Sebastian Fischer

Die Lage am Morgen Wie lange noch muss die SPD Sarrazin ertragen?

Sebastian Fischer
Von Sebastian Fischer, Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

Liebe Leserin, lieber Leser, guten Morgen,

heute beschäftigen wir uns mit der Furcht des US-Präsidenten vor der Demokratie, dem ewigen Ringen der SPD mit ihrem Noch-immer-Mitglied Thilo Sarrazin sowie dem Tod eines Corona-Verharmlosers.

Trumps Angst vor der Wahl

Je schlechter die eigenen Umfragen, desto mehr Zweifel sucht Donald Trump schon im Vorfeld am Ergebnis der Präsidentschaftswahl im November zu streuen. Nun kokettiert er mit einer Verlegung des Wahltermins.

Wegen der Coronakrise ist eine deutliche Zunahme an Briefwahlstimmen zu erwarten, und Trump kritisiert diese seit Monaten als betrugsanfällig. Was Experten bestreiten. Es ist offensichtlich: Der Präsident sucht nach einem Vorwand, um eine mögliche Wahlniederlage nicht anzuerkennen. 

Aber ginge das denn so leicht, den Wahltermin zu verlegen? Nein. Es brauchte die Zustimmung beider Kammern des US-Kongresses. Im Repräsentantenhaus haben aber die Demokraten die Mehrheit. Und: Trumps erste Amtszeit endet so oder so am 20. Januar 2021. Findet vorher keine Wahl statt, muss Trump das Weiße Haus nichtsdestotrotz am Mittag dieses Tages verlassen.

Trump fürchtet die Wahl. Andere feiern sie. 

Als am Donnerstag der große US-Bürgerrechtler und Kongressabgeordnete John Lewis zu Grabe getragen wurde, erschien unter seinem Namen ein Meinungsbeitrag in der "New York Times" . Der 80-Jährige hatte ihn vorbereitet, für den Tag seines Begräbnisses. 

Lewis schreibt: "Demokratie ist kein Zustand. Sie funktioniert übers Handeln und jede Generation muss ihren Teil tun, um eine Gemeinschaft, eine Nation und eine Weltgesellschaft in Frieden mit sich selbst zu schaffen." Die Teilnahme an der Wahl sei "das mächtigste, gewaltlose Mittel zum Wandel in einer demokratischen Gesellschaft." Lewis weiter: "Ihr müsst das nutzen, weil es nicht garantiert ist. Ihr könnt es auch verlieren."

Sarrazin-Rauswurf, dritter Versuch

Die schier endlose Saga SPD vs. Thilo Sarrazin findet an diesem Freitagmorgen in Berlin ihre Fortsetzung. Im dritten Anlauf versuchen die Sozialdemokraten, ihr Parteimitglied Sarrazin loszuwerden. Der Vorwurf: Parteischädigendes Verhalten durch rassistische Thesen in Buchform. 

Die SPD-Bundesschiedskommission, höchste Instanz der Parteigerichtsbarkeit, muss nun über den Ausschluss verhandeln, nachdem Sarrazin eine frühere Entscheidung gegen ihn angefochten hatte. Sollte er auch diesmal unterliegen, will Sarrazin vor ein Zivilgericht ziehen.

Die Selbstwahrnehmung des früheren Berliner Finanzsenators als Sozialdemokrat ist schon erstaunlich. Mehr noch: Sarrazins Vorstellung, dass seine Positionen der SPD bei enttäuschten Ex-Anhängern wieder Zulauf bescheren könnten, ist reichlich schief.

Es zeugt schon von dümmlicher Arroganz, der Arbeiterschaft auf diese Weise gewissermaßen zu unterstellen, sie fühle sich angezogen von rassistischen oder biologistischen Thesen. Für wie blöd hält Sarrazin eigentlich Menschen, die von ihrer Hände Arbeit leben? Die große Mehrheit der sogenannten kleinen Leute sorgt sich doch nicht wegen angeblicher "religiös gefärbter kultureller Andersartigkeit der Mehrheit der Muslime" (O-Ton Sarrazin). 

