Susanne Beyer

Die Lage am Morgen Das scharfe Auge des Königs

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute geht es um die Frage, warum König Charles bei seinem Deutschland-Besuch tapfer sein muss, was Ursula von der Leyen kurz vor ihrer Peking-Reise über China sagen könnte und um den Streit der TV-Komödianten Böhmermann und Nuhr.

Deutschland – oh dear!

Ich wusste gar nicht, dass der Bundespräsident so anhänglich ist. Er wird König Charles III. und dessen Frau Camilla bei deren dreitägigem Besuch in Deutschland, der gestern begann, kaum von der Seite weichen. Sogar nach Hamburg, wo die beiden am Freitag hinreisen werden, fahren Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender mit.

König Charles III. (2.v.r) und Königin Camilla (2.v.l) stehen nach dem Eintrag ins Gästebuch mit Bundespräsident Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender im Schloss Bellevue

König Charles III. (2.v.r) und Königin Camilla (2.v.l) stehen nach dem Eintrag ins Gästebuch mit Bundespräsident Steinmeier und seiner Frau Elke Büdenbender im Schloss Bellevue

Foto: Bernd von Jutrczenka / dpa

Ich habe volles Verständnis. Auch ein Bundespräsident muss mal vor die Tür und will etwas zu lachen haben. Die Windsors sind ein lustiger Haufen, das wird oft unterschätzt. (Haben Sie gesehen, wie Charles die Kurzzeitpremierministerin Liz Truss im Oktober zur Audienz mit den Worten »Back again? Dear, oh dear« begrüßte? Auf Deutsch: »Wieder zurück? Oh je«. Falls Sie es verpasst haben, können Sie es hier  nachholen, es ist kurz und irre komisch.)

Doch Sorge bereitet mir der Aufenthalt auch. Also nicht die heutige Rede von Charles im Bundestag, im außerfamiliären Bereich redet der Mann ja meist gut. Auch nicht das inhaltliche Thema, um das es bei diesem Besuch vor allem gehen soll, eine Wiederannäherung von Briten und Deutschen nach den Stürmen des Brexits. Ich meine – wie sollten wir den Briten nicht verzeihen? Es ist zwar unendlich traurig, dass sie gegangen sind, und aus der Ferne mag ein gewisser Groll immer noch berechtigt sein. Aber kaum steht ein leibhaftiger Brite oder eine leibhaftige Britin vor einem, ist der Groll – jedenfalls bei mir – schnell verflogen. Ich habe da Vorurteile. Diese Menschen sind mir grundsympathisch. Schließlich haben Briten als Alliierte einst Nazideutschland niedergerungen und uns, trotz des Zögerns ihrer damaligen Premierministerin Margaret Thatcher, vor über 30 Jahren die Einheit erlaubt.

Sorgen bereitet mir, dass man sich allen Ernstes die Blöße geben will, Charles und Camilla am Freitag im ICE (!) von Berlin nach Hamburg fahren zu lassen. Charles spricht ja ganz gut Deutsch, aber sicherheitshalber sollte er sich auch abwegige Vokabeln wie »Oberleitungsschaden« draufschaffen, um zu verstehen, was möglicherweise auf ihn zu kommt – jedenfalls wenn die Fahrt unter normalen Bedingungen abläuft.

Heute soll sich der britische Monarch im Hotel Adlon ins Goldene Buch der Stadt Berlin eintragen. Im Adlon! Da muss der arme Kerl wohl auch übernachten. Man weiß doch, dass er sich mit Architektur auskennt, gerade mit Rekonstruktionen historischer Bauten.

Anders alle viele Architekturkritiker mag er Neubauten im alten Stil, und das Adlon ist ein solcher Neubau. Das lässt mich befürchten, dass Charles Kriterien hat, also genauer hinschauen wird, ob das Haus gelungen ist. Selbst das ungeschulte Auge sieht jedoch, dass die Deckenhöhe dort viel zu niedrig ist. Das hat man beim Wiederaufbau Mitte der 1990er-Jahre so gemacht, um bei der vorgesehenen Höhe des Gebäudes ein Stockwerk mehr draufzusetzen, um also ordentlich Geld aus dem Gemäuer herauszuholen.

Na ja, sei’s drum. Der Mann hat ja ein Zuhause. Oder besser gesagt: mehrere. Und die meisten der Schlösser, die ihm gehören (vermutlich sogar alle), existieren noch im Original. Wenn er wieder zurück auf seiner Insel sein wird, kann er dann an Deutschland mit einem gemütvollen »Oh dear« zurückdenken.

Beziehungen zu China: EU stellt sich auf ungemütliche Zeiten ein

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird nächste Woche gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron Gespräche in Peking führen. Das wird ein Besuch, der mit »heikel« nur unzureichend zu beschreiben ist.

Spätestens seit Chinas Präsident Xi Jinping vor einigen Tagen Russlands Präsident Wladimir Putin so ausführlich und feierlich die Aufwartung machte, ist klar, dass dem Mann Skrupel fernliegen. Sich so fröhlich mit jemandem zu zeigen, der seit gut einem Jahr ein Nachbarland völkerrechtswidrig angreifen lässt, und zwar vor allem aus dem Grund, weil sich dieses Nachbarland, die Ukraine, der EU annähert, zeigt indirekt, was Xi selbst von der EU hält. Dass Xi bei seinem Russlandbesuch keine öffentliche Unterstützung für Putins Feldzug gegen die Ukraine hat verlauten lassen, wird zwar als hoffnungsvolles Zeichen gewertet – aber was sind das bloß für Zeiten, in denen Hoffnung so kleingeschrieben wird?

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Europäischen Parlament

Foto: Frederick Florin / AFP

Nun ist es besonders spannend, was von der Leyen heute in ihrer Rede bei einer Veranstaltung des Mercator Institute for China Studies und des European Policy Centre über die Zukunft der Beziehungen zu China sagen wird.

Die Richtung der Rede liegt nahe. Erst am Dienstag haben sich das Europaparlament und die EU-Staaten auf ein von der Kommission vorgeschlagenes »Instrument zur Bekämpfung von Zwang« geeinigt. Es soll Maßnahmen gegen Länder ermöglichen, die EU-Mitglieder aus politischen Gründen wirtschaftlich unter Druck setzen.

Das Instrument ist vor allem gegen China gerichtet, das etwa Exporte aus Litauen blockiert, weil das baltische Land es gewagt hat, auf seinem Gebiet eine De-facto-Botschaft Taiwans zu erlauben.

Mein Kollege Markus Becker, Korrespondent in Brüssel, sagt dazu: »Brüssel könnte dank des neuen Instruments Gegenmaßnahmen wie höhere Einfuhrzölle oder eine Beschränkung des Zugangs zu öffentlichen Ausschreibungen ergreifen.«

Alles spricht dafür, dass Chinas Führung heute genau hinhören wird, was von der Leyen zu sagen hat.

Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Die jüngsten Entwicklungen: Selenskyj beschwört die Einigkeit im Kampf gegen die Tyrannei. Seine Regierung sieht enorme Verluste bei den russischen Truppen. Die USA wollen ihre Munitionsvorräte aufstocken. Der Überblick.

  • »Putin hat wahrscheinlich nicht verstanden, welche Auswirkungen dieser Schritt haben wird«: Warum will Russland taktische Atomwaffen in Belarus stationieren? Pavel Podvig, Experte für die russischen Atomstreitkräfte, sagt, was hinter dem Plan steckt – und warum Putin sich verkalkuliert haben könnte. 

  • »Ich habe dich sehr lieb und weiß, dass du an nichts schuld bist«: Der alleinerziehende Alexey Moskaljow, der wegen »Diffamierung der Streitkräfte« zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde, ist weiter auf der Flucht. Nun wurde ein Brief seiner Tochter öffentlich.

Israel: Es geht um die Demokratie

Nach massiven Protesten hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Montag einen vorübergehenden Stopp der umstrittenen Justizreform angekündigt. Das Gesetzesvorhaben wird damit frühestens Ende April im Parlament zur Abstimmung vorgelegt. Am Dienstagabend waren Vertreter der rechts-religiösen Koalition und der Opposition zu ersten Verhandlungen zusammengekommen. Die Runden werden fortgeführt.

Demonstration gegen die von der Regierung geplante Justizreform in Tel Aviv

Demonstration gegen die von der Regierung geplante Justizreform in Tel Aviv

Foto: Ilia Yefimovich / dpa

»Derzeit wirkt es, als könne die Regierung ihren harten Kurs aufweichen«, schreibt Richard C. Schneider, der für den SPIEGEL aus Israel berichtet in einem Text über Israels Generalstaatsanwältin . Dennoch, so Schneider, werde die Regierung sich selbst genügend Spielraum erhalten, um das Justizsystem nach ihrem Willen umzubauen.

Es sind dies Tage, an denen Israels Opposition so aufmerksam sein muss, wie irgend möglich.

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Verlierer des Tages…

…wird wohl Dieter Nuhr sein. Jedenfalls kann das sein. Der Komiker mit eigener Sendung (»Nuhr im Ersten«) hat neulich einen Angriff von Fernsehunterhalter Jan Böhmermann über sich ergehen lassen müssen. Böhmermann ließ in seinem »ZDF Magazin Royale« eine komplette Ausgabe »Nuhr im Ersten« als Parodie nachstellen – und am Ende, das ist noch wichtiger, die Punkband »Team Scheiße« einen Song gegen »Nazischweine« spielen. Letztlich bezichtigte der ZDF-Mann Böhmermann damit den ARD-Mann Nuhr indirekt, auch so ein »Nazischwein« zu sein. Das kann man als Maßnahme zur größtmöglichen Eskalation im öffentlich-rechtlichen Satire-TV sehen.

Fernsehkomiker Nuhr

Fernsehkomiker Nuhr

Foto: Marcel Kusch / dpa

Nuhr regt sich ja ohnehin leicht auf. Ihm reichen die kleinsten Anlässe, um sich über die »Cancel Culture« oder die »Wokeness« zu echauffieren. Heute Abend wird nun die erste Nuhr-Sendung seit der Böhmermann-Attacke ausgestrahlt.

»Es liegt jetzt in seiner Hand, ob er Böhmermanns Einladung zur Eskalation annimmt«, sagt mein Kollege Christian Buß, Fernsehkritiker des SPIEGEL. Beides sei vorstellbar, »dass Nuhr sich auf ein Comedy-Battle einlässt – oder dass er dem Eklat durch Schweigen die Luft rausnimmt«.

Die Situation, in der Nuhr sich befindet, lässt sich also folgendermaßen zusammenfassen: Wie er es machen wird, wird es falsch sein.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Tarifverhandlungen für öffentlichen Dienst vorerst gescheitert: Drei Tage dauerte die Schlussrunde – ein Erfolg blieb aus: Die Tarifverhandlungen für die rund 2,4 Millionen Angestellten von Bund und Kommunen blieben ergebnislos. Nun sollen unabhängige Schlichter nach einer Lösung suchen.

  • Greenpeace prangert Privatjet-Boom an: Die Zahl der Flüge mit Privatjets ist laut einer Analyse im vergangenen Jahr massiv angestiegen. Greenpeace warnt vor den Folgen für das Klima und fordert ein EU-weites Verbot.

  • Tarantino will im Herbst seinen angeblich letzten Film drehen: Film Nummer zehn soll der letzte sein. Quentin Tarantino hat nach eigenen Worten das Drehbuch für sein letztes Werk fertig geschrieben. Titel: »Der Filmkritiker«.

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Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Kann diese Frau Israels Demokratie retten? Die Regierung in Israel will die Macht der Justiz beschneiden, auch deshalb tobt der Protest auf den Straßen. Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara kämpft für den Rechtsstaat – und erhält dafür Morddrohungen .

  • Ein jüdischer Staat in Bayern? Nirgends in Europa wurden so viele jüdische Kinder geboren, nirgends so viele jüdische Hochzeiten gefeiert wie in Föhrenwald in Oberbayern – und das nach 1945. Dann wurden alle Spuren des »letzten Schtetls« verwischt. Was war passiert? 

  • Wie ein hippes Verkehrsmittel zur Plage wurde: Paris war die erste europäische Stadt mit elektrischen Leihrollern. Nun könnte sie die erste sein, die das Modell wieder abschafft. Auch in Deutschland scheint sich die Stimmung gegen die Gefährte zu drehen .

  • Super Mario und das Königreich der Dollar: Der neue Themenpark Super Mario World wirbt damit, Gamer mitten ins Videospiel zu versetzen. Unser Autor hat es ausprobiert – und dabei vor allem Münzen und Leben(szeit) verloren .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihre Susanne Beyer, Autorin der SPIEGEL-Chefredaktion

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