Die Lage am Mittwoch Liebe Leserin, lieber Leser,

2019 ist Napoleon-Jahr, 2019 ist Rosa-Luxemburg-und-Karl-Liebknecht-Jahr, 2019 ist Versailles-Jahr, 2019 ist Bundesrepublik-Jahr. Das sind vier bedeutende politische Jubiläen, die uns in diesem Jahr erwarten.
Eine gemeinsame Überschrift könnte so lauten: Der schwierige Weg zur Demokratie. Ein Motto: Weil es so verdammt schwer ist, eine Demokratie zu etablieren, sollte man sie behandeln wie ein rohes Ei, damit sie ja nicht kaputt geht.
Das Beispiel Napoleon

Napoleon Bonaparte wurde vor 250 Jahren geboren, am 15. August 1769. Ihm fiel das Erbe der Französischen Revolution zu. Er hätte versuchen können, aus der jungen Republik eine funktionierende Demokratie zu machen. Aber das lag nicht in seinem Interesse. Er wird gerne als großer Kriegsherr und Gesetzgeber erinnert, aber in Wahrheit war er einer der großen Republikverderber der Geschichte (und darin Cäsar nicht unähnlich).
Napoleon erlag rasch der autoritären Versuchung und vergeudete einen Großteil seiner Kräfte damit, sich und seiner Familie ewige Macht zu sichern. Er machte sich zum Kaiser von Frankreich, setzte Brüder und andere Verwandte als Könige in Europa ein und arbeitete besessen daran, einen Thronfolger in die Welt zu setzen. Bis zur Lächerlichkeit versuchte er, traditionelle Könige zu imitieren, mit grotesker Kleidung und albernen Ritualen. Seine Sucht nach Größe ließ ihn scheitern und Frankreichs ersten Demokratieversuch gleich mit.
Lernen von George Washington

Dass es auch anders geht, dass es darauf ankommt, wer an die Spitze eines Staates rückt, beweist das Beispiel George Washington: Ihm war ein paar Jahre zuvor das Erbe der amerikanischen Revolution zugefallen (das heißt, er hatte über Jahre in dieser Revolution gekämpft). Washington war an Ewigkeit nicht interessiert, sondern trat nach acht Jahren im Amt des Präsidenten ab, obwohl er das nicht gemusst hätte. Eine Demokratie braucht Politiker, die an Ewigkeit nicht interessiert sind.
Spätestens seit Napoleon weiß man zudem, dass es verdächtig ist, wenn ein Politiker Familienmitglieder um sich schart. Das ist der erste Schritt zur Dynastie, die das Gegenteil ist zur Demokratie, bei der es auf den Wechsel ankommt. Donald Trump zeigt leider Neigungen in diese Richtung.
Der Mord an Luxemburg und Liebknecht

Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden vor 100 Jahren ermordet, am 15. Januar 1919. Beide waren zunächst Sozialdemokraten, dann Kommunisten. Ihr Tod steht für die reaktionäre Tendenz, die sich schon früh in der deutschen Revolution von 1918/19 abzeichnete. Aus Angst vor dem Chaos und einer Räterepublik hatten sich führende Sozialdemokraten mit Teilen der ehemaligen Reichswehr gemeingemacht. Ausgerechnet die Militärs sollten die junge Demokratie stützen. In Luxemburg und Liebknecht sahen sie Todfeinde.
Die beiden wussten um die Gefahren für ihr Leben und hatten sich in einer Wohnung in Berlin-Wilmersdorf versteckt. Sie flogen auf, wurden von einer Bürgerwehr verhaftet und an die Garde-Kavallerie-Schützen-Division übergeben. Dort saßen die schlimmsten Reaktionäre, die aber das Vertrauen von Gustav Noske genossen, einem Sozialdemokraten, der in der Revolutionsregierung für Wehrfragen zuständig war und bald der autoritären Versuchung erlag.
Rosa Luxemburg wurde mit einem Gewehrkolben bewusstlos geschlagen, mit einem Auto davongefahren und vom Trittbrett aus mit einem Nahschuss hingerichtet. Karl Liebknecht wurde ebenfalls misshandelt und auch mit einem Auto davongefahren. In der Nähe des Neuen Sees täuschte der Fahrer eine Panne vor, Liebknecht musste aussteigen und wurde erschossen.
Die Täter blieben verschont oder kamen mit geringen Strafen davon. Die junge Demokratie hatte sich auf eine schiefe Bahn begeben, von der sie nicht mehr runterkam. Gerade diese Staatsform, die oft einen moralischen Anspruch erhebt, gewinnt einen Teil ihrer Stärke daraus, dass sie sich treu bleibt. In der Weimarer Republik hat man das von Anfang an nicht geschafft.
Der Vertrag von Versailles
Am 28. Juni 1919, vor 100 Jahren, unterschrieb die deutsche Delegation im Spiegelsaal von Versailles den Friedensvertrag mit den Siegermächten. Ich bin am Silvestertag an dieser Stelle ausführlich darauf eingegangen. Hier nur noch ein Gedanke: Demokratien brauchen die Solidarität anderer Demokratien. Sonst können sie der autoritären Versuchung von innen oder der autoritären Konkurrenz von außen erliegen. Schon im Mord an Luxemburg und Liebknecht hatte sich die autoritäre Versuchung von innen gezeigt. In Hitler fand das seine Fortsetzung bis zum Exzess. Der Vertrag von Versailles mit seinen harschen Bedingungen hat es ihm leichter gemacht.
Die gepäppelte Bundesrepublik

Am 23. Mai 1949, vor 70 Jahren, wurde die Bundesrepublik gegründet, am 7. Oktober 1949 die DDR. Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, zeigte zwar durchaus einen napoleonhaften Zug, indem er sich gar nicht vorstellen konnte, die Macht jemals abzugeben, aber im Großen und Ganzen hatte man Glück mit ihm. Die anderen Demokratien waren solidarisch, die Bundesrepublik wurde gepäppelt und gedieh. Im Jahr 2006 erschien ein Geschichtsbuch von Edgar Wolfrum, das den schönen Titel "Die geglückte Demokratie" trägt. So dachte man damals.
Heute können wir uns nicht mehr so sicher sein, ob es so bleibt. Die autoritäre Versuchung ist stärker als je zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik, durch die AfD und durch eine autoritäre Supermacht, China, die wirtschaftlich erfolgreich ist. Die wirklich aufregenden Jahre unserer Demokratie kommen wohl erst noch.
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Ich wünsche Ihnen einen schönen Start in den Tag.
Ihr Dirk Kurbjuweit