Mathieu von Rohr

Die Lage am Morgen Wird Karl Lauterbach jetzt Gesundheitsminister?

Mathieu von Rohr
Von Mathieu von Rohr, Leiter des SPIEGEL-Auslandsressorts

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um die letzten Fragen, bevor Olaf Scholz Kanzler werden kann: Sagen die Grünen ja zur Koalition und wen macht die SPD zu Ministern? Wir befassen uns mit Olaf Scholz, »Bild« und deren Wissenschaftsfeindlichkeit. Außerdem schauen wir nach Österreich, wo Karl Nehammer neuer Kanzler wird – und nach Frankreich, wo der Wahlkampf schon sehr hässlich ist.

Grüne stimmen über Koalition ab, SPD benennt Minister

Am heutigen Nikolaustag entscheidet nun auch die dritte der Ampelparteien, ob sie dem Koalitionsvertrag zustimmt. Am Wochenende hatten die SPD (mit fast 99 Prozent) und die FDP (mit mehr als 92 Prozent) Ja zum Bündnis gesagt. Ob das Ergebnis bei den Grünen auch so überwältigend ausfallen wird? Denn nicht nur hat die Ministerbesetzung alte Trennlinien in der Partei wieder aufgerissen. Auch dass das Verkehrsministerium an die FDP ging, hat bei vielen Grünen Unzufriedenheit aufkommen lassen. Alles andere als eine deutliche Zustimmung zum Koalitionsvertrag wäre dennoch eine Überraschung. Der Wille zum Regieren ist in allen drei Parteien groß.

Lauterbach im Bundestag

Lauterbach im Bundestag

Foto: Political-Moments / IMAGO

Die SPD will heute als letzte Partei ihre Ministerinnen und Minister namentlich nominieren – sie wird dann auch die immer wieder gestellte Frage beantworten, ob ihr Corona- und Gesundheitsexperte Karl Lauterbach Gesundheitsminister wird. Sollte sich Olaf Scholz gegen ihn entscheiden, hätte er sicherlich Erklärungsbedarf. Sollte Lauterbach den Posten bekommen, könnte er seine bisherige Rolle als dauertwitternder Experte in allen Talkshows allerdings kaum wie bisher fortführen. Weitere vakante Ressorts sind das Verteidigungs- und das Innenministerium, das neue Bauressort, das Entwicklungshilfe­ministerium und der Kanzleramtsminister.

Am Mittwoch soll dann, sofern alles nach Plan läuft, die neue Regierung samt Bundeskanzler Olaf Scholz gewählt und vereidigt werden. Heute und morgen sind damit wohl die letzten Tage der alten Regierung. So wird heute Regierungssprecher Steffen Seibert zum letzten Mal bei der Bundespressekonferenz auftreten. Sein Nachfolger könnte Steffen Hebestreit werden, Scholz' bisheriger Sprecher im Finanzministerium.

Glaubt Olaf Scholz, dass er »Bild« braucht?

Ein seltsames Berliner Kapitel wurde am Wochenende geschrieben: Bald-Kanzler Olaf Scholz und die künftigen grünen Minister Annalena Baerbock und Robert Habeck machten der »Bild«-Zeitung ihre Aufwartung bei der Spendengala »Ein Herz für Kinder«. Obwohl Spendensammeln für Kinder selbstverständlich eine gute Sache ist, irritierte  die innige Inszenierung viele. Nicht zuletzt, weil die »Bild«-Zeitung am gleichen Tag drei führende Wissenschaftler namentlich ins Visier nahm: Sie bezeichnete sie groß und fett als »Die Lockdown-Macher« .

Annalena Baerbock, Robert Habeck und Olaf Scholz bei »Bild«

Annalena Baerbock, Robert Habeck und Olaf Scholz bei »Bild«

Foto: SEBASTIAN REUTER / EPA

Die Überschrift war faktisch unwahr: Die drei Coronaforscher hatten weder einen allgemeinen Lockdown gefordert, noch haben sie die Macht, einen Lockdown ins Werk zu setzen. Zudem ist klar: Wer so abgebildet wird, muss mit Drohungen und Schlimmerem rechnen. In der Nacht zuvor hatte ein fackeltragender Mob das Haus von Sachsens Sozialministerin Petra Köpping heimgesucht. Das zeigt: Wut und Gewaltbereitschaft im Land nehmen besorgniserregend zu.

Die »Bild«-Zeitung hat an der aufgeheizten Stimmung ihren Anteil: Sie machte seit Beginn der Pandemie im Modus der Dauerempörung Stimmung gegen Wissenschaftler wie Christian Drosten oder das Tragen von Masken. Im Juli hatte »Bild« eine RKI-Prognose panikmacherisch als »Panik-Papier« kritisiert, die dann allerdings ziemlich genau eintraf: Die RKI-Experten hatten die gegenwärtige vierte Welle vorhergesehen. Das sollte man nicht verwechseln mit der notwendigen journalistischen Kritik an Politikern, Behörden und Experten in der Pandemie: In vielen Medien wird derzeit kontrovers debattiert, ob eine allgemeine Impfpflicht richtig oder falsch ist, und ob sie nicht durch besseres Regierungshandeln hätte verhindert werden können. Und warum überhaupt die Impfkampagne so chaotisch abläuft – es gibt vieles, was man den Regierenden im Bund und in den Ländern vorwerfen kann.

Im vorliegenden Fall geht es aber um etwas anderes, nämlich um personalisierte Angriffe gegen Wissenschaftler. In den USA, wo der mediale Kulturkampf deutlich weiter fortgeschritten ist als hierzulande, hat die Fox-News-Journalistin Lara Logan vergangene Woche den Corona-Chefberater des Weißen Hauses, Dr. Anthony Fauci, mit dem Auschwitz-Arzt Dr. Mengele verglichen. Der Hass reicht in den USA mittlerweile so tief, dass er die Demokratie gefährdet.

So weit darf es in Deutschland nicht kommen. »Bild«-Chef Johannes Boie forderte nun in einem Kommentar, Kritik müsse angemessen geübt werden und es brauche »Respekt voreinander«. Falls das tatsächlich auch als ernsthafte Selbstkritik gemeint sein sollte, wäre es zu begrüßen. Für Olaf Scholz und seine künftigen Minister stellt sich trotzdem die Frage: Warum glauben sie, da mitspielen zu müssen?

Österreich nach Kurz

Der bisherige Innenminister Karl Nehammer wird heute zum neuen österreichischen Bundeskanzler gewählt. Nach dem überraschenden kompletten Rückzug von Sebastian Kurz aus der Politik, musste gleich die ganze Regierung umgebaut werden: Der bisherige Kanzler Alexander Schallenberg (der nun wieder seinem Lieblingsjob als Außenminister nachgehen kann) war offensichtlich nur eine Übergangsfigur.

Bald-Kanzler Nehammer

Bald-Kanzler Nehammer

Foto: Lisa Leutner / AP

Ob Kurz tatsächlich nie wieder in die Politik zurückkehrt, bleibt offen, schließlich ist er erst 35 Jahre alt. Allerdings spricht viel dafür, dass – anders als Kurz es darstellt – nicht in erster Linie die Geburt seines Kindes zu seinem Rückzug führte.

Der einstige Umfragenkönig ist derzeit einer der unbeliebtesten Politiker im Land. Viele Bürgerinnen und Bürger haben die Chats moralisch empört, in denen Kurz sich mit seiner Truppe über Postengeschacher unterhielt und die eigene Regierung sabotierte, um selbst Kanzler zu werden. Und schließlich liegen schwere strafrechtlich relevante Vorwürfe der Korruptionsermittler gegen Kurz und sein Umfeld vor. Die Kanzlerpartei, die ÖVP, häutet sich gerade: Der neue Kanzler gehört wieder eher zur alten, »schwarzen« ÖVP, die Kurz einst türkis eingefärbt hatte.

Garantiert noch hören werden wir vom neuen ÖVP-Innenminister Gerhard Karner, der in seiner Gemeinde Texingtal als Bürgermeister ein Museum für den Austrofaschisten Engelbert Dollfuß betreibt – und politischen Gegnern in Niederösterreich in antisemitischem Code vorwarf, sie arbeiteten »mit Herren aus Amerika und Israel gegen das Land«.

Frankreichs rechtsextremer Präsidentschaftskandidat Zemmour

Der französische Präsidentschaftswahlkampf hat an diesem Wochenende richtig begonnen – und eines ist jetzt schon klar: Er wird hässlich. Dafür ist vor allem der Rechtsextreme Éric Zemmour verantwortlich, der den angeblichen Niedergang Frankreichs beklagt und dafür den Islam verantwortlich macht – der ist seine große Obsession, man könnte auch von Hass sprechen. Bei seiner ersten Wahlkampfveranstaltung in einer Banlieue von Paris protestierten Anti-Rassismus-Aktivisten im Saal – und wurden direkt brutal zusammengeschlagen.

Zemmour bei seinem ersten Wahlkampfauftritt am Sonntag

Zemmour bei seinem ersten Wahlkampfauftritt am Sonntag

Foto: JULIEN DE ROSA / AFP

Zemmmour hat für den Wahlkampf eine neue Partei namens »reconquête« gegründet, Rückeroberung. Und das ist sicher nicht zufällig angelehnt an die Reconquista, die katholische Rückeroberung Südspaniens von den Arabern. Zemmour kommt in Umfragen derzeit auf 13 bis 15 Prozent, unsere Paris-Korrespondentin Britta Sandberg erklärt das Phänomen Zemmour hier.

Kandidatin Pécresse

Kandidatin Pécresse

Foto: Christophe Petit Tesson / EPA

Am Samstag haben die französischen Konservativen, die »Républicains«, ihre Präsidentschaftskandidatin erkoren: Valérie Pécresse, eine eher moderate Kandidatin, setzte sich durch gegen den Rechtsaußen Éric Ciotti, der Sympathien für Zemmour erkennen ließ. Pécresse, die einst Ministerin unter Nicolas Sarkozy war, ist für Macron die wohl gefährlichste Kandidatin, weil sie für einen Teil der Wählerschaft attraktiv sein könnte, auf die auch der Präsident angewiesen ist, wenn er die Wiederwahl schaffen will – gegen Pécresse, Zemmour, Marine Le Pen und die sozialistische Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, seine wichtigsten Gegner. Mehr über Valérie Pécresse erfahren sie im Porträt unseres Autors Leo Klimm:

Gewinner des Tages…

…ist Mohammed bin Salman, Kronprinz von Saudi-Arabien, der für die brutale Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 verantwortlich gemacht wird – von der CIA, aber auch von der Uno. Der Kronprinz, der unter dem Kürzel »MbS« firmiert, war davor als faktischer Herrscher des Landes und Reformer ein Liebling des Westens gewesen, insbesondere Donald Trump hofierte ihn. Seit der Khashoggi-Ermordung galt er als Persona non grata. So sprach US-Präsident Joe Biden stets mit König Salman, nicht mit dessen Sohn.

Emmanuel Macron, Mohammed bin Salman

Emmanuel Macron, Mohammed bin Salman

Foto: BANDAR ALJALOUD / SAUDI ROYAL COURT / EPA

Das ist nun vorbei: Frankreichs Präsident Macron besuchte den Kronprinzen am Samstag als einer der ersten westlichen Staatschefs seit drei Jahren, schüttelte warm seine Hände und hielt seinen Arm. Macron will eine Lösung für die festgefahrene Situation im Libanon finden, dazu braucht er Saudi-Arabien. Dass jemand, der für einen so bestialischen Mord verantwortlich gemacht wird, dann doch wieder rehabilitiert wird, ist aus real- und geopolitischen Erwägungen vielleicht noch zu verstehen. Mit welcher zur Schau gestellten Herzlichkeit Macron das aber tat, das war schon unappetitlich.

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Ich wünsche Ihnen einen schönen Nikolaustag!

Herzlich,
Ihr Mathieu von Rohr

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

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