

Die Lage am Morgen Super-Chance für Joe Biden?

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen!
Heute beschäftigen wir uns mit der neuen Flüchtlingskrise, den möglicherweise entscheidenden Vorwahlen in den USA, der katholischen Kirche sowie einer christlichen Partei.
Die Flüchtlingskrise holt Europa ein
Ein kleines Kind ist gestorben. Als das Boot mit Flüchtlingen am Montag griechische Gewässer vor der Insel Lesbos erreichte, brachten es die Insassen offenbar selbst zum Kentern. Warum? Damit sie gerettet und ans griechische Ufer gebracht würden. Dieses Manöver überlebte das Kind nicht.
Diese furchtbare Szene ist ein Symbol für all das, was schiefläuft in der internationalen Flüchtlingspolitik. Um die EU unter Druck zu setzen, heizt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan plötzlich die illegale Migration nach Griechenland an, Menschenleben spielen dabei keine Rolle. Knapp vier Millionen Flüchtlinge leben in der Türkei, rund eine Million warten an der syrisch-türkischen Grenze.
Vier Jahre hatte die EU, hatte Deutschland Zeit, aus dem provisorischen EU-Türkei-Deal - Erdogan unterbindet illegale Migration, die EU zahlt - eine bessere, eine dauerhafte Lösung zu machen. Es ist nicht gelungen. "Der Streit um die Flüchtlinge macht deutlich, dass die EU sich 2015 auf Betreiben Merkels nur mit den Symptomen der Flüchtlingskrise beschäftigen wollte - und nicht mit deren Ursache”, kommentiert mein Berliner Kollege Christoph Schult.
Und unser Brüssel-Korrespondent Peter Müller schreibt, die EU sei nicht vorbereitet auf eine mögliche Wiederholung der Flüchtlingskrise von 2015. An diesem Dienstag wollen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Ratspräsident Charles Michel sowie EU-Parlamentspräsident David Sassoli an die griechisch-türkische Grenze reisen, um sich einen Einblick zu verschaffen.
Feiertag der Demokratie in den USA
Dieser Dienstag ist ein Super-Dienstag: Super Tuesday. In gleich 14 Bundesstaaten plus Amerikanisch-Samoa finden Vorwahlen der Demokratischen Partei statt. Für die verbliebenen fünf Präsidentschaftsbewerber ist es der wohl wichtigste Tag.
Es geht um exakt 1357 Delegierte für den Parteitag im Juli, der entscheiden wird, wer im November gegen Donald Trump ins Feld zieht. Das ist gut ein Drittel aller Delegierten. Heißt: Dieser Dienstag entscheidet viel. Im Fokus stehen Spitzenreiter Bernie Sanders und sein Verfolger Joe Biden.
Der 77-jährige Biden hat sich am vergangenen Wochenende in South Carolina durch seinen Sieg über Sanders wieder zurück ins Spiel gebracht. Der frühere Vize von Barack Obama konnte bei den Schwarzen punkten, gewann das "Black Vote”. Darauf setzt er nun auch in weiteren Südstaaten am Super Tuesday: North Carolina, Virginia, Tennessee, Alabama, Oklahoma, Arkansas.
Ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem sozialistischen Griesgram Sanders liefert sich Biden vorraussichtlich in Texas. Im wichtigsten Super-Tuesday-Staat, in Kalifornien, liegt Sanders jedoch deutlich vor Biden. Mein Kollege Roland Nelles berichtet von der Pazifikküste, meine Kollegen Marc Pitzke, René Pfister und Ralf Neukirch von der Ostküste.
Wenn der moderate Biden eine Chance auf die Kandidatur gegen Trump wahren will, dann muss er an diesem Dienstag zweierlei erreichen: Der Abstand zu Sanders darf erstens insgesamt nicht zu groß, nicht uneinholbar werden; und zweitens muss er den moderaten Mitbewerber Mike Bloomberg ausstechen, nachdem nach South Carolina bereits die Biden-Konkurrenten Pete Buttigieg und Amy Klobuchar aufgegeben haben.
