
Die Lage am Morgen Demokraten und Republikaner, verstrickt in ewigem Wahlkampf

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,
heute geht es um die Wahlen in den USA, den 9. November als Tag der Geschichte, die Atomkraft und um einen poetischen Western.
Der amerikanische Tag
Bis zum Redaktionsschluss dieser Lage morgens um fünf Uhr war das wichtigste Ergebnis, dass der republikanische Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, in seinem Amt bestätigt wurde. Das war zu erwarten. Es ist gleichwohl eine Erleichterung für alle Republikaner, die ihre Partei nicht erneut Donald Trump ausliefern wollen. DeSantis gilt als dessen Gegner und als möglicher Kandidat für die Präsidentschaftswahl in zwei Jahren.

Ron DeSantis bejubelt seinen Sieg, auf dem Arm hält er seinen Sohn Mason
Foto:Rebecca Blackwell / AP
Bis um fünf Uhr war offen, wie das Rennen um die Mehrheit im Kongress ausgehen würde. Von den Analysen, die ich bis dahin gelesen oder gehört hatte, fand ich eine von dem Portal »The Atlantic« besonders interessant: Dort wird prognostiziert, dass einige Ergebnisse dieser Wahl bei der nächsten umgeworfen werden. Die Abstände zwischen Sieg und Niederlage seien in den vergangenen Jahren knapper geworden, das Land sei im Prinzip geteilt, 50 zu 50 als Dauerzustand.
Eine Folge sei, dass Regierungen meistens kein klares Mandat haben, ihre Legitimation damit umstritten bleibt. Eine andere: Da es keine langfristige Dominanz einer Partei gibt, sind Demokraten und Republikaner in einen ewigen Wahlkampf verstrickt. Und da keine Seite heftig verliert, muss sie sich nicht grundlegend erneuern. Man macht so weiter und hofft, den knappen Rückstand beim nächsten Mal mit demselben Programm aufzuholen. Das senkt die Neigung, potenziellen Wechselwählern im anderen Lager ein Angebot zu machen – sorgt also für weitere Polarisierung zwischen zwei Lagern.
Dies wäre eine genau umgekehrte Entwicklung zu Deutschland, wo die Parteien ständig darauf bedacht sind, im jeweils anderen Teich zu fischen und sich damit immer ähnlicher geworden sind.
Mehr Nachrichten und Hintergründe zu den Midterms 2022 finden Sie hier:
Newsblog: Die USA stimmen heute darüber ab, ob der Kongress an die Republikaner fällt. In Florida ist Gouverneur Ron DeSantis, ein innerparteilicher Konkurrent von Donald Trump, im Amt bestätigt worden. Die Wahlnacht in unserem Liveticker.
Warum diese Wahl so wichtig ist – über die USA hinaus: In den USA wird ein neuer Kongress gewählt. Die Republikaner würden einen Sieg nutzen, um die politische Agenda von Präsident Biden zu blockieren. Sogar die Unterstützung für die Ukraine steht auf dem Spiel.
Republikaner stürzen sich auf Probleme mit der Stimmauszählung in Arizona: In Maricopa County in Arizona gab es Probleme mit Stimmenzählmaschinen. Donald Trump und einige seiner Parteikollegen wittern Wahlbetrug. Ein Richter lehnte nun aber einen republikanischen Antrag ab.
Trumps Ex-Sprecherin wird Gouverneurin von Arkansas: Sarah Huckabee Sanders war Sprecherin von US-Präsident Donald Trump – und machte in der Zeit vor allem mit unwahren oder irreführenden Stellungnahmen Schlagzeilen. Nun wurde sie zur Gouverneurin gewählt.
Der deutsche Tag
Heute ist der Tag, der wie kein anderer das deutsche Schwanken zwischen demokratischen und autoritären beziehungsweise totalitären Ordnungen ausdrückt: der 9. November.

Menschen feiern vor und auf der Berliner Mauer die Deutsche Wiedervereinigung
Foto:photothek / IMAGO
Am 9. November 1848 wurde in Wien der deutsche Revolutionär Robert Blum hingerichtet.
Am 9. November 1918 riefen in Berlin der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann und der Sozialist Karl Liebknecht getrennt voneinander die Republik aus. Das Kaiserreich brach zusammen.
Am 9. November 1923 marschierten in München Rechtsextremisten unter Führung von Adolf Hitler und Erich Ludendorff zur Feldherrnhalle – ein Putschversuch, der schnell scheiterte.
Am 9. November 1938 fielen die Nazis landesweit über Juden und jüdische Einrichtungen her.
Am 9. November 1989 wurde die Mauer zwischen den beiden Deutschlands geöffnet, ein Triumph der friedlichen Revolution in der DDR.
Im Schloss Bellevue, dem Amtssitz von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, gibt es dazu heute eine Tagung unter dem Titel: »Wie erinnern wir den 9. November? Ein Tag zwischen Pogrom und demokratischen Aufbrüchen«.
Die Nacht des Mauerfalls: »Wir fluten jetzt«
Sag, was du willst
Heute befasst sich der Bundestag in 1. Lesung mit dem Weiterbetrieb für die drei verbliebenen Kernkraftwerke. Sie sollen nicht wie geplant zum Jahresende vom Netz gehen, sondern am 15. April 2023, um mögliche Lücken bei der Energieversorgung im Winter zu füllen. Bundeskanzler Scholz hat dies so bestimmt, Teile der grünen Fraktion überlegen noch, ob sie die Entscheidung mittragen.

AKW Emsland
Foto: Sina Schuldt / dpaDer Verein Nuklearia begleitet die Debatte am Morgen in Berlin mit einer Demonstration unter dem Motto »Sag Politikern, dass du Kernkraft willst!« Der Verein möchte, dass die Bundesrepublik auf Dauer mit Strom aus AKWs versorgt wird. Der Klimawandel liefert dafür ein Argument.
Ein gewichtiges Argument gegen die Atomkraft war in den Achtzigerjahren, dass sie gesellschaftlich nicht durchsetzbar sei, wegen des großen, zum Teil militanten Widerstands insbesondere von jungen Menschen. Ein Teil der heutigen Jugend fürchtet den Klimawandel aber mehr als den unwahrscheinlichen Reaktorunfall in einem deutschen AKW. Damit könnte dieses Argument entfallen oder mindestens schwächer werden.
Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Debatte über deutschen Atomstrom am 15. April beendet sein wird.
Kanzlermachtwort im Atomstreit: Der Hirte sprach, die Schafe folgten
Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:
»Wir geben keinen Zentimeter unseres Landes auf«: Die Kämpfe im Osten der Ukraine gehen mit unverminderter Heftigkeit weiter, die russische Armee fahre tägliche Dutzende Angriffe, sagt Präsident Wolodymyr Selenskyj. Die ukrainische Armee werde aber nicht weichen.
»Ihr hört es selbst, es gibt ständig Kämpfe und Angriffe«: Die Stadt Awdijiwka liegt nahe heftiger Gefechte. Ein ukrainischer Kommandant beschreibt die Lage an der Front. Einen Eindruck von dort liefern Armeevideos.
»Es gab viele Tote, sie lagen überall«: Innerhalb weniger Tage hat Russland offenbar Hunderte Wehrpflichtige verloren, vor allem zwei Fälle sorgen in der russischen Öffentlichkeit für viel Kritik. Überlebende erheben schwere Vorwürfe gegen die Militärführung.
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Gewinner des Tages…

Cormac McCarthy (2009)
Foto:Evan Agostini / picture alliance / ASSOCIATED PRESS
… ist für mich der US-Schriftsteller Cormac McCarthy, weil er gerade den fantastischen Roman »Der Passagier« veröffentlicht hat. McCarthy schreibt oft über moderne Cowboys, zum Beispiel in »All die schönen Pferde« oder »No Country for Old Men«. So ist es auch diesmal. Der Bergungstaucher Bobby Western wird zur Absturzstelle eines Privatflugzeugs im Meer gerufen und stellt fest, dass ein Passagier fehlt. Von da entwickelt sich eine Geschichte, die zurückführt zur Entwicklung der ersten Atombombe, an der Westerns Vater beteiligt war.
Bobby Western wird verfolgt, ohne zu wissen von wem. Das könnte Stoff für einen Thriller sein, aber McCarthy schreibt keine Thriller, sondern komplexe, mystisch durchwirkte Romane, in denen nichts auserzählt wird, in denen sich Rätsel zu einer atemberaubenden Geschichte verbinden. Dass alles in einer poetischen Sprache und mit Dialogen von einer Klasse und Lässigkeit, die ihresgleichen sucht. Zum Glück erscheint schon in wenigen Wochen McCarthys Roman »Stella Maris«, der mit »Der Passagier« ein Werk bildet.
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Gesetz zur CO₂-Abgabe: Ampel einig bei Entlastungen für Mieter. Mieter und Vermieter sollen sich die Kosten der CO₂-Abgabe teilen. Je klimafreundlicher die Gebäude sind, desto weniger müssen Vermieter dabei zahlen.
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Eurojackpot geknackt – 120 Millionen Euro gehen nach Berlin: Aller guten Dinge sind siebzehn. Denn so viele Anläufe hat es gebraucht, bis der Eurojackpot geknackt wurde. 120 Millionen Euro gehen an den oder die Gewinner nach Berlin. Ein Rekordgewinn für Deutschland.
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Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.
Ihr Dirk Kurbjuweit