Die Lage am Samstag Liebe Leserin, lieber Leser,

Papst Franziskus hat Matteo Salvini nicht genannt, aber er hat ihn zweifellos mitgemeint, als er in deutlichen Worten vor einer Auflösung Europas und neuen Kriegen warnte - und den Satz sagte: "Ich bin besorgt, weil wir Reden hören, die an jene von Hitler 1934 erinnern. 'Wir zuerst, wir, wir, wir.'" Das seien beängstigende Gedanken, sagte Franziskus. Ein Land müsse souverän sein, aber es dürfe sich nicht abschotten. Der Leitgedanke müsse sein: "Zuerst Europa, dann jeder von uns." Der Souveränismus sei "eine Haltung der Isolation" und ende "immer schlecht: Er führt zum Krieg".

Am Donnerstag war die italienische Regierung, bestehend aus der rechten Lega und der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung, kollabiert. Der rechte Innenminister Salvini, der auf das Amt des Premiers hofft, kündigte für nächste Woche ein Misstrauensvotum gegen den amtierenden Premier Giuseppe Conte an. Präsident Sergio Mattarella muss demnächst entscheiden, ob er wählen lassen will. Wenn es zu Neuwahlen kommt und Salvini gewinnt, rückt Italien noch weiter nach rechts.

Die Warnungen des Papstes sind nicht nur deshalb interessant, weil sie im Kontext einer möglichen Wahl erfolgen und unverblümt politisch sind - sondern auch, weil der italienische Staat und der Vatikan jahrhundertelang in einer engen Symbiose existierten und der Papst den populärsten Politiker des Landes schon seit Jahren ungewöhnlich deutlich kritisiert. Der Papst Franziskus und der Populist Salvini kämpfen schon seit Längerem ein indirektes Duell aus: Während der Papst sich für Flüchtlinge einsetzt und immer wieder vor Populismus warnt, zeichnet sich Salvini durch eine harte Anti-Migrations-Rhetorik aus - und foppt auf Twitter gern den Papst.

Neue Proteste in Hongkong...

Demonstranten in Hongkong

Demonstranten in Hongkong

Foto: Kin Cheung/ AP/ DPA

An diesem Wochenende müssen gleich zwei autokratische Regime mit Protesten von Demokratie-Aktivisten rechnen: China und Russland. In Hongkong haben die Demonstranten ihren seit zehn Wochen andauernden Protest nun zum Flughafen hin verlagert, Tausende von ihnen harren in der Ankunftshalle aus. Die Demonstranten überraschen wöchentlich mit neuen, innovativen Protestformen. Aber wie schon in den vergangenen Wochen könnte es dieses Wochenende wieder gewalttätig werden. Die Führung in Peking weiß nicht, wie sie mit den Hongkongern umgehen soll: Sie kriegt den Protest nicht in Griff, sie will auch nicht nachgeben und etwa die verhasste Regierungschefin Carrie Lam opfern - aber ein gewaltsames, militärisches Eingreifen kann China ausgerechnet 30 Jahre nach dem Tiananmen-Massaker auch nicht wollen - es wäre verheerend für seine Rolle in der Welt. Die Proteste könnten also noch lange weitergehen. Meine Kollegin Laura Höflinger berichtet dieses Wochenende von vor Ort.

...und neue Proteste in Russland

Proteste in Moskau

Proteste in Moskau

Foto: Alexander Zemlianichenko/ dpa

In Moskau haben die Behörden diesen Sonntag tatsächlich eine Demonstration genehmigt, sie ist für 100.000 Menschen zugelassen. In den vergangenen Wochen hatten sie mehrere Kundgebungen verboten und mehr als 2000 Menschen festgenommen. Die russische Opposition, darunter der inhaftierte Alexej Nawalny, will erreichen, dass ihre Kandidaten zur Stadtratswahl am 8. Dezember zugelassen werden. Sie waren wegen angeblicher Formfehler ausgeschlossen worden. 20 Jahre nach der Inthronisierung Wladimir Putins kann die russische Führung nicht einmal mehr auf kommunaler Ebene echte Demokratie zulassen - das zeigt, wie fragil das gegenwärtige System ist. "Just in diesem Moment zeigt sich in Moskau, dass lebendige, öffentliche Politik auch nach zwei Jahrzehnten von Putins Herrschaft nicht durch eine tote Simulation zu ersetzen ist", schreibt unser Moskau-Korrespondent Christian Esch.

SPIEGEL-Titel: Wahnsinn Kreuzfahrt

Foto: Royal Caribbean International/dpa-tmn

Bevor ich die aktuelle Titelgeschichte  des SPIEGEL gelesen habe, konnte ich mir das Ausmaß des Irrsinns nicht vorstellen: Die Kreuzfahrtindustrie boomt, sie verpestet die Meere, zerstört Städte und Strände, und vor allem trägt sie massiv zum Klimawandel bei. Selbst abgelegene Orte werden von Kreuzfahrttouristen überrannt. "Ist es verantwortbar, zum Spaß auf See herumzufahren, wenn dabei pro Stunde bis zu fünf Tonnen Treibstoff verbrannt werden, Schweröl vorzugsweise, wie das auch auf der "Mein Schiff 6" der Fall ist? Ist der Anblick nicht empörend, wenn sich eines dieser schwimmenden Hotels, massig wie ein Wohnblock, ins zierliche Venedig schiebt oder vor die Altstadt von Dubrovnik? Und merkt eigentlich noch irgendwer, wie absurd die Gleichzeitigkeit von Kreuzfahrten und Flüchtlingsbooten auf dem Mittelmeer ist?" Den ganzen Bericht über den Kreuzfahrt-Wahnsinn lesen Sie hier. 

Gewinnerin des Tages...

...ist Yingluck Shinawatra, die frühere Premierministerin von Thailand. Sie hat offenbar die Staatsbürgerschaft Serbiens erhalten  - und ist damit in die Fußstapfen ihres Bruders getreten, der laut Medienberichten mittlerweile einen montenegrinischen Pass besitzt.

Foto: Chaiwat Subprasom/ REUTERS

Thaksin Shinawatra ist der Erzfeind der in Bangkok regierenden Militärjunta, er wurde seinerseits durch einen Militärputsch abgesetzt. Die Familie Shinawatra hatte die thailändische Politik fast zwei Jahrzehnte lang dominiert und autokratisch regiert - sie wird von vielen Armen geliebt, aber von den Bangkoker Eliten gehasst. Weil Bruder und Schwester auch nach ihrer Flucht ins Exil von den thailändischen Behörden per Auslieferungsantrag gesucht werden, sind die Balkan-Pässe für die beiden thailändischen Politiker eine Art Lebensversicherung.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!

Herzlich,

Ihr Mathieu von Rohr

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten