Die Lage am Donnerstag Liebe Leserin, lieber Leser,

dieser Tage wabert eine Kampagne deutscher Rassisten durch die sozialen Netzwerke, sie fiele eigentlich unter die Rubrik "nicht mal ignorieren". Weil aber die Betroffenen die Attacken thematisiert haben und weil diese Kampagne Struktur und Wirkung rechtsextremer Propaganda im Internet entlarvt, würde ich diesen Fall gerne mit Ihnen diskutieren.
Im Fokus dieser Angriffe, die Deutschen ihre Staatsangehörigkeit absprechen soll, stehen unter anderem die Berliner SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli, die Journalistin Dunja Hayali und die Duisburger Autorin Hatice Akyün. Natürlich trifft es mehr als alle anderen Frauen mit Migrationsgeschichte, denn wenig macht den Rassisten glücklicher als die Gelegenheit, seinen Rassismus mit Frauenhass zu potenzieren.
Die Zahl der Akteure war gering. Was folgte, war eine große Welle der Solidarität und der Wut - und in der Umsetzung liegt das Problem. Denn allein das Verbreiten von Screenshots (einige wenige Medien bauten diese sogar in ihre Berichterstattung ein) bescherte den Initiatoren eine hundertfach höhere Sichtbarkeit und Reichweite, als sie aus eigener Kraft je erreicht hätten.
Rechtsextreme wissen und nutzen das. Es ist das klassische Triggern: Die Provokation ist Strategie - und der Abscheu derer, die diese anprangern, ebnet ihnen den Weg in die Trending Topics, in die Diskussionen, in die Medien. Und trägt der Raum, den ich der Kampagne hier widme, nicht auch dazu bei, den Resonanzraum dieser Menschenfeindlichkeit zu vergrößern?
Es ist ein Dilemma. Denn die Betroffenen haben selbstverständlich das Recht zu entscheiden, wie und in welcher Form sie sich zur Wehr setzen; und den Hass zu dokumentieren, dem sie als öffentliche Personen tagtäglich ausgesetzt sind (wie auch mein Kollege Hasnain Kazim es tut). Wenn Hetze unwidersprochen stehen bleibt, sickert sie ein in die Alltagssprache, wird normalisiert. Man MUSS sie öffentlich machen. Man MUSS sich wehren. Man darf diese Hetze nur nicht weiterverbreiten. Was also tun?
- Fragen Sie sich: Wenn ich das teile, lasse ich mich vor einen Karren spannen?
- Wie groß ist der Account, dessen Inhalte Sie teilen wollen? Tragen Sie durch Ihren Share dazu bei, dass die Diskussion erst an Fahrt aufnimmt?
- Wenn Sie die Kampagne als solche dokumentieren wollen: Teilen Sie nie die Accounts direkt, teilen Sie Screenshots! Diese Menschen ziehen ihre Legitimation aus der Reichweite, die ihre Postings generieren. Geben Sie ihnen keine Reichweite!
- Unterstützen Sie Menschen, die mit Counter Speech dagegenhalten! Mit einem Like, mit einem Retweet. Die allermeisten Userinnen und User in den sozialen Netzwerken nutzen sie passiv, lesen also nur mit. Wenn aber eine kritische Masse von Menschen sich öffentlich gegen Hetze positioniert, werden viele dieser stillen User aktiv und solidarisieren sich.
Möchten Sie mit mir zum Thema diskutieren? Haben Sie Erfahrungen gemacht und sind ganz anderer Meinung? Dann schreiben Sie mir oder kontaktieren Sie mich via Twitter .
So. Nachrichten gibt es heute natürlich auch. Das sind die Themen, die uns am heutigen Donnerstag beschäftigen werden:
Untersuchungsbericht zum Ethiopian-Airlines-Absturz wird vorgestellt

Warum stürzte die Ethiopian-Airlines-Maschine am 10. März kurz nach dem Start ab und riss 157 Menschen in den Tod? Vielleicht gibt es heute neue Antworten um die Boeing 737 Max - vermutlich auch noch mehr Fragen. Am Vormittag will Äthiopien einen ersten Untersuchungsbericht zur Absturzursache der fast neuen Boeing vorlegen, der sich auf die Daten des Flugschreibers stützt.
Erst fünf Monate zuvor, im Oktober 2018, war eine Boeing des gleichen Typs in Indonesien kurz nach dem Start verunglückt. Bei dem Absturz der Lion-Air-Maschine starben 189 Menschen. Gut 380 Maschinen haben weltweit Startverbot. Eine Analyse, was die Maschinen zum Absturz gebracht haben könnte, lesen Sie hier.
Obama in Köln

Yes, we Cologne! (Entschuldigung) Der ehemalige US-Präsident Barack Obama tritt heute beim sogenannten World Leadership Summit in Köln auf. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen Fragen wie "Können einzelne Menschen die Welt verändern?" oder "Wer weist in Zeiten der Veränderung den Weg?" Spoiler: Es ist vermutlich nicht der Mann, der gestern Nachmittag behauptete, Windräder verursachten Krebs .
Nach seinem Auftritt in Köln reist Obama weiter nach Berlin, wo er am Samstag mit Hunderten jungen Europäern zusammenkommen will.
Und heute beim Brexit?

Falls Sie wie ich lieber das DFB-Pokal-Viertelfinale zwischen Schalke und Werder (0:2, hier entlang zum Spielbericht) verfolgt haben, verabschiede ich Sie mit einer kurzen Brexit-Zusammenfassung des gestrigen Abends in den Tag:
Im Unterhaus-Duell am späten Mittwochabend trennten sich Team Remain und Team Brexit mit einem denkbar knappen 313:312 für einen Gesetzesvorschlag, der die Regierung zu einem weiteren Brexit-Aufschub verpflichten soll. Damit sich Großbritannien in die Verlängerung nach dem 12. April retten kann, muss das Gesetzesvorhaben noch vom Oberhaus abgesegnet werden. Das soll schon heute passieren.
Am Dienstagabend hatte May zur großen Überraschung die Taktik umgestellt und Linksaußen Jeremy Corbyn eingewechselt. Ob sie ihr großes Ziel, das Brexit-Finale am 22. Mai, so erreichen kann, bleibt offen - denn bereits am 10. April kommt es zum Showdown gegen die EU-Staats- und Regierungschefs - und die sind ja bekanntermaßen der Angstgegner der Engländer.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
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Einen guten Start in den Donnerstag wünscht Ihnen
Ihre Ayla Mayer