
Die Lage am Morgen Das Leid der Generation Corona

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute beschäftigen wir uns mit den Belastungen für Kinder und Jugendliche in der Corona-Zeit, mit der zum Teil merkwürdigen Verteilung staatlicher Hilfsgelder und mit üblen Geschichtsvergleichen.
Jung und belastet
Kinder erkranken am Coronavirus offenbar nicht so schwer wie Erwachsene, doch es zeigt sich immer deutlicher, wie sehr sie indirekt an dieser merkwürdigen Zeit, in der wir gerade leben, leiden: Bauchschmerzen, Nervosität, Schlafstörungen – die ersten Studien sind da, die das Befinden von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie erfassen.
Nicht alle Forscherinnen und Forscher sind sich einig, aber das liegt an der Neuartigkeit des Phänomens, ähnlich verhält es sich ja auch in der Virologie oder Epidemiologie. Ein Forscherteam um die Psychologin Ulrike Ravens-Sieberer hat zum Beispiel für eine Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf rund tausend Heranwachsende und mehr als 1500 Eltern online befragt: »Wir haben damit gerechnet, dass sich das psychische Wohlbefinden der Kinder in der Krise verschlechtert, dass das aber so deutlich ausfällt, hat auch uns überrascht«, sagt sie in einem Report, den das neue SPIEGEL-Heft zu diesem Thema auf acht Seiten bringt. Darin werden nicht nur die psychologischen, medizinischen und gesellschaftlichen Folgen bedacht, sondern auch die ökonomischen, kulturellen und politischen.
Denn in der Politik ist der Umgang mit Kindern und Jugendlichen zuletzt zu einem Streitthema geworden. Vorvergangene Woche war vom Bund vorgeschlagen worden, Kinder sollten sich auf einen Freund oder eine Freundin beschränken, viele Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen äußerten sich verwundert. Nun hat es beim Corona-Gipfel am Mittwoch wieder neue Regeln für Kontakte generell und auch für Schulen gegeben, das muss schließlich auch sein, und dennoch hat es natürlich Konsequenzen für die Jungen und Jüngsten, wenn Erwachsene ständig die Regeln ändern.
Der Generationenvertrag zwischen Kindern und den für sie verantwortlichen Älteren sieht ja vor, dass die Älteren einen sicheren Rahmen schaffen, einen solchen aber gibt es in diesen chaotischen Zeiten nicht.
Kinder und Jugendliche merken, dass die bisherigen Rezepte der Erwachsenen nicht mehr wirken. Die Überfürsorge und das Leistungsdenken, die sich im bürgerlichen Milieu in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Erziehungsmethoden etabliert haben, sind schon lange nicht mehr angebracht, die Pandemie hat das jetzt klar aufgezeigt. Höchste Zeit, neu über Erziehung nachzudenken.
November-Dezember-und-so-weiter-Hilfen
Bisher sah es so aus, als seien die von der Regierung beschlossenen Ausgaben, mit denen die Folgen der Pandemie abgefedert werden sollen, vertretbar. Aber seit den Beschlüssen des Corona-Gipfels vom Mittwoch steigt die Nervosität. Die Kanzlerin deutete vorgestern im Bundestag an, das Geldausgeben könne nicht »bis ultimo« so weitergehen.
Ende Oktober hatte die Runde aus Kanzlerin, Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten großzügige Hilfen für den November versprochen, sie hatten gehofft, dass sich durch den neuen Shutdown im November das Infektionsgeschehen so beruhigen würde, dass bald wieder Lockerungen möglich wären. Da aber die Anzahl der Infizierten keineswegs deutlich hinuntergeht, sondern die Kurve sich lediglich seitwärts bewegt, werden sowohl der Teil-Shutdown als auch die Hilfen in den Dezember hinein verlängert.
Dass das sein muss, leuchtet ein, aber wie es gemacht wird, nicht immer. So lernen wir zum Beispiel im Wirtschaftsteil im neuen SPIEGEL-Heft den Besitzer eines Fischrestaurants kennen, der im November seine Gaststätte schließen musste, am Ende des Monats aber durch die Hilfen mit 14.000 Euro Gewinn rechnen kann.
Das mögen Ausnahmen sein, aber es sind genau diese Ausnahmen, die in einer Zeit, in der Pflegerinnen und Pfleger in Krankenhäusern für vergleichsweise wenig Geld ihr Leben riskieren, für Unmut sorgen und den Durchhaltewillen schmälern.

Andy Cantillon / eyevine / INTERTOPICS
Cry for me
Genial. Exzessiv. Zerstörerisch. Diego Maradona
Corona-Demos: Eine Frage des Abstands und Anstands
Vor ein paar Wochen, am 9. November, dem Jahrestag der Pogromnacht, brannten in meiner Parallelstraße Gedenkkerzen auf den Bürgersteigen. Sie waren dort aufgestellt, wo Stolpersteine in den Boden eingelassen sind. Die Quadrate in goldener Farbe erinnern an die jüdischen Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus von hier deportiert wurden.
Deutschland ist bekannt für seine Erinnerungskultur. Diese aber überdeckt manchmal, was es ebenfalls und immer noch gibt in diesem Land: Geschichtsvergessenheit. Am vergangenen Wochenende verglichen sich Demonstrantinnen auf Veranstaltungen gegen Corona-Maßnahmen mit der Tagebuchautorin Anne Frank und der Widerstandskämpferin Sophie Scholl. Die Szenen waren kaum zu ertragen, aber die Reaktionen darauf waren auch eindeutig: blankes Entsetzen.
Ob die Reaktionen gewirkt haben, wird man an diesem Wochenende sehen. Wieder wird es Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen geben, in Frankfurt an der Oder, in Erfurt und in Hannover zum Beispiel. Wer gegen Corona-Maßnahmen ist, muss das äußern und zeigen dürfen, solange er oder sie sich an die Regeln hält. Und was soll eigentlich so furchtbar schwierig daran sein, Maske zu tragen, Abstand zu halten und die Regeln des Anstands zu wahren?
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Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Ihre Susanne Beyer