Gut möglich, dass am Ende weder Sanders noch Biden eine Mehrheit auf dem Parteitag haben. Und dann? Könnten die sogenannten Superdelegierten entscheiden, Vertreter des Parteiestablishments. Das sind keine Sanders-Freunde.
Und dass auch nicht derjenige am Ende Präsidentschaftskandidat wird, der die meisten Stimmen in den Vorwahlen gesammelt hat, ist durchaus möglich. Bei den Demokraten liegt das schon ein bisschen zurück: 1952 wurde Adlai Stevenson statt des Basiskandidaten Estes Kefauver vom Parteitag nominiert, Amtsinhaber Harry S. Truman wollte nicht noch einmal antreten. Die Primaries, sagte Truman damals, seien nun mal dazu angetan, der Wählerschaft Sand in die Augen zu streuen.
Am Ende verlor Stevenson gegen den Republikaner Dwight D. Eisenhower.
Konservative Kirche
Weil der Münchner Erzbischof Reinhard Marx nicht wieder als Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz kandidieren möchte, bestimmen die Bischöfe heute in Mainz einen Nachfolger.
Vom Richtungsstreit ist im Vorfeld die Rede. Wird der konservative Marx-Gegenspieler Rainer Maria Woelki aus Köln antreten? Oder einer der jüngeren, liberaleren Bischöfe? Wobei hier jünger und liberaler nicht heißt: jung und liberal.
Vielleicht ist das auch schon das Problem der Bischöfe in Deutschland und weltweit: Um ihre Kirche zu sanieren, brauchten sie eigentlich einen "Game Changer”, der ganz neue Wege geht. Der vielgefeierte Papst Franziskus ist das ja offensichtlich nicht. Denn der will noch nicht einmal am Zölibat rütteln oder die Weihe von Frauen zu Diakonnen erlauben. Von wegen Richtungsstreit. Die katholische Kirche erscheint im Umgang mit Frauen schon fast so doktrinär wie die CDU im Umgang mit der Linkspartei.
Wer aber Frauen nicht die gleichen Rechte wie Männern einräumen will oder kann oder was auch immer, der ist das glatte Gegenteil von liberal.
Sogar in der katholischen Kirche.
Symbolischer Fehlgriff des Tages ist…
… die Eröffnung einer Wanderausstellung der Konrad-Adenauer-Stiftung zu 75 Jahren CDU in Stuttgart. Ausgerechnet Stuttgart. Kaum irgendwo war die CDU einst erfolgreicher als in Baden-Württemberg, regierte dort fast sechs Jahrzehnte ununterbrochen. Dann übernahmen die neubürgerlichen Grünen die Rolle der Staatspartei, die CDU darf seither den Juniorpartner geben. Ein Szenario, vor dem sich die Unionsparteien auf Bundesebene fürchten. Eine Frage der Ausstellung heißt: "75 Jahre CDU - wie geht es weiter?” Das fragen wir uns auch.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
600 neue Fälle von Coronavirus in Südkorea: Zugleich meldet China weiter sinkende Fallzahlen - dafür wachsen die Zweifel an der Zählweise. Bei Google und Twitter wird teils Homeoffice vorgeschrieben
Mega-Talk zum Virus-Ausbruch: Bei "Hart aber fair" ging es im XXL-Format um Corona. Und es gelang tatsächlich, mit Expertise und - unfreiwilliger – Komik für Aufklärung zu sorgen
Ex-Konkurrenten schlagen sich auf die Seite von Joe Biden: Kurz vor dem "Super Tuesday" kann der Ex-Vizepräsident die Unterstützung unter anderem von Pete Buttigieg gut brauchen. Denn das Duell mit Bernie Sanders wird hart
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Sebastian Fischer