Roland Nelles

Die Lage am Morgen Kiew schaut in die Zukunft, Moskau in die Vergangenheit

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um den EU-Ukraine-Gipfel in Kiew, um den Besuch der italienischen Ministerpräsidentin bei Olaf Scholz – und um die Fortschritte bei der Künstlichen Intelligenz.

Wann kommt die Ukraine in die EU?

Die Symbolik ist stark, keine Frage. Die Anführer der Europäischen Union, EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und 15 Kommissare, besuchen mitten im Krieg Kiew. Heute wird dort ein EU-Ukraine-Gipfel stattfinden. Es ist ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine, aber auch ein klares Signal an Moskau. Die Ukraine will zum demokratischen und freien Westen gehören. Da kann sich Wladimir Putin auf den Kopf stellen.

Ursula von der Leyen, Wolodymyr Selenskyj in Kiew

Ursula von der Leyen, Wolodymyr Selenskyj in Kiew

Foto: SERGEI SUPINSKY / AFP

»Die gesamte Europäische Union ist langfristig an der Seite der Ukraine«, sagte Ursula von der Leyen nach ihrer Ankunft in Kiew. Zugleich kündigte sie neben weiteren Hilfen für die Ukraine ein neues Sanktionspaket gegen Russland an. Auch über die EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine dürfte mit Präsident Wolodymyr Selenskyj gesprochen werden. Entscheidend ist hier das Wort »langfristig«. Die Hoffnungen in Kiew auf einen baldigen Beitritt sind groß. Es sieht momentan aber nicht so aus, als stünde der EU-Beitritt der Ukraine unmittelbar bevor. Die EU will sich damit Zeit lassen, auch weil die Ukraine erst noch etliche Reformen durchführen muss, um in den EU-Block zu passen, etwa im Bereich Korruptionsbekämpfung.

Und was macht Putin? Während die EU und Kiew an die Zukunft denken, lebt er weiter in der Vergangenheit. Wie erwartet hat der Kremlchef bei den Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag der Schlacht von Stalingrad in einer Rede Parallelen zwischen dem Kampf seines Landes gegen die Nazis und dem Einmarsch in der Ukraine gezogen. Es war ein bizarrer Auftritt voller primitiver Drohungen. Dabei kam Putin auch auf die deutschen Panzerlieferungen an Kiew zu sprechen: »Es ist unglaublich, aber deutsche Leopard-Panzer bedrohen uns wieder«, erklärte Putin. »Mit Kreuzen an der Seite.« Was jemand eben so sagt, wenn er nicht mehr weiterweiß.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

Pikanter Besuch in Berlin

Es hat ein wenig gedauert, aber nun kommt die neue italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni drei Monate nach ihrem Amtsantritt zu ihrem ersten Besuch nach Berlin. Am Freitagnachmittag wird »Mussolinis Erbin«, wie sie im SPIEGEL genannt wurde, mit militärischen Ehren im Bundeskanzleramt empfangen. Danach gibt es ein längeres Gespräch mit Kanzler Olaf Scholz.

Kritisch beäugt wurde sie nicht nur in Berlin. Im Élysée-Palast in Paris bekam Meloni bis heute keinen Termin. »Es ist, als hätte die 46-Jährige eine längere Probezeit überstanden«, schreibt unser Rom-Korrespondent Frank Hornig in einer Analyse zu dem Besuch.

Giorgia Meloni

Giorgia Meloni

Foto: Roberto Monaldo / dpa

Tatsächlich zeigt sich die Postfaschistin, die im Wahlkampf auch mit scharfer Kritik an Deutschland auffiel, seit ihrem Amtsantritt erstaunlich zahm. Sie wünscht sich mehr Zusammenarbeit mit Berlin, verzichtet auf allzu populistische Töne in Richtung Brüssel und macht einen Bogen um andere EU-Rechtsaußen wie Ungarns Premier Viktor Orbán.

Aus Berliner Sicht kann es im deutsch-italienischen Verhältnis sicherlich so weitergehen. Streit wird sich aber wohl trotzdem nicht vermeiden lassen. Wie immer geht es dabei ums liebe Geld. Italien setzt sich für eine eher lasche Reform des europäischen Stabilitätspakts ein, um leichter Schulden aufnehmen zu können. Deutschland ist strikt dagegen.

Krönungsmesse für Nancy Faeser

Früher war Hessen sozialdemokratisches Kernland. Dort regierten Genossen wie Holger Börner, ein gelernter Bauarbeiter, der unter anderem dafür in Erinnerung bleiben wird, dass er grünen Demonstranten Prügel »mit der Dachlatte« androhte. Inzwischen ist die Staatskanzlei in Wiesbaden schon seit mehr als 20 Jahren in CDU-Hand. Die SPD möchte das bei der Landtagswahl im Oktober ändern, weshalb dort nun Bundesinnenministerin Nancy Faeser Spitzenkandidatin werden soll.

Nancy Faeser (im November 2022)

Nancy Faeser (im November 2022)

Foto: Michael Kappeler / dpa

Faeser hat ihre Kandidatur in einem SPIEGEL-Gespräch angekündigt. Heute soll nun in Hessen die offizielle Krönungsmesse stattfinden, die Führungsgremien der Hessen-SPD tagen, um die Personalie abzusegnen. Danach findet der sogenannte Hessengipfel statt, eine Klausurtagung der Landes-, Bundes- und Europapolitiker der hessischen SPD.

Eine interessante Fußnote bei der Faeser-Kandidatur ist, dass sie während des Wahlkampfs an ihrem Amt als Innenministerin in Berlin festhalten wird. Sie will auch nur bei einem Wahlsieg ganz nach Hessen wechseln. Dagegen ist im Grundsatz nicht viel zu sagen. Der Vergleich mit dem damals glücklosen Norbert Röttgen von der CDU, der einst als Umweltminister und Ministerpräsidenten-Kandidat in NRW scheiterte, funktioniert nicht. Röttgen hatte damals auch in den eigenen Reihen zu viele Gegner, die Lust daran hatten, ihm das Leben schwer zu machen. Das scheint bei Faeser nicht der Fall zu sein.

Nach Lage der Dinge ist die ganze Sache für Faeser eher eine Win-win-Situation: Ist sie in Hessen erfolgreich, bekommt sie eins der wichtigsten Ministerpräsidentenämter in Deutschland. Reicht es nicht für die Staatskanzlei in Wiesbaden, bleibt sie Innenministerin, was auch ein schöner Job ist (mit Potenzial für mehr). Einzige Voraussetzung: Ihr Wahlergebnis in Hessen sollte besser nicht katastrophal schlecht sein. Das mögen auch die Genossen nicht so gerne.

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Verlierer des Tages…

Foto: LIONEL BONAVENTURE / AFP

…ist das mit künstlicher Intelligenz arbeitende Chatbot ChatGPT. Es kann wahre Wunder vollbringen. Also E-Mails beantworten, Briefe an Oma schreiben, Essays für die Uni oder die Schule verfassen und so weiter. Unter Journalisten geht schon die Angst um, dass die Roboter bald auch unsere Texte schreiben und uns in den Redaktionen ersetzen.

Die gute Nachricht: Noch ist es nicht so weit. Auf die Frage, wer der Gewinner oder die Gewinnerin des Tages ist, gibt das Programm folgende Antwort: »Es tut mir leid, ich habe nicht genügend Informationen, um den Gewinner des Tages festzulegen. Können Sie bitte mehr Kontext bereitstellen?« Hm.

Neuer Versuch: Wer ist der Verlierer des Tages? Die Antwort der Maschine in Kurzfassung: »Ich habe keinen Zugang zu Echtzeitinformationen und kann nicht den Verlierer des Tages bestimmen. Das hängt von bestimmten Entwicklungen und Ereignissen ab, die stattgefunden haben. Außerdem muss darauf hingewiesen werden, dass es subjektiv sein kann, jemanden als ›Verlierer‹ zu bezeichnen.« Ach so, danke für den Hinweis.

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  • »Es macht mich frei, es macht mich glücklich, es macht mich stark«: Angefangen hat sie ganz klein: zu Fuß von Eisenach nach Hause. Inzwischen fährt Margot Flügel-Anhalt, 69, mit dem Lada zum Himalaja und mit dem Motorrad durch Iran. Was lernt sie allein unterwegs über sich selbst? 

  • Wenn ein Techriese das liebste Hobby abschafft: »Echo VR« gilt als E-Sport-Disziplin. Diesen Sommer aber will das zu Meta gehörende Entwicklerteam das VR-Spiel einstellen. Tausende Fans sind überrascht und frustriert – und starten einen Rettungsversuch .

  • Wenn das Schwarze Meer grüne Welle hat: Spanien war das Vorbild: Ende der Sechziger begannen Rumänen und Bulgaren, an der Schwarzmeerküste Bettenburgen aus dem Boden zu stampfen, um das Geschäft mit Westtouristen anzukurbeln. Beim Komfort blieb Luft nach oben .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Roland Nelles, US-Korrespondent

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