Die Lage am Dienstag Liebe Leserin, lieber Leser,

wie viele Flüchtlinge haben 2017 einen Asylantrag in Deutschland gestellt? Diese Frage wird heute Innenminister Thomas de Maizière bei einer Pressekonferenz beantworten. Wahrscheinlich liegt die Zahl bei rund 220.000, also ziemlich dicht bei jener Obergrenze, die Angela Merkel offiziell nicht will, die aber von der CSU in die Sondierungsvereinbarung geschrieben wurde.
Zufall? Steuerung? Ein bisschen verdächtig wirkt diese Treffsicherheit schon. Die Zahl ist jedenfalls Ausdruck einer ganz anderen Flüchtlingspolitik, einer Obergrenzenpolitik, die aber nie richtig verkündet und begründet wurde. Sie ist ein weiteres Beispiel für Merkels klandestinen Politikansatz. Selbst der kühnste Schwenk wird nicht erklärt. 2016 wurden rund 745.000 Asylanträge gestellt.
Nehmen wir einmal den Prototypen des vernünftigen, pragmatischen Bürgers, nicht voreingenommen, nicht ideologisch. Er ist prinzipiell bereit, mit Merkel mitzugehen, in die eine wie in die andere Richtung. Aber er will gute Argumente hören, will widersprechen können, will überzeugt werden. Dieser Bürger, es gibt viele davon, wird komplett im Stich gelassen von der Bundeskanzlerin.
Seehofers Einfühlung

Das hat die SPD nicht verdient. Jetzt gibt sich schon Horst Seehofer als einfühlsamer Freund, der Verständnis zeigt für den Streit der Sozialdemokraten über die Ergebnisse der Sondierungen mit der Union. Was immer er damit beabsichtigt, aber er hat recht. Es ist noch ein weiter Weg bis zu einem Koalitionsvertrag, und natürlich muss jetzt darüber gestritten werden, was für die SPD in einer Großen Koalition geht und was nicht. Das Problem ist nur, dass die SPD nie aufhören wird zu streiten, schon gar nicht wenn dereinst regiert werden sollte.
Die CSU-Landtagsfraktion setzt heute ihre Winterklausur im Kloster Banz fort, Martin Schulz wirbt bei der SPD in Nordrhein-Westfalen für die Große Koalition.
Putzige Idee

Wer in den Achtzigerjahren studiert hat, kann die Idee von einer linken Sammlungsbewegung nur für einigermaßen putzig halten. Vor der Uni war ein halbes Dutzend Stände aufgebaut, an denen linke Splitterbewegungen für sich warben und den winzigen oder ganz und gar unverständlichen Unterschied zu den Nachbarn betonten.
Eine linke Sammlungsbewegung, wie sie Sahra Wagenknecht im SPIEGEL dieser Woche vorgeschlagen hat, ist machtpolitisch natürlich richtig. Es wäre die Alternative zur ewigen Merkel. Aber es geht halt nicht, strukturell nicht. Das rechte Spektrum gründet auf Anpassung, auf Bewahrung, auf Autorität und kann sich daher leichter einigen, zur Not unter Zwang. Die Linke gründet auf dem Drang nach Emanzipation, nach Befreiung und Widerspruch. Die große Einigung bleibt daher ein großer Traum. Und Sahra Wagenknecht wäre die Erste, die sich nicht anpassen wollte.
Verlierer des Tages

Über Jahrtausende lebten die Menschen mit dem Traum von der Größe. Je größer desto besser. Herden, Reiche, Gebäude, Panzer. Größenwahn wurde zur weitverbreiteten Berufskrankheit unter Monarchen und Ingenieuren. Irgendwann hat sich das gedreht. Je kleiner desto besser. Schrumpfende Computer, Nanotechnologie. Allerdings fand dieser Schwenk keine pathologische Entsprechung. Der Kleinheitswahn hat sich gesellschaftlich nicht durchgesetzt. Die schiere Größe bleibt ein Reiz, und der ist noch immer tückisch.
Das muss nun Airbus mit seinem Gigantenflieger A380 erleben. Er ist kein Erfolg. Wenn sich die Fluglinie Emirates nicht erbarmt und eine Großbestellung aufgibt, wird die Produktion eingestellt. Die Luft bleibt ein schwieriges Element für kühne Träume, von Airbus über Ikarus bis zum Zeppelin. Der A380 ist mein Verlierer des Tages.
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Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Dienstag,
Ihr Dirk Kurbjuweit