Entscheidend für die klassische SPD-Klientel sind ganz andere Dinge: der starke Staat etwa, wohlgemerkt im sozialen Bereich als auch in der inneren Sicherheit. Und Fairness: Jeder in der Gesellschaft muss seinen fairen Anteil am Gemeinwohl leisten; jene, die mehr haben, müssen auch mehr beitragen. Sowie echte Aufstiegschancen durch Bildung, sichere Industriearbeitsplätze. Das wäre ein Programm, um die SPD wieder nach vorn zu bringen. Aber doch nicht dieser rassistische Blödsinn.

Was der Partei fehlt, das sind sicher nicht mehr Sarrazins. Auf diese Leute kann sie gut verzichten.

Tod eines Corona-Verharmlosers

Erinnern Sie sich noch an die Tea Party? Diese rechtskonservative Graswurzelbewegung, die nach der letzten großen Finanzkrise dem politischen Establishment in den USA den Kampf ansagte, Verschwörungstheorien verbreitete, die Geschichte uminterpretierte. Bald hatte sie Teile der Republikanischen Partei unterwandert. Mit Folgen bis heute.

Schon im Präsidentschaftswahlkampf 2012 war das zu beobachten. Da machte zum Beispiel der frühere Pizzaketten-Boss Herman Cain von sich reden. Mit clownesken, aber rhetorisch geschliffenen Auftritten, mit einem ulkigen Steuerplan (neun Prozent auf alles) und mit der Protzerei des Nichtwissenden. In einem Interview wurde er nach dem Namen des Präsidenten von Usbekistan gefragt. Cain witzelte nur über "Ubeki-beki-beki-beki-stan-stan". 

So wurde Herman Cain der Liebling der Tea Party, lag zeitweise im republikanischen Vorwahlkampf vorn, vor dem späteren Obama-Herausforderer Mitt Romney. 

Ich habe Cain, der von sich selbst in der dritten Person als "Hermanator" sprach, damals im ganzen Land immer wieder auf Wahlkampfveranstaltungen erlebt. Er lachte viel, seine Anhänger schienen eher Spaß als Hass zu suchen. Im Oktober 2011 etwa traf ich William Temple nach einer Rede Cains, einen Tea-Party-Aktivisten, verkleidet als amerikanischer Revolutionär aus dem 18. Jahrhundert. "Wir wollen neue Gesichter, keine professionellen Politiker mehr", sagte er mir: "Wir könnten den ersten Pizza-Präsidenten haben."

Das wirkt im Rückblick alles noch so harmlos, irgendwie unschuldig. In Wahrheit aber wurde damals das Feld für den Anti-Politiker und Verhetzer Donald Trump bereitet. 

Herman Cain ist am Donnerstag im Alter von 74 Jahren in Atlanta gestorben. Er hatte sich mit Corona infiziert, rang im Krankenhaus wochenlang um Luft. Cain hatte stets gegen das Maskentragen agitiert und die Corona-Gefahr verharmlost. Ende Juni war er noch auf der umstrittenen Großveranstaltung von Trump in Tulsa, Oklahoma gewesen . Er twitterte ein Selfie vom "Hermanator" inmitten von Trump-Anhängern. Alle ohne Maske.

Wo sich Herman Cain ansteckte, ist nicht klar. Er war auf vielen Veranstaltungen, ungeschützt.

Verlierer des Tages…

…sind drei junge Australierinnen. Wegen der Einschleppung des Coronavirus in den nordöstlichen Bundesstaat Queensland sowie mutmaßlich falscher Angaben bei der Einreise, um eine Quarantäne zu verhindern, drohen den 19- bis 21-Jährigen bis zu fünf Jahre Haft. Die drei sollen sich in Melbourne mit dem Virus angesteckt und außerdem an einer illegalen Party teilgenommen haben. 

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