
Die Lage am Morgen Willkür und Weltordnung

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute beschäftigen wir uns mit dem EU-China-Gipfel, mit dem Treffen zweier Autokraten, mit den Menschenrechten und dem geplanten Vertragsbruch Großbritanniens.
Gipfelgespräch zwischen EU und China
An diesem Tag geht es bei mehreren Terminen unterschwellig um die Weltordnung. Es wird nichts Wesentliches entschieden, aber es wird von wichtigen Akteuren darüber geredet, wie Staaten mit Staaten und wie Staaten mit Menschen umgehen wollen und sollen. Im Prinzip geht es um das demokratische gegen das autoritäre Prinzip, aber so eindeutig ist es nicht, weil sich auch Demokratien verrennen können, und mindestens zwei tun das gerade. Willkür zum Beispiel ist ein autoritäres Prinzip, und wenn eine Demokratie damit beginnt, willkürlich zu handeln, bewegt sie sich auf dem falschen Gleis.
Aus deutscher Sicht ist der wichtigste Termin heute das Gipfelgespräch der Europäischen Union mit China. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Ratspräsident Charles Michel und Bundeskanzlerin Angela Merkel als Regierungschefin des Landes, das derzeit die Ratspräsidentschaft innehat, konferieren per Video mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping. Sie reden unter anderem über ein Investitionsprogramm, aber langfristig wird wichtiger sein, wie die drei die EU gegenüber China positionieren.
Es gibt zwei Möglichkeiten: Erstens, die EU will vor allem Handelspartner sein und wirtschaftlich von China profitieren. Zweitens, die EU will in der künftigen Weltordnung politisch eine Rolle spielen, als Macht des Guten, die sich friedlich, aber nachdrücklich für Demokratisierung, Rechtsstaat und Menschenrechte einsetzt und damit gegen Willkür. Fall eins würde heute ein eher unterwürfiges, angepasstes Verhalten erfordern, Fall zwei ein selbstbewusstes, hier und dort auch freundlich forderndes. Fall zwei wäre besser.
Putin trifft Lukaschenko
Der zweite Termin, der diesen Tag bestimmen wird, ist das Treffen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit seinem belarussischen Kollegen Alexander Lukaschenko in Moskau. Hier begegnen sich zwei Großmeister der Willkür, die Opposition brutal unterdrücken. Lukaschenko wird sich wohl noch einmal Hilfe gegen die mutigen Demonstranten zusichern lassen. Die Abschreckungswirkung seiner eigenen Auftritte mit Kalaschnikow waren ja eher begrenzt.
Auch hier sollte die EU deutlich Flagge zeigen, auch mit Sanktionen. Will die EU eine Macht des Guten sein, muss sie auf dem eigenen Kontinent damit anfangen, sich für Demokratisierung, Rechtsstaat und Menschenrechte einzusetzen. Sie sollte das für die verfolgten und gedemütigten Menschen tun, aber auch für sich selbst. Die EU wird nie die Waffen haben, über die die USA verfügen und irgendwann auch China verfügen wird. Wenn sie in der Welt eine Rolle spielen kann, dann über die Kraft ihrer Wirtschaft und ihre moralische Klarheit. Mit Letzterer kann sie Verbündete in aller Welt finden.
Die Grundlage jeder Weltordnung
Der dritte Termin, der in diese Reihe passt, ist die 45. Tagung des Uno-Menschenrechtsrats, die heute in Genf beginnt. Man wird darüber reden, wie Staaten mit Menschen umgehen, und es wird ganz sicher eine Menge trauriger Berichte geben. Die werden dann häufig vergessen, wenn Staaten mit Staaten reden, man möchte Handel miteinander treiben und angenehme Gespräche haben, auf den einzelnen Menschen kommt es dann nicht so an.
Aber es kommt immer auf den einzelnen Menschen an, sein Leid bleibt unerträglich, weshalb die Menschenrechte die Grundlage jeder Weltordnung sein sollten. Sie ist nur scheinbar für Staaten da. In Wahrheit soll sie dazu dienen, den Menschen ein gutes Leben möglich zu machen.
Großbritannien - eine Demokratie greift zur Willkür
Der vierte Termin findet in London statt. Das britische Unterhaus debattiert heute über das Binnenmarktgesetz, mit dem die Regierung einige Regelungen des Austrittsabkommens mit der EU aufheben will. Einseitig, mit einem bewussten Verstoß gegen das Völkerrecht. Hier greift eine Demokratie zur Willkür im Umgang mit anderen Staaten, und das kann die Weltordnung nachhaltig stören.
Verträge zwischen Staaten und Organisationen von Staaten halten die Welt zusammen. Sie sind ein Netz der Sicherheit, ein unsichtbares Geflecht, das für Stabilität und Ordnung sorgt. Solche Verträge gibt es seit Tausenden von Jahren, und immer wieder wurden sie mal gebrochen, aber das entschuldigt nichts. Wer einen politischen Vertrag bricht, macht die Welt für alle schlechter, nicht nur für die unmittelbar Betroffenen.
Denn dann werden auch andere sagen: Wenn Großbritannien, eine der ältesten Demokratien der Welt, das Völkerrecht bricht, dann können wir das auch. Das Geflecht bekommt Risse, die Welt verliert Stabilität, weil sich keiner mehr auf den anderen verlässt. Deshalb kann auch Großbritannien langfristig nicht von seinem Vertragsbruch profitieren. Es bleibt ja Teil der Weltordnung, die schlechter geworden ist.
Ein wichtiger Tag also, Montag, der 14. September 2020. Viel wäre erreicht, würde am Ende dieses Tages irgendwo ein kleiner Sieg gegen die Willkür zu vermelden sein.

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