Die Lage am Freitag Liebe Leserin, lieber Leser,

Donald Trumps früherer Anwalt und "Fixer" Michael Cohen weiß über die Geschäfte des Präsidenten so gut Bescheid wie kaum ein anderer. Laut einem Bericht des Senders ABC News kooperiert Cohen nun nach seinem Schuldbekenntnis vor Gericht vollständig mit Sonderermittler Robert Mueller - und hat bereits stundenlang und mehrfach Auskunft gegeben über die engsten Geschäftspartner des Präsidenten, all seine Verbindungen nach Russland sowie über alles, was die Einflussversuche auf die Präsidentenwahl 2016 betrifft.
Cohen galt früher als eine Art Trump-Familienmitglied, und dass er nun gegen den Präsidenten aussagt, muss Donald Trump ernsthafte Sorgen machen. Es ist, als ob der "Consigliere" im Mafia-Film zum Feind überläuft. Und es bedeutet, dass der Sonderermittler Trump immer näher rückt. Vor diesem Hintergrund sind wohl auch Trumps Attacken der vergangenen Tage gegen seinen Justizminister Jeff Sessions zu verstehen - Sessions Ministerium beaufsichtigt die Mueller-Untersuchung, Trump fühlt sich von seinem Minister nicht geschützt und wäre ihn und Mueller gern los.
Auch deshalb werden die Midterm-Wahlen im November so entscheidend: Wenn es den Demokraten gelingen sollte, eine Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat zu erringen, könnten sie den Druck auf Trump erhöhen - wenn die Republikaner siegen, könnten Muellers Ermittlungen enden oder versanden.
Saisonfinale beim "Wohngipfel"

Am Ende einer Woche, in der die Große Koalition vor allem mit Selbstzerfleischung beschäftigt war, soll heute im Kanzleramt einer der wichtigsten politischen Termine dieser Regierung stattfinden: der sogenannte Wohngipfel, bei dem es darum gehen soll, wie in Deutschland künftig wieder mehr Wohnungen gebaut werden können. Oder in Politiksprache ausgedrückt: Es soll um eine "Wohnoffensive" gehen.
Wie bei einem Staffelfinale treffen heute die beiden Hauptkontrahenten der GroKo-Soap der vergangenen Tage wieder aufeinander: Angela Merkel und Horst Seehofer (in seiner Funktion als Bundesbauminister). Auch ihr Opfer ist mit von der Partie: die SPD, personifiziert von Finanzminister Olaf Scholz und von Justizministerin Katarina Barley. Vorbereitet wurde der Gipfel übrigens von Staatssekretär Gunther Adler, den Seehofer bekanntlich von seinem Posten vertrieb, um Platz für Verfassungsschützer Maaßen zu machen.
Das weitere Aufgebot besteht aus Wirtschaftsminister Peter Altmaier, den Regierungschefs der Länder, dem Vorsitzenden der Bauministerkonferenz - und in den Nebenrollen noch viele mehr, insgesamt sind es rund hundert Teilnehmer. Was dieser beeindruckende Aufmarsch zeigt? Das Problem ist komplex, der Wohnraum hat sich in vielen Teilen Deutschlands massiv verteuert. Bundeskanzlerin Merkel erscheint in diesen Tagen schon wie eine "lame duck", aber das Thema ist so wichtig, dass sehr zu begrüßen wäre, wenn bei diesem Gipfel Ergebnisse (und nicht nur Fotos und Worthülsen) zustande kämen.
Amerika, "date rape" und ein Oberster Richter

