Die Lage am Montag Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn heute Morgen in der Hauptstadt die Gremien der Parteien zu ihren obligatorischen Sitzungen zusammenkommen, dann wird weiter ein Thema über allem schweben: Wie lange ist die Kanzlerin noch Kanzlerin?

Ich würde die Frage umformulieren: Wie lange will sich die Kanzlerin noch antun, dass alle nur wissen wollen, wie lange sie noch Kanzlerin ist? Wer Angela Merkel zuletzt erlebt hat, der konnte erahnen, dass sie diese Frage zunehmend nervt.

Viel lieber redet die Kanzlerin über die Probleme der Welt und das mag auch damit zu tun haben, dass sie am Ende ihrer Kanzlerschaft das Profil als Weltpolitikerin nochmals zu schärfen versucht, um das der Flüchtlingskanzlerin verschwimmen zu lassen.

Sie machte die Kosovo-Frage kurzerhand zur Chefsache und sie versprach, sich in der Libyen-Frage stärker einzubringen. Drei Tage lang reiste sie durch Afrika, diesmal in die Sahel-Zone, sprach mit fünf Staatspräsidenten gleichzeitig, besuchte deutsche Soldaten in der Wüste Malis, die Mitarbeiter einer europäischen Initiative für Grenzschutzsicherung und Terrorismusbekämpfung und - ein Termin, der ihr sichtlich sehr am Herzen lag - die Baustelle für ein neues Frauenhaus einer NGO für misshandelte Kinder und Frauen in Niamey, der Hauptstadt Nigers. Dorthin hatte Merkel ihr Preisgeld gespendet, nachdem die finnische Regierung sie für ihr Engagement in der Geschlechtergerechtigkeit ausgezeichnet hatte. Als "Freundin Nigers" bezeichnete Präsident Mahamadou Issoufou sie, schließlich war Angela Merkel nach 2016 schon zum zweiten Mal da.

Während sie innenpolitisch kaum noch etwas bewegt, ist sie außenpolitisch rastlos wie eh und je. Das mag darauf hindeuten, dass sie auf die Frage nach dem idealen Zeitpunkt, ihr Amt an die Kronprinzessin Annegret Kramp-Karrenbauer zu vererben, womöglich selbst noch keine Antwort gefunden hat. Ein Gespräch mit Studenten in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, deutete jedenfalls nicht auf einen schnellen Abgang hin. Merkel kündigte ein Treffen der "Compact with Africa"-Gruppe im Herbst an und ließ wenig Zweifel daran, dass sie dabei sein werde. Mal sehen, wie lange die Kronprinzessin das mitmacht.

Zu Besuch bei "Landesverrätern"

Foto: Britta Pedersen/ DPA

Mit einer Rede zur Debattenkultur eröffnet heute Vormittag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Digitalkonferenz re:publica (im Foto sind die Aufbauarbeiten zu sehen). Es ist eine Premiere, die unterstreicht, wie wichtig diese Veranstaltung und ihr Thema, die Digitalisierung der Welt, geworden ist. 2007 begann sie als Bloggertreffen mit 600 Teilnehmern und hohem Nerd-Anteil. Im vergangenen Jahr zog sie fast 20.000 Besucher aus 80 Ländern an - mit beachtlichem Krawatten-Anteil. In diesem Jahr geht es um die großen Themen, um Fragen etwa, wie der Klimawandel zu stoppen ist oder was der Cyberkrieg bedeutet.

Neben dem Bundespräsidenten hat sich ein Viertel des Kabinetts angekündigt: Finanzminister Olaf Scholz, Arbeitsminister Hubertus Heil, Umweltministerin Svenja Schulze und Familienministerin Franziska Giffey werden Reden halten.

Die Umarmung der Politik wirkt kurios, wenn man sich vor Augen hält, dass einer der Gründer der Konferenz, Markus Beckedahl, in dieser Republik einst als Landesverräter verdächtigt wurde. Die von ihm mitverantwortete Seite netzpolitik.org hatte 2015 geheime Interna des Verfassungsschutzes veröffentlicht. Daraufhin ermittelte der Generalbundesanwalt, der nach heftigen Protesten aber selbst zum Opfer wurde - und gehen musste. Heute ist der Staatsfeind von damals ein beliebter Ideengeber, offenbar auch für die Politik. Umarmung ist gut, der Schritt zum Erdrücken aber ist in diesem Fall nicht weit.

Recht willig

Foto: Ronald Zak/AP

Offiziell reist Heinz-Christian Strache, der FPÖ-Chef, heute als Vizekanzler Österreichs nach Ungarn. Inoffiziell wird das Treffen mit Victor Orbán als weiterer Versuch gewertet, im nächsten Europaparlament zusammen mit anderen Gruppen einen starken Rechtsaußenblock zu bilden. Erst vergangene Woche war Italiens Innenminister und Lega-Nord-Chef Matteo Salvini ebenfalls zur Stippvisite nach Budapest gereist.

Das Treffen ist eine Provokation gegen Kanzler Sebastian Kurz (links im Foto neben Strache), dessen ÖVP im Europaparlament der EVP angehört - die von dem neuen Bündnis am stärksten getroffen wäre. Das Verhältnis der beiden Koalitionspartner  ist ohnehin nicht das beste. Die FPÖ machte zuletzt immer wieder mit rechten Provokationen Schlagzeilen: In Hitlers Geburtsstadt Braunau am Inn ließ sie ein Gedicht verteilen, das Migranten als "Stadtratten" bezeichnete. Und FPÖ-Chef Strache sprach in einem Interview vom "Bevölkerungsaustausch", einer beliebten rechtsextremen Verschwörungsparole.

Kanzler Kurz distanzierte sich, Vizekanzler Strache sagte, er brauche keinen Oberlehrer. Vielleicht sollte dem Oberlehrer klar werden, dass er zugleich auch der Rektor ist und Verweise erteilen kann, auch solche von der Schule.

Verlierer des Tages...

Foto: DPA/ Iuventa Jugend Rettet

... sind zehn Crewmitglieder des Schiffs "Iuventa", das während seiner Einsatzzeit 14.000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet hat. Gegen die freiwilligen Helfer ermittelt nun eine italienische Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Unterstützung illegaler Migration. Über die Fragwürdigkeit der Vorwürfe gegen die Retter der "Iuventa" hatten wir bereits im vergangenen Jahr berichtet. Heute wollen die Beschuldigten auf einer Pressekonferenz ihre Sicht der Dinge darstellen.

Sie sind zugleich auch die Gewinner des Tages - denn sie wurden mit dem Schweizer Paul-Grüninger-Preis geehrt, der besondere Menschlichkeit und besonderen Mut belohnt.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

Kommen Sie gut in den Tag, kommen Sie gut in die Woche!

Herzlich
Ihr Martin Knobbe

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren