

Die Lage am Morgen Gierige Volksvertreter

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um gierige Bundestagsabgeordnete, ein höchst zivilisiertes TV-Duell und um die Frage, wie man sich einen Bestseller kauft.
Verlierer des Tages ...
... ist das Vertrauen in die Integrität von politischen Entscheidungsträgern. In der Regel beenden wir mit dieser Rubrik diesen Newsletter. Aus aktuellem Anlass steht sie heute an erster Stelle. Zu diesem Vertrauensverlust haben zuletzt insbesondere Abgeordnete von CDU und CSU einen höchst traurigen Beitrag geleistet. Der Unions-Fraktionsvize Georg Nüßlein (CSU) erklärte gestern das Ende seiner parlamentarischen Karriere (wenn auch erst nach der Bundestagswahl im Herbst). Zuvor war öffentlich geworden, dass er für die Lobbyarbeit zugunsten eines Maskenherstellers eine hohe sechsstellige Summe kassiert haben soll. Die Immunität des CDU-Abgeordneten Axel Fischer wurde wegen ähnlicher Vorwürfe ebenfalls aufgehoben.

CDU-Abgeordneter Löbel
Foto:Christian Spicker / imago images
Meine Kolleginnen und Kollegen haben nun einen weiteren unglaublichen Fall recherchiert. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Nikolas Löbel hat seine Rolle als Abgeordneter genutzt, um für einen Maskenhersteller zu werben. Nachdem das Geschäft tatsächlich zustande gekommen war, erhielt Löbel eine Provision von 250.000 Euro.
Das mag irrerweise sogar legal sein. Aber: Politiker, die eine Krise, in der es um Abertausende Menschenleben und Existenzen geht, dafür nutzen, sich selbst zu bereichern, sind eine Schande für dieses Land. Sie zerstören weit mehr als ihre eigene Karriere. Sie zerstören das ohnehin angeknackste Vertrauen in die Politik.
Ganz viel Zukunft für Rheinland-Pfalz

Kontrahenten Dreyer, Baldauf
Foto:Kristina Schäfer / dpa
Christian Baldauf, der auch bundesweit immer bekanntere CDU-Spitzenkandidat für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, und die amtierende Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) traten gestern Abend zum TV-Duell im SWR-Fernsehen an. Am 14. März wird gewählt.
Dass die Unterstützer der beiden ihre Kandidatin oder ihren Kandidaten im Anschluss zum eindeutigen Sieger erklärten, ist Teil der eingeübten politischen Folklore. Also geschenkt. Mir fiel auf, wie respektvoll die beiden Kontrahenten miteinander umgingen. Obwohl ihre Parteien sich laut Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, war es ein zivilisierter, im besten Sinne demokratischer Austausch. Das mögen manche Beobachter als langweilig empfinden. In diesen aufgepeitschten politischen Zeiten aber ist es ein Wert an sich.
Die inhaltlichen Unterschiede waren derweil überschaubar. Dreyer machte als Corona-Managerin zumindest rhetorisch eine gute Figur und erweckte beim Thema Klimaschutz einen leidenschaftlicheren Eindruck als Baldauf. Der CDU-Kandidat wirkte beim Thema Finanz- und Wirtschaftspolitik überzeugender und schien beim Thema Digitalisierung ein wenig mehr Feuer mitzubringen.
In seinem Abschluss-Statement warf Baldauf dann die Frage auf, wie man einst auf diese schwierige Corona-Zeit zurückblicken werde. »Ich möchte, dass wir sagen: Am Ende ist die Zukunft gut geworden«, sagte er. Woraufhin Dreyer erklärte: »Ich finde, wir haben viel Grund für Zuversicht in die Zukunft.« Bei solch rosigen Zukunftsaussichten kann einem um Rheinland-Pfalz eigentlich nicht bange sein. Sofern sie denn stimmen.
Agent Gerhard Schröder

Autorin Applebaum
Foto:Piotr Malecki / Guardian / ddp images
Wie soll man mit Leuten reden, die an QAnon glauben, an die Legende vom Wahlbetrug in den USA oder an andere Verschwörungstheorien? Kann man das überhaupt? Die US-amerikanische Historikerin Anne Applebaum gibt darauf im Interview mit meinen Kollegen Jan Puhl und Martin Wolf eine klare Antwort: »Hört auf mit dem Kulturkampf!« Joe Biden, sagt Applebaum, mache gerade genau das: »Er redet nicht über Trump. Es geht darum, Themen zu finden, die besprochen werden können, ohne sich die Köpfe einzuschlagen.«
Es ist nicht so, dass Applebaum Konflikten grundsätzlich aus dem Weg gehen würde. Sie war oft dort, wo Geschichte geschrieben wurde und die Demokratie gegen Widerstände erkämpft werden musste. Während der Wendejahre arbeitete sie als Korrespondentin des »Economist« in Polen. Wegen ihres Ehemanns Radosław Sikorski, polnischer Außenminister von 2007 bis 2014, wurde sie wider Willen selbst als politische Figur angesehen.
Jetzt sieht Applebaum die Demokratie im Westen in Gefahr. Auch ein deutscher Altkanzler, sagt sie, trage dazu bei, autoritäre Tendenzen zu fördern: »Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder ist der Agent einer Macht, die der deutschen Demokratie feindlich gesonnen ist. Das wichtigste Ziel russischer Außenpolitik ist es, die EU zu spalten und die Demokratie zu unterminieren«, so Applebaum.
Wie man sich einen Bestseller kauft

Romanautor Roßmann
Foto:Peter Steffen/ dpa
Manche Milliardäre kaufen sich Jachten, Paläste oder Regierungen. Der Drogerie-Mogul Dirk Roßmann hat sich lieber den Ruhm eines Bestsellerautors gekauft. Seit Monaten ist sein Thriller »Der Neunte Arm des Oktopus« ganz vorne in den Bestsellerlisten. Geholfen haben dabei ein millionenschweres Werbebudget (allein die teuren Werbeplätze direkt vor der »Tagesschau« kosteten ihn rund eine halbe Million Euro). Eine ganze Reihe von Mitautoren. Und eine dreiste Verkaufsstrategie. Roßmann hat seine unzähligen Drogeriemärkte einfach zu Buchhandlungen erweitert. Allerdings führen diese nur einen Autor im Sortiment: Dirk Roßmann. Glück hatte er auch noch: Als die Buchhandlungen wegen des Shutdowns schließen mussten, konnte der Unternehmer sein Werk weiter in den eigenen Läden verkaufen.
Der Putzmittel-Romancier hat nun weiterreichende Pläne. Warum er unseren Planeten genau jetzt und sofort retten will, wie ihm Wladimir Putin dabei hilft und warum er auch gleich Anteile an dem Verlag gekauft hat, in dem sein Buch erscheint, haben meine Kollegen Anton Rainer und Volker Weidermann aufgeschrieben. So viel sei hier schon mal gesagt: Der Mann hat das Zeug dazu, Deutschlands Öko-Diktator zu werden. Unser grüner Trump. Zumindest als Romanfigur.
Die jüngsten Meldungen aus der Nacht
»Suits«-Schauspieler Patrick J. Adams verteidigt Herzogin Meghan: Inmitten von Mobbing-Vorwürfen bekommt die Herzogin von Sussex Rückendeckung von ihrem früheren Co-Star in der Serie »Suits«. Patrick J. Adams bezeichnet die Behandlung von Meghan durch die königliche Familie als »obszön«.
Auch unter Grammozis bleibt Schalke harmlos: 0:0 – der Einstand von Dimitrios Grammozis verlief durchwachsen: Im Abstiegsduell mit Mainz 05 zeigte sich Schalke 04 auch mit neuem Trainer zerfahren und ungefährlich.
Reisen an Ostern? Helge Braun ist »sehr skeptisch«: Viele Menschen fragen sich, ob und wann sie dieses Jahr wieder Urlaub machen und reisen können. Kanzleramtschef Helge Braun legt sich nicht fest – macht aber Hoffnung für die Zeit ab Pfingsten.
Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute
Hausärzte machen Hoffnung in der Pandemie: So könnten bis Mitte August alle Erwachsenen in Deutschland geimpft sein
Spekulanten und ihr Run auf Aktien, Bitcoins, Rohstoffe: Wächst gerade die Mutter aller Finanzblasen?
Immer mehr Elektroautos, kaum Lademöglichkeiten: Endlich steht der Tesla in der Garage, und dann versagt die Steckdose
Umgang mit Fehlgeburten: »Leute sagten: ›Das war doch nur ein Zellhaufen‹«
Georg Günther kandidiert im Wahlkreis der Kanzlerin: Er ist Merkels Nachfolger – und unterstützte Merz
Airbus-Chef Guillaume Faury über Flugreisen in der Coronakrise: »Was bleibt, ist das Problem der Tröpfchen«
Ein heiteres Wochenende wünscht Ihnen
Ihr Markus Feldenkirchen