
Die Lage am Samstag Die überlastete Welt

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
wir beschäftigen uns heute mit den Hintergründen des "Weltüberlastungstages", mit dem Fall des Kremlkritikers Nowolny und den Ideen von Norbert Röttgen für eine moderne CDU.
Aufgebraucht
Die Nichtregierungsorganisation Global Footprint Network ruft jedes Jahr in Zusammenarbeit mit der britischen York University den Earth Overshoot Day aus, der sich in der deutschen Übersetzung etwas profaner anhört: Weltüberlastungstag.
Ab diesem Tag, so beschreibt es die Kampagne, verbrauchen die Menschen mehr biologische Ressourcen als die Erde innerhalb dieses Jahres regenerieren kann.
Dieser Tag ist heute.

Klimaaktivisten in Hamburg
Foto: Ulrich Perrey / dpaMan mag von solch kaum nachprüfbaren Berechnungen halten, was man will, interessant aber ist: Die Darstellung der Wissenschaftler und Aktivisten zeigt anschaulich, wie die Coronakrise dabei hilft, das Klima zu schützen, wenn auch nur temporär. Im vergangenen Jahr nämlich war die Überlastung schon am 29. Juli eingetreten, also gut drei Wochen früher. Corona hat die Ressourcen spürbar geschont.
Kehren wir nach Ende der Epidemie wieder zu unserem alten Verhalten zurück, wird sich der Zeitpunkt der Überlastung wieder nach vorne verlagern, das Jahr 2020 bliebe eine exotische Ausnahme. Die Frage muss also sein: Welches Verhalten, welche politischen Methoden der aktuellen Krise können wir fortführen, um die andere große Krise zu bewältigen, die des Klimawandels? Es sind Überlegungen, die in der Politik der nächsten Monate eine Rolle spielen werden.
Zum Anlass der Weltüberlastung wollen Umweltaktivisten heute eine riesige Weltkugel durch Berlin schieben, bis zum Brandenburger Tor. Falls Sie also in der Hauptstadt sind: Passen Sie auf!
Alarmiert
Der Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen sieht die CDU in ihrem "Status als Partei der Mitte" gefährdet, das hat er in einem Gespräch mit dem SPIEGEL gesagt. Röttgen kennt man aus Talkshows, wenn es um außenpolitische Themen geht, da ist er Experte. Nun will er aber die gesamte Partei führen, er tritt als Kandidat für den CDU-Vorsitz an, neben Armin Laschet und Friedrich Merz. Seine Chancen sind eher mäßig, doch Röttgen will kämpfen. Das Gespräch mit meinen Kollegen Christoph Schult und Veit Medick zeigt, in welche Richtung er die CDU gern ausrichten würde.
"Wir müssen die Gefahr des Klimawandels verinnerlichen und dürfen uns nicht nur damit beschäftigen, weil es jetzt gerade mal wieder so eine Stimmungslage gibt", sagt Röttgen. "Die Klimapolitik muss eine eigene Kompetenz der CDU werden." Klaus Töpfer, der bekannteste grüne Schwarze, wird es mit Genugtuung vernehmen.
Nawalny in Deutschland
Alexej Nawalny, der plötzlich schwer erkrankte und möglicherweise vergiftete Kremlkritiker, kann nun an der Berliner Charité behandelt werden. Ein Flugzeug der Initiative Cinema for Peace mit ihm an Bord landete am Samstagmorgen in der Hauptstadt.
Vertraute des Putin-Gegners vermuten, dass Nawalny vor drei Tagen auf einem Flug von Sibirien nach Moskau vergiftet worden war. Nach starken Schmerzen war er in ein Koma gefallen. Die Ärzte im sibirischen Omsk, wo man ihn zunächst behandelte, sagten gestern, sie hätten keine Spuren von Gift gefunden. Wer also hat recht?
"Anfangs sagten die Ärzte eindeutig, es handele sich um eine Vergiftung. Sie haben alles unternommen, um seinen Zustand zu stabilisieren, haben ihn in ein künstliches Koma versetzt und ihn beatmet", erzählte Leonid Wolkow, ein russischer Oppositionspolitiker und enger Vertrauter Nawalnys, gestern meinem Kollegen Marcel Rosenbach. "Auf einmal hatten dann aber nicht mehr diejenigen in den weißen Kitteln das Wort. Im Lauf der Nacht gaben auf einmal diejenigen in den grauen Anzügen die Diagnose vor." Er vergleicht die Situation mit den Vorgängen um den Absturz der Boeing MH17. "Zuerst hatte Russland Hunderte verschiedene Erklärungen: alle möglichen, außer der offensichtlichen, alle möglichen, außer der korrekten", sagte Wolkow. "Genauso lief es auch jetzt."
Verlierer des Tages ...
… ist das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Nach der großen Testpanne in Bayern, bei der viele auf Covid-19 positiv Getestete lange nicht von ihrem Testergebnis erfahren haben, gibt es nun auch Verwirrung um die sogenannten Aussteigerkarten, die Flugpassagiere ausgefüllt abgeben sollen, wenn sie aus einem Risikogebiet kommend in Deutschland landen. Nach SPIEGEL-Recherchen versuchte eine große Fluglinie beim Landesamt vergeblich herauszufinden, was mit den Karten am Münchner Flughafen geschehen solle - und bekam keine Antwort. Außerdem musste die Behörde gerade Schutzmasken "vorsorglich sperren", die die bayerische Staatsregierung über eine Passauer Firma unter anderem für Ärzte und Helfer des Technischen Hilfswerks beschaffen ließ - sie waren mangelhaft. Es läuft gerade nicht rund im Freistaat.
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Ich wünsche Ihnen trotz allem ein erholsames Sommerwochenende!
Ihr Martin Knobbe