehalt für vier Tage Arbeit?

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Arbeitszeitverkürzung – können wir uns die Viertagewoche leisten?
Informationsleck – wer hat Selenskyjs geplanten Deutschlandbesuch an die Presse verraten?
Gerontokratie – wann ist man zu alt oder zu jung für politische Spitzenämter?
1. Ein neuer Wochenrhythmus kündigt sich an
Vier Tage arbeiten, drei Tage frei, bei gleichem Lohn: Geht es nach SPD-Chefin Saskia Esken und der IG Metall, wird das bald zur Norm. Berlins neue Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe hat bereits signalisiert, dass sie das Modell im öffentlichen Dienst der Hauptstadt erproben möchte. Die Vorstellung, bereits am morgigen Freitag in den Wochenendmodus zu wechseln, dürfte für viele verlockend sein.
Wären da nicht die ökonomischen Risiken! Es herrscht schließlich schon jetzt Fachkräftemangel in Deutschland. Arbeitgeber dürften gar nicht in der Lage sein, so viele neue Beschäftigte neu einzustellen, wie sie aufgrund der Arbeitszeitverkürzung müssten. Wer als Bäcker, Krankenpflegerin oder Fließbandarbeiter sein Geld verdient, wird nicht so leicht wie Beschäftigte im, sagen wir, Einwohnermeldeamt Berlin die Arbeitsproduktivität pro Tag erhöhen können. Daher ist die Frage meines Kollegen Florian Diekmann aus dem SPIEGEL-Wirtschaftsressort durchaus berechtigt: Können wir uns die Viertagewoche überhaupt leisten?
Simon Jäger, der Leiter des Instituts zur Zukunft der Arbeit, glaubt: »Der ökonomisch messbare Wohlstand in Form des BIP wird wohl sinken.« Aber ob es auch einen Wohlfahrtsverlust geben würde, das sei unklar. Die Argumente der Viertagewoche-Befürworter liegen auf der Hand. Zum Beispiel eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
»Derzeit weicht die tatsächliche Arbeitszeit vieler Beschäftigter von ihrer gewünschten Arbeitszeit ab – oft deshalb, weil sich ihr Leben nicht anders mit dem Beruf in Einklang bringen lässt«, schreibt Florian, der aus Gründen der besseren Vereinbarkeit zwischen Job und Familie an vier Tagen die Woche für den SPIEGEL arbeitet (aber nicht für fünf bezahlt wird). »Wenn die Arbeitswelt familienfreundlicher würde, könnten jene ihre Arbeitszeit erhöhen, die jetzt gezwungenermaßen weniger arbeiten als gewünscht«, sagt Florian. Das trifft auf viele Teilzeitbeschäftigte zu. Womöglich könnte das Arbeitsvolumen durch eine Viertagewoche insgesamt sogar steigen.
Lesen Sie hier mehr: Viertagewoche? Experten sehen neben Vorteilen auch ökonomische Risiken – und plädieren für ein anderes Modell
2. Vertrauliche Details
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat heute den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag besucht. Er forderte die Einrichtung eines Sondertribunals, um Russland für sein »Verbrechen der Aggression« zur Verantwortung zu ziehen. »Es muss eine Zuständigkeit für dieses Verbrechen geben. Das kann nur durch ein solches Gericht durchgesetzt werden«, sagte Selenskyj vor Diplomaten. Angesichts der russischen Invasion forderte er eine »groß angelegte« juristische Aufarbeitung.
»Natürlich hätten wir alle heute lieber einen anderen Wladimir hier in Den Haag gesehen«, sagte er zu Beginn seiner Rede und verwies damit auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Selenskyjs Vorname ist die ukrainische Form des Namens.
Selenskyj bekommt am 14. Mai stellvertretend für das ukrainische Volk den Aachener Karlspreis verliehen. Vermutlich wird er sich zu dieser Zeit in Deutschland aufhalten. Mitte Mai will der ukrainische Präsident die deutsche Hauptstadt besuchen, berichtete gestern eine Berliner Tageszeitung. Doch offenbar ist mehr durchgesickert, als bekannt werden durfte. Nun hat sich das Berliner Landeskriminalamt eingeschaltet und Ermittlungen wegen des Verdachts des Geheimnisverrats eingeleitet.
Ebenfalls heute hat der ukrainische Botschafter Oleksij Makejew zur Gründung neuer Städtepartnerschaften mit der Ukraine aufgerufen. Hilfe könne über die Verbindungen zwischen Bürgermeistern oft schneller organisiert werden als auf zentraler Ebene, sagte er bei einem Besuch im Europaausschuss des brandenburgischen Landtags.
Nach einem Antrittsbesuch bei Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in der Staatskanzlei rief Makejew die Bürger auf, die Wirtschaft seines Landes mit dem gezielten Kauf von ukrainischen Produkten zu unterstützen. »Da gibt es viele Angebote wie Pralinen, Honig, Mehl oder Kleidung«, sagte er. Die Brandenburger Unternehmen forderte der Botschafter zum Handel mit ukrainischen Firmen auf, um auf diese Weise den Wiederaufbau der Ukraine zu fördern. »Vom Spenden zum Kaufen und Handeln – das sind Wege, mein Land zu unterstützen.«
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Berliner Polizei ermittelt wegen Geheimnisverrats vor Selenskyj-Besuch
Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
Selenskyj besucht überraschend die Niederlande, Finnen tricksen Russen aus: Der ukrainische Präsident hat einen Termin in Den Haag. Joachim Gauck hadert mit Altkanzler Gerhard Schröder. Und: Eine finnische Zeitung versteckt Nachrichten in Computerspiel. Die jüngsten Entwicklungen.
Selenskyj drängt auf Tribunal gegen Russland: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat bei einer Rede in Den Haag eine juristische Aufarbeitung des russischen Angriffskriegs im Stil der Nürnberger Prozesse gefordert. Nur so könne es dauerhaften Frieden geben.
Wie ein Ukrainer mit einer Baggerschaufel Menschenleben rettet: Putins Soldaten haben in der Ukraine Tausende Minen hinterlassen. Auch für Landwirte sind sie auf ihren Feldern eine tödliche Gefahr – ein Bauer aus der Region Charkiw hat nun eine ungewöhnliche Lösung für das Problem gefunden. Sehen Sie hier das Video.
Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
3. Opa regelt das!
Es ist noch gar nicht so lange her, da galt das hohe Alter eines Politikers als Ausweis seiner besonderen Weisheit. In der Bayerischen Verfassung zum Beispiel findet sich ein Passus, der besagt, dass der Ministerpräsident des Freistaats mindestens 40 Jahre alt sein muss – weswegen die 37-jährige Spitzenkandidatin der Grünen Katharina Schulze in Bayern auch dann nicht Regierungschefin werden könnte, würde ihre Partei Markus Söders CSU bei der bevorstehenden Landtagswahl besiegen.
Der Begriff Gerontokratie stammt aus dem antiken Griechenland, er heißt buchstäblich »Herrschaft der Alten« und umschrieb einen einst positiv gewerteten Umstand: Meist waren es Männer hohen Alters, die damals Politik machten, weil ihnen mehr Erfahrung zugeschrieben wurde als Jüngeren. Spartas Ältestenrat hatte ein Mindestalter von 60 Jahren.
Wie sich die Zeiten ändern! Seit gestern läuft in Bayern zum Beispiel das Volksbegehren »Vote 16« mit dem Ziel einer Herabsenkung des Wahlalters. In Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Brandenburg können 16-Jährige bereits auf kommunaler Ebene wählen.
Und in Amerika wird Joe Bidens mutmaßliche Gebrechlichkeit immer mehr zum Wahlkampfthema, hat mein Kollege Marc Pitzke beobachtet. Die Debatte habe inzwischen »makabre Züge angenommen«, schreibt Marc. Alle ringen die Hände über Bidens schütteres Haar. Wundern sich, dass der älteste US-Präsident aller Zeiten nicht in Pension gehen will. Dass ihn, so heißt es, sein Stab vor spontanen Auftritten schützt wie ein Pfleger vor dem Treppensturz.
Marc hält die Debatte für »scheinheilig«. Denn Biden sei in Washington keine Ausnahme: »Die USA werden zusehends von Greisinnen und Greisen regiert.« Und zwar schon seit ziemlich langer Zeit. »Ich werde Alter nicht zum Thema dieses Wahlkampfs machen«, versprach Ronald Reagan 1984 in einer TV-Debatte mit dem Demokraten Walter Mondale. »Ich werde die Jugend und die Unerfahrenheit meines Gegners nicht für politische Zwecke ausnutzen.« Mondale war 56, Reagan war 73 und zu der Zeit der älteste Präsident (und Präsidentschaftskandidat) der US-Geschichte.
Der clevere Satz sicherte ihm damals übrigens den Wahlsieg.
Lesen Sie hier den Zwischenruf von Marc Pitzke: Die scheinheilige Debatte über Joe Bidens Alter
Was heute sonst noch wichtig ist
Altkanzler Schröder scheitert mit Klage gegen Bundestag: Der Bundestag hat Gerhard Schröder im vergangenen Jahr sein staatlich finanziertes Büro und Mitarbeiter gestrichen. Zu Recht, wie das Berliner Verwaltungsgericht jetzt entschieden hat.
EZB hebt Leitzins um 0,25 Prozentpunkte an: Im Kampf gegen die Inflation hat die Europäische Zentralbank den nächsten Zinsschritt beschlossen. Allerdings drosselt sie ein wenig das Tempo.
Astronomen beobachten Tod eines Planeten: Erstmals haben Fachleute mitverfolgt, wie ein Stern einen Planeten verschluckt. Dabei wurde gewaltige Strahlungsenergie frei. Ein ähnliches Schicksal erwartet eines Tages unseren Heimatplaneten.
Meine Lieblingsgeschichte heute: Spargelbegeisterung

Spargelgemälde von Édouard Manet (1880): Der Trend geht zur Schüssel
Foto: UIG / IMAGO»Eine Säule, nein, Stange der heimischen Kulinarik droht wegzubrechen«, schreibt Arno Frank. »Das Image des Spargels ist schlecht, vor allem bei jungen Leuten.« So wenig Spargel wie im vergangenen Jahr wurde zuletzt vor zehn Jahren gestochen . Offenbar sehen erste Apokalyptiker ein deutsches Kulturgemüse vom Aussterben bedroht. Schon im Frühjahr 2022 hatte eine Umfrage ergeben, dass unter den 18- bis 24-Jährigen gerade noch 47 Prozent den Spargel auf ihrem Teller sehen wollen.
»Das Spargelstechen hat zu Recht den Ruf, die Rücken schlecht bezahlter und in schlecht klimatisierten Bussen herangekarrter Leiharbeiter zu ruinieren«, schreibt Arno. Vorstellbar wäre statt moralisch grundierten Verzichts daher, für bessere Entlohnung einzutreten, vielleicht sogar mehr zu bezahlen für das »phallische Stangengemüse«. Was dem Franzosen die Auster oder die Schnecke sei, könnte den Deutschen der Spargel werden.
Arno glaubt, dass dem seltener werdenden Saisongemüse eine nicht unbedingt schlechte Zukunft als »leicht ekelerregende, dafür umso exquisitere Spezialität« bevorstehen könnte.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Eine leicht ekelerregende, dafür umso exquisitere Spezialität
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
Was es für Ihre Region bedeutet, wenn Deutschland sich vom Welthandel abkoppeln würde: Globalisierungsgegner und Autarkieverfechter sprechen sich für einen Abschied Deutschlands vom Handel mit China und anderen Weltregionen aus. Forscher haben nun untersucht, welche finanziellen Folgen ein solcher Schritt hätte .
Glimmende Lichtgestalt: Erst ein »lovely lunch« mit dem Kanzler, dann die große Show: Barack Obama hat Berlin besucht. Vor Tausenden Leuten plauderte er über sein Alter, die Spaltung der Welt – und darüber, wie er Gattin Michelle nervt .
»Fühlen Sie mal in Ihren Nacken«: Stress gilt als Risikofaktor für Volkskrankheiten. Aber wie schafft man es, sich zu entspannen? Psychologieprofessorin Eva Asselmann stellt eine Technik vor, mit der es blitzartig klappen soll .
Was heute weniger wichtig ist

Gwyneth Paltrow: Berühmte Ex-Partner
Foto:ALLISON DINNER / EPA
In einem Podcast wurde Gwyneth Paltrow über ihre Ex-Freunde Ben Affleck und Brad Pitt ausgequetscht – sie antwortete offenbar bereitwillig. Nachdem Paltrow auf die Frage, wer besser geküsst habe, antwortete, dass beide gut gewesen seien, schob Podcast-Host Alexandra Cooper nach: »Wer war besser im Bett?« Das sei eine sehr schwere Frage, sagte Paltrow – um dann auszuführen: Brad Pitt sei damals die »große Liebe meines Lebens« gewesen, während Ben Affleck »technisch exzellent« gewesen sei. Nach ihrer relativ ernst vorgebrachten Antwort begannen Cooper und Paltrow zu lachen. Die Schauspielerin schob nach: »Ich kann nicht glauben, dass sich meine Tochter das anhört.«
Mini-Hohlspiegel

Gesuch in den »Badischen Neuesten Nachrichten«
Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.
Illustration: Klaus Stuttmann
Und heute Abend?
Nein, ich habe es nicht vergessen, heute ist Weltstarwarstag! Das wohl berühmteste Zitat aus der Weltraum-Saga »Star Wars« ist die Formel »Möge die Macht mit dir sein«. Auf Englisch lautet der Jedi-Ritter-Abschiedsgruß: »May the force be with you« – und »may the fourth« ist bekanntlich heute am vierten Mai.
Schon so oft habe ich dem Werben und Drängen meines Mannes nachgegeben und mir gemeinsam mit ihm einzelne Episoden der vielen »Star Wars«-Serien auf dem Markt angesehen. »The Mandalorian« zum Beispiel, dessen dritte Staffel Ende Februar angelaufen ist. Ich fand bislang alle Film- oder Serienerzeugnisse aus der »Star Wars«-Welt dröge und einschläfernd. Langweiliger als einen Löffel Sauce Hollandaise aus dem Supermarkt neben einer Portion Spargel vom heimischen Feld.
Nur »Andor« habe ich noch nicht gesehen. Mein Kollege Daniel Raecke hält sie für »eine der besten Serien unserer Zeit«. Na dann!
Einen schönen Abend wünscht,
Ihre Anna Clauß, Leiterin Meinung und Debatte