
Die Lage am Abend Schock deine Eltern, lies ein Buch!

Guten Abend, die drei Fragezeichen heute:
Viertklässler in Deutschland – wie gut können sie lesen?
Ex-Audi-Chef Rupert Stadler im Gericht – wie lief sein Geständnis ab?
Filmfestspiele in Cannes – darf man das Event mit Johnny Depp eröffnen?
1. »Alle Kinder lernen lesen...« – bis auf einige Kinder, die es nicht tun
Setzen, sechs, mündlich könnte da noch mehr kommen, da ist noch Luft nach oben: Wie viele Kinder, die in das aufregende Leben der weiterführenden Schule starten wollten, werden das in diesem Sommer hören?
Schon wieder stellt die Bildungsforschung Deutschlands Schülerschaft ein schlechtes Zeugnis aus: Mehr als ein Viertel der Viertklässler können nicht richtig lesen. Im internationalen Vergleich lesen sie höchstens mittelmäßig – und sie lesen schlechter als im Jahr 2016. Das sind die beiden wenig optimistischen Erkenntnisse aus der weltweiten Lese-Studie Iglu.
Mich beschleicht bei diesen News ein mulmiges Gefühl – weil sie keine News sind. Die vom Buchhandel initiierte Kampagne, derzufolge man seine Eltern schocken sollte, indem man ein Buch liest, gab es schon, als ich in den Nullerjahren zur Schule ging. Seit jeher mahnen und warnen die Experten. Dass die deutsche Bildungspolitik gezielter und engagierter sein muss, dass sich die Schülerschaft verändert, dass das hiesige Schulsystem aber nicht angemessen darauf reagiert, dass die Pandemie viele Schüler in die Lustlosigkeit getrieben hat. Und immer sind es vor allem die sozioökonomisch benachteiligten Kinder, die unter den fehlenden Angeboten leiden.
»Was ist die richtige Bezeichnung dafür: blaues Auge? Abschwung? Absturz? Katastrophe?« , wollte mein Kollege Armin Himmelrath wissen – und hat die Frage gleich weitergegeben an eine Bildungsforscherin.
Meine Kollegin Silke Fokken hat mit einem Bildungsökonomen besprochen, was die schlechten Ergebnisse langfristig für Schüler bedeuten – und wie sich gegensteuern ließe.
2. »Ich habe die Vorwürfe insgesamt einzuräumen« – lässt der Angeklagte seine Verteidigerin sagen
Ein Deal für Freiheitsstrafe auf Bewährung: Der frühere Audi-Chef Rupert Stadler war der erste Topmanager, der sich für den Betrug an Millionen Dieselkunden vor Gericht verantworten musste – heute fand der Prozess gegen ihn in München sein vorläufiges Finale. Die Verteidigerin hat im Namen des Angeklagten das Geständnis verlesen: Stadler hat seine Schuld eingeräumt.
Das Gericht wird ihm dafür eine Haft ersparen, zusätzlich wird Stadler einen Millionenbetrag zahlen müssen. Mein Kollege Martin Hesse war vor Ort, als Stadler heute den Gerichtssaal betrat: in weißem Hemd und dunkelblauen Nadelstreifen, die Haare frisch getrimmt, wie Martin schreibt. »War Rupert Stadler in den vergangenen Monaten oft einer der Ersten im Gerichtssaal, will er an diesem Tag die Präsenz offensichtlich so knapp wie möglich halten.«
Stadler, der über viele Jahre für seine Erfolge gefeiert wurde, ist tief gefallen: 2015 hatten die amerikanischen Umweltbehörden die Audi-Mutter VW beschuldigt, Motoren so manipuliert zu haben, dass sie auf dem Prüfstand die zulässigen Abgaswerte einhielten, auf der Straße aber um ein Vielfaches überschritten. Wichtige Komponenten des Betrugsmotors waren bei Audi entwickelt worden. In der 2020 erhobenen Anklage wurde Stadler vorgeworfen, an diesem Betrug zwar nicht beteiligt gewesen zu sein, ihn aber bewusst nicht aufgeklärt und damit hohe Schäden für Millionen von Dieselfahrern in Kauf genommen zu haben.