Das politische Klima in den USA ist toxisch. Das zeigt sich nun besonders im Ringen zwischen Demokraten und Republikanern um die Frau, die Trumps Kandidaten für den Obersten Gerichtshof eines sexuellen Übergriffs beschuldigt. Christine Blasey Ford will nach anfänglichem Zögern offenbar nächste Woche vor dem Senat aussagen. Eigentlich wollte sie nie an die Öffentlichkeit treten. Ihre Geschichte hat nun eine Debatte darüber ausgelöst, welche Bedeutung Vorwürfe haben sollten, die Jahrzehnte alt sind - aber auch über ähnliche Erfahrungen mit sexueller Gewalt und "date rape", die viele Frauen jener Generation machen mussten.
Ford, eine Psychologieprofessorin, hat seit ihren Aussagen über Brett Kavanaugh Todesdrohungen erhalten, im Internet kursieren Verschwörungstheorien über sie. Der Grund ist eindeutig: Konservative versuchen, Ford zu diskreditieren, weil ihre Erzählung die sicher geglaubte konservative Mehrheit am Obersten Gerichtshof doch noch gefährden könne. Aber auch die Ehefrau von Richter Kavanaugh erhielt offenbar Todesdrohungen - und über den Kandidaten werden viele Geschichten bekannt, die ihm wohl nicht helfen werden: So soll er an der Uni Yale einer Studentenverbindung mit dem Spitznamen "Tit and Clit" angehört haben und später nur Praktikantinnen beschäftigt haben, die "wie Models" ausgesehen hätten. Es ist ein hässliches Spektakel. In Umfragen gehen Kavanaughs Werte bereits zurück. Es ist zwar immer noch wahrscheinlich, aber dennoch alles andere als sicher, dass die Republikaner im Senat ihn trotz des Fallouts wählen werden - Schaden genommen haben alle Beteiligten bereits jetzt.
Brexit-Wahn

Er kündigt sich an wie ein Schienenunglück, bei dem man die Züge vorher schon aus weiter Ferne aufeinander zurasen sieht: der "No Deal"-Brexit. Der EU-Gipfel in Salzburg wäre eine Gelegenheit gewesen, den Zusammenprall abzuwenden, aber die britische Premierministerin Theresa May und die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Staaten kamen sich kein bisschen näher. Dabei bleiben nur 189 Tage bis zum britischen EU-Austritt. Immer wieder zeigt sich: Der Brexit ist Ausdruck einer innerbritischen Krise, die Europa nicht lösen kann.
Theresa May wandte sich beim Abendessen in Salzburg zehn Minuten lang in einer Rede an ihre EU-Kollegen, später bezeichnete sie die harte Haltung der EU gegenüber den heimischen Medien frustriert als "Verhandlungstaktik". Nun steht sie zu Hause wieder vor einer Regierungskrise - sie war mit einem Plan angereist, der für die Hardliner daheim viel zu soft war, den übrigen EU-Staaten aber als Ansammlung unerfüllbarer Sonderwünsche erschien. May glaubte offenbar, die EU werde am Ende doch alles schlucken, was die Briten für "nicht verhandelbar" erklären. Großbritannien ist der schwächere Verhandlungspartner, akzeptiert das aber nicht. May und die Vertreter der übrigen 27 EU-Staaten bewegen sich in komplett unterschiedlichen Versionen der Realität. Ein für beide Seiten katastrophales Scheitern der Verhandlungen wird wahrscheinlicher.
Gewinner des Tages...

... ist König Mswati III. von Swaziland, das neuerdings eSwatini heißt. Heute finden dort Wahlen statt und der König steht als Sieger bereits fest: Denn es wird zwar ein Parlament gewählt, aber politische Parteien sind nicht zugelassen und alle Kandidaten sind loyal zum König, einem der letzten absoluten Monarchen der Welt.
Verliererin des Tages...

... ist Marine Le Pen. Ein französisches Gericht hat ein psychiatrisches Gutachten über die Chefin der rechtsnationalen Partei Rassemblement National angeordnet. Es soll unter anderem Aufschluss darüber geben, ob Le Pen unter einer psychischen Krankheit leide oder eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Der Anlass: Le Pen hatte auf Twitter Bilder von Enthauptungen durch den IS gepostet, seither wird gegen sie ermittelt. Ihre Partei kann von den schlechten Umfragewerten von Präsident Emmanuel Macron nicht profitieren - sie steckt selbst in der Krise. Auf Twitter schrieb sie, die gerichtliche Anordnung sei "UNGLAUBLICH".
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Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag und ein erholsames Wochenende.
Herzlich,
Ihr Mathieu von Rohr