Martin beschreibt, wie wortkarg Stadler sich dem Gericht präsentierte. Ein Urteil wird gegen Ende Juni erwartet. »Stadler aber kann von diesem Tag an davon ausgehen, dass er im kommenden Sommer ein freier Mann ist und bleibt«, schreibt Martin.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: »Ja« und nochmals »ja« – und kein Wort mehr vom Ex-Audi-Chef
3. »Ich interessiere mich für Johnny Depp nur als Schauspieler« – verteidigt sich der Leiter der Filmfestspiele
Es ist das große Fest der großen Filme – und eigentlich soll es in Cannes doch auch ausschließlich um die gehen, könnte man meinen. Aber in diesem Jahr geht es auch um Kontroversen, gleich zu Beginn: Eröffnet wird mit Johnny Depp.
Johnny Depp ist einerseits der Typ, der in dem neuen historischen Epos »Jeanne du Barry« die Hauptrolle spielt. Andererseits ist er der Typ, der in den USA – im sechsten Jahr von #MeToo – nach dem Prozess zwischen ihm und seiner Ex-Frau Amber Heard als unbesetzbar gilt. Und in Cannes will man davon nichts wissen?
Meine Kollegin Hannah Pilarczyk ist live für den SPIEGEL vor Ort und begleitet die kommenden Tage. Mit den großen Fragen geht es jetzt schon los: »Wer ist noch erwünscht, wer Persona non grata? Wer ist so wichtig, dass man lieber ein Auge zudrückt, wessen kann man sich diskret entledigen?« Der Festivalleiter Thierry Frémaux hat eine erste Antwort geliefert: »Wenn Sie dächten, das wäre ein Festival für Vergewaltiger, dann würden Sie doch nicht hier sitzen und mir zuhören, sich darüber beschweren, wie schwierig es ist, an Tickets zu kommen!«, zitiert Hannah den erbosten Frémaux.
Die nächste große Sache: Die Regisseurin des genannten Films, Maïwenn Le Besco, soll im Februar einen Journalisten an den Haaren gezogen und bespuckt haben. Sollte das in Zeiten von zunehmenden Übergriffen auf die Presse nicht Grund genug sein, »Jeanne du Barry« als Eröffnungsfilm abzusetzen?
Lesen Sie hier mehr über Hannahs erste Eindrücke – über die Jury und über die Filme, die in diesem Jahr eine Rolle spielen: Die Erwünschten und die Unerwünschten
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:
Ukraine will Putins »Dolch« erneut unschädlich gemacht haben: Die Ukraine hat nach eigenen Angaben gleich sechs russische »Kinschal«-Hyperschallraketen gestoppt – dank Technik aus dem Westen. Was bleibt noch von Putins vermeintlicher »Wunderwaffe«?
Amateuraufnahmen zeigen Abwehr von Raketenangriff auf Kiew: Immer wieder steigen Geschosse auf, Blitze erhellen den Himmel: Bewohner Kiews haben gefilmt, wie die ukrainische Luftabwehr in der Nacht Putins Raketen, Drohnen und Marschflugkörper bekämpft hat.
Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update
Was heute sonst noch wichtig ist
Union will Graichen und Habeck noch einmal befragen: Erst vor einer Woche mussten Robert Habeck und sein Staatssekretär im Bundestag Fragen über Vorwürfe der Vetternwirtschaft beantworten. Jetzt will die Union diese Befragung wiederholen – diesmal öffentlich.
Gastronomieschließungen im Herbst 2020 waren grundsätzlich rechtens: Das oberste deutsche Verwaltungsgericht hat die Coronamaßnahmen für Gaststätten und Sporteinrichtungen in der zweiten Coronawelle grundsätzlich bestätigt. Ein Kläger aus Sachsen bekam jedoch recht.
Post will Briefporto vorzeitig erhöhen – wegen Inflation: Die Deutsche Post will die Preise für Briefe und Postkarten vorzeitig erhöhen. Wegen Inflation und höherer Energiepreise führe daran kein Weg vorbei.
Nordrhein-westfälische Landesgesellschaft stellt Soyeon Schröder-Kim frei: Das Land Nordrhein-Westfalen will nicht mehr mit Soyeon Schröder-Kim zusammenarbeiten. Die 55-Jährige verliert ihren Posten als Südkorea-Repräsentantin wohl wegen der Teilnahme an einer Feier in der russischen Botschaft.
Meine Lieblingsgeschichte heute...
…steht im aktuellen SPIEGEL. Meine Kollegin Barbara Hardinghaus beschreibt darin einen absurden Prozess. Es geht um den Star-DJ Robin Schulz und den Einbruch in sein Haus in Wallenhorst bei Osnabrück. Gestohlen wurde unter anderem ein Rucksack für fast 2000 Euro, ein T-Shirt für 325 Euro und Parfüms im Wert von 5091,95 Euro.
Der entsprechende Prozess soll nun zur Täterfindung führen, nur leider passieren Widrigkeiten: Der erste mutmaßliche Dieb hat einen Anwalt, der interessanterweise von seiner Unschuld überzeugt ist – und Robin Schulz hat offenbar Terminkollisionen, kann nicht zur Verhandlung kommen. Was nun? Barbara Hardinghaus über den sonderbaren, fast lustigen Nachgang eines Diebstahls.
Lesen Sie hier die ganze Geschichte: Was Einbrecher aus der Luxusvilla von Robin Schulz ausräumten
Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen
So will Finanzminister Lindner das 20-Milliarden-Loch stopfen: Einsparungen bei Zinsen und frei verfügbaren Ausgaben: Alle Ministerien sollen ihren Beitrag leisten, um Milliarden im Etat des kommenden Jahres einzusparen. Nur ein Ressort verschont Christian Lindner .
Dieser Mann könnte Erdoğan zum Sieg verhelfen: Sinan Oğan trat als dritter Präsidentschaftskandidat an. Nun gilt er als Königsmacher bei der Stichwahl am 28. Mai – unterstützt er Erdoğan oder Kılıçdaroğlu? Im SPIEGEL nennt er exklusiv seine Bedingungen .
Die Masche der »Parajacker« – und der simple Trick, der sie stoppte: Lösegeld erpressen, raus per Fallschirm: 1972 entführten Verbrecher reihenweise Flugzeuge. Das FBI machte Jagd auf die Täter – doch dann hatten die Ingenieure eine Idee .
»Wir hoffen, dass alle die Nachricht verstehen«: Wird es bald einen universellen Nachfolger der SMS geben? Wenn es nach Google geht, schon. Apple sieht das anders. Google-Manager Sameer Samat stichelt deshalb inzwischen öffentlich. Dem SPIEGEL sagt er, warum .
Was heute weniger wichtig ist
Noch einmal groß rauskommen: Das war Martha Stewart offenbar recht wichtig, weshalb sie sich dazu entschied, das Cover der »Sports Illustrated« zu zieren – nicht irgendein Cover, sondern das der ikonischen Bademoden-Ausgabe. Die Fernsehköchin und Unternehmerin ist damit die älteste Frau auf dem Titel des Magazins, sie ist 81. Dazu die Chefredakteurin des Blattes: »Sie ist mit der Zeit gegangen – immer einen Schritt voraus, wie es scheint.«
Mini-Hohlspiegel

Aus den Retoureninformationen einer Marke für Outdoorbekleidung
Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.
Cartoon des Tages

Entdecken Sie hier noch mehr Cartoons.
Illustration: Thomas PlaßmannUnd heute Abend?
…fliege ich nach Hollywood, äh, Hause. Dort esse ich einen Salat, dessen Geschichte so glamourös ist wie die großen Filmstars, die dieses Gericht verehren. Der sogenannte Cobb Salad wird auf meinen Tisch kommen; erfunden in Hollywoods Golden Age Mitte der Zwanzigerjahre, wie unsere Kochkolumnistin Verena Lugert hier beschreibt.
Im Cobb Salad, der eigentlich dazu dienen sollte, einen prominenten Restaurantgast mit Zahnweh zufriedenzustellen, ist einfach alles drin, was schmeckt: Bacon. Roquefort. Eier. Dazu Avocado, grüner Salat, ein wenig Huhn und eine süßsaure, mit viel Öl aufemulgierte Vinaigrette, durch Senf und Knoblauch herrlich pikant.
Das beste Gericht ist ja ein solches, für das man nicht in fünf Spezialsupermärkte fahren muss, sondern eigentlich nur in den Gemüseladen um die Ecke.
Um es mit Verenas Worten zu sagen: Lassen Sie es sich schmecken.
Einen schönen Abend. Herzlich
Ihre Nike Laurenz, stellvertretende Ressortleiterin